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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Was hat sie dir getan, daß du sie so tief verletzest?
Wann ist sie dir auch nur mit einem bittern Wort
nahe getreten?

Shakespeare.

»Der herrliche Morgen,« sprach sie, rasch und anmutig in das Zimmer eintretend, wo die Damen versammelt waren, mit einem flüchtig-huldvollen Lächeln, das jedoch einen höhnischen Nachzug hatte, »der herrliche Morgen hat uns herausgelockt. Wir sehen jedoch, die schöne Welt ist uns zuvorgekommen. Wir grüßen Sie, Señorias! Ah, siehe da, die Condesa R–a und Istla und unsere liebe Marquisin Grijalva und – –«

Mit diesen Worten begrüßte sie die Damen, die sich sämtlich erhoben und mit den tiefsten Knicksen ihr ihre Ehrfurcht zu bezeigen fortfuhren.

»Ihro Herrlichkeit«, sprach der Graf, »haben uns und unser Haus auf eine so schmeichelhafte Weise überrascht, die uns diesen Morgen in jeder Hinsicht unvergeßlich machen wird.«

Die stolze Schöne schien das Kompliment nicht gehört zu haben. Sie hatte einen flüchtigen Blick umhergeworfen, und hob nun frappiert, wie es schien, das Augenglas, um eine der beiden Marmorstatuen, die durch die offene Flügeltüre des Kabinettes zu sehen war und die Meisterhand eines ausgezeichneten Künstlers verriet, näher zu betrachten.

»Man sagt,« sprach sie im hingeworfenen leichten Tone, einen Schritt der Türe des Kabinetts zutretend, »daß die Edlen Mexikos die edelste aller Künste nur wenig begünstigen, und wirklich, unsere Academia de bellat artes Die Akademie der schönen Künste. Sie wurde sehr von der Regierung begünstigt. scheint die Beschuldigung zu bestätigen; um so mehr Ruhm gebührt dem Conde de San Jago.«

Die Señora war nach diesen Worten wieder einen Schritt vorgetreten und stand bereits auf der Schwelle des Kabinettes, ohne daß jedoch der Conde gefolgt wäre.

»Wir sind wirklich sehr angenehm überrascht. Sehr gut«, bemerkte sie, indem sie in das Kabinett und der Statue Amors näher trat. »Das Gesicht allerliebst mokant, die Biegung der Arme vorzüglich. Ein Canova?«

»Der Scharfblick Ihrer Herrlichkeit ist nahe gekommen«, versetzte der Conde. »Einer seiner Lieblingsschüler.«

»Ah«, rief sie aus dem Kabinett heraus. »Sie haben die Roma gesehen, die herrliche, die antike, geschaut die Wunderwerke ihrer Vergangenheit? Ah, wie geht es doch unserer Condesa? Wir haben im Palaste gehört, sie sei sehr leidend. Sind wir doch immer so unglücklich, von unsern Teuren zuletzt zu hören. Ist sie wirklich so leidend?«

»Ihre Herrlichkeit befinden sich im Kabinett der sehr erlauchten Condesa Elvira F–a«, sprach der Graf, ohne sich von der Stelle zu bewegen; »sie war wirklich sehr leidend.«

Der Oberst hatte sich unterdessen gleichfalls den beiden Flügeltüren genähert, zog sich jedoch bei diesen Worten wieder zurück.

»Conde San Ildefonso,« sprach die Dame zum jungen Oberst, die Worte des Grafen wieder überhörend, »Sie werden das seltene Glück haben, eine sprossende Schönheit zu bewundern, die in den herrlichen Tälern unseres Oaxaca aufgeblüht, kaum drei Tage unser Mexiko mit ihrer Gegenwart entzückt und auch bereits aller Herzen in eine stürmische Bewegung versetzt hat.«

»Ihro Herrlichkeit«, erwiderte der Conde artig, aber etwas trocken und mit Nachdruck, »erweisen der erlauchten Condesa de F–a eine Ehre, durch welche sie sich kaum geschmeichelt finden dürfte, da sie der Meinung ist, daß Mexiko an ganz andere Dinge zu denken hat.«

