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Vierzigstes Kapitel.

Wir haben hier das gefährlichste Stück Spitzbüberei entdeckt, das je im gemeinen Wesen erhört wurde.

Shakespeare.

Das düstere Gewölbe, in welches die Doña mit ihren Begleitern durch die Öffnungen des Drahtgitters nun schaute, ruhte auf einem ungeheuern Pfeiler, der aus der Mitte emporstieg. Die Seiten desselben waren, sowie die Wände des Gemaches, mit Holz getäfelt, das ursprünglich rot gewesen, aber durch Zeit und Feuchtigkeit ganz schwarz gefärbt war. Es hatte mehrere Türen, aber kein Fenster, und war mit Teppichen belegt; am Pfeiler war ein Brasero mit glühenden Kohlen angebracht; längs der einen Seite der Wand zog sich ein mit grünem Tuch behangener Tisch hin, worauf ein Kruzifix mit zwei Armleuchtern; vor dem Tische standen vier Sessel mit gewaltig hohen Lehnen; auf einem Seitentische ein Waschbecken mit Gießkanne und einer Bouteille Wasser, auf einem zweiten Zitronen, Rum und eine Schachtel mit Zigarren.

Vor dem Brasero lehnte ein kleiner Mann, mit einem weiten blauen Mantel Der blaue Mantel wurde von den Adeligen, der braune von den unteren und Mittelklassen in Mexiko getragen. um die Schultern, der abwechselnd den linken und dann wieder den rechten Fuß über die glühenden Kohlen hielt, und mit der einen Hand sich an den Pfeiler stützte, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, während er mit der andern seine Zigarre anzuzünden im Begriffe stand, zu welchem Behufe ihm ein zweiter den Armleuchter hielt. Dieser zweite hatte den Hut abgenommen, während das kleine Männchen ihn fest auf die Stirn gedrückt behielt.

» Gracias, Gracias, Señoria! Bitte um ein Röllchen Papier; sind kein Raucher; Zigarren dürfen nie an Wachs oder Spermacetti oder noch viel weniger an Unschlitt angezündet werden. Merken sich Señoria das – verlieren den ganzen Geschmack – Kohlen oder Papier – Kohlen oder Holz oder Papier.«

Diese Worte waren mit einer gellend kreischenden, aber freundlichen Stimme gesprochen, und der Sprecher, der während der Pause seine Zigarre in Rauch gebracht und die Füße hinlänglich gewärmt hatte, wandte sich nun gegen den gefälligen jungen Mann, und ließ, auf kastanienbraunem Grunde, die olivengrünen Züge Señor Pintos, des Oidors, mit den kleinen feurigen Rattenaugen schauen, die Señor Ruy Gómez, den Geheimsekretär, allmählich weniger freundlich anzublitzen geneigt schienen.

»Ja, ja, wir werden Sr. Exzellenz Befehlen nachzukommen trachten, Señor Ruy Gómez, obwohl, obwohl – –«

»Se. Exzellenz, weit entfernt, zu befehlen,« erwiderte der Geheimsekretär mit vieler Geschmeidigkeit, »haben vielmehr bloß hohe Wünsche geäußert und uns ausdrücklich aufgetragen, dieselben mit Höchstdero Wünschen bekannt zu machen: sagen Sie Sr. Herrlichkeit, bedeuteten uns Höchstdieselben, es sei unser Wunsch, durch dessen Erfüllung uns Señor Pinto um so mehr verbinden wird, als – –«

»Als Se. Exzellenz geruhen, Hochdero eigenen Kopf so viel als möglich aus der Schlinge zu halten«, ergänzte der Oidor im trockenen Tone, mit welchem trockenen Tone das ganze Wesen des Männchens auf eine so auffallende Weise harmonierte, daß auch kein Zug von der Ehrfurcht oder Geschmeidigkeit zu sehen war, die er während der Kamarilla an den Tag zu legen sich so sehr beflissen hatte.

Es war nicht bloß das mürrische Wesen eines alten Mannes, der sich aus seiner Nachtruhe aufgestört findet und, Rheumatismen im Hintergrunde sehend, den Ruhestörer seinen Unwillen entgelten läßt; es lag eine schwere Wolke über die niedrige Stirne hingebreitet, die das Männchen auch nicht im mindesten zu verhehlen trachtete.

