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Einundfünfzigstes Kapitel.

Wackre neue Welt,
Die solche Bürger trägt!

Shakespeare.

»Also wir sollen des Fuero teilhaft werden, oder vielmehr Ihre Exzellenz sind gewillt, das Fuero zu erteilen, uns in eine Gesellschaft konstituieren zu dürfen, die sich versammeln mag, wann und wo es ihr beliebt?« fragte der Conde Irún.

»Zu Tertulias, Refrescos, Convites, Sociedades, wann es uns gefällt, ohne daß der nil habemus, Señor Ruy Gómez, wie er getauft worden, befehlen dürfte, uns nach Hause zu packen«, erwiderte lachend der Marquis de Grijalva.

» Si, si,« bekräftigte der Marquis de Moncada, der sich mitten in einer Gruppe von Kavalieren befand, welche durch den Conde de R–a haranguiert wurden. »Eine Dankadresse an Se. Exzellenz, den regierenden Virey von Nueva Espana, für die väterliche Milde und die Gnade, mit der Hochdieselbe das Land regiert, die Energie, mit welcher sie die Rebellion unterdrückt, und die Weisheit, mit der sie die Ordnung zu retablieren gewußt.«

»Da Se. Exzellenz eine solche Dankadresse wünschen und genehmigen,« bemerkte der Marquis de Flon, »so –«

»Se. Exzellenz sind so aimable, und Hochdero Wünschen soll um so mehr schleunige Folge geleistet werden, als Se. Exzellenz wirklich sehr gnädig sind. Nicht wahr?«

Die honigsüßen Gesichter der Grafen und Marquise zeugten von hoher innerer Freude.

»Wissen Sie auch,« bemerkte der Marquis de Moncada, »daß alles recht artig geht.«

»Sehr artig,« versicherte der Conde R–a. » Con prudencia y fineza convenientes. Es wäre nur zu wünschen, daß wir unsere Soziedad bereits konstituiert hätten –«

Es fiel wieder ein anderer Conde ein. »Señores, ich glaube, mit diesem sollten wir so viel als möglich eilen, ja, diese Sociedad sollte konstituiert sein, ehe die Dankadresse Sr. Exzellenz überreicht wird.«

»Es würde allerdings von großem Nutzen sein«, bemerkte der Marquis de Ch–l, »um so mehr, als die ganze hohe Nobilität in Cuerpo In Corpore. handelnd erscheinen würde. Wir könnten bei dieser Gelegenheit zugleich die ostensiblen Zwecke unserer Vereinigung proklamieren.«

»Die, versteht sich von selbst,« fiel ihm der Marquis Le Moncada ein, »in nichts anderem bestehen, als die weisen und energischen Maßregeln der Regierung zu unterstützen und die Ruhe des Landes herzustellen.«

»Bemerken Sie nur das artige hämische Lächeln, das um den Mund des alten Moncada spielt«, flüsterte der Conde Irún dem Grafen Istla zu.

»Natürlich«, erwiderte der Conde Regla dem alten Marquis. »Ganz natürlich, da denn doch die Gesellschaft sich bildet, und es gewissermaßen ihr Hauptzweck, die Regierung zu unterstützen –«

»Es wird artig sein, wenn wir, die hohe Nobilitad, eine solche Gesellschaft bilden«, meinte der alte Marquis.

»Großartig,« fiel der Conde R–a ein; »versichere Ihnen, teurer Moncada, großartig. Wir werden unseren Präsidenten haben, Vizepräsidenten –«

»Und warum nicht gleich zu ihrer Wahl vorschreiten? Warum uns nicht gleich konstituieren? Wir haben die mündliche Erlaubnis. Lassen Sie uns sogleich anfangen.«

»Sogleich, sogleich!« riefen alle jubelnd.

»Ich schlage meinerseits den Conde R–a zum Präsidenten vor«, hob der Marquis Grijalva an.

»Und wir den Marquis Grijalva zum Vizepräsidenten«, fiel der Marquis Ch–l ein.

»Und wir den Marquis Ch–l zum Sekretär«, der Graf Istla.

»Bravo! Bravo!« riefen alle.

»Es werden als Gesetze unserer Sociedad angenommen – pro primo.«

»Die Glieder der Sociedad werden im geheimen Skrutinio auf- und angenommen, und zwar mit weißen Kugeln«, fuhr der Conde R–a fort.

»Eine absolute Majorität nimmt an, eine Minderheit verwirft.«

»Ohne Mitglied der Sociedad zu sein, kann keiner in unserer Versammlung Zutritt haben –«

»Selbst nicht, wenn es ein Oidor wäre«, bekräftigte der Conde Istla.

»Bravo!« riefen wieder alle.