»Sie tun Ihrem holden Schützlinge unrecht, Conde«, fiel ihm die Donna ein, noch immer die Statue fixierend. »Was unsere Wenigkeit betrifft, so gestehen wir gerne, daß wir so egoistisch sind, für unser Vergnügen und Interesse vorzugsweise zu sorgen, auch daß wir wieder so spießbürgerlich denken, die öffentlichen Angelegenheiten denjenigen ganz und gar zu überlassen, die sie eigentlich angehen. Wir sind eine gute Untertanin Sr. allerkatholischsten Majestät und kümmern uns um Staatsangelegenheiten nur insoferne als sie unsere Wenigkeit betreffen, das heißt, die Ankunft neuer Moden beschleunigen oder verspäten.«

Unterdessen war die leidende Condesa den vornehm zudringlichen Besuch im Kabinett gewahr geworden. In ihrem tiefen Sinnen hatte sie weder den Eintritt noch die ersten Äußerungen der etwas übermütigen Señora bemerkt; das Geflüster ihrer beiden Dienerinnen hatte sie zuerst von ihrer Gegenwart unterrichtet. Langsam, mit einem lauschenden, halb neugierigen, halb verwunderten Blicke erhob sich das liebliche Kind, eine so heitere, reizend idealische Erscheinung, wie sie innerhalb der Meere Mexikos nicht mehr gesehen werden konnte! Ihr regelmäßig schönes Gesicht, von einer leichten Röte angeflogen, in dem dunkelblauen Auge eine gewisse Neugierde, die wunderlieblichen Lippen halb geöffnet, wie um zu fragen, über die ganze Gestalt der unbeschreibliche Zauber reiner Unschuld und hohen Seelenadels ausgegossen, mit jenem leichten Anfluge von Wehe, der die Unschuld erst recht interessant macht. Auch sie trug die reizende Basquina und war, obgleich einfacher als die brillante Señora, doch ungleich geschmackvoller gekleidet; der einzige Schmuck, den sie trug, war eine Schnur kostbarer Perlen.

Es war Psyche nach ihrem ersten Liebesschmerze; und wieder lag um ihr ganzes Wesen die unbefangene natürliche Hoheit einer jungen Dame vom höchsten Adel. Sie trat mit der Würde einer Herrin des Hauses ihrem Gast entgegen, der das Erstaunen kaum verbergen konnte.

»Dies ist also das liebliche Kind, Conde de San Jago?« sprach die Señora, vornehm nickend und mit dem huldvollen Lächeln die Condesa musternd, mit welchem Prinzessinnen allenfalls ein neues Kammermädchen beaugenscheinigen.

»Doña Elvira, Condesa F–a, die erlauchte Gebieterin dieses Hauses,« sprach der Conde zur Señora, an die Schwelle des Kabinetts vortretend, »Doña Isabel Condesa de C–s, die nicht minder erlauchte Schwester der Gemahlin Sr. Exzellenz des regierenden Virey von Nueva España.«

Die Lippen der Doña verzogen sich bei dieser wechselseitigen Aufführung einen Augenblick auf eine schneidend höhnische Weise, doch im nächsten hatte sie ihre vorige freundliche Miene wieder angenommen. Das zufriedene Nicken der Damen und der heitere Anflug im Gesichte des Obersten zeugten, daß diese kleine Demütigung den Damen nicht nur, sondern auch ihm erwünscht gekommen war. Im Gesichte des Conde selbst war kein Zug verändert, sein Auge hing mit demselben Ausdrucke von Dienstbeflissenheit an der Señora.

»Doña Isabel, Condesa de C–s«, wiederholte sinnend die junge Gräfin. »Sie, die so unendlich erhaben über uns arme Kreolinnen? Welchem Umstand verdanken wir den Besuch der Hohen?«