»Euer Herrlichkeit sind gänzlich im Irrtume,« bemerkte Señor Ruy Gómez, einen Schritt vor- und wieder zurücktretend, »wenn Dieselben glauben, daß Se. Exzellenz – da doch Se. Exzellenz – Höchstdieselben wünschen nur – daß – weil, nach Höchstdero Ermessen, Gefahr im Verzuge haftet – und es allerdings rätlich ist, daß in solchen delikaten Fällen in aller Stille vorgeschritten werde – –«

»Mein lieber Señor Ruy Gómez,« erwiderte Señor Pinto mit einem mitleidigen Achselzucken, »bemühen Sie sich nicht, uns die weisen Absichten Sr. Exzellenz eines weitern auseinander zu setzen; wir kennen dieselben und bedauern, daß in aller Stille vorgeschritten sein muß. Wir dienten bereits unter Conde Gálvez; der schritt nicht in aller Stille vor, der tat seine Sachen öffentlich, begnadigte öffentlich, ließ aber auch Köpfe abschlagen, wenn er wollte. Freilich war Señor Gálvez einigermaßen – aber basta –«

»Es ist sehr bedauerlich – sehr bedauerlich,« fiel ihm der Geheimschreiber ein, »um so mehr, als die öffentliche Volksstimmung sich sehr laut gegen öffentliche Hinrichtungen äußert; der Zartsinn Seiner Exzellenz hat daher in diesem Punkte –« Der Mann hielt in sichtlicher Verlegenheit inne.

»Señor Ruy Gómez, verstehen Sie mich wohl? Wir haben gar nichts gegen den Zartsinn Seiner Exzellenz einzuwenden, nichts gegen die Art und Weise einzuwenden, wie Seine Exzellenz ihre weisen Pläne in Vollführung bringen. – Seine Exzellenz sind Virey von Neuspanien; Virey, mit sehr ausgedehnten Vollmachten, sehr – sehr ausgedehnten Vollmachten. – Wir haben keinen Herrn, Señor Ruy Gómez, keinen Herrn, verstehen Sie; denn der Herr, unser König, ist vom gottlosen Apolyon Napoleon. in Gefangenschaft gehalten; aber wir haben zweihundert Majestäten in Kadix und die Majestäten haben der Exzellenz sehr ausgedehnte Vollmachten erteilt; verstehen Sie; und was sie nicht erteilt, das wissen Seine Exzellenz, sich erteilen zu lassen. Aber dessenungeachtet, Señor, dessenungeachtet haben wir vieles hin und wieder einzuwenden, und zwar, weil wir als Oidor uns des Rechts erfreuen, Einwendungen machen zu können.«

»Ohne jedoch den Gehorsam verweigern zu dürfen«, bemerkte der Geheimsekretär etwas spitzig.

»Das ist der Punkt, Señor!« sprach der Oidor. »Seine Exzellenz haben in ihrer Machtvollkommenheit eine Kommission niedergesetzt, die bestimmt ist, Verbrechen gegen die Sicherheit des Staates zu richten, eine Kommission, von welcher sie uns zum Referenten und Präsidenten ernannt.«

»Und von der General Concha und Major – Major –«

»Mitglieder sind«, fiel ihm der Oidor ein. »So ist es; nun diese Kommission, die bereits den Ehrennamen der blutigen erhalten –«

»Aber Seine Exzellenz wünschen ja nur für diesesmal, daß Sie Ihren Namen –« der Geheimsekretär behielt das letzte Wort für sich. »Und dann ist ja das Verbrechen des Rebellen durch das Verhör des Alkalden so ganz außer allem Zweifel –«

»Ei, Señor Penafil – ja, Señor Penafil – das Verhör des Alkalden, Señor Penafil, der die Ehre hatte, Livreebedienter des Camarero des Mayordomo Seiner gewesenen Hoheit des Principe de Paz zu sein. Ei, Señor Ruy Gómez – dieser Alkalde – nun, er ist noch nicht der schlechteste Alkalde; aber nichtsdestoweniger scheint es uns doch nicht so ganz geraten, unsern Namen in seine Verwahrung dadurch zu geben, daß wir ungesehen ein Urteil unterschreiben, das er gefällt –«