»Die Gesellschaft hat ihre Korrespondenten,« fügte der Conde Irun bei; »auch können Mitglieder aus allen Teilen des Reiches, versteht sich von Mexiko, auf- und angenommen werden.«

»Es ist dies allerdings ein Opfer,« bemerkte der Marquis Moncada mit zuckersüßem, aber etwas tückischem Lächeln, »ein gewissermaßen bedeutendes Opfer, das die Nobilitad der hohen Regierung bringt.«

»Sie meinen, daß sie in ihre Sociedad Criollos und bloße Hidalgos zuläßt?« fragte der Marquis Ch–l ein wenig verwundert.

»Aufzuwarten, teurer Ch–l«, erwiderte jener. »Es ist eine Herablassung von seiten des Adels. Da jedoch der Regierung in ihrer gegenwärtigen Krisis –«

»So sehr daran gelegen ist, ihren moralischen Einfluß zu verstärken,« fuhr der Conde R–a mit demselben feinen Lächeln fort, »und dies nur durch eine rasche und weite Verzweigung bewirkt werden kann, so wollen wir allerdings dieses Opfer bringen und als Statut aufnehmen, daß nicht bloß Glieder der hohen Nobilitad, sondern auch Caballeros überhaupt, das heißt Blancos und selbst Gachupines aufgenommen werden mögen.«

»Selbst Gachupines«, lachten alle herzlich vergnügt.

»Und wir schlagen vor,« fuhr der Conde R–a fort, »daß alle, die gegenwärtig sind, als Glieder der Sociedad anerkannt werden, und daß der Marquis de Ch–l die Statuten aufsetze, auf daß ihre Konfirmierung sogleich nachgesucht werden möge.«

»Bravo! Bravo!« riefen alle jubelnd; dann sahen sie sich lächelnd schlau an, nickten sich einander beifällig zu und hielten inne. Die lauten Stimmen wurden zum leisen Geflüster, und als sie sich wieder lauter erhoben, war der Gegenstand der Unterhaltung so ganz verändert, daß auch kein Wort mehr von Adressen oder einer zu konstituierenden Gesellschaft zu hören war.

»Also unser teurer Conde Jago ist für heute nicht mehr zu sehen«, hob endlich der Marquis de Moncada wieder an.

»Er läßt sich recht dringend entschuldigen, da er bei seiner Nachhausefahrt sich leicht verkühlt und sogleich in sein Appartement zurückgezogen«, meldete der alte Mayordomo.

»Se. Herrlichkeit sind jedoch wohl?« lächelte der Conde R–a.

»Sehr wohl, sehr wohl. Nur bedürfen Sie der Ruhe«, versicherte der Graf Almagro.

Die Condes und Marquis lächelten wieder und schienen die Abwesenheit des Hauswirtes ganz und gar zu ignorieren.

»Wissen Sie aber, Conde R–a,« bemerkte der Marquis de Vibanco, »daß ganz Mexiko voll ist von seiner Heldentat, und daß alle, die wir gesehen haben, Major Ulloa sein Schicksal recht sehr gönnen.«

»Es kommt insofern à propósito,« erwiderte der Conde R–a, »als es zeigt, daß der hohen Nobilitad auch heißes Blut innewohnt! Aber der arme Junge!«

»Je nun, der wird in der Ketzerrepublik Beefsteaks essen.«

»Also Minherr, der Inglese ist wieder zurückgekommen?« fragte der Conde Irún.

»Heute acht Uhr abends«, versetzte der Marquis Grijalva.

» A proposito Marquis«, sprach der von Moncada. »Sagen Sie mir, wo eigentlich dieses Ingleterre liegt? Es ist eine Intendanz, die der Madre Patria gehört, und die von Philipp ll. erobert und der Krone von Spanien einverleibt –«

»Werden sollte; ganz richtig«, bemerkte der Conde Almagro.

»Wir haben ein Buch,« fuhr der alte Marquis fort, »wo das alles darinnen steht. Diese Inglese sind eine Art Ketzer, die Sr. katholischen Majestät Tribut an Tuch und Strumpfwaren bezahlen.«

»Auch Messer und Gewehre liefern«, bemerkte der junge Don lächelnd.

»Die letzteren sind sehr unschuldig, lieber Marquis,« entgegnete der von Ch–l, »besonders die von Birmingham. Die Patrioten von Carraccas hatten eine Lieferung von zehntausend gekauft, und in der Schlacht wollte kein einziges losgehen.«

Der alte Marquis de Moncada schüttelte verwundert den Kopf. » Madre de Dios! Das ist ja herrlich. Hätten wir sie doch bei unserer Revue gehabt, unter weiland Sr. Exzellenz, Conde Gálvez, wo wir als Oberst –«

»Todesangst ausgestanden«, half ihm der Conde Almagro.

»Aber sagen Sie mir, Conde Almagro, ist denn Sir George W–n wirklich ein Lord? Wie viele Ahnen hat er?« fragte der zahnlose Marquis ungemein behaglich.

»Pah, keine zwei«, versicherte Conde Almagro. »Er ist bloß Mitglied des Consulado von London. Wäre neulich in der Plateriastraße beinahe niedergestoßen worden.«

»Ah, weil er nicht niederkniete, als der Carro de Dios vorbeifuhr«, fiel ihm der Marquis ein.