Sie sprach diese Worte laut, aber mit einer sanften, wohlklingenden Silberstimme. Der Oberst, in den Anblick des holdseligen Kindes versunken, kam erst durch ihre rasche Bewegung zum Bewußtsein. Sie hatte nämlich kaum seinen starren Blick gewahrt, als sie errötend einen Schritt zurücktrat und einem der beiden Mädchen einen Wink gab, das sofort die Mantilla an ihrem Scheitel befestigte, welche sie über einen Teil des Gesichtes und die Schulter zog, so daß ersteres den Blicken des Oberst entzogen wurde. Hatte die Sprache der Condesa die an die Unterwürfigkeit und selbst Blödigkeit der Kreolinnen gewöhnte Señora in Verwunderung gesetzt, so schien diese positive Mißbilligung der Kühnheit ihres Begleiters sie in Erstaunen zu setzen, was zu verhehlen sie wieder nicht nötig zu finden glauben mochte. Ein höhnisches Lächeln überflog ihr Gesicht, als sie sprach:

»Conde de San Ildefonso ist bestraft dafür, daß seine Augen unbescheidener sind als seine Zunge.«

Des Obersten Lippen zuckten; er schien eine Antwort zu suchen, ohne daß er imstande war, ein Wort hervorzubringen.

»Wo sind Sie, Conde?« fragte sie ihn scharf fixierend. »Wir sind gekommen, einem teuren Gliede der hohen Nobilitad von Mexiko unsere Achtung zu bezeugen, und zwar infolge des Wunsches Sr. Exzellenz unseres Schwagers; und beinahe scheint es, daß Sie der Kranke sind, als den man die holde Condesa geschildert. Ist es Geistesverwandtschaft?« fragte sie spöttisch leiser.

Die Condesa hatte die Señora mit ruhig klaren Augen angesehen; der Ausdruck ihrer Züge, anfangs neugierig, schien nun schmerzlich werden zu wollen.

»Wir sind Sr. Exzellenz und Ihnen, Señora, unendlich für die hohe Gnade verbunden«, sprach sie, sich ehrfurchtsvoll verneigend.

»Auch müssen wir Ihnen gestehen, Condesa, daß Neugierde einigen Anteil an diesem unserem Besuche hatte«, bemerkte die Señora.

»Neugierde?« fragte die Condesa, und ihr Auge fiel fragend auf die überstolze Spanierin und wieder durch das Fenster in den Paseo, wo die Menge gegen Tacubaya hinwogte.

»Neugierde,« fiel ihr die Señora ein, »diejenige zu sehen, deren Erscheinen die hohe Welt Mexikos so sehr bezaubern konnte. Unser Guignon hat uns dieses –«

Sie hielt inne, denn die junge Gräfin hatte einen Blick auf sie geworfen, so wehmütig und zugleich mitleidsvoll, daß er sie mitten in ihrer Rede stocken machte.

»Doña Isabel,« sprach die letztere und ihre Brust hob sich beklommen, »Sie sind glücklich, heiter und froh, und hoch, den Regungen Ihres Herzens folgen zu dürfen, erhaben zu sein über die Leiden, die uns und Millionen Niederdrücken. Und doch, Doña Isabel, wir können Sie nicht beneiden.«