»Aber es hat ja Señor Ferro, der Escribano –«

»Ja, ja, Señor Ferro, der Escribano. Sehen Sie, Señor! Nach dem, was Sie gesagt, gehört der Fall eigentlich vor das Militärgericht, und dies wäre der beste und kürzeste Weg, um so mehr, als unsere Jurisdiktion sich nur auf Zivilfälle innerhalb des Sprengels von Mexiko beschränkt; aber Seine Exzellenz sind Herr, und haben viel Zartsinn, und wollen ohne Zweifel ihre gewohnte Delikatesse«, bemerkte der Oidor einlenkend. »Wir wollen Seiner Exzellenz Befehlen nachkommen, und – –«

»Auch werden Eure Herrlichkeit beliebig in Erinnerung bringen, daß Seine Exzellenz als der Alter ego der Majestät –«

»Als der Born und die Quelle aller Hulden und Gnaden erscheinen muß, und deshalb nicht anstehen darf, ihre Mitbeamten in Ungnade zu bringen«, versetzte der Oidor in demutsvoller Bitterkeit. »Wir wissen, wir wissen, und bedauern, ja bedauern, daß unser allergnädigster Herr, Fernando VII. – verstehen Sie, Señoria? – Wir fürchten nicht die Ungnade irgend jemandes, aber wir fürchten die Ungnade der Magestad, hoffen jedoch, daß dieser Kasus nicht einer der Kasus sein wird – wir hoffen –«

Der Geheimsekretär schwieg.

Señor Pinto sah den jungen Mann forschend an. »Wir hoffen, der Kasus wird keiner dieser Fälle sein, verstehen Sie, Señor.« Seine kleinen funkelnden Rattenaugen schienen dem Geheimsekretär in die Seele bohren zu wollen. »Verstehen Sie, Señor, wir tun und erfüllen gerne unsere Pflicht gegen Seine Exzellenz; aber es dürfte Fälle geben, wo selbst Seine Exzellenz es bedauern dürften, sich eines Mitgliedes der hohen Audiencia als Werkzeug bedient zu haben.«

»Allerdings«, bemerkte der Geheimsekretär. »Eure Herrlichkeit können sich jedoch darauf verlassen, daß der gegenwärtige Fall um so weniger Besorgnisse einzuflößen geeignet ist als der Gegenstand ein Criollo.«

»Ein Criollo, ein Criollo, sagen Sie, namens Cosme Blanco, kennen den Namen nicht; aber nichtsdestoweniger hielten wir es für unsere Schuldigkeit, zu sehen – zu sehen – –«

»Seine Exzellenz werden gewiß diese Pünktlichkeit und Unermüdlichkeit, –« bemerkte der Geheimsekretär, der ein Blatt auf den Tisch legte und sich verbeugte.

»Adios, Señor. Wir wollen Seiner Exzellenz Befehlen nachkommen«, bedeutete der Oidor dem sich Entfernenden.

»Madre de Dios!« brummte der Mann, der nun im Gemache hastig auf- und abschritt. »Diese Exzellenz verdirbt uns mit ihrer ultra arte y prudencia so sicherlich, als Amen im Padre Nuestro steht. Alles verwirren, alles konfondieren und in der Verwirrung obenauf schwimmen. – Da sind wir nun eine Kommission von dreien niedergesetzt, Casus und Crimina lesae Majestatis zu richten, in letzter Instanz zu richten, und, einige Hunderte gente irrazionale ausgenommen, waren noch nicht drei Urteile zur Bestätigung uns vorgelegt, deren Schicksale nicht bestimmt gewesen wären, ehe wir sie noch sahen oder einen Buchstaben ihres Verhöres. Mich sollte es wundern, wenn der arme Teufel nicht bereits erdrosselt ist – aber dann!« – Das Männchen zuckte die Achseln, zog den Rauch seiner Zigarre stärker, und blies einige gewaltige Rauchwolken. Nachdem er einige Minuten geraucht, warf er die Zigarre in die Kohlen, zog die Klingel und brannte eine frische an.

