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Siebenundvierzigstes Kapitel.

Lengua sin manos cuomo osas fablar?

Cid.

In diesem Augenblick gingen die Flügeltüren auf, und die Doña trat stolzen Schrittes ein. Sie winkte dem Geheimsekretär, sich zu entfernen, sah einen Augenblick den Virey, dann wieder den Conde an, und dann auf letzteren zutretend, sprach sie mit leiser, aber fester Stimme:

»Ihr Neffe, Conde, ist gerettet; er ist in Sicherheit. Bei der Mutter der Gnaden! Er ist gerettet.«

Der Virey sah sie regungs-, bewegungslos an, sein stieres Auge begegnete dem ihrigen.

Sie schritt rasch auf ihn zu und sprach mit flammenden Blicken: »Ja, er ist gerettet, Señor Vanegas! Nicht sterben soll er wie ein Negro, nicht wie ein Cabecilla.« Ihre Brust hob sich. »Nicht hingeschlachtet werden soll die Liebe Isabellas«, flüsterte sie kaum vernehmlich.

»Doña Isabel!« ächzte der Vizekönig.

»Nicht sterben durch meuchelmörderische Henkershand, verstehen Sie, Señor Vanegas!« sprach sie drohend.

Das entrüstete Weib war ungemein schön zu schauen, wie sie vor dem elenden Gewaltigen stand.

»Doña Isabel!« sprach der Graf, der in Gedanken versunken gestanden war, »Doña Isabel kann groß sein, wenn sie will.«

Er faßte, während er so sprach, ihre Hand und sah ihr erwartungsvoll in die Augen. Auch sie schaute ihn mit einem seelenvollen Blick an. Es schien, als ob diese beiden nicht gewöhnlichen Seelen in ihre beiderseitigen Tiefen tauchen wollten. Der Conde ließ ihre Hand fahren. Ein schmerzliches Hohnlächeln zog sich um die Lippen der Doña.

Sie stand, ohne ein Wort zu sagen.

»Und Sie haben ihn gerettet?« ächzte der Virey vom Sofa herüber.

»Das haben wir, Señor Vanegas! Ihn und Sie gerettet!« Sie sprach die letzteren Worte leise, sinnend, in Nachdenken verloren.

»Das hat Doña Isabel wirklich, Ihro Exzellenz! Auch machen wir Sie darauf aufmerksam, schnell Maßregeln zu nehmen, um den Schritten vorzubeugen, die in des Erzbischofs Palaste soeben genommen werden.«

»Sie wissen, Conde?« sprach die Dame erstaunt.

»Daß mehrere Señores vom Consulado, der Armee und selbst der Audiencia daselbst versammelt sind, um bei den Cortes Beschwerden gegen Euer Exzellenz einzubringen und einen Nachfolger vorzuschlagen, ja vielleicht Ihnen dasselbe Schicksal widerfahren zu lassen, das Iturrigaray betroffen. Wir haben eine indirekte Einladung erhalten.«

Der Virey stöhnte.

»Euer Exzellenz!« fuhr der Conde artig, aber mit Nachdruck fort, »wir wünschen. Sie als Landeschef zu behalten. Wir gaben Ihnen von der Aufrichtigkeit dieses unseres Wunsches soeben einen vollgültigen Beweis. Wir wünschen auch dem erhabenen Königshause in Spanien getreu zu verbleiben. Aber, Exzellenz!« seine Stimme wurde leiser und doch nachdrücklich gespannter: »Indem wir Sie unserer Ergebenheit gegen Ihre Person und unser angestammtes Königshaus versichern, müssen wir Sie zugleich ersuchen, uns Ihre Gewalt künftighin weniger furchtbar zeigen zu wollen.« Diese letzteren Worte waren wieder in einem beinahe spöttischen Ton gesprochen. »Wir wünschen nicht, für unsere Aufopferungen schlimmer daran zu sein als die Rebellen selbst, die bloß ein Feuer auszuhalten haben, während wir dem Blutgelüste Ihres spanischen und unseres mexikanischen Auswurfes bloßgestellt sind.«

Die Donna sah den Sprecher erstaunt an. Ihr Mund öffnete sich, der Virey fiel ihr jedoch in die Rede: »Alles, alles, teurer Conde!«

»Was ist, was soll das?« fragte die Doña.

»Wir sind weit entfernt, Euer Exzellenz Bedingungen zu stellen und so Ihre kritische Lage noch kritischer machen zu wollen; doch werden Euer Exzellenz gütig zu bemerken belieben, daß irgendeine Äußerung von Ihrer Seite allerdings nötig ist, für Ihr eigenes Interesse nötig ist, um die zwischen uns bestehende Harmonie anzudeuten.«

»Die zwischen uns bestehende Harmonie anzudeuten«, wiederholte mechanisch der Virey.

»Und da gerade die Kommandeurstellen der Compañias-Esbeltas-Bataillone von Mexiko erledigt sind«, fuhr der Graf fort, »so nehmen wir uns die Freiheit, um diese für unsere Verwandten Don Carlos und Almagro anzusuchen, auf daß uns so in ihnen eine Ehrenerklärung gegeben werde, die Euer Exzellenz hoher Stellung angemessen ist.«

»Morgen, morgen sollen die Patente ausgefertigt werden.«

»Ersuchen jedoch, das Patent für Conde Carlos nicht zu publizieren, da er noch in Gefangenschaft sich befindet.«

»In Gefangenschaft sich befindet«, wiederholte der Virey stieren Blickes.

»Dem unglücklichen jungen Menschen bitten wir Pässe in die Estados Unidos Vereinigte Staaten. oder nach Inglaterra England. zu geben. Wir wünschen nicht, daß er in Mexiko bleibe, wo er gefährlich werden dürfte.«

»Alles, alles!« stöhnte die Exzellenz wieder.

»Wollen Euer Exzellenz der Nobilitad noch einen ferneren Beweis Ihres Vertrauens für die allerdings nicht unwichtigen geleisteten Dienste schenken, so dürfte die angemessenste und den Interessen Euer Exzellenz förderlichste Weise, auf welche dies geschehen könnte, wohl die sein, daß Sie ihr das Fuero erteilen, kraft dessen sie, die Nobilitad, sich versammeln möge und könne, wann und wie es gefällig; versteht sich aber in loyalen Absichten, ohne die bisher nötige besondere Erlaubnis aus der Staatskanzlei einholen zu müssen. Es würde dieses im gegenwärtigen kritischen Zeitumstande vielleicht um so wichtiger sein, als Euer Exzellenz dadurch gegen die Opposition Ihrer Landsleute einen Soutien haben würden, der jede Ausführung gefährlicher Absichten vollkommen zu vereiteln imstande sein dürfte.«

Der Conde hatte sich etwas weitschweifiger ausgedrückt, als seine Gewohnheit war; auch war er bei den letzten Worten um ein Bedeutendes geschmeidiger geworden.

»Danke, danke, edler Conde! Sie sind unser, der Regierung Schutzengel. Morgen wollen wir Ihnen die Dekrete ausfertigen lassen, als Anerkennung der loyalen Dienste, wie Sie so herrlich bemerken.«

»Wir sind nochmals so frei, Exzellenz auf die Notwendigkeit aufmerksam zu machen, so schnell als möglich Vorkehrungen zu treffen, um den beim Erzbischofe gefaßten Beschlüssen entgegenzuwirken und empfehlen uns einstweilen zu Gnaden.«

Und nachdem er so gesprochen, verbeugte er sich ruhig gemächlich und verließ das Kabinett.

»Was ist das, was war das?« fragte die Doña im Tone des höchsten Erstaunens. »Wer ist denn eigentlich hier Herr? Sind Sie es, Señor Vanegas, oder ist es des Conde de San Jago Herrlichkeit?« Sie hielt inne. »Armer Señor Vanegas!« fuhr sie mit schneidendem Hohn fort. »Das also sind die Folgen Ihrer Diplomatik, Ihrer Quintessenz-Politik, daß Sie von einem Kreolen-Conde Verhaltungsbefehle –? Madre de Dios! Ein Kreole wagt es, von bestehender Harmonie zwischen sich und einem Virey zu sprechen! Bei der heiligen Jungfrau! Es ist empörend.«

»Er ist ein Teufel!« ächzte der Virey.

»Das ist er, und Sie – ein armer Teufel!« zischte sie höhnisch und verächtlich. »Madre de Dios! Was für ein erbärmlicher Schwächling Sie sind! Wie oft habe ich Sie auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht, zu repräsentieren, stark, impassabel zu sein, zu scheinen wenigstens, wenn Sie es nicht sind. Und wie erbärmlich benehmen Sie sich neben diesem großartigen Aristokraten. Madre de Dios! In Ohnmacht gesunken vor einem mexikanischen Grande! Ein Virey von Mexiko in Ohnmacht gesunken vor einem Conde! Es ist unglaublich!«

Lautes, wildes Lachen begleitete diese Worte.

»Und er steht«, fuhr sie in demselben schneidenden Tone fort, »ruhig wie ein Gott, auf den Wurm herabblickend, den er zertreten kann mit einem Fußtritte, ihn aber verschont, wegstößt, weil er es nicht der Mühe wert achtet. Ach,« seufzte sie, »man sieht wohl, daß er von Granden abstammt, und Sie – von Escribanos.«

Der Virey zuckte zusammen, antwortete aber nicht. Die Señora rannte ungestüm im Saale auf und ab – blieb stehen, rannte wieder.

»Und wissen Sie, daß, während Sie sich im Gefühle Ihrer Allmacht sonnen, der Erzbischof, das Consulado, die Audiencia versammelt sind, um eine Vorstellung bei den Cortes einzubringen, die nichts Geringeres bezweckt, als Sie für untauglich zu erklären für das Vireynato und auf die Ernennung Callejas zu dringen?«

»Er ist ein Teufel«, murmelte der Virey.

»Was reden Sie, Señor Vanegas?«

»Er ist ein Teufel«, sprach der Virey abermals, die Señora mit leblos gläsernen Augen anstierend.

Der furchtbare Schlag hatte auf ihn wie der letzte Grad der Folter auf das Lebensprinzip des Gemarterten gewirkt.

»Er ist ein Teufel!« murmelte er, und immer zerknitterte er noch die Papiere, die er in den Händen hielt.

Die Señora entriß sie ihm, faltete sie auseinander und warf einen hastigen Blick hinein. Auch sie zuckte zusammen, erbleichte und biß sich in die Lippen, daß das Blut entquoll; dann fuhr sie sich mit der Hand über die Stirn und versank in tiefes Nachdenken.

»Señor Vanegas,« sprach sie leiser, ihre Augen auf die goldenen Arabesken des Plafond gerichtet, »dieser Conde ist wirklich ein Teufel.«

»Ach!« stöhnte der Virey.

»Wissen Sie, warum er Sie schont. Ihnen das Vireynato läßt?«

»Und das Vireynato läßt«, wiederholte der Mann mechanisch.

»Weil er«, flüsterte sie ihm in die Ohren, »Mexiko von Spanien losreißen will – Mexiko, verstehen Sie es, von Spanien losreißen will.«

»Mexiko von Spanien losreißen will«, wiederholte der Virey mit einem leeren, nichtssagenden Blicke.

»Losreißen will«, wiederholte sie. »Sie fürchtet er nicht; denn«, murmelte sie, indem sie sich von ihm wandte, »Sie verachtet er, braucht er, benützt er, wie er die Zitrone benützt, deren Saft er braucht und deren Schale er wegwirft. Ihre Schwäche kennt er, und darum will er Sie in Mexiko behalten. Der rohe, gewalttätige Calleja paßt nicht in seine Pläne, und deshalb will er ihn nicht. Señor Vanegas! Er wird keinen Gebrauch von den Papieren machen. Aber«, flüsterte sie mit kaum vernehmlicher Stimme, indem sie sich zu ihm herabbog, »Sie können Mexiko der Krone Spaniens erhalten, wenn Sie dem Vireynato zugunsten Callejas entsagen. Madre de Dios! Was sage ich? Sie entsagen! Der Gedanke ist zu groß, um in dieses kleine Gehirn einzugehen.«

Sonderbar! Die Lebensgeister des Virey waren unter den letzten Worten zurückgekehrt. Er schaute auf, wie einer, der aus einem Traume aufwacht. Dann erhob er sich langsam vom Sofa, sah sich nach allen Seiten um, wischte sich den Schweiß von der Stirne. Allmählich war er zu sich gekommen.

»Sie haben recht, teure belle-soeur! Sie haben recht – wir sind für Mexiko notwendig! Notwendig; ein – was man ein notwendiges Übel nennt, nicht wahr?« Er lächelte. »Glauben Sie nicht, Doña Isabel?«

»Fort zum Arzobispo!« sprach die Doña.

»Wir wollen, wir wollen«, wisperte der Mann unheimlich lächelnd, und wieder begannen seine Augen zu funkeln.

»Wir wollen regieren, ei, wir wollen – ah, regieren, – Sie haben recht, er wird von den Papieren keinen Gebrauch machen; aber doch –«

»Was?«

»Ja, aber doch –«

Des Virey Augen zuckten wieder wie Schlangenstacheln. Ein satanisches Lächeln überflog sein Gesicht, als er murmelte: »Er ist der Teufel, aber er muß doch fallen.«

Die Señora warf ihm einen mitleidig verächtlichen Blick zu.

»Armer Señor Vanegas!« murmelte sie. »Er ist bereits mehr Virey als Sie, er steht an der Spitze der Nobilitad und der Kreolen, einer Million Kreolen. – Pah«, rief sie, wie eine, die sich unangenehmer Gedanken entschlagen will. »Der Kampf mit ihm wird um so interessanter, großartiger – Virey, wir wollen in diesen Kampf eingehen.«

»Tun Sie, tun Sie, wir nehmen die Patrioten auf uns.«

»Pah, die überlassen wir Ihnen und Calleja.«


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