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Sechsunddreißigstes Kapitel.

Welchen Begriff von Gott und seiner Natur dieser edle Lord haben mag, weiß ich nicht; aber soviel weiß ich, daß Religion und Menschlichkeit solche fluchwürdige Grundsätze gleich einstimmig verdammen.

Der Graf von Chatham im Hause des Lords.

In dem sogenannten kleinern Appartement, bewohnt von der Doña Isabel, fand sich nach einer Stunde das holde Kränzchen, mit Ausnahme der zwei jüngsten Kinder, wieder zusammen.

Es war dieses Appartement eine Enfilade von Gemächern, die, im Geschmacke Louis-Quatorze und Quinze verziert, eine Unzahl vergoldeter Arabesken und Wappen des alten Kastiliens mit fleurs de lis darstellten, die sich auf den schneeweißen und blutroten Wänden und Plafonds recht zart aristokratisch ausnahmen. Reiche Kandelabers hingen aus der Mitte der Gemächer herab, und schwere seidene Vorhänge von den vergoldeten Fensterrollen; die übrigen Dekorationen dieser Gemächer und ihre Einrichtung waren gleich altertümlich und gleich kostbar.

Die Damen hatten sich in den mäßig großen Salon, der in den Garten des Palastes die Aussicht hatte, um einen runden Tisch im Halbzirkel niedergelassen.

Der erste der glücklichen Geladenen, der ankam, war der Oberst.

» Ah, le deserteur; le voila!« rief ihm die Doña entgegen, der sich mit Ehrfurcht und zugleich mit jener vornehmen Bequemlichkeit gegen die Damen verbeugte, die zwischen auf gleicher Rangstufe stehenden Personen üblich ist.

»Auf Ehre, Mesdames!« rief der Oberst lachend, »ihre Leperos haben gute Lungen; ich versichere ihnen, meine Gnädigsten, sie haben mir während einer halben Stunde den Kopf so heiß gemacht, daß ich mein ganzes Regiment bereits in ihren kannibalischen Mägen glaubte.«

Die Damen lachten recht herzlich; aber die Doña Isabella schien doch noch zum Schmollen aufgelegt und versicherte, daß seine Flucht aus dem Hause des Grafen ganz und gar nicht entschuldigt sei; eine Behauptung, die der junge Oberst wieder mit dem Generalmarsche, der ihn an die Spitze seines Regimentes gerufen, und seinem zufälligen Zusammentreffen mit der Doña niederzuschlagen bemüht war, welches alles einen recht angenehmen Wortwechsel veranlaßte, bei welchem sich der Oberst zugleich mit so vieler Wärme und so eminentem feinem Welttone verteidigte, daß die Doña ihm endlich die Hand darbot, die er entzückt, oder wenigstens so scheinend, an seine Lippen drückte, worauf der trauliche Kreis sich bald so froh fühlte, daß alle laut jammerten, als der diensttuende Page die Ankunft Seiner erzbischöflichen Gnaden verkündete.

Der hohe geistliche Würdenträger trat auch bald, nachdem seine langen Titel alle aufgezählt worden waren, ein, und zwar in einem purpurfarbigen Seidenrocke mit einem langen gefältelten fächerartigen Schweife, der ihm vom Kragen über den Rücken hinab bis zu den Knien reichte, ein Käppchen von demselben Stoffe auf dem Haupt, und auf der Brust ein mit Solitärs und Rubinen besetztes Kreuz, das an einer goldenen Kette hing. Er verbeugte sich vor den Damen mit einer Zierlichkeit, die bewies, daß er in hoher weiblicher Gesellschaft gelebt hatte, und erwiderte die tiefen Knickse, die ihm alle darbrachten, mit einem Schwalle von Komplimenten, die sehr gegen seine, während des Besamanos an Tag gelegte Steifheit und Trockenheit abstachen. Er hatte kaum auf der Ottomane den Ehrenplatz neben der Vireyna eingenommen, als der Präsident des Finanzdepartements angemeldet wurde, dem der Fiskal der hohen Audiencia, die Oidores desselben höchsten Gerichtshofes und zugleich Staatsrates, und mehrere Generale und Intendanten folgten: eine bekreuzte und sternbesäte glänzende Gesellschaft im kleinen Kostüme und von kleinern Gestalten.