»Ober-Alguazil Giro!« sprach er sichtlich erheitert, als er des Eintretenden ansichtig ward. »Habt Ihr den Dienst?«

Dieser, einen Stab in der Hand, näherte sich ehrfurchtsvoll dem Oidor, neigte den Stab, und antwortete: »Aufzuwarten, Euer Herrlichkeit. Wollte die Jungfrau, wir wären verschont geblieben! Aber zwei unserer Leute sind vor einer halben Stunde eingebracht worden?«

»Wie soll ich dies verstehen?«

»Antonio wurde bei dem Palaste der Bergwerksgesellschaft niedergestoßen, dafür, daß er den Herrn einbrachte; Pablo, dicht an der Münze, weil er den Diener eingefangen.«

»Wie, was?« fragte der Oidor, der wechselweise den Sprecher und wieder das Blatt ansah, das der Geheimsekretär auf dem Tische zurückgelassen hatte. »Was habt ihr denn eigentlich für Gefangene, wegen dieses da sind doch nicht zwei Alguazils erdolcht worden?« Er deutete bei diesen Worten auf das Papier.

»Dies ist nicht die Person,« versetzte der Alguazil, der einen Blick in das Papier geworfen hatte, »obwohl er uns wirklich den Pablo kostet.«

»Und?« fragte der Oidor.

Der Alguazil zuckte die Achseln. »Euer Herrlichkeit scheinen nicht zu wissen. Dieser da ist bloß der Diener.«

»Der Diener?« fragte der Oidor. »Von wem?«

Der Alguazil schüttelte den Kopf. »Er ist vor einer halben Stunde eingebracht worden, und liegt in Nummer 9, ohne daß er bisher ins Protokoll gekommen wäre; aber sein Herr ist von Señor Penafil und Señor Ferro verhört worden, und zwar im geheimen verhört worden, hier verhört worden in diesem Gemache.«

Der Oidor sah den Alguazil sprachlos an.

Dieser fuhr leise fort. »Die Verhaftung dieses Cosme Blanco gab bloß die Veranlassung, daß der junge Kaballero den Namen erhielt. Sein Name ist übrigens bekannt genug.«

»Es ist?« fragte der Oidor.

Der Ober-Alguazil flüsterte ihm diesen in die Ohren.

Der Oidor sprang zurück. » Demonio! Was sagt Ihr?« rief er, die Zigarre in den Brassero schleudernd.

Der Alguazil zuckte die Achseln.

Der Staatsrat rannte hastig ein paarmal durch das Gemach, und sah den Alguazil starr an. Dieser stand wie eine bronzene Statue, ohne eine Miene zu verziehen.

»Mann!« sprach er mit einer Donnerstimme, »hast du dich nicht geirrt?«

Der Alguazil schüttelte den Kopf. Der Oidor raffte das Papier vom Tische, und begann zu lesen. »Wegen offenbarer Rebellion – geständig derselben – und die Waffen gegen Major Ulloa ergriffen zu haben. – Sprecht, Alguazil«, wandte er sich an diesen. »Ihr seid vor Oidor Pinto.«

»Er hat mehr gestanden, als zehn Leben nehmen würde,« versetzte der Alguazil, »tausend Leben. Und doch, Señoria! Es war kein Geständnis, es war Wahnsinn, Raserei. Er bat, er beschwor Señor Penafil, ihm das Leben zu nehmen. Er war selbst gekommen – zur Hinterpforte, um –«

»Um?« fragte der Oidor.

»Sein Strich«, wisperte der Alguazil, mit kaum vernehmlicher Stimme, »führte ihn diesen Weg zur –«

»Zur?«

»Königin des Palastes, wie sie sich gerne nennen hört.«

»Silencio!« bedeutete ihm der Oidor. »Solche Reden sind gefährlich, weil sie nicht zur Sache gehören.«

»Señoria«, sprach der Ober-Alguazil. »Es ist dieses eine furchtbare Geschichte in gegenwärtiger Krisis, die, wenn sie in Mexiko bekannt würde –«

» Demonio!« rief der Oidor. » Demonio! Demonio!« Er rannte wie rasend im Gemache auf und ab. »Das wäre ein Fall, der Señor Pinto, ja die ganze Audiencia, um ihren Kredit bringen könnte.«

»Und tausend Dolche für sie spitzen würde«, fügte der Alguazil bei.

