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Achtundvierzigstes Kapitel.

Hommes noirs d'où sortez-vous?
Nous sortons de dessous terre,
Moitié renards, moitié loups.

Béranger.

Auf dem Glockenturme der Kathedrale schlug es zehn.

Alles war ruhig und still vor dem Palast. Von den Ecken des Platzes herüber ließ sich zeitweilig ein dumpfes Gemurmel hören, wie das der aufgerüttelten Meereswogen, die hohl heranströmen – der Nachklang eines vorübergegangenen oder der Vorläufer eines beginnenden Sturmes, und von Santa Fe herab pfiff ein leichter Norte in einzelnen Stößen, daß die Wetterhähne der hundert Türme seltsam unheimlich zusammen knarrten.

Es war eine prachtvolle Mondnacht. Die zartweiße Floripundio Sie hat bloß ein einziges Blatt, das aber acht Zoll lang und drei bis vier breit ist; die Tigerblume hat drei spitzige Blätter; die Herzblume hat geschlossen die Gestalt eines Herzens, offen die eines Sterns., die glänzendrote Tigerblume, die rotweiße Herzblume, die duftenden Zitronenblüten auf den Miradors, die Bäume in den Gärten, die Felsen der Gebirge, die grandiosen Paläste, Kirchen und Dome, die Säulenordnungen, Karyatiden und Knäufe schienen sich zu strecken im Glanze des Mondlichtes, das nun ruhig und silbern gegen die Gebirge von Marquis de la Cruz hinabsank, und die weiße Frau, die über diese hervorragte, schien näher zu rücken und sich zu neigen über das ewige Tenochtitlan. Alles war zauberisch feenartig, mit jenem grünlichen Silberlichte überstrahlt, das den mondhellen Nächten der tropischen Länder einen so unbeschreiblich ideal geisterhaften Anstrich verleiht.

Als die Glocken ein Viertel nach zehn geschlagen, öffneten sich die Hinterpforten im linken Flügel des Palastes, und es blitzten Gewehre heraus; Mann kam auf Mann, Zug auf Zug. Sie stellten sich auf der Plaza auf, düster und finster, schweigsam wie Nachtschatten und wie Gespenster, die auf das Geheiß eines Zauberers aus ihren unterirdischen Klüften und Verstecken zur Feier der Geisterstunde hervorbrechen.

Es war Poesie in dieser Nachtszene – furchtbare Poesie.

Als das Regiment aufgestellt war, traten die Offiziere aus der Linie und sammelten sich in Gruppen, die Blicke auf den vizeköniglichen Palast geheftet. Die Degen unter dem Arme standen sie eine geraume Weile, ohne ein Wort zu sagen.

»Dachte wohl, das Postre Dessert würde nicht ausbleiben, nachdem das Almuerzo Almuerzo, Frühstück. so gut ausgefallen«, bemerkte endlich einer der Offiziere.

»Muß doch eine eigene Zauberkraft haben, dieser Vicente Guerrero, wenn schon sein Name so viel vermag.«

»Señor Saldanha! Wissen Sie, mich erinnert das Ganze an die Posada, zwei Stunden oberhalb Almonacid Kneipe oberhalb Almonacid – bekannt wegen der von Vanegas gegen Joseph Napoleon verlorenen Schlacht.

»Diese berühmte Posada«, versetzte der Angeredete mit unterdrücktem Gelächter, in das mehrere der Umstehenden einstimmten, »mußten sie mit tausend Mann besetzen und uns daselbst einschanzen.«

»Und die Gavachos erwarten, von denen auch kein einziger weit und breit zu sehen war, während unter uns die Schlacht donnerte.«

»Wir waren zwei verlorene Posten«, fiel ein anderer ein. »Sie oben mit tausend Mann, wir unten mit zweitausend, zwei volle Wegstunden vom Schlachtfelde.«

»Caramba! Mir kam der ganze Spaß vor wie jene Studenten, die ihre Realen am Anfang des Semesters in alle Stuben und Kastenwinkel und in ihre Wäsche verstecken, um in der Zeit der Not durch einen letzten Pfennig überrascht zu werden.«

