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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Welch böser Streich, daß wir von hinnen mußten,
Wie? oder war's zum Glücke?

Shakespeare.

Die Kavaliere mit ihren Dienern waren unterdessen an die Hügelkette herangekommen, die, soweit das Auge reichen konnte, mit Leperos übersät war. Der unleidliche Gestank, den der Luftzug den Herannahenden entgegenbrachte, mochte nicht wenig zur Eile beitragen, mit welcher sie sich den dichteren Haufen nun näherten. Auf dem Rücken des Hügels sah man einige der jüngeren Guachindangos noch immer dem Zambo auf der Ferse, der, bald sich nähernd, bald wieder auf die Spitze des Hügels retirierend, mit den Haufen seinen Scherz treiben zu wollen schien; er hatte jedoch kaum die Kavaliere unter der Hügelkette ersehen, als er auf diese in gewaltigen Sätzen zuzuspringen begann. Seine Annäherung war ein Zeichen zum allgemeinen Aufstande geworden; einige der Behendesten unter den jüngern Indianern trieben ihn mitten in den Knäuel, wo ihn derselbe alte riesige Indianer, der seine Leidensgenossen mit der Predigt des Padre Hippolito erbaut, mit beiden Händen bei seinem Wollschopfe ergriff, ihn eine Weile zappelnd emporhielt und dann den Hügel auf eine Weise hinabschleuderte, die jeden andern als einen schwarzen Hirnschädel in tausend Stücke zerschellt haben würde, beim Zambo jedoch nichts weiter bewirkte, als daß er, sowie er sich auf festem Grunde fühlte, mit beiden Füßen zugleich aufsprang, die Zigarre, die ihm aus dem Munde gefallen war, aufraffte und mit gellender Stimme schrie: » Yo soy Caballero, vosotros gente irracional y miserable!« Ich bin ein Kavalier, ihr unvernünftiges Volk. Zugleich begleitete er diese Worte mit einer Gestikulation, die seine Verachtung noch deutlicher an den Tag legen sollte, und sprang dann hinter die Kavaliere, die dicht vor dem Hügel angekommen waren und sich nun auf einmal mitten in einem Gedränge befanden, das, zum mindesten gesagt, einen nichts weniger als pittoresken Anblick darbot.

» Qué es esto?« fragte der Oberst ruhig die nächsten Leperos.

» Al Diablo«, fielen ihm seine Begleiter ein, einen Augenblick den Respekt gegen einen Caballero des höchsten Ranges vergessend. »Señor, um der Jungfrau willen! Glauben Sie, Sie sind an der Spitze Ihres Regimentes? Fort, fort, so schnell Sie die vier Beine Ihres Rosses tragen können!«

»Fort, fort! Das sage ich auch«, kreischte der ältere Pinto. »Fort von hier, Bajados del cielo á pedradas. Aunque la mona se vista de seda, la mona mona se queda Die auf die Erde herabsteigen, weil sie vom Himmel herab gesteinigt wurden.. Der Affe, wenn auch in Seide gekleidet, bleibt doch immer Affe. Der Affe, wenn auch in Seide gekleidet, bleibt doch Affe Das unvernünftige Volk bleibt unvernünftig. Charakteristisch für die Geschichte dieser Epoche ist der Umstand, daß das Consulado von Mexiko, das mit sehr wenigen Ausnahmen aus geborenen Spaniern bestand, es wirklich wagte, ein Manifest zu publizieren, das in die Hofzeitung aufgenommen wurde, und in welchem behauptet wurde, daß die Amerikaner ein Affengeschlecht wären, ganz Laster und Unwissenheit, Automaten, die nicht wert seien, zu einer Volksversammlung zugelassen oder in einer solchen vertreten zu werden. Was aber das Merkwürdigste ist, so gab dieses Dokument Veranlassung zu Debatten in den Cortes, in welchen die Amerikaner nicht weniger schlimm wegkamen. Siehe Diario de las Cortes 1811.. Es sind ruhige Leute, Señoria, wohlverstanden, wenn sie nämlich nicht unruhig sind; aber sie haben ihren Sporn zuweilen. Sehen Sie nur, wie sie Sie anstarren, wie ihre Augen glotzen. – Fort, um der heiligen Jungfrau und aller hundertundfünfzigtausend Teufel willen! Bedenken Sie wohl, was das sehr achtbare Consulado, dessen Mitglied wir sind, vor noch nicht vierundzwanzig Monden erlassen; nämlich, daß alle in Mexiko Geborenen, kurz, alle Amerikaner pure Affen und – Autómata, und nichts mehr sind.«