»Habt ein Auge auf den Gefangenen«, sprach der Oidor mit leiser Stimme. »Ich besorge nicht, daß sie, ehe wir das Urteil unterschreiben, etwas tun. Habt jedoch ein Auge auf ihn – und stille.«

Er warf wieder einen Blick auf das Papier.

»Wie kommt es aber, daß General Concha bereits unterfertigt?«

»Das können wir nicht sagen«, entgegnete der Alguazil. »Wahrscheinlich hat ihn Señor Ruy Gomez zu Hause besucht.«

»So wie er es bei uns getan«, murmelte der Oidor. »Ja, ja, so ist es. Und Don –«

»Ist nirgends zu finden, war jedoch vor zwei Stunden hier und klagte über schlaflose Nächte. Seine Herrlichkeit, der Major Don Agustin Iturbide, waren auf diese Gritos sehr erbittert, und meinten, das Rebellengeschmeiß könnte nicht schnell genug aus dem Weg geräumt werden.«

»Und haben sich doch unsichtbar gemacht«, bemerkte der Oidor.

»Seine Herrlichkeit sind ein Kreole, und zwar ein Kreole, der mehr arte als piedad im Herzen trägt.«

»Vor der sich die Exzellenz wohl in acht nehmen mag«, versetzte Señor Pinto.

»Señoria«, hob der Alguazil wieder an. »Um der Madre de Dios Señoria, tun Sie etwas in dieser Angelegenheit. Seit vierzehn Tagen sind siebzehn Alguazils erdolcht worden. Wir machen uns kein Gewissen, ja, sicherlich, kein Gewissen. Wir sind ein geborener Spanier, der seinen Kopf gerne für des Königs Majestät, ja, sein Gewissen in die Schanze schlägt, – aber sechs Zoll kalten Stahl für –«

»Ihr seid ein getreuer Diener«, sprach der Oidor; »aber stille.«

»Es ist dies eine Familienaffäre,« sprach der Alguazil, »die, so wahr wir Abasalo Giro heißen, mit der Rebellion nichts gemein hat.«

»Stille!« mahnte der Oidor wieder. »Was gibt es weiter?«

»Nichts Besonderes«, rapportierte der Ober-Alguazil, der nun wieder den ehrfurchtsvollen Subalternenton annahm. »Fünf Criollos, zwei davon, signalisiert von der Hand Seiner Exzellenz, sind wegen Gritos und aufrührerischer Reden eingebracht, neun ditto Italiener. Señor Penafil sind am dritten Kreolen.«

Er überreichte mit diesen Worten dem Staatsrate einen beschriebenen Bogen.

»Sie sind also verhört bis auf drei?« fragte der Oidor.

»Würden bereits alle fertig sein, wenn uns der Kaballero nicht so viele Mühe gegeben hätte.«

»Also der Diener ist nicht verhört?«

»Diesen hat man vergessen.«

»Weiß Señor Ruy Gómez, daß er eingebracht ist?«

»Nein, Señoria. Er kam erst später, als sein armer Herr bereits in Nummer 9 deponiert war.«

»Geht und tut, wie gesagt«, bedeutete ihm der Oidor.

Der Alguazil hatte kaum die eine Türe hinter sich, als es an einer andern leise klopfte, und die Worte: » gente de paz Mann des Friedens; Gutfreund.« zu hören waren.

Der Oidor öffnete.

»Hochherrlicher Kollega,« redete der Eintretende unsern Oidor an, dessen Stirne sich bei dieser Erscheinung gewaltig gerunzelt hatte, »Hochherrlicher Kollega vergeben unsere Zudringlichkeit; aber da periculum in mora obwaltet, konnten wir nicht anstehen, uns selbst in dieser Stunde zu denselben zu verfügen, hoffend, wir würden nicht zu spät kommen. Wirklich, Señoria, wir hoffen –«

Der Oidor war seinem Kollegen entgegengekommen und führte ihn mit echt spanischer Grandeza zu einem Sessel.