»Es ist doch etwas Sonderbares um das Befehlen und noch mehr um das Regieren«, bemerkte ein anderer. »Etwas sehr Sonderbares!«

»Caramba! Es ist seltsam, so sage ich auch. Wie kommt es, daß ein Befehl von einem solchen Muchacho so auf uns einwirkt, daß wir eilen, über Hals und Kopf unsere Mädchen verlassen, just wann und wo und wie es ihm gefällig ist!«

»Das will ich dir sagen, Núñez!« fiel ihm ein anderer ein. »Weil Befehle Strahlen sind, von einem Geist emittierte Strahlen; der Geist ist aber unsterblich, ein eigenes vom Körper unabhängiges Wesen, und Geistesfunken sind daher Strahlen, emittierte Strahlen!«

»Pah!« fiel ihm Señor Núñez ein, »unabhängig, unsterblich? Du hast in deinem Leben gewiß noch keine zwanzig Tropfen Laudanum genommen, sonst redetest du anders. Der Geist ist materiell, seine Funken sind materiell und wirken materiell. Zum Beispiel: wir befanden uns bei einer nichts weniger als unebenen Señorita, als wir abgerufen wurden. Waren da die Wirkungen der Order, die von diesem Muchacho ausgingen, nicht materiell?«

»Aber zurückzukommen auf die Essenz des Willens. Wie kommt es, daß wir, die liberal, ja, was mehr sagen will, fest entschlossen sind, die göttliche Libertad zu proklamieren, uns so ganz und gar von Servilen regieren lassen?«

»Aber Señor Núñez!« fiel ihm ein Herbeitretender ein. »Was werden Sie mit all den Mädchen machen, die Sie heute in der Lotterie Noch im Jahre 1825-26 wurden solche Lotterien auf öffentlicher Straße ausgeboten. Sie heute in der Lotterie gewonnen haben. Baradere in seinen Skizzen über Mexiko tut gleichfalls eines Ungeheuers Erwähnung, das Lotterien auf öffentlicher Straße feilbot, in denen Mädchen ausgespielt wurden. gewonnen haben?«

»Für eine Dublone überlasse ich Ihnen Stück für Stück; mögen Sie dann kochen oder braten.«

»Caramba! Hier sind zwei Dublonen; will meinem Sancho nun ein paar schicken.«

»Doch, was die Essenz des Willens betrifft,« hob Señor Núñez wieder an, »wie kommt es, daß wir dem Willen Serviler so genau Folge leisten?«

»Weil die Servilen des Teufels sind, und wir ditto Servientes des Teufels«, bemerkte der nächste lachend.

»Bravo, Petruchio!« lachten mehrere. »Das sind wir, das muß wahr sein, trotz der heiligen Hermandad.«

»Ist aber doch schade um diese Hermandad,« meinte ein anderer. »Wäre ich die Cortes gewesen, ich hätte sie nicht aufgehoben; denn auch sie sind wahre Teufelsdiener, die weder an einen Gott noch an einen Heiligen glauben.«

»Fragte neulich einen vom Cabildo der Kathedrale Domkapitel., warum so viele dämonische Gesichter im linken Chor aufgehängt sind – antwortete mir: ›Weil es viele gibt, die nicht an Gott, wohl aber an den Teufel glauben.‹ ›Haben also dem Teufel Altäre aufgerichtet?‹ fragte ich lachend. ›Versteht sich von selbst‹, war seine Antwort.