Nochmals flogen die Türen auf, ohne daß jedoch der Eintretende angekündigt worden wäre. Es war der Vizekönig selbst. Er trat ganz in der leichten, gefälligen und sich bei jedem Schritte wiegenden Manier des hohen Hauswirtes ein, der seine Gäste bereits seiner harrend findet, mit einem Lächeln für alle, das wieder in den Ausdruck der tiefsten Ehrfurcht überging, als er des geistlichen Oberhirten des Reiches auf dem Sofa ansichtig wurde. Die ganze Gesellschaft hatte sich natürlich wieder mit allen Zeichen der tiefsten Ehrfurcht, wie aufs Kommandowort erhoben, und sich tief verneigt. Darauf geruhte der hohe Hausherr seine Überraschung dem hohen Priester auszudrücken, welche Überraschung er mit mehreren Verbeugungen begleitete, und dann fing er an, sich in Bewegung zu setzen, um auch den übrigen zu versichern, wie so ganz scharmiert er durch ihren Besuch, und wie wohl ihm in der Nähe so geprüfter Freunde und Diener des allergnädigsten Herrn sei. »Ah, Señor Alguera!« lächelte er einem kleinen, winzigen, spindelbeinigen Skelette zu. »Ah, Señor Alguera! Jeden Tag jünger, blühender. Sie betrügen doch wahrlich jedes Jahr um dreihundertundfünfzig Tage. Siehe da, unser lieber, guter, unser ausgezeichneter Direktor unserer Akademie de bellas artes. Ah, Sie haben uns etwas mitgebracht? Etwas Klassisches? Einen frischen Beitrag, eine Immortelle zum Kranze der Unsterblichkeit, den Sie sich geflochten? Mexiko hat fürwahr alle Ursache, auf Sie – – stolz zu sein. Unser achtbarer Freund, Señor Pinto, dessen Stirn noch trübe ist. – Ah, Señor Pinto! Diese Wolke gereicht Ihnen zur Ehre. Ah, unser lieber Präsident, Señor Trueba! Sie hatten heute einen sauren Tag. Siehe da, unser alter Freund, der würdige Chef des Consulado – Señoria, Señoria!« drohte er lächelnd mit dem Finger. Und nachdem er so jeden begrüßt, jeden, um uns einer recht höfischen Redensart zu bedienen, durch seine Huld bezaubert und so den Aufruhr wieder gestillt hatte, den sein Eintritt verursacht, ließen sich seine Gäste gruppenweise in größerer oder geringerer Entfernung von der Dame des Hauses nieder, wie ihrem höhern oder niedrigern Range zukam. Das goldene Teeservice, ein Geschenk, der Stadt Mexiko entlockt, das nun auf den Tisch gebracht wurde, gab Gelegenheit, dieses Getränkes zu erwähnen, das damals in Mexiko eine Seltenheit war, so wie es noch heutzutage nichts weniger als allgemein ist, wobei der Virey bemerkte, wie dieses Getränke nun in der Madre Patria sehr gesucht werde, und wie es die ketzerischen Inglese jedem andern vorzögen, welcher Umstand jedoch den rechtgläubigen Spanier von seinem Genusse nicht abhalten dürfe, als ja bekanntlich Seine geheiligte Majestät und Dero allergetreueste Diener, die durchlauchtigsten Cortes Majestät, diese Inglese ihrer Allianz gewürdigt hätten. Dann wandte er sich mit unaussprechlicher Zärtlichkeit zu seiner Familie, und zwar zuerst an die belle-soeur, die schöne Isabel, die soeben mit hohen eigenen Händen den Tee bereitete und eingoß, bei welchem Geschäfte ihr mehrere Pagen behilflich waren.