»Ganz Mexiko ist wieder auf,« fuhr dieser halb atemlos fort, »und zwar auf, wie wir es nie gesehen haben. Diese Gritos und Motinos nehmen alle Farben des Regenbogens an, aber der gegenwärtige ist einer der stillen, tiefen, lauernden, und er gefällt mir gar nicht.«

»Wir hoffen, ein Grito wird doch Euer Herrlichkeit nicht aus –«

»Dem Bette gebracht haben, Señoria«, ergänzte der Kollega. »Nein, das hat er nicht; aber unsere Servidumbre hat uns aufgescheucht. Die ganze Servidumbre ist auf den Beinen. Es heißt, daß ein junger Kaballero vom höchsten Range, ein viejo Cristiano –«

»Wir wissen von keinem, ausgenommen fünf Criollos und einem Sechsten, dessen Verhör hier vorliegt, und Eurer Herrlichkeit zur Einsicht offen steht. Der junge Mann, von dem die Rede, ist von Don Penafil verhört worden, und geständig offenbarer Rebellion. Señoria mögen lesen.«

Der Kollega nahm das Papier zur Hand und las eine Weile, schüttelte jedoch stärker und stärker den Kopf. »Selbstgeständig der Rebellion; – bittet um der Jungfrauen und aller Heiligen willen, das Urteil möge so schnell als möglich vollzogen werden, fühlte tief das entsetzliche Vergehen, gegen die allerhöchste Majestät die Waffen ergriffen zu haben. – Señoria!« sprach er, das Papier auf den Tisch fallen lassend. »Seine Exzellenz haben derlei Cuentos de frailes Märchen, Erzählungen. in die Zeitung setzen lassen von Hidalgo und seinen Cabecillas, obwohl wir des Gegenteiles versichert waren. Cosme Blanco also ist der Name des jungen Kaballero. Fürwahr, wir sind seit zwei Jahren Oidor, und wir kennen, oder glauben doch alle spanischen Familien dem Namen nach zu kennen, um derentwillen das Servidumbre der Hauptstadt sich in Bewegung setzen würde, aber von einem Cosme Blanco haben wir wahrlich in unserem Leben nicht gehört.«

»Wir haben den jungen Mann nicht selbst examiniert, und Seine Exzellenz haben besonders wichtige Gründe –«

»Woran wir nicht zweifeln, Señoria!« bemerkte der Kollega. »Seine Exzellenz haben immer sehr wichtige Gründe; Seine Exzellenz haben auch die Macht, ihren Gründen Wirkung zu geben, aber als Kollega und Oidor hoher Audiencia erklären wir hiermit, daß wir gegen das Verfahren Seiner Exzellenz protestieren, aber um so mehr protestieren, als dadurch das Ansehen eines Mitgliedes der Audiencia –«

»Señoria!« fiel ihm Señor Pinto ein.

»Kompromittiert wird«, beschloß der Kollega. »Wir legen hiermit unsere Protestation ein.«

»Mit welcher Protestation wir vollkommen einverstanden sind, Señoria!« bemerkte Señor Pinto. »Nur bitten wir zu bemerken, daß wir als Präsident dieser Kommission nicht protestieren dürfen, sondern richten müssen, und daß unser Vorrecht uns zwar erlaubt, zu protestieren, nicht aber den Beschluß zu verhindern oder außer Kraft zu setzen.«

Der Leser muß nämlich wissen, daß die Mitglieder der hohen Audiencia, des obersten Gerichtshofes von Mexiko, nebst dem schon erwähnten Vorrecht, mit dem Rate von Indien und dem Könige selbst unmittelbar korrespondieren zu dürfen, auch die Befugnis hatten, beim Vizekönig Vorstellungen zu tun und Protestationen einzulegen, mit andern Worten, das Recht der Kontrolle zu üben: ein Recht, das zweifelsohne nicht ohne gute Folgen in einem Lande geblieben wäre, welches mehr denn zweitausend Stunden vom Mutterlande entfernt, alle fünf Jahre seine Vizekönige wechselte; doch als hätte es der spanische Hof recht geflissentlich darauf angelegt, selbst die besten Gesetze zum Verderben des Landes zu wenden, so war wieder ausdrücklich bestimmt, daß der Staatsrat zwar protestieren, aber dieser Protestation nie und auf keine Weise Folgen geben dürfe, so daß die ursprüngliche weise Beschränkung des Satrapen nur Quelle seiner größeren Gewalt und empörender Bedrückungen und Intrigen geworden.