Plötzlich hielten sie inne in diesen sonderbar sinnlosen Reden, die, in kurzen abgebrochenen Sätzen mit unheimlich zischenden Stimmen gesprochen und geflüstert, jene Anklänge von Bigotterie und Unglaube, von Katholizismus und Atheismus, von Geistesbeschränktheit und Dämonismus verrieten, die dem Spanier eigentümlich sind; denn es ist der heutige spanische Volksgeist eine merkwürdige psychologische Erscheinung. Von Natur ungemein stark und kräftig, ist es nicht der unermüdlich rastlose Geist des Nordländers, bei dem während der Anschauung die Erkenntnis bereits zum Urteile wird, oder der sich in Forschungen verliert und zur trüben, nebeligen oder wässerig verdünstenden Phantasie sich gestaltet; es ist auch nicht der flüchtig scharfe destillierende Geist seines Nachbarn, der spielend und tändelnd die Arbeiten eines Jahrhunderts in die Quintessenz weniger Witzfunken zusammenzupressen weiß; es ist der nüchterne, schroffe, bestimmte und wieder halb wahnsinnige Geist von in irreligiösem und politischem Despotismus befangenen und wieder zur Kindheit zurückgezwängten Menschen, der, durch alle nur ersinnlichen Mittel und Künste in dieser Kindheit zurückgehalten, sich seltsam bizarr und auf eine eigene Weise kundgibt, elektrischen Blitzfunken ähnlich, die, in ein bleiernes Gefäß eingeschlossen, herausfahren, sowie sie nur einen Ausweg finden. Es zeigen sich diese gleichsam elektrischen Funken bei jeder Gelegenheit, unter allen Ständen; sie sind fragmentarisch, kurz abgebrochen, wie es bei geistreichen, aber eines anhaltenden Denkvermögens noch unfähigen Kindern der Fall ist. Man hört sie auf Straßen und Plätzen. Sie haben einen Anklang von Atheismus, von Dämonismus, den Vorläufern einer Revolution, die auch dieses Volk noch zu bestehen hat, um in seine faulenden Massen neues Leben und gesunde Säfte zu bekommen.

»Was soll das?« fragten auf einmal zwanzig Stimmen leise.

Während die Offiziere auf spanische Weise philosophiert hatten, war eine Kompagnie Cazadores vor und um den erzbischöflichen Palast herum aufgestellt worden, und zwar in solcher Stille, daß sie erst jetzt von den Offizieren bemerkt wurden.

Alle schauten sich kopfschüttelnd an.

»Haben die erzbischöfliche Gnaden das Motin Frio Aufruhrfieber. bekommen?«

»Es ist doch alles ruhig in seinem Palaste.«

»Kein Licht zu sehen.«

Eine Figur kam aus der vom Kanal heraufführenden Querstraße, mitten durch das aufgestellte Pikett. Das Gente de Paz, das sie den Lanzeros zur Antwort gab, war so laut gesprochen, daß es herüber zu hören war. Die Offiziere gingen dem Herannahenden entgegen. Es war der Oberst.

»Conde! – Señoria! – Was soll das?« fragten alle.

»Se. Exzellenz spielen bloß Variationen über das Thema von Augustus – kennen Sie es nicht?«

Die Offiziere sahen ihren Chef verwundert an.

» Providus Imperator praeferendus temerario,« wisperte der Oberst lächelnd, indem er einen Blick warf.

»Oberst und Generaladjutant Fiesco hat zweimal bereits nach Eurer Herrlichkeit gefragt«, meldete ihm der Major Arias.

»Verstehe«, sprach der Oberst, der sich gegen die Offiziere leicht verbeugte und dann dem Palasttore zuging.

»Hast du gesehen, Núñez?« sprach einer. »Er hat statt seines Mantels einen Blaumantel und statt seines Hutes einen Generalshut.«

»Einen General-Kapitänshut.«

»Pah! er ist der Sohn eines Grande.«

Auf einmal wandten sich die Offiziere gegen das Palasttor, die Wachen präsentierten, und es kamen drei Personen aus der Halle und dem Tore herausgeschritten.

»Der Virey«, murmelten alle im höchsten Erstaunen.

»Und kein Gewehraus, kein Trommelschlag, kein Fahnesenken?« fragten sie sich wieder, indem sie hastig in die Linie eintraten.

Der Virey schien das Regiment nicht zu bemerken. Er ging mit seinen Begleitern, mit denen er sehr angelegentlich sprach, gerade auf den erzbischöflichen Palast zu. Ein Page folgte. Als er vor dem Palaste angekommen, deutete er auf die verschlossenen Pforten und schüttelte den Kopf. Der Page zog die Klingel, und der Virey trat ein, nachdem er seinen Begleiter umarmt hatte.

»Besetzen Sie alle Zugänge!« befahl der Oberst dem Kapitän der Cazadores. »Niemand wird weder aus- noch eingelassen.«

Dann warf er seinen Arm in den des Conde, denn er war es, und beide nahmen die Richtung nach der Tacubastraße.


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