» Madre de Dios! Sah er denn nicht die dreißig Acolythos, und hörte er nicht die Glocken Hat er denn die dreißig Akolythos nicht gesehen und die Glocken nicht gehört? Alle Abende um 7 Uhr, und wenn das Sakrament vornehmen Sterbenden gereicht wurde, fuhr der Carro de Dios, buchstäblich Gotteswagen, im erstem Falle von der Kathedral-, im letztern von der Pfarrkirche ab, wohin der Sterbende gehörte; in diesem befand sich ein Priester, der die konsekrierte Hostie dem Volke zeigte. Er war von dreißig Kirchendienern und jungen Geistlichen, Akolythos genannt, begleitet. Häufig wurden bei dieser Gelegenheit Fremde, die nicht sogleich niederknieten, ermordet.

»Es sind ja Hereges, die Inglese alle zusammen«, bemerkte ein Dabeistehender.

» Madre de Dios!« rief der alte Marquis wieder. »Gott sei Dank! Wir sind viejos cristianos. Mußte aber doch neulich im Theater lachen über den Buffo, den dicken Filippo, als der Carro de Dios vorbeifuhr, und er als Papageno niederknien mußte, der dickste Papageno, den Sie je gesehen, und als er so kniete, konnte er nicht aufstehen. Mußten ihm mit einer Stange aufhelfen. Waren noch die Glocken zu hören, aber das ganze Theater lachte sehr, sehr. War aber auch zum Totlachen. Sehr komisch, nicht wahr?«

»Sehr komisch«, versicherte ihm der junge Almagro.

Der alte Marquis hatte in der angenehmen Unterhaltung ganz übersehen, daß bereits die meisten Kavaliere den Saal verlassen hatten. Er nahm nun eiligen Abschied von den Anwesenden und ließ sich vom Mayordomo, Itztlan und Federigo die Staatstreppe hinabbegleiten.

»Itztlan,« sprach der Mayordomo zum Oaxaca-Indianer, der verdrießlich brummend die Stiegen hinaufschritt, »was schaust denn du, als ob du noch heute an den Temalacatl Der Stein, auf dem die Kriegsgefangenen der alten Mexikaner kämpfen mußten. gebunden werden solltest?«

Der Indianer gab keine Antwort.

»Ist es die Dankadresse an den Virey für die Milde und Gnade, die dir den Appetit verdorben?«

Der Indianer knirschte mit den Zähnen.

»Tröste dich, Itztlan«, sprach der Mayordomo. »Weißt du nicht, daß die Teopixqui Asketische Priester der alten Mexikaner., wenn sie dem Mexikotl einen Kriegsgefangenen opferten, ihm zuerst Musik machten, Blumen streuten und Wohlgerüche darbrachten und ihn fett machten?«

»Wer ist der Gefangene?« fragte der Indianer bedeutsam. »Itztlan fürchtet, das arme Mexiko wird es, und die Caballeros werden die falschen Teopixqui sein.«

»Weiß nicht, kann dir also nicht bestimmte Antwort geben«, versetzte der Mayordomo. »Bist du nie neben den Orgelpfeifen gestanden, wenn der Organist zu spielen angefangen?« fragte er wieder den Indianer.

»Nein«, versetzte dieser.

»So versuch's einmal. Morgen zum Beispiel – und du wirst sehen, wie jede dieser Orgelpfeifen einen verschiedenen Ton von sich gibt, einige brummen, andere pfeifen, andere schreien wie Conzontlis, und doch vereinigen sich alle in eine Harmonie. Warum, weil es eine einzige Kraft ist, die ihnen den Atem entlockt. Itztlan, kennst du die Kraft nicht, die unsere Caballeros in Atem versetzt, so daß es ihnen aus der Brust aufsteigt und zu Worten wird?«

»Kenne sie nicht.«

»Es ist ein gefährliches Orgelspiel, lieber Itztlan, aber sie spielen nach ihrer Weise. Jeder nach seiner Art. Das Spiel geht hoch. Wer wird es gewinnen?«

»Das Sonderbarste ist,« fiel Federico ein, »daß unsere Nobilitad sich in einen Cuerpo vereinigt, eine Gesellschaft zur Aufrechterhaltung der Gachupines und des Virey, den niemand mehr mag.«

»Das ist sonderbar«, versetzte der Mayordomo mit einem einfältig schlauen Lächeln. »Tröstet Euch aber, Itztlan und Federico, es hat einen Haken.«

»Wollte die heilige Jungfrau, er wäre so stark und lang, daß alle sechzigtausend Gachupines daran gehängt werden könnten.«

»Kann sein, daß er so lang wird«, brummte der alte Mayordomo in sich hinein. »La virgen nos asiste. Es ist ein christlicher Wunsch. Horch, die Glocke aus dem Studierkabinette des Grafen.«


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