»Kennen Euer Herrlichkeit die Familie des jungen Menschen?« fragte nach einer langen Pause der Kollega.

»Wir kennen sie«, erwiderte Señor Pinto. »Es ist eine Kreolenfamilie.«

»Kreolen!« versetzte der Kollega. »Kreolen!« wiederholte er im Tone der wegwerfendsten Verachtung.

»Kreolen«, versicherte Señor Pinto.

»Dann«, grinste der Mann, »nehmen wir unsere Protestation zurück. Seine Exzellenz mögen ihn hängen oder spießen, wie bestgefällig. Caramba! Welche Narrheit, uns da wegen eines Kreolen herzusprengen. Eigentlich jedoch hätte er vor das Kriegsgericht gehört.«

Zwei Personen waren wieder nacheinander in das Gewölbe getreten, und zwar in außerordentlicher Hast und Eile.

»Ist es noch Zeit?« fragte der erste der Eintretenden, der Fiskal der Audiencia. »Haben Sie unterschrieben, Señor Don Pinto? Ist es noch Zeit?« fragte er heftiger, an den Oidor herantretend.

Dieser wies auf das Blatt, das auf dem Tische lag.

»Also unter dem Namen Cosme Blanco aufgeführt«, lachte der Fiskal. »Fürwahr, nicht übel. Das ist gut. Seine Exzellenz wissen sich zu helfen. Wissen Sie etwas Neues, Señor Pinto?«

»Das Motin?« fragte dieser.

»Bah«, erwiderte der Fiskal; »etwas Angenehmeres: soeben ist uns von sicherer Hand zugekommen, daß die Partei der Inglese in Cádiz durchgedrungen, daß der Duque de J–o –«

»Welches Gerücht wir hiermit zu bekräftigen die Ehre haben«, fiel ein vierter Ankömmling ein. Seine Erzbischöfliche Gnaden lassen Sie ersuchen. Sie sogleich mit Ihrer Gegenwart zu beehren.«

»Seine Erzbischöfliche Gnaden sind für Señor Calleja«, bemerkte Señor Pinto.

»Und wir hoffen, Señor Pinto wird es auch sein«, fiel der Fiskal ein; »er ist allein der Mann, der Mexiko retten kann, weil er allein den Mut hat, das zu tun, was nötig ist. – Señorias!« sprach er mit stärkerer Stimme. »Mit Intrigen und Süßigkeiten und kleinen coups de mains, wie der Afrancecado So wurden die Französischgesinnten genannt: Anhänger Joseph Bonapartes. oben es nennen, ist uns nichts geholfen, noch mit seiner ultra arte y prudencia. Wir brauchen achtzigtausend Köpfe, und Calleja hat versprochen, sie in vier Wochen zu liefern. Und er wird sein Versprechen halten, so wie er es in Guanaxuato, Guadalaxara getan, und deshalb ist er mein Mann; Mexiko kann nur durch ihn ruhig werden.«

»Wahr, wahr«, bekräftigten alle mit so ruhiger gelassener Stimme, als ob von der Lieferung von achtzigtausend Schweinsköpfen die Rede gewesen wäre.

»Deshalb sind auch wir gekommen; es ist ganz prächtig mit diesem jungen Menschen. Señor Don Pinto dürfen aber auf keine Weise das Urteil kontrasignieren«, hob der Fiskal wieder an.

»Auf keine Weise«, sprach ein fünfter, der eingetreten war; »der Alte hat Wind von dem, was geschieht oder geschehen ist; verlassen Sie sich darauf, Señores; ehe eine Stunde vergeht, weiß er alles, denn er bezahlt seine Familiares gut und kann es tun.«

»Wir sind aber Präsident der Kommission«, bemerkte Señor Pinto kopfschüttelnd.