Die Leperos waren seltsam anzuschauen. Die Mehrzahl stierte die Edelleute mit glotzenden Blicken an, die ihnen wirklich das Ansehen einer Herde Affen gab, die plötzlich in ihrem Zeitvertreibe irre gemacht werden. Es schien, als ob die unvorhergesehene Dazwischenkunft der ebenso gehaßten als gefürchteten Gachupins, die sie mit eben dem Schreck zu betrachten gewohnt waren, mit dem der russische Leibeigene seinen Bojaren herannahen sieht – sie mitten in ihrem instinktartigen Drange zum Halt gebracht habe; doch dauerte dieser plötzliche Stillstand nicht lange, und sowie die starren Augäpfel in ihren Kreisen sich zu bewegen anfingen, sah man auch die stumpfsinnig schlaffen Muskeln sich spannen, ihre Gesichtszüge belebt werden und die fingerdicken Adern ihrer nackten, häßlichen Glieder schwellen! Das dumpfe Gemurmel, das einer Brandung gleich sich erhob, wurde jede Sekunde drohender, heulender, und verriet einen jener fürchterlichen Ausbrüche indianischer Wut, die dieser Rasse so eigentümlich sind; denn so friedfertig dieses armselige Bettlergeschlecht im ganzen genannt werden kann, so daß es Tage, ja Wochen lang an einem und demselben Platze gleichsam wie angefesselt liegt, ohne ein Glied zu regen oder zu bewegen, so gibt es wieder Momente, wo es nur der leisesten Anregung bedarf, um sie in die fürchterlichste Wut zu versetzen.

Die spanischen Offiziere hatten diese stufenweisen und doch wieder ungemein schnell sich entwickelnden Symptome indianischen Sturmes mit Staunen bemerkt; aber unfähig, auch nur einen Schritt vorwärts zu tun, hielten sie wie festgebannt vor und unter dem Hügel.

Eine Stimme schrie: »Ahuitzote! Ahuitzote!« und dieser Ausruf gab der Wut des ganzen Haufens plötzlich eine bestimmte Richtung. Tausend Hände senkten sich auf einmal und griffen nach Lavaschlacken, als eine gewaltige Rakete mit starkem Gekrache in die Luft schwirrte und die Indianer mit weit aufgerissenen Augen diesem halben Miraculo nachstarren machte. Das Ahuitzote und der Gachupin waren vergessen und tausend Stimmen brachen in das wütendste Jubelgeschrei aus und riefen: » Ahora, Ahora!« Als jedoch keine zweite folgte, schleuderten sie einen Hagel von Steinen den Hügel hinab, der erst aufhörte, als das Zetergeschrei ihrer unten stehenden Weiber und Kinder die armen Leperos belehrte, daß sie ihr eigen Fleisch und Blut zur Zielscheibe ihrer Wut gemacht hatten.

Die Reiter waren unterdessen verschwunden. Die plötzlich und so ganz zu rechter Zeit von einer unsichtbaren Hand losgebrannte Rakete hatte nämlich ihre Pferde sich bäumen und dann wild durch und über die Leperos setzen gemacht. Die ganze Truppe war in Schrecken und Entsetzen auf der Straße fortgeflogen; erst als das nachhallende Geheul der Leperos schwächer und schwächer wurde, hielten die zwei Offiziere an und mit ihnen der alte Señor Pinto.

» Alabada sea la Santísima Madre!« Die heiligste Jungfrau sei gelobt. kreischte der Hidalgo. »Aber, Señoria! Wenn nicht dreißigtausend Teufel in diese Gergesener, salve venia, mit Respekt zu melden, Señoria, Säue eingefahren sind, so will Señor Abásalo Pinto Sancho Panza heißen.«

Indem der Mann so sprach, schlug er das Kreuz, küßte den Daumen und rief: »Jesu! Jesu!«

»Bei meiner Ehre! Sie haben einen!« rief der ältere Stabsoffizier, »ohne daß wir deshalb den sehr achtbaren Señor Pinto für den Caballero de la Mancha zu halten gedenken.«

Wirklich hatte sich, lächerlich genug, der Zambo auf den äußersten Rücken des Maultieres unseres Don Agustin Abásalo Pinto versetzt und sich an den Cortéssattel angeklammert.

» Al diablo!« schrie der Hidalgo und gleich darauf wieder: »Jesu! Jesu! Wie kommst du hierher? Que te lleven todos los Demonios de los diez a siete infiernos! So mögen dich alle Teufel der siebzehn Höllen holen. Mutter der Gnaden! Hat ein viejo Cristiano so etwas gesehen! Ein gente irracional, ein stinkender Hund von Chino, auf dem Mulo eines spanischen Caballero, eines Gliedes des Consulado, dessen Ahnen die Schlacht von Ronceval geschlagen!«

Indem der Mann so abwechselnd fluchte und polterte, machte er jedesmal das Zeichen des Kreuzes, küßte den Daumen und murmelte den Namen Jesu.

Die sonderbare Andachtsübung des Spaniers, verbunden mit seiner Beweglichkeit und dem Zappeln seines dürren Gebeins auf dem hohen, schweißtriefenden Maultiere war so komisch, daß die sämtliche Gesellschaft in ein lautes Gelächter ausbrach; doch der Hidalgo schien nicht der Mann zu sein, eine solche Kurzweil auf seine Unkosten zu erlauben oder die entehrende Nachbarschaft länger zu dulden; eine Pistole aus der Halfter reißend, brachte er diese dem funkelnden Auge des Zambos so nahe, daß dieser wie ein Sack vom Rücken des Tieres fiel, sogleich aber wieder auf die Füße sprang, um, wie seine Richtung andeutete, das Weite zu suchen, als ihn das donnernde Halt des Oberst, der ihm mit einem Satze zur Seite war, zum Stehen brachte.

»Was soll das?« fragte dieser im strengen Tone.

» Misericordia, Señoria!« heulte der Jambo, » Misericordia, Señoria! Wären ich und meine Rakete nicht gewesen, so lägen nun fünf so edle Caballeros, als je die Ajotlastraße ritten, unter einem Steinhaufen, der zwar nicht so hoch wie die Teocalli Die mexikanischen Pyramiden in der Nähe von Cholula. von Cholula, aber hinlänglich hoch wären, um ihnen die Luftröhre zuzuschnüren, und wenn sie eine hätten wie der Norte Nordwind ist sehr stürmisch.

»Spare deinen Witz, Neger«, sprach der Oberst gebieterisch, »und antworte auf meine Frage. Was soll der Auszug der Leperos, dieser Aufstand? Was das ganze?«

»Neger?« versetzte der Zambo unwillig. »Wenn Sie fragen, Señoria, so könnten Sie fragen, wie ein Caballero den andern. Was diese Leperos betrifft, die sich wie eine Herde roter Ochsen hingelagert haben, nur daß sie mehr stinken und ungenießbar sind, so mag Señor Pinto recht haben, wenn er meint, daß eine Rotte Teufel unter sie gefahren ist; denn sonst würden sie nicht getan haben, was sie taten.«

»Und was taten sie?« fragte der Oberst.

»Was sie taten? A todos los diablos! Was sie taten? Mögen sie alle Höllenhunde und Katzen zerreißen! Meine Banda, von der großmögenden Audienz ausgestellt und von Sr. Exzellenz dem Virey eigenhändig unterzeichnet, haben sie zerrissen. Darauf stand schwarz auf weiß: Que se tenga por blanco á Isidro Casio!«

»Bah,« rief der Oberst, »daß du Isidro Casio dich für einen Weißen halten mögest.«

Der Zambo sah den Oberst mit weit aufgerissenen Augen an. »Bah, sagen Sie, Señoria!« schrie er grinsend und zähnefletschend. »Bah, sagen Sie, wenn diese Rebellen mein Diplom zerrissen, das mich netto dreihundert Duros gekostet und für welches Zerreißen sie alle Dreißigtausend gehängt werden sollen! Die Cabecillas sagen auch Bah.«

Der alte Spanier nickte dem Neger seinen ganzen Beifall zu.

»Beantworte mir meine Frage«, rief der Oberst, »oder« – er hob die flache Klinge seines gezogenen Degens.

»Perdon, Señoria,« fiel ihm der alte Spanier ein, »Eure Herrlichkeit sind erst seit acht Tagen in Mexikos Hauptstadt und erst seit wenigen Monaten im Lande und können also die Weisheit unserer Regierung und die Gnade, die sie diesem Manne angedeihen ließ, nicht ganz ermessen. Sehen, Señoria, so wie es Stufen unter den Engeln gibt, die eigentlichen Beamteten des Himmlichen Reiches – Cherubims, Seraphims und so fort – so gibt es auch neun Stufen und Abarten unter den getreuen Untertanen Sr. Majestät in Mexiko, als da sind die gente irracional oder das unvernünftige Volk, wie die Indianer heißen, und von denen unsere aufgeklärtesten Gottesgelehrten und, wie wir bereits gesagt, selbst das hochachtbare Consulado, dessen Mitglied wir zu sein die Ehre haben, noch immer zweifeln, ob sie wirklich Menschen und nicht vielmehr sprachbegabte Affen sind, die deshalb auch Tributo bezahlen müssen und ganz wie unvernünftige Tiere behandelt werden. Auf einer gleichen Rangstufe stehen die Negros oder Neger; dann kommen die Metis oder Mestizen, das heißt, Kinder von Müttern, die sich mit weißen Vätern fleischlich bemakelt haben, und die deshalb auf einen Gran Vernunft Anspruch machen dürfen, obwohl sie aller bürgerlichen Ehren bar und ledig sind. Auf einer gleichen Rangstufe oder Parallele stehen die Zambos oder, wie sie auch genannt werden, Chinos; ja noch etwas niedriger; daher scheint es mir hier eine Bewandtnis zu haben, in die einzudringen nicht ganz rätlich sein dürfte, da dieser Zambo, wie bemerkt, das seltene Privilegium erlangt, sich für einen Weißen halten zu dürfen.«

»Aber zu allen Teufeln, er ist ja rabenschwarz, und dies beantwortet doch unsere Frage nicht«, versetzte der Oberst etwas ungeduldig.

»Wohl, jawohl, nur Geduld«, nahm wieder der Spanier das Wort, der in demselben trockenen Präzeptortone fortfuhr. »Wie bemerkt, so wird dieses Privilegium erst Cuarterones erteilt, das heißt Farbigen, deren Mütter nicht nur, sondern auch Großmütter sich mit Caballeros fleischlich bemakelt haben, und noch mehr Quinterones, deren Mütter und Großmütter nicht nur, sondern auch Urgroßmütter sich fleischlich bemakelt haben, versteht sich immer, mit Blancos oder Caballeros.«

»So möge der Teufel die Cuarterones und Quinterones und ihre bemakelten Großmütter und Urgroßmütter holen!« versetzte der Oberst, der, während er dem langweiligen Kastilianer zugehört und seinem heransprengenden Neffen zugesehen, einen Augenblick den Zambo aus den Augen gelassen, den dieser benutzte, um das Fersengeld zu geben.

»Dieses Blatt oder vielmehr Diplom bedeutet nun,« fuhr der beharrliche Spanier fort, »daß dieser Neger Gnade in den Augen der Audiencia gefunden und gegen die Erlegung von dreihundert Piastern der seltenen Huld teilhaftig geworden, sich selbst für einen Weißen zu halten.«

»Und die unzeremoniöse Weise, in der die Leperos ihn den Hügel hinabgeworfen haben,« fiel lachend der junge Pinto ein, »bedeutet, daß das unvernünftige Volk einmal mehr Vernunft gehabt, als – ei, sie haben dem Ermessen der hohen Audiencia die Gerechtigkeit widerfahren lassen, die die Krähen ihrem Kompagnon angedeihen ließen, der sich mit den Pfauenfedern geschmückt.«

»Sie sind auf Ehre wunderbar belesen, Señor Pinto«, sprach der Oberst zu dem Kreolen, mit einem Anklange von Verachtung und einer Bewegung, die den jungen Naseweis in den Rücken zu versetzen gemeint war; aber mitten in dieser Bewegung hielt der Oberst plötzlich inne. Es war etwas so Simples, Einfältiges und wieder hohnlachend Tückisches in die jugendlichen Züge des Kreolen getreten, eine so tief liegende grausame Lust und List, die den Stabsoffizier ungemein ernst machten.

»Sie waren der letzte bei den Leperos?« fragte der Oberst. »Was für eine Bewandtnis hat es mit ihrem Auszuge?«

»Fragen Eure Herrlichkeit sie selbst,« erwiderte der Jüngling trotzig, »und wenn Sie eine Antwort erhalten, so sind Sie mehr als die Pythia des olympischen Dreifußes.«

»Kleinstädtischer Narr!« murmelte der Oberst, dem jungen Manne den Rücken kehrend und sich zum Major wendend. »Señor Arias,« sprach er zu diesem, »eilen Sie in den Palast und statten Sie Bericht von unserer Untersuchung ab und von dem, was Sie soeben gesehen. Sie treffen mich«, er deutete auf das Schloß von Capultepec. »Bei meiner Ehre,« fügte er in leiserem Tone hinzu, »es mag einem bange werden unter diesen geheimnisvoll tuenden Narren, oder es gibt Dinge in diesem Lande, die unserer Philosophie spotten.«

»Nehmen Sie mich mit, Señoria«, rief der kecke Kreole. »Vielleicht können wir in einigem zu etwas dienen.«

»Sie?« rief der Oberst verwundert.

»Du?« kopfschüttelnd der Onkel. »Gib acht, daß sie dir nicht einmal im Palaste ein Kämmerchen anweisen.«

»Nicht heute, nicht morgen, nicht übermorgen«, lachte der Señor. »Adios, Señores!« Und mit diesen Worten galoppierte er mit dem Major fort, und die übrigen setzten sich gleichfalls in raschere Bewegung.

 

Ein Spazierritt durch die herrlichen, breiten Straßen Mexikos, im Angesichte der prachtvollen Cordilleras und der mit ewigem Schnee bedeckten Kuppen des Itztaccihuatl und Popocatepetl, kann zu allen Zeiten einer der schönsten Genüsse genannt werden; für die Spanier der damaligen Zeit war er aber zugleich einer der erhabensten, die es für individuellen Nationalstolz nur immer geben konnte. Selbst der Römer in den glänzendsten Tagen seiner Republik war nicht mehr Herr in den durch die Gewalt seiner Waffen bezwungenen Provinzen gewesen, als es der Spanier während seiner amerikanischen Herrschaft in Mexiko war. Er nannte es sein, und es war sein, sein durch die Gewalt der Waffen, sein durch die in den Augen der Menge heiligende Gewohnheit und Verjährung, die ihm seine Bewohner seit dreihundert Jahren auf eine Weise untertänig gemacht hatte, von der nur diejenigen sich einen schwachen Begriff zu machen imstande sind, die den Zustand ihres eigenen Landes unter englischer Herrschaft kannten und das vornehme Herabsehen dieser Inselbewohner auf die damaligen Kolonisten mit ansehen oder ertragen mußten. Doch selbst diese können, wie gesagt, nur eine schwache Idee von dem spanischen Stolze in Mexiko haben; denn wenn beide Nationen gleich verächtlich, gleich hohnlachend auf ihre überseeischen Kolonisten herabzusehen und diese für eine untergeordnete Menschenklasse schon deshalb anzusehen geneigt waren, weil die Väter derselben großenteils bloß den Mittel- und unteren Volksklassen entsprossen waren, so hatte wieder der nationale englische Stolz im amerikanischen Selbstbewußtsein schon frühzeitig jenes Gegengewicht gefunden, dessen Mangel den kreolischen Mexikaner gänzlich darniederdrücken mußte.

Der freie Brite, der sich in der amerikanischen Wildnis, größere