»Und unsere teure Hauswirtin, und liebe Schwägerin, und meine lieben Inez und Emanuele?«

»Debattierten, Papa, gerade als Seine erzbischöfliche Gnaden eintraten.«

»Doch nicht gefährliche Debatten?« fragte der Papa. »Dürfen wir ihn nicht lüften, den Schleier, der uns diese hochwichtigen Mysterien vorenthält?«

»Keineswegs«, lachten die beiden. »Es sind, wie Papa sagen, Mysterien, so tief verschleierte Mysterien, daß wir sie selbst noch nicht enthüllen konnten.«

» Muy bien«, lächelte der Vizekönig, der, was bemerkenswert sein dürfte, nun keine jener französischen Floskeln hören ließ, mit denen er früher im Kreise seiner Familie jeden seiner Sätze garniert hatte. » Muy bien«, wiederholte er. »Und was soll unser Lohn sein, wenn wir ein Deus ex machina interzedieren, um euch mit einem glücklichen Impromptu zu bereichern?«

Beide Töchter ergriffen seine Hand und küßten sie.

»Unter allen Caballeros«, flüsterte er ihnen zu, »wird wohl der Oberste am wenigsten Hoffnung haben, nicht wahr? Aber haltet ihn fest, Kinderchen. Ah, lieber Graf und Oberste,« wandte er sich lächelnd an diesen, »Sie übergebe ich ganz den Damen! Sie werden Vorschläge hören, kapitulieren müssen. Eine kleine, ganz artige Verschwörung, in der auch Sie eine Rolle werden übernehmen müssen.«

Der Oberste gab durch eine ehrfurchtsvolle Verbeugung seine Bereitwilligkeit für den hohen Damendienst zu erkennen. Die beiden Töchter drohten dem Papa mit dem Finger.

»Ah, Papa!« schmollten sie.

»Sehen doch Euer Gnaden nur einmal –« bemerkte ein trockener Oidor, dem der ungewohnte Gunpowdertee die wenige Feuchtigkeit, die ihm inwohnte, nun in dicken Schweißtropfen auf die Stirn trieb – »wie doch Seine Exzellenz so ganz väterliche Liebe und Zärtlichkeit sind.«

»Der beste Familienvater, das Muster und Vorbild Mexikos auch in dieser Hinsicht, so wie in allen übrigen Tugenden«, versicherte ein etwas beleibter Intendant mit einer Stimme, die leise sein sollte, aber so hörbar wurde, daß sie im ganzen Saale vernommen werden konnte.

»Nie war Mexikos Schicksal in bessern Händen«, versicherte ein invalider General in demselben leise sein sollenden Tone, und zugleich die dritte Tasse nehmend.

»Vergeben Sie, Herrschaften,« wandte sich der hohe Hausherr wieder mit ungemeiner Bonhomie an seine oder vielmehr seiner Schwägerin Gäste, »wenn der glückliche Familienvater sich seinen hochgeehrten Gästen auch nur für einen Augenblick entzieht. Es ist dieses der Hafen,« – sein Blick fiel wie gerührt auf seine Familie – »in den wir nach dem sturmbewegten Tage jeden Abend zurückkehren, sichere Ruhe und Trost findend, und die einzige reine Freude, die uns, nebst dem Bewußtsein, unsere Pflicht gegen unsern geheiligten Monarchen und die allein seligmachende Kirche erfüllt zu haben, übrig bleibt.«

» Qua propter elevat Dominus, qui diligunt tabernaculum suum«, bekräftigte der Erzbischof, wieder eine Tasse von der goldenen Terrine nehmend, die ihm der reich gekleidete Page ehrfurchtsvoll gereicht hatte.

Die vier Pagen hatten unterdessen den Tee mit den übrigen Erfrischungen herumgereicht: eine Episode, die, wie wir bereits bemerkt haben, vom Vizekönig benutzt worden war, um jedem Gliede seiner Familie einige Augenblicke zu schenken, und die der Direktor de bellas artes seinerseits dazu verwandt, ein Gemälde, das er mit sich gebracht, im Vorsaale aufzustellen, aus dem es nun, so wie die Pagen den Salon verließen, in diesen übersetzt wurde, um es dem hohen Beschützer der schönen Künste vorzustellen. Der Direktor war jedoch noch vorläufig vor den hohen Gönner getreten, um die gnädigste Erlaubnis ansuchend, sein Gemälde vorstellen zu dürfen, die ihm dann auch auf eine ungemein schmeichelhafte Weise zuteil wurde.