»Und fügen Sie hinzu: unabsetzbarer Oidor«, sprach der Präsident des Consulado. – »Wir haben soeben Briefe erhalten; Barraxi ist gefallen, mit ihm die übrigen Minister; der Busenfreund des Onkels des jungen Menschen ist an der Spitze. Seine Inglese sind das Faktotum. Eine kräftige Vorstellung, von den drei Interessen des Landes abgesandt, durch die Audiencia und den Erzbischof unterstützt, und wir haben in sechs Monaten unsern Calleja, in sieben unsere achtzigtausend Köpfe, und in acht Ruhe.«

» La virgen nos asista!« Die heilige Jungfrau stehe uns bei. riefen alle.

»Um aber Calleja zu erlangen, brauchen wir den Conde; und deshalb, Señoria, muß vor die Türe der Exzellenz gelegt werden – –«

»Was dahin gehört«, fielen die Verschworenen ein.

Eine Weile standen die gräßlichen fünf Spanier sinnend. Auf einmal fragte der Fiskal, der nicht ohne Verwunderung die fünf in Schlafröcken und Pantoffeln erschienenen Señorias angeschaut hatte: »Wie kommt es nur, Señorias, daß wir, die Repräsentanten der drei Interessen Mexikos, die dazu bestimmt sind, dieses Land ein zweitesmal zu erhalten – wie kommt es, daß wir uns so glücklich hier zusammengefunden haben, in dieser späten Stunde, um zehn Uhr nachts, während eines ausbrechenden Motino, zusammengefunden haben? Was nun uns betrifft, so sind wir durch den Mayordomo des Conde de F–a auf die Verhaftung des jungen Menschen aufmerksam gemacht, und geradezu in das Staatsgefängnis gesandt worden.«

Alle sahen sich bedeutsam an.

»Und wir, durch den Camarero des Marquis de Moncada,« sprach der Priester – »wir waren gerade bei des Arzobispo Gnaden.«

»Und wir durch den des Marquis de B–e«, sprach der Präsident des Consulado.

»Bei meiner Seele!« rief der Fiskal. – »Wir sind bereits die Spielzeuge einer unsichtbaren, über uns schwebenden Macht.«

»Und diese Macht?« fragten zwei oder drei etwas beklommen.

»Ist der große Zauberer, der unsichtbar über Mexiko waltet, und die Nobilitad leitet und lenkt«, erwiderte der Fiskal nicht ohne Bewegung. »Wohlan, jetzt brauchen wir ihn. Señor Pinto, wenn Sie uns nicht verlassen, so mögen wir Ihnen mit seinem Kopfe in acht Monaten aufzuwarten. Wir gehen zum Arzobispo.«

»Wohin wir Ihnen in kurzem zu folgen gedenken«, sprach Señor Pinto.

Die Verschwornen nickten, winkten sich zufrieden lächelnd zu und entfernten sich dann.

»Hier ist«, sprach der Präsident des Blutgerichtes zum eintretenden Oberalguazil, »das Protokoll. Ohne Seiner Exzellenz gnädigen Willensmeinung im mindesten vorgreifen zu wollen, glauben wir unsere Namensunterschrift um so weniger vonnöten, als dieser Cosme Blanco nicht der Fueros de Castilla teilhaftig, der Audiencia daher nicht in letzter Instanz kraft seiner Fueros unterliegt, und daher ohne Anstand vom Alkalden gerichtet, und das Urteil vollzogen werden kann, sobald Ihre Exzellenz Ihre Unterschrift beizusetzen geruhen. Sagen Sie dies Señor Ruy Gómez und dem Alkalden.«

»Würden Euere Herrlichkeit nicht so gnädig sein, Ihre hohe Entschließung dem Alkalden selbst mitzuteilen?« erwiderte der Alguazil in flehendem Tone.

»Wohlan denn, machen Sie ihm bemerklich zu eilen. – –«

Der Oberalguazil entfernte sich in großer Hast und trat, nachdem er einen kurzen und schmalen Gang durchschritten, in ein zweites Gewölbe, dessen nähere Beschreibung wir für das folgende Kapitel vorbehalten.


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