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Vierunddreißigstes Kapitel.

Nur herein
Wer's mag sein.

Shakespeare.

Die Siestastunde war vorüber. Im Appartement der Vireyna fing es an, lebendig zu werden; denn die hohen Herrschaften hatten sich von ihren Ottomanen erhoben und beschlossen, im kleinen Gartenpavillon den Nachmittag zu arbeiten. In den kleinen Gartenpavillon trabten und trippelten daher Gentilhombres und Doncellas, Camareras und Señoritas, mit Kissen und Schemelchen und Stickrahmen und Fauteuils und den tausend Erfordernissen eines hohen Arbeitstisches. Ihnen nach zuerst ein einfach, à l'enfant gekleidetes Mädchen, das tanzend in das reich verzierte Kabinett hüpfte; darauf zwei ältere Mädchen, zwischen vierzehn und fünfzehn Jahren, mehr anziehend als schön, die, mit einem recht lieblichen Ausdrucke von Hoheit, den verstummenden Dienern einige Befehle gaben, und endlich zwei Damen, von denen die jüngere unsere Doña Isabel, die ältere, ihre um zehn Jahre gereiftere Schwester, den Kranz vollendeten; das Ganze eine recht liebliche Stufenleiter weiblicher Anmut, vom zehnjährigen Kinde bis zur fünfunddreißigjährigen, aber noch immer anziehenden Mutter.

Donna Isabella und die ältere Dame hatten sich, nach einigen Gängen durch das Gemach, vor zwei Stickrahmen niedergelassen, auf welchen breite Bänder aufgespannt waren, die zu kriegerischen Abzeichen bestimmt zu sein schienen. Die Mädchen hatten die Crayons ergriffen, die Jüngste klimperte auf einer Gitarre, und als Zugabe fand sich ein Knabe mit einem Steckenpferde und einem hölzernen Schwerte ein, der sogleich eine Kavalkade durch das Kabinett begann: ein recht liebliches Gegenstück zu den emsigen hohen Arbeiterinnen.

Das Ganze war recht heiter zu schauen; es war die erste glückliche oder glücklich scheinende Familie, die wir in Mexiko gesehen.

Ein geraume Weile war unter einsilbigen Ausrufungen verstrichen.

»Mama«, rief endlich die jüngere der Señoras, eine glühende Brünette, die den Crayon niederlegte, und aufhüpfend ihre Hand um den Nacken der Mama schlang; »Mama, es ist ein diviner Einfall.«

»Ein diviner Einfall«, wiederholte die rabenlockige Inez, die, nachdem sie ihre Arbeit gleicherweise zurückgeschoben, wieder Doña Isabel mit einem Kusse lohnte.

»Er ist nicht übel, Kinderchen,« sprach die Doña selbstgefällig, »und er schoß in unserm Köpfchen auf, als wir uns eines solchen Schwunges gar nicht versahen, gerade als wir von dem fatalen Conde de San Jago nach Hause fuhren, das angenehme Konterfei Don Ruy Gómez uns gegenüber, zähneklappernd vor Wut, und noch immer nicht begreifend, wie dieses Konsulado und diese Nobilitad«, sie sprach diese Worte in einem spitzig wegwerfenden Tone, »es wagen konnten, sich der Ungnade Seiner Exzellenz bloßzustellen.«

»Heilige Jungfrau! Schwester, wie du nur scherzen kannst,« versetzte die ältliche Dame, »Señor Vanegas war sehr böse.«

»War er es wirklich, Schwesterchen?« lachte Doña Isabel. »Mein Gott, er bildet sich ja immer so viel auf seine Diplomatie und sein Menagieren ein, und in einer Affäre, die doch gewiß ein vorläufiges Menagement verdiente, hat er auf einmal den geraden Weg einzuschlagen für gut befunden, und nun wundert es ihn, daß dieses Konsulado und diese Nobilitad den ledernen Trueba und trockenen Pinto abgefertigt haben, die zähesten Patrone, die wir in unserm lieben hochadeligen Mexiko haben. Seine Exzellenz pflegten sonst vorläufig uns zu fragen; Sie haben diesmal der Audiencia den Vorrang gegeben,« fuhr sie spottend fort, »und ich glaube, Schwesterchen, die Frage, wäre sie geschehen, wäre nicht ganz überflüssig gewesen. Ah, la belle France! Siehe, Schwesterchen! Auch in dieser Hinsicht ist uns la belle France unendlich überlegen; da ordnen die Damen erst vorläufig im Boudoir die Fäden, die sie in ihren Salons zu Netzen spinnen, um mit selben die große Nation zu umgarnen. Wir halten nun zwar einen Salon; aber die liebe Exzellenz ist so ganz von ihrer eigenen Aimabilité überzeugt, daß sie niemanden sonst zu Worte kommen läßt. Wenigstens was die Nobilitad und vorzüglich den Conde betrifft, so bin ich ganz gewiß, daß wir reüssiert hätten.«

Sie legte bei diesen Worten die Hand an den Hals, um den nun die Perlenschnur geschlungen war, die wir früher an der Condesa zu bemerken Gelegenheit hatten.

»Sie sind sehr schön,« bemerkte die Vizekönigin, »die schönsten, die wir in Mexiko gesehen haben.«

»Die kleine Gräfin konnte uns doch nicht ihre Schönheit bewundern hören, ohne sie der quasi Prinzessin zu Füßen zu legen«, lachte Doña Isabel. »Es ist eine kleine Entschädigung für die fatale Gesellschaft, in der wir uns ennuyierten. Wirklich eine schreckliche ennuyante Espece von Menschen, diese Kreolinnen.«

»Die jedoch gegenwärtig geschont werden müssen, sogar flattiert, wie Señor Vanegas sagt«, bemerkte die Vireyna mit etwas einfältigem Gesichte. »Man spricht sehr viel Gutes von dieser Condesa.«

»Sie ist nicht übel,« versetzte die Doña, »und die Art, wie sie uns dieses kleine Cadeau darbrachte, war recht allerliebst, und zeigt, daß sie Takt besitzt. Wir haben uns vorgenommen, sie in unsere Nähe zu ziehen und ihr die Entrée zu gestatten.«

»Und wie hast du den Grafen gefunden?«

»Recht liebenswürdig, ja interessant. Es ist etwas wahrhaft Adeliges an ihm. Er ist schweigsam und verschlossen, und doch wieder so beredt, der personifizierte Verstand, die klarste, ruhigste Weltanschauung; und zudem diese romantische Treue, diese zärtliche Liebe, die aus dem dunkeln, schwärmerischen Auge leuchtet. Auch ihn müssen wir näher an uns ziehen. Es hängt dieses mit meinen Plänen zusammen.«

Sie hielt inne und stützte das Haupt einige Augenblicke gedankenschwer in die Hand; dann hob sie wieder an: »Ah, dieser Conde! Anfangs erschien er mir sehr stolz und steif – –«

»Was ist es mit ihm? Was fehlt dir, liebe Schwester?«

»Es wäre gewiß ein großer, ein herrlicher Gedanke,« sprach diese, »bei der gegenwärtigen Zerrissenheit der Gemüter. Es wäre etwas Großes, etwas Edles, diese Zerrissenheit durch eine symbolische Vereinigung in ein harmonisches Ganze umzuwandeln, unter dem Vorbilde hoher Loyalität, das den Spanier vor allen Völkern der Erde so sehr auszeichnet.«

Die Vizekönigin nickte beifällig.

»Aber wie, und was meinst du denn eigentlich?« fragte sie nach einer Pause.

»Der Gedanke, flüchtig entsprossen, wäre ein Typus, ein herrlicher, ein großartiger –«

Sie hielt wieder inne, wie eine, die ihre Ideen zu ordnen bemüht ist. »Großes würde geleistet durch diesen Ball.«

Die Vizekönigin hatte die Schwester erwartungsvoll angesehen. Das Wort Ball bewirkte jedoch eine plötzliche Abspannung.

»Aber mein Gott! Wie du wieder die Unterlippe hängen läßt«, schmollte Doña Isabel die Schwester, deren Unterlippe wirklich durch eine unliebliche Öffnung eine unlieblichere Lücke in den gelb gewordenen Zähnen sehen ließ. Die Vireyna hatte ihren Fehler schnell dadurch verbessert, daß sie fragte: »Aber einen Ball, Isabel, ums Himmelswillen! Wie gedenkst du dieses anzufangen?«

»Einen Ball, das ist es eben, Mama, es ist ein ganz sublimer Einfall«, meinte Doña Inés.

»Ein Ball,« bemerkte die Vizekönigin kopfschüttelnd, »während die Rebellen kaum vierundzwanzig Stunden von Mexiko stehen.«

»Aber doch nicht ewig stehen bleiben werden?« spottete die Doña. »Und selbst wenn es der Fall wäre, so gäbe es uns ein Air von Selbstvertrauen.«

»Nein, nein; es wäre Leichtsinn, Indelikatesse«, versetzte die Vizekönigin.

»Je nach der Weise, Schwesterchen«, sprach die stolze Doña. »Nach unserm Plane soll er eine große, eine herrliche Erscheinung werden.«

» Est-il permis?« fragte im lispelnd weibischen Tone eine Stimme durch die halb geöffnete Flügeltüre, und ein Kopf streckte sich dazwischen, der kaum sichtbar geworden, als der Knabe, das hölzerne Schwert in der Hand und das Steckenpferd zwischen den Beinen, jubelnd dem Eintretenden entgegen galoppierte, dem er auch sofort mit seinem hölzernen Schwerte so tüchtig zusetzte, daß dieser sich über Hals und Kopf in die Fensterecke retirieren mußte, wo er endlich einer Papierrolle habhaft wurde, mit welcher er sich des jungen Wildfangs bestmöglich erwehrte.

»Bravo, Carlos!« rief der Vizekönig; denn keine geringere Person war es, die der junge Mutwille so tapfer herausgefordert hatte. »Bravo, Bravo!« wiederholte er. » Adelante, Adelante!« Und mit diesen Worten galoppierte er halb, halb tanzte er dem Knaben frisch zu Leibe und begann ein Gefecht, in welchem es Hiebe auf Hiebe regnete. Das zehnjährige Mädchen hatte sich gleichfalls auf die Seite des Brüderchens geschlagen, und beide trieben wieder vereint den lieben Papa so in die Enge, daß er zum zweiten Male in die Fensterecke retirieren und endlich froh sein mußte, sich unter dem lauten Gelächter der Familie auf Gnade und Ungnade ergeben zu dürfen.

Dafür küßte der Vater den Knaben so freudig, und das Mädchen fiel ihm so anmutig um den Hals; es war ein wirklich recht artiges Bild väterlicher Zärtlichkeit und kindlichen Mutwillens, dem man selbst die leicht hindurchschimmernde Nuance von Affektation gerne vergab.


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