»Sie scherzen, Lieber, Guter!« geruhte der hohe huldreiche Mann auf die untertänigste Bitte des Künstlers zu erwidern. »Wir sind Ihnen Dank schuldig, Ihnen, der Sie uns dieses Vergnügen gewähren, dieses reine, dieses hohe, das unsern Geist erhebt und uns in höhere Sphären versetzt.« Der Mann hielt inne. »Ja,« fuhr er fort, »wir glauben, unsere teuern Gäste nicht glänzender bewirten zu können als durch eine Schaustellung, die ihren Kunstsinn so sehr entzücken wird. Oh, so entziehen Sie uns doch nicht länger das Vergnügen.«

Worte, denen Folge zu leisten der Direktor sich dadurch beeilte, daß er das Gemälde aus dem Vorsaale in die Gegenwart des Protektors der Akademie de bellas artes brachte. Der Vizekönig hatte sich erhoben, mit einer gewissen Andacht im Blicke, die in den Anwesenden gleich fromme Gefühle hervorbrachte, und, von Kunstsinn getrieben, hatte er sich mit halb vorgebogenem Leibe dem Gemälde, einer Madonna, genähert, sich auf die Seite gebogen, vorgebogen, zurückgebogen, es von mehreren Seiten beleuchtet, es mit eigener hoher Hand bald mehr in Schatten gestellt, bald wieder ins Licht vorgeschoben, und erst nach diesen mannigfaltigen Bewegungen, die durch enthusiastische Ausrufungen als: »Sublim! Großartig! Ah, dieses Inkarnat!« noch bedeutsamer wurden, hatte er endlich aus tiefer Brust Atem geholt, um auf eine recht eklatante Weise seine Bewunderung über die vorzügliche, ja großartige Leistung zu erkennen zu geben, die sein Mund nicht hinlänglich preisen könne. Er gab dem Künstler nicht nur zu verstehen, daß er ganz scharmiert, ja er versicherte ihm, daß er gewissermaßen sogar enchantiert sei. Natürlich hatte die ganze Gesellschaft zurückgehalten, bis der hohe Mann seine Meinung zu erkennen gegeben hatte, eine Sache, die, wie wir gesehen haben, einige Zeit erforderte, und die nun dadurch eingebracht wurde, daß die ganze Gesellschaft gleichermaßen unendlich und plötzlich scharmiert, ja enchantiert war. Und als der Vizekönig nicht anstand zu behaupten, daß selbst Europas lebende Künstler keiner herrlicheren Madonna Entstehung geben dürften, stieg die Bewunderung aller noch um vieles höher; und als der Vizekönig endlich beteuerte, daß die Hand, die diesen Pinsel geführt, bereits die Klinke an der Pforte des Tempels der Ruhmes selbst erfaßt habe, und nur einzutreten brauche in den Kranz der hehren Geister, und dann noch hinzusetzte, daß dieses Gemälde gewiß furor, ja adoración kreieren und des Sukzesses unmöglich mankieren könne, und wie er selbst gesonnen sei, den Ruhm des Künstlers zu poussieren, – der Mann hatte sich wieder in die französische Terminologie verirrt, – waren alle Anwesenden in einen wahren Künstlerenthusiasmus ausgebrochen. Nur der Künstler selbst schüttelte das Haupt, worüber die Exzellenz befremdet und die hohen Gäste gewissermaßen verwundert schienen, welche Verwunderung wieder stieg, als der Direktor zwar seine Zufriedenheit mit dem Gemälde äußerte, aber auch wieder versicherte, daß in gegenwärtigen Zeiten kaum auf eine besondere Anerkennung zu hoffen sei. »Ja,« beschloß er seine etwas trostlosen Äußerungen, »es ist im Reiche der Künste, gnädigste Exzellenz, ein sehr trauriger Stillstand eingetreten.«

» Inter arma musae silent«, fiel ihm der Erzbischof ein.