Das Auge der Sprecherin wurde feucht, indem es wieder durch das Fenster in die Ferne schweifte, und selbst die ultra-höfische Dame schien bewegt. Sie war augenscheinlich weniger gekommen der Leidenden Teilnahme zu beweisen, als vielmehr irgendeinen jener tief angelegten Pläne zu verfolgen, die, giftigen Schwämmen gleich, in der Hofatmosphäre aufschießen und den Arglosen durch ihr geruch- und geschmackloses Gift zum leichteren Genusse vermögen. Dieser Plan mochte persönliche und wieder politische Zwecke haben; denn in despotischen Staaten, wo Willkür und Leidenschaft allein herrschen, ist es nicht selten das schöne Geschlecht, das sich der schweren Bürde des Regierens auf seine eigene Weise unterzieht. In dem Gesichte der Señora war auch während der kurzen Pause ein sichtlicher, aber schnell vorübergehender Kampf zu lesen, und unter dem wechselnden Mienenspiele dieser beweglichen Züge mochte die Lösung der schweren Aufgabe sie beschäftigen, die Leidende zu demütigen und zugleich das Verdienst graziöser Herablassung in den Augen der Anwesenden zu erlangen. Das Benehmen der jungen Condesa jedoch schien einen solchen Triumph nichts weniger als leicht zu machen. Ihr ganzes Wesen bewies jenen richtigen Takt, jenes Bewußtsein innerer Würde, die jungen Damen, deren Seele nie befleckt und die nie fremdes oder häusliches Übergewicht gefühlt, angeboren sind. Ein solcher Takt war begreiflich bei der Tochter eines der ersten Häuser Mexikos, und doch wieder ungewöhnlich bei den damaligen Verhältnissen der Kreolen zu den regierenden Spaniern und dem Zustande der tiefen Herabwürdigung, die natürlich ihren verderblichen Einfluß auch auf deren schönere Hälfte äußerte und sich bei jedem Zusammentreffen mit dem freieren Spanier durch jene Befangenheit kund tat, die der blöde, gedrückte Untertan gegenüber seinem Herrscher an den Tag zu legen pflegt. Von dieser Befangenheit jedoch war an der Condesa auch keine Spur zu bemerken; im Gegenteile, in ihrem Wesen lag eine Hoheit, die nicht weniger dadurch auffiel, daß sie kindlich natürlich und wie angeboren erschien. Die frivole Weise, in welcher die Fremde die sämtlichen Damen, die ersten des Landes, behandelte, sie keiner Rede würdigte, höchstens gelegentlich eine beißende Bemerkung, an den Oberst gerichtet, fallen ließ, schien die junge Gräfin geradeso wie die Nachäffung souveräner Herablassung zu ignorieren, und, seltsam genug, war es ihr richtiger Takt, der die anwesenden Gäste gleichfalls zu größerem Bewußtsein ihrer Würde zu bringen schien. Sie erfaßte jetzt mit Grazie die Hand der Doña und führte sie aus dem Kabinett, dessen Schwelle sie sich schrittweise genähert hatten, in das Besuchzimmer, wo sie mit ihr auf einer Ottomane Platz nahm.

»Wo sind Sie, Conde?« fragte die Doña den Oberst zum zweitenmal.

»Im Lande meiner Jugend, in jener Zeit – der holden, der fröhlichen – wo die Barke meines Lebens noch schwankend umherglitt. Eine glückliche Zeit, Señora!«

»Träumer!« sprach die Señora, »finden Sie ihn nicht so, Condesa Elvira? Man sagt, auch eine gewisse holde Condesa sei zu Träumen aufgelegt.«

»Ich träumte!« sprach diese mit einem leisen Seufzer, »oh, ich träumte so schön, den schönsten Traum meines Lebens! Er dauerte seit meinem ersten Erwachen aus dem Schlafe der Kindheit. Es war ein Traum. Sie haben wohl nie geträumt, Señora?« wandte sie sich auf einmal zur hochmütigen Spanierin. »Armer Mani!« seufzte sie leise und kaum hörbar.

»Oh, es ist schön, zu träumen!« brach der jugendliche Oberst begeistert aus, und eine hohe Röte überflog das wirklich schöne Gesicht des Jünglings; denn so konnte er noch immer genannt werden, ungeachtet seines hohen militärischen Ranges. »Ah, Doña Isabel! Sie haben nie geträumt, bei Ihnen ist alles Wirklichkeit, klare, prachtvolle Wirklichkeit; aber diese Blumen!« rief er begeistert, »sehen Sie diese Blumen! Sind sie nicht, gleich Träumen unseres Lebens, von der Gottheit in einem ihrer Träume, einem ihrer schönsten Träume, hervorgerufen, so glühend rot, so dunkelblau, die Glut der südlichen Phantasie, die ferne Bläue des – – – Doña Isabel, die Blumen Mexikos sind schön, sehr schön!«

Die junge Condesa schaute nun den Sprecher zum erstenmal verwundert scheu an.

»Schön, das mag sein«, versetzte die Señora; »aber schwer, lethargisch, wie die Bilder, denen sie zur Folie dienen«, schloß sie spottend.

» Hélas! cette agacerie, cette brillante!« Der junge Offizier warf ihr einen Flammenblick zu; dann fiel sein Auge wie flehend und um Vergebung bittend auf die Condesa.

»Schmeichler!« flüsterte die Señora, »zittern Sie, Schmeichler! Wir haben, wie die römischen Damen, eine gewisse Smorfia. Und unsere Condesa«, wandte sie sich wieder herablassend gelegentlich an die junge Gräfin, »ist sehr leidend gewesen? Es wäre schade, wenn die heiteren Geister, die in diesem klaren, fröhlichen Gesichtchen spielen, der traurigen Wirklichkeit weichen sollten. Doch sie ziehen, diese heiteren Geister, liebes Kind, nicht wahr, sie ziehen in die Ferne, mit den Wolken, die den Ozean hinübersegeln?«

Die Lippen der Niña zuckten bei dieser Anspielung, ihr Busen hob sich, und sie sah die Fragende einen Augenblick an; doch nur einen Augenblick, der höhnende Zug, der um deren Mund spielte, trieb die Röte des Unwillens auf ihre Wangen.

»Und ziehen die Geister der Doña Isabel nicht auch hinüber? Und begleiten ihre Wünsche und Gebete nicht auch –?« Sie stockte; die letzten Worte hatte sie leise gesprochen.

»Das ist fürwahr eine kühne Frage, kleine Condesa«, versetzte die Dame, in deren Gesicht nun die blutroten Streifen auf eine Weise schwollen, die den stolzen, aber schönen Zügen für einen Augenblick etwas Furienartiges verliehen. Selbst der Oberst war erschrocken über die unverhohlene Wut der Dame, und sein Blick fiel fragend wechselweise auf den Grafen und die Condesa, Aufklärung über diese sonderbare Verwandlung heischend. Dieser war jedoch ruhig gestanden, und bei der Señora verzogen sich die Symptome der Entrüstung wieder sehr schnell; nur jenes spröde Hohnlächeln war zurückgeblieben, das hohe Herrschaften bei unbescheidenen Fragen als Wahrzeichen von Befremdung um ihren Mund spielen zu lassen pflegen.

»Sind wir unbescheiden gewesen,« versetzte die Condesa, »so sollte uns dieses leid tun. Sind wir wirklich unbescheiden gewesen, teure Mama?« wandte sie sich an die Condesa R–a und die übrigen Damen, denen man es ansah, wie schwer es ihnen wurde, die gesuchten Beleidigungen der Spanierin länger zu ertragen. »Wir haben immer gehört,« fuhr sie mit erhöhter Stimme fort, »wir seien die Gebieterin dieses Hauses; die Welt nennt uns Condesa de F–a; aber diese Welt ist ja bloß Mexiko. Sagten Sie nicht, Tio, daß unsere Väter Granden von Spanien waren, daß unsere Oheime es noch sind, und ist die Tochter von Granden wirklich kühn gewesen, meine Herrschaften?« fragte sie die Damen.

»Nein, Condesa!« riefen alle, mit Tränen in den Augen und laut schluchzend; »nein, teure Niña,« nahm die Condesa R–a das Wort, indem sie aufstand und das herrliche Kind in die Arme schloß, »nein, Sie sind nicht kühn gewesen; aber dulden Sie, leiden Sie, unser armes Mexiko duldet ja so viel.«

»Duldet es wirklich?« fiel ihr die Señora mit einem höhnischen Lachen ein. »Vielleicht duldet es sogar uns Spanier? Bleiben Sie doch sitzen,« fuhr sie hohnlachend und in demselben kalt spottenden Tone fort, »wir sehen Sie gerne so. Sie werden doch nicht die Cabecillas nachahmen wollen, oder doch? Wie, auch Sie Rebellen geworden?« Sie sah die beiden Gräfinnen boshaft lächelnd an.

Selbst des Obersten Lippen zuckten vor Unwillen über diesen unweiblichen Ausbruch leidenschaftlich tödlichen Hasses. Die Damen erblaßten und bemühten sich, ihr Schluchzen zu verhalten; nur der Graf schien seine Ruhe beibehalten zu haben.

»Wir sind Sr. Exzellenz«, sprach er mit einer leichten Verbeugung, »unendlich für die hohe Gnade verbunden, Antrieb zu dem herablassenden Besuche Ihrer Herrlichkeit geworden zu sein. Haben aber Se. Exzellenz –« Er hielt inne, sah aber die Señora fragend an.

Dieses Kompliment, scheinbar so ganz zufällig und selbst zwecklos eingeschaltet, und die nicht vollendete Frage machten, mit der vielsagenden Pause, die Señora den Grafen starr anblicken. Sie schien auf einmal gewahr zu werden, daß sie in ihrem Bemühen, recht hohe, niederschmetternde Airs anzunehmen, ganz das Ziel ihrer Sendung selbst verfehlt habe. Auch bei den Damen schien derselbe Gedanke aufzudämmern, und in dem Maße, in dem die Verlegenheit der Donna wuchs, kehrte auch die Unbefangenheit der Kreolinnen wieder zurück.

Die lange Pause, die infolge dieser wechselseitigen Gemütsbewegungen eingetreten war, wurde auf einmal durch ein furchtbares Aufruhrgeschrei oder, wie es in diesem Lande genannt wird, Grito, unterbrochen, von welchem wir unseren Lesern keinen deutlicheren Begriff zu geben vermögen, als wenn wir ihnen sagen, daß diese Aufrufe zum Aufruhr bereits zu dieser Zeit so häufig geworden waren, daß die mexikanische Sprache ihnen einen eigenen Namen zu geben genötigt worden. Dieses Geschrei schallte aus weiter Ferne herüber und hatte einen eigenen Charakter. Es glich einem Freudengeschrei. Merkwürdig jedoch erfüllte es die Tausende von Kreolen, die den Paseo hinabwogten, mit Schrecken. Sie starrten entsetzt in der Richtung hin, wo der gräßliche Lärm herkam, der einigemal in langen Stößen wiederholt wurde und dann jedesmal in einen wütenden, lange nachhallenden Jubel überging, der wie Sturmesheulen die ganze Straße, die sich von dem Damme gegen Ajotla hinzieht, hinabpfiff. Die Damen hatten das wütende Geschrei und den wütenderen Jubel mit mehr Fassung gehört, als zu erwarten stand; denn, wie bemerkt, so gewöhnlich waren seit den letzten Tagen diese Gritos oder Aufruhrrufe geworden, daß sie beinahe mit zur Tagesordnung gehörten. Der Conde jedoch schien die Fassung mehr verloren zu haben. Er eilte rasch aus dem Saale auf die Terrasse des Hauses; ihm nach der Oberst.

»San Jago,« nahm dieser das Wort, »eine Frage beantworte mir, ich bitte, ich beschwöre dich.«

»Ein andermal«, erwiderte dieser, der gleichfalls die Treppen hinaneilte.

»Jetzt, ich bitte dich darum! Welche Bewandtnis hat es mit Isabel und deinem Hause?«

»Und welche Bewandtnis hat es mit San Ildefonso, dem Bruderssohn meines besten Freundes?«

Der junge Graf stockte.

»Und wie kommt es,« fragte der Conde, »daß wir dich erst jetzt sehen, den deines Vaters und Onkels Briefe uns schon seit Monaten angekündigt haben? Auch du gefangen? Ildefonso! Ildefonso!«

Beide waren mit diesen Worten auf der Terrasse des Hauses angekommen. Das Angstgeschrei der Menge im Paseo vereinigte sich nun mit dem wilden Jubel, der in meilenweiter Entfernung vom Damme und der Straße herüberschallte. Mitten aus diesem Angstgeschrei waren die Namen Vincente Guerrero zu hören; aber als wenn die Pest oder der Tod in diesen Namen lägen, so stürzten alle, von panischem Schrecken ergriffen, der Stadt zu, »Jesu Maria! Vincente Guerrero!« heulend. Wagen, Fußgänger und Reiter, alle kehrten um und drängten, rannten und trieben in seelenzerreißender Angst den Straßen zu und in einer Verwirrung, die die Tausende bald in einen unauflöslichen Knäuel von Wagen, Pferden und Maultieren zusammenrollte und preßte, der weder vor- noch rückwärts konnte.

Der Oberst schien nur wenig von diesem schrecklichen Tumulte zu sehen und zu hören. Sinnend stand er mit zur Erde geheftetem Blicke. Auf einmal fuhr er auf und den Grafen bei der Hand fassend, drehte er ihn um und brachte ihn in die Richtung des Felsens und Schlosses von Capultepec, aus dessen Fenstern, Terrassen und Miradores die Soldaten in jenen trägen Attituden hingen und lagen, denen sich derlei Söldlinge gewöhnlich in ihren Mußestunden zu überlassen pflegen.

Der Conde schaute und schaute; auf einmal klärte sich sein Gesicht auf.

»Danke dir!« sprach er zum Oberst.

»Der Virey wird mir wenig Dank wissen«, erwiderte dieser; »es ist eines der vielen Kabinettsgeheimnisse. Ich verachte aber diese elenden Kunstgriffe. Wenn du drei Kanonenschüsse von Capultepec hörst, dann ist es der Feind; das übrige ist falscher Lärm. Und nun adios! Meine Pflicht ruft mich auf meinen Posten. Du wirst sogleich zwei Kanonenschüsse hören.«

Der Graf sah dem Sprecher in das jugendlich offene Gesicht und ergriff seine Hand. Der junge Mann flüsterte ihm einige Worte in die Ohren und eilte dann die Treppe hinab und den Anhöhen von Capultepec zu.

Noch war der Conde in der Mitteilung der soeben erhaltenen Aufschlüsse an seine Freunde begriffen, als zwei Kanonenschüsse aus der Stadt herüberbrüllten und zugleich das Rollen der Trommeln, die den Generalmarsch schlugen, hörbar wurde. Mit diesen vereinigte sich das Wehgeschrei der Tausende im Paseo und das Jubelgeheul der näherkommenden Leperos, um ein Chaos von Tönen hervorzubringen, wie es nur in Mexiko wieder gehört werden kann. Die Garnison von Capultepec blieb jedoch ruhig. Auf einmal schrie eine gellend durchdringende Stimme: »Capultepec!« »Capultepec, Capultepec!« riefen sogleich zwei, zehn, hundert und Tausende von Stimmen, und die ganze Menge wandte sich unwillkürlich Capultepec zu. Der Knäuel von Wagen, Reitern und Fußgängern, der in den beiden Alleen bis zur Villa des Conde zurückgedrängt worden war, so daß es kaum möglich schien, ihn ohne zahlreiche Opfer von Menschenleben auseinanderzuwirren, hielt auf diesen Ruf stille, und Tausende wandten sich dem Schlosse von Capultepec zu, das sie anstarrten, als ob sie es nie gesehen hätten. Das Faulleben der Garnison schien allmählich die Wahrheit im Haufen aufdämmern zu machen; von allen Seiten waren die Worte »Capultepec, Capultepec!« zu hören, und indem der allgemeine Ruf nun aller Blicke dahin zog, wurde auch der allgemeinen Verwirrung unmerklich, aber wirksam Einhalt getan. Mehrere hundert Personen retteten sich aus der sturmbewegten Mitte in die Nähe der Villa. Wagen löste sich auf Wagen, Reiter auf Reiter aus dem Knäuel; das Geschrei wurde allmählich minder grell, der Jubel der Leperos hielt zwar noch immer an, aber die Massen des Volkes gewöhnten sich daran, sie wurden ruhiger, dünner; und gleich dem durch einen wütenden Norte aufgeregten Meerbusen, der die Gestade dieses Landes bespült und in seinem plötzlichen Ausbruche eine Welt von Schiffen in den bodenlosen Abgrund zu senken droht, aber ebenso leicht wieder seine Wellen glättet und zur Ruhe legt, kehrte das Ganze wieder in seine Ordnung zurück, um vielleicht an dem nächsten Tage oder in der nächsten Stunde durch einen ähnlichen Windstoß aufgeregt zu werden; denn mitten durch diese Szenen des Schreckens und der Verwirrung und bürgerlichen Anarchie sehen wir den gräßlichen Despotismus sein Fastnachtsspiel mit all dem Übermut einer von Gott eingesetzten Vollmacht treiben. – Ein erschütternder Gedanke, wenn nicht durch dieselben Szenen des Schreckens und Blutes wieder jener dünne, kaum merkbare azurblaue Faden liefe, der, öfters abgerissen, immer aber wieder angesponnen, gedrückten Völkern sagt, was er ihren verblendeten Tyrannen verhehlt: daß es eine Vorsehung gibt, die für ihr Schicksal wacht, und daß die Vorsehung aus scheinbar geringfügigen Ursachen die größten Wirkungen hervorzubringen wisse.


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