Walter Seidl
Anasthase und das Untier Richard Wagner
Walter Seidl

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In mythischer Farbenprächtigkeit war Anasthase Wagners Kunstwerk im Anfang erstanden. Erfüllung seiner verstiegensten Kunstträume. Und hatte ihn mit Fieber ergriffen. Doch von Anfang an fühlte er sich auch durch irgend etwas darin abgestoßen, das er nicht recht zu begrenzen vermochte.

Zu den grundverlogenen Weihestimmungen in »Tannhäuser« und »Lohengrin« hatte er von allem Anfang an eine ablehnende Distanz gefunden. Nur einige Hörselbergmusik girrte zwingend in seinem Gehör. Am »Holländer«, den er sonst ganz unmöglich fand, reizten ihn einigermaßen die gläubig-wilden Seeschauer. Doch erst mit der Tetralogie war ihm eine dunkle, verzweifelte Traumwelt aufgegangen, und diese Partituren hielten auch lange all seinen Zweifeln stand. Im Erlebnis »Tristan« endlich – da rang er erschüttert mit dem bösen Gotte Wagner. Die »Meistersinger« hatten dann seinen Eindruck von Wagners unleugbar reichem Können neu bestätigt, stofflich jedoch blieb diese Biederkeit ihm fremd.

An den »Parsifal« hingegen war er, durch die Lektüre Nietzsches vorbereitet, von vornherein nur mit kaltem Hohn herangetreten: Rückfall in die verhaßte Lohengrinstimmung – Weihrauch – Messe – Fahnenflucht vom herrlich wüsten Heidentum der Tetralogie! – –

Bis er dann Debussys »Pelleas und Melisande« gehört hatte – erst verwirrt, schließlich in Entzücken –, den müden Sprechgesang der Maeterlinckschen Geschöpfe, das geheimnisvoll glitzernde Helldunkel des Orchesters. Doch inmitten seiner Begeisterung hatte er bemerkt, daß 50 er sich der Wirkung nicht unbefangen hingegeben, im Entdecken jeder neuen Schönheit vielmehr innerlich frohlockt hatte: das ist die Erlösung von Wagner!

Da hatte er sich allerdings fragen müssen: Warum eigentlich diese Feindseligkeit? – Und hatte sich daraufhin erforscht:

Sein Empfinden, sein Geist, sein Geschmack – so aufrichtig bewegt von den Triebfedern der neuen Zeit – müßten alle »großen Gefühle« ablehnen, müßten also gerade die Kunst Wagners absurd finden, das Ständig-Hochgemute, von dem sie getragen ist, verabscheuen!

Las er nüchtern in der einen oder der anderen Partitur, dann fand er an den meisten Stellen auch tatsächlich etwas unleidlich Pathetisches, vielfach nur einen ins Gigantische gesteigerten Verdi. Hörte er dann aber eine gute Wiedergabe desselben Werkes, so geriet er unfehlbar in den Bann dieser feierlich-barbarischen Musik zurück. Und immer von neuem löste sie die gleichen Rauschwirkungen in ihm aus. Einmal jedoch emporgetragen von der Musik, ergriff ihn dann auch das Dichterische mancher Wendungen, und die Schicksale der Helden und Götter erschütterten ihn . . .

Natürlich schämte er sich dieser »Kritiklosigkeit«. Besonders, wenn er aus dem Theater wankte, vergiftet von der Eindringlichkeit der in den Aktschlüssen getürmten Motive. Widerstandsmüde ergab er sich dann dem Bedürfnis, sie durch Summen, Pfeifen und sogar durch ein übertrieben pathetisches Singen wieder loszuwerden. »Wagner ist ein Zauberer«, sagte er sich da. »Die Wirkung, die er gegen meine klare Überzeugung immer noch auf mich ausübt, kann man nur als Hypnose bezeichnen. Also ein Zwang! Drum hasse ich ihn! Ich 51 anerkenne ihn nicht. Will ihn nicht anerkennen! Seine Verlogenheit, mindestens aber sein Hang zu maßloser Übertreibung hat gewiß keine Grenze. Warum glaube ich ihm überhaupt etwas? Ist es, daß Wagner in seiner irrsinnigen Unsachlichkeit diese ewigen Höhen seines Ausdruckes den Gefühlen seiner Helden adäquat glaubte? Und dies so glühend glaubte, daß die Überzeugung von ihrer Berechtigung sich mir induktiv aufzwingt? Unmöglich! Denn dann müßte wenigstens an den zahlreichen nur trocken-gelehrsamen Stellen das Hochgemute fehlen! – Oder läge es etwa an mir? Wäre mein moderner Geschmack nichts als Fexerei und empfände ich im Grunde eben sentimental und pathetisch? – Nein. Dagegen spricht wohl mein einfaches und darum sicheres Empfinden. – Halt! Aber vielleicht ist es mein Ohr, das nach gesteigerter Klangfülle verlangt! Warum schwelge ich denn stets in den Mahlerschen Orchesterekstasen? Und war ich nicht auch von Strawinskys plötzlicher Flucht in den Geist eines toten, schnörkelfreudigen Jahrhunderts im Grunde unangenehm berührt? War mir der Strawinsky des dunkel-orgiastischen ›Sacre du printemps‹ nicht lieber gewesen? Ja! – ich selbst bin wohl minderwertig! Bald werde ich Meyerbeer mitfühlen!« –

 

Im Maße, als Anasthase versöhnlicher den übrigen Kunstproblemen entgegentrat, wurde dieser Zwiespalt für ihn quälender. Einzig für den »Tristan« hatte er sich eine Formel zurechtgelegt, nach welcher er darzustellen vermochte, warum dieses Werk auch dem modernsten Empfinden entspreche. Seine übrige Wagnerbegeisterung aber glaubte er durch nichts rechtfertigen zu können; 52 sie betrachtete er gewissermaßen als eine ästhetische Katastrophe. Und da er, wie gesagt, aufrichtigen und nach Klarheit zielenden Geistes war, schien es ihm unannehmbar, sich mit diesem Dilemma einfach als Tatsache abzufinden. Er verbohrte sich immer ausschließlicher in ein fruchtloses Nachdenken, und schon bloße Erwähnung des Namens Wagner ließ ihn in kindisch heftiger Weise auffahren. Denn in der Qual seines Zustandes war es in seiner Vorstellung stets der Mann Wagner – Samtrock und Barett! – der ihn bedrängte.

Allmählich lächelte man über diese »fixe Idee«, sprach in Anasthases Gegenwart betont über Wagner, um ihn zu neuen, nicht selten geradezu ordinären Haßausbrüchen zu veranlassen.

 

Als er zum erstenmal von »Komplexen« erfuhr, stand für ihn fest, Wagner bilde in ihm einen solchen. Er versuchte auch, sich in einer Seance mit einem analysierenden Arzt Klarheit darüber zu verschaffen. Das schlug fehl. Der Arzt wußte zwar in Komplexen Bescheid, nicht aber bei Wagner. Verlegen tastete er eine Weile im Geschlechtlichen des jungen Mannes herum, dann trennten sie sich, beide erleichtert, mit verbindlichem Händedruck. –


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