»Vergebung, Erzbischöfliche Gnaden!« erwiderte der Künstler demütig, »es ist ein ganz anderer Stillstand, den wir alleruntertänigst meinen. Es ist ein Stillstand, der von einer veränderten Richtung der Nation – ihrem Hinneigen zu ganz anderen Dingen herrührt, – ein Stillstand, der aus dieser veränderten Richtung hervorgegangen und solange dauern wird, befürchte ich, als diese selbst nicht aufhört. Nicht nur ist die Academia de bellas artes von ihren Zöglingen verlassen, die Kunst scheint auch ihren Einfluß auf die Nation verloren zu haben, sie scheint von ihr aufgegeben zu sein. Es ist ein namenloses indefinibles Sehnen nach etwas, das sie ergriffen, das sie nicht kennt, und das eine absolute Gleichgültigkeit gegen die Kunst hervorgebracht hat; ein gewisser prosaischer Hang, der eben so unerklärlich als auffallend ist. Eine allgemeine Indifferenz gegen schöne Künste«, wehklagte der Artist, »ist eingetreten. Meisterwerke der italienischen Schule, vor denen in den verflossenen Jahren tausende anbetend standen, werden heutzutage kaum mehr beachtet.«

»Bemerkungen, die ebenso richtig als tief wahrgenommen sind«, fiel der Oberste ein, den die aus dem Leben gegriffenen Erfahrungen des Künstlers angesprochen hatten; »allein meinem Bedünken nach ist dies nicht bloß in Mexiko allein der Fall, die ganze Welt hat angefangen, gleichgültig gegen die schönen Künste zu werden, selbst das Drama spricht heutzutage nicht mehr an.«

»Die Ursache dürfte doch vielleicht an den Künstlern selbst liegen«, bemerkte Doña Isabel.

»Perdon!« fiel ihr der Oberst ein. »Die Künstler sind noch immer dieselben; aber die Begeisterung fehlt, und Begeisterung erzeugt sich nur wieder durch Begeisterung, und diese letztere wird wirklich unmöglich bei dem veränderten gesellschaftlichen Zustande, dem wir entgegengehen. Die Grundpfeiler der alten Einrichtungen sind an vielen Punkten morsch geworden.«

Bei diesen Worten fuhren viele Anwesende auf und sahen den Obersten befremdet an. Die Doña winkte ihm. Er bemerkte es nicht, und fuhr fort.

»Das Volk und die Großen, beide fühlen es, und ersteres ist ungeneigt, seine Ohren und Augen poetischen oder plastischen Reizungen zu leihen, die, einem gesellschaftlich barbarischen Zustande ihren Ursprung verdankend, diesen auch noch gegenwärtig reizend und erträglich zu machen mitunter berechnet sind, und sie von seinem Drange nach Höherem abziehen.«

»Und dieser Drang nach Höherem dürfte wohl politischer Natur sein?« bemerkte der Vizekönig etwas höhnisch.

»Mangel an Gottesfurcht und Religion«, fügte der Erzbischof hinzu. »Unglaube, Ketzerei und sogenannte Aufklärung.«

»Das sind die Übel«, versetzten die übrigen mit frommem Schauder.

Der Oberst schien endlich einen zweiten Wink der Doña besser zu verstehen, und schwieg. In der kurzen Pause, die entstanden war, hatten sich die drei jungen Damen von ihren Sitzen erhoben und tanzten Arm in Arm in seiner Begleitung aus dem Salon.

»Aber was wollen nun die Menschen?« seufzte die Vizekönigin, die allein zurückgeblieben war. »Die Regierung ist ja so mild, so väterlich gesinnt!«

Dies war ein Punkt, den natürlich keiner zu bestreiten für rätlich fand, und der deshalb auch unbeantwortet blieb.

»Es ist leider nur zu wahr«, hob endlich der Vizekönig an, der sich nun von dem Bilde und seinem Urheber auf eine Weise wandte, die zugleich andeuten sollte, daß die Begeisterung für Kunst zu Ende sei. »Ja, nur zu wahr,« bekräftigte er, »daß die Völker und Nationen aus ihren Fugen gerissen sind; aber wer, meine hohen Herrschaften, ist wohl Ursache? Bitte Sie ums Himmels willen! Wer ist Ursache? Alle Gewalt kommt von oben, spricht der Herr durch den Mund des –« er sah bei diesen Worten den Erzbischof an, der nickte, »aber wenn wir, denen die Gewalt von oben gegeben wurde, diese selbst mißbrauchen, wenn wir verblendeterweise selbst frevelhafte Hand an die Dämme legen, die eine weise Vorzeit und unsere Vorfahren mit so vieler Mühe und Vorsicht für die kommenden Geschlechter errichtet haben, und in welche eingeschlossen die Menschheit sich gehorsam gegen weltliche und geistliche Oberhirten bewegte?«

» Quasi circumdata vallo forti atque alto;« schaltete der Erzbischof ein.

»Unvergleichlich bemerkt. Erzbischöfliche Gnaden!« versicherte der Virey. »Ja, Señores! Ein einziger unglücklicher Schritt hat auch in diesem edlen Königreiche nun die fürchterliche Flamme der Rebellion angefacht, und jene herrliche Ordnung in Unordnung verkehrt.«

» Ordinem convertit impius in tumultum seditionemque«; schaltete der Erzbischof wieder ein.

»Was uns aber betrifft,« sprach der hohe Mann, »so wollen wir, mit dem Beistande der weisen und loyalen Herrschaften, die bereits bei so vielen Gelegenheiten und namentlich bei dieser Veranlassung ihre Anhänglichkeit an die allerhöchste Person unseres angebeteten Monarchen so wirksam beurkundet haben, rastlos arbeiten, die vorige Ordnung wieder herzustellen.«

Der Seitenhieb, den der Satrap mit diesen Worten dem Andenken seines unglücklichen Vorgängers nachsandte, fand unter den Anwesenden um so mehr Anklang, als es vorzüglich ihre Treulosigkeit gewesen, die den Überfall des harmlosen Iturrigaray bewirkt und seine Absendung ausgeführt hatte.

»Aber wir können uns nicht verhehlen, Señorias,« fuhr er ernster fort, »daß der Feind, gegen welchen wir streiten, furchtbar ist, und eine desorganisierende Gewalt besitzt, welcher Widerstand zu leisten alle unsere Kräfte in Anspruch nehmen wird.«

Es war etwas Abruptes, das der Mann auf einmal angenommen hatte, und das die Aufmerksamkeit aller im entsprechenden Grade erregte.

»Es ist nicht der offene Krieg, den der Pöbel gegen die geheiligten Rechte Seiner Majestät wagt,« fuhr er fort, »der uns erschreckt. Wir achten diesen Pöbel nicht höher, als wir eine willenlose Masse unvernünftiger Geschöpfe achten, die wir bedauern, indem wir sie züchtigen. Aber es ist der belebende Geist, der fressende Geist, durch den sie Nahrung erhält, der sie furchtbar macht; es ist das Kalt- und Kühlewerden im allerhöchsten Interesse, das Lauwerden derjenigen, die sich so eminenter Gnadenbeweise Seiner Majestät und ihrer glorreichen Vorfahren erfreuen, – dieser Strom der Verderbnis, verbunden mit dem unseligen Zeitgeist, ist es, der auch in unserer Schar ausbricht, welche uns zittern macht für die Wohlfahrt des uns anvertrauten Reiches. Daß unsere eigenen Freunde den Thron untergraben, für den wir so rastlos arbeiten, das betrübt uns. Längst würde die Brut der Empörer vertilgt worden sein, wären nicht von geheiligten Interessen abgefallen oder lau geworden diejenigen, auf die der Thron zu zählen das Recht zu haben glaubte, suchten sie nicht selbst, aus unserer Verlegenheit schnöden Gewinn zu ziehen. Ah, Conde de San Jago!« seufzte er, wie sich vergessend.

»Conde de San Jago!« riefen mehrere wie erstaunt, »der Grande von Mexiko, dessen Loyalität bisher so glänzend geschienen?«

»Entsetzlich!« stöhnten andere.

»Werden Sie es glauben, Señorias,« fuhr der Virey fort, »daß wir auf unser Ansuchen um drei Millionen Escudos an das Consulado und die Nobilitad, auf dieses unser Ansuchen durch unsere Kommissarien, auf das schnödeste verhöhnt, und die Kommission selbst zurückgesandt wurde, von dem Conde de San Jago zurückgesandt wurde?«

» Perdón Excelentísimo Señor!« fiel ihm der Chef des Consulado ein, »der Conde de San Jago, weit entfernt – –«

»Ah, wo sind jene Zeiten,« unterbrach ihn der Vizekönig, »jene Zeiten, wo ein Conde Regla Millionen seinem allergnädigsten Herrn zu Füßen legte, wo ein Marquis de Jaral seine ganze Habe willig darbot, wo ein Conde de Fagoaga, ein Marquis de Vibanco –« Er hielt inne. »Aber«, fuhr er scharf und eindringlich fort, »wir dürfen uns auch nicht wundern über den so sehr ausgearteten Geist der kreolischen Nobilitad, wo unsere Landsleute, Spanier, und zwar besonders begünstigte Spanier, deren Begünstigung, gestehen wir es nur, größtenteils an der unseligen Empörung schuld ist, ihr Interesse so sehr verkannt haben, daß sie im Angesichte dieser Nobilitad nicht nur die schuldige Achtung gegen die hohe königliche Regierung verletzten, sondern sich auch in Erörterungen über den Zustand des Landes einließen, seine Einnahmen, Ausgaben, Sendungen von Barschaft in die Madre Patria auf eine Weise kritisierten, die, zum mindesten gesagt, an das Verbrechen revelaciones – Leyes de las Indias, tomo III, Index VII, Cap. XXIV.« – Er hielt inne.

Der Mann sprach wirklich so meisterhaft, repräsentierte den gekränkten loyalen Diener und Stellvertreter seines Königs auf eine so unübertreffliche Weise, wußte seinem Gesichte einen so schmerzhaften Ausdruck zu geben, daß, während er gesprochen, die Blicke aller mit Unwillen auf den Chef des Consulado sich hefteten.

Die Wahrheit zu gestehen, so waren die Bemerkungen des Satrapen nicht ohne Grund; denn wenn Mexiko dem Mutterlande Spanien das Mittel war, durch welches es sich in den Stand gesetzt sah, in seiner träg-mönchischen Grandezza vor den Augen der Welt einherzuprunken, und sich zugleich einer Anzahl ebenso träger, hoher und niedriger, geistlicher und weltlicher Müßiggänger zu entledigen, die es als Beamte, Handelsleute oder Priester in das Land sandte, um es in seinem Namen zu regieren oder vielmehr auszubeuten, so konnte man diese sechzigtausend in Mexiko lebenden Spanier wieder mit eben so vielem Rechte als eben so viele Agenten des Mutterlandes betrachten, so innig zur Aufrechterhaltung der Interessen desselben verbunden, als es nur die Agenten jener irischen Absentee-Lords sein können, welche in der grünen Insel die Millionen aufzubringen die würdige Aufgabe haben, die die edlen Lords mit so vielem Anstande im alten lieben England zu verzehren sich herablassen. Und in dieser Koalition der drei mächtigsten Interessen, der geistlichen, der weltlichen Regierung und des Handelsstandes, basiert, wie sie war, auf brutale Gewalt, war auch das Geheimnis der Stärke und der Dauer der spanischen Zwingherrschaft selbst gelegen. Schon um dieser Ursache willen hätte eine Koalition, die Zeit und Gewohnheit gereift und bewährt hatten, und die den Interessenten selbst so ungeheure Vorteile gebracht, nicht leichtsinnig gebrochen werden sollen; denn daß der spanische Handelsstand im Grunde der begünstigtste der drei Stände war, glauben wir kaum nötig, denjenigen unserer Leser zu bemerken, welche die furchtbaren Strafgesetze kennen, die diesem Stande alle Betriebsamkeit des Landes zur Willkür stellten. – Allein, was würde aus den Völkern, wenn die Leidenschaften der herrschenden Parteien nicht stärker als ihr berechnender Scharfsinn wären? – Dieser Handelsstand Mexikos, durch Monopole verzogen, aber in der gegenwärtigen verhängnisvollen Zeit durch den Bürgerkrieg leidend, hatte in seiner Erbitterung gegen eine Regierung, die seinen Interessen nicht all den Schutz angedeihen ließ, zu dem er sich berechtigt glaubte, die bisher genossenen Begünstigungen um so leichter vergessen, als er wirklich durch die zwecklosen Grausamkeiten der spanisch-mexikanischen Generale und Soldadesca ungeheure Verluste zu derselben Zeit erlitten, wo die hohen Staatsdiener, über die Dauer ihrer Gewalt beunruhigt, ihre eigene Bereicherung nicht versäumt hatten. Es war weniger der Krieg, als die schreckliche Unordnung, in einem Lande, wo sich jeder nur so schnell als möglich zu bereichern suchte, welche die Finanzen während der achtzehn Monate des Revolutionskampfes bereits in einen so mißlichen Zustand versetzt, und nicht nur die ungeheuern Vorräte an Silber, die Stiftungen und Kapitalien der Geistlichkeit und Bergwerksassoziation, sondern auch ihre außerordentlichen Beiträge, mit den Einkünften des Landes, verschlungen hatte. Alles dies hatte den gewaltigen Mann, der an der Spitze des Reiches stand, zu einem Schritte veranlaßt, der schon für so manche despotische Regierung zur unheilbringenden Klippe geworden war – einer Anleihe – die, mit wahrhaft diplomatischer Treulosigkeit vorgeschlagen, natürlich fehlschlagen mußte.

Übrigens schien der Staatsmann nicht so sehr das Fehlschlagen seines Anschlages auf die Silberbarren des Consulado und der Nobilitad, als die Blöße, die er sich gegeben, und das verletzte Ansehen der Majestät und ihres Statthalters zu bedauern. Jedoch weit entfernt, nach dieser eindringlichen Vorstellung seinen ernst gewordenen Ton beizubehalten, wandte er sich wieder mit einer so süßen Miene an denselben Chef des Consulado, und überschüttete ihn wieder mit so vielen Komplimenten, und hoffte so zuversichtlich, daß der aufgeklärte und patriotische Körper, dem er vorstände, seinen Mißgriff, und das böse Beispiel, das er den Kreolen gegeben, verbessern würde, daß die Gesellschaft in kurzem wieder in eine heitere und gefälligere Stimmung versetzt wurde. Die Ankunft eines Flügeladjutanten, der nun eintrat, unterbrach die Suade des hohen Mannes. Die Botschaft, die er brachte, mußte von hoher Wichtigkeit sein; denn der Gebieter erhob sich ungemein schnell, und verließ mit der kurzen Entschuldigung den Salon, daß der Dienst Seiner Majestät dringlich seine Gegenwart erheische.

Der Hofmann war kaum ausgetreten, als der Erzbischof und die übrigen Gäste in die unbegrenztesten Lobeserhebungen der Exzellenz ausbrachen, durchwoben mit eben nicht sehr gemessenen Mißbilligungen über das Benehmen der Nobilitad, die es wagen konnte, sich zu erkühnen, einen so gnädigen Herrn zu kränken. Dies gab natürlich wieder Gelegenheit, auf das namenlose Glück zurückzukommen, das dem Lande durch die Gegenwart eines so weisen und gemäßigten Chefs zuteil geworden, und der so herrliche Grundsätze der Ordnung im Auge, und von so vortrefflichen Gesinnungen für Seine Majestät und Dero allerhöchstes Haus und die wahre allein seligmachende Kirche beseelt sei. Alle waren in Begeisterung geraten, und die Señora Vireyna horchte, in stiller Verzückung und mit einem gnädigen Lächeln um die etwas niederhängende Unterlippe, den untertänig gespendeten Lobpreisungen, wie eine, die sich bewußt ist, daß auch sie als eine der Hauptquellen des außerordentlichen Heiles, die dem Lande ihre Segnungen zuströmen, betrachtet werden könne.

Da diese enthusiastischen Herzensergießungen jedoch wahrscheinlich für unsere Leser nicht ganz dasselbe Interesse haben werden wie für die gute, aber etwas schwache Vizekönigin, so versetzen wir uns einstweilen in das Kabinett, wohin sich die drei jungen Damen in Begleitung ihres Paladin zurückgezogen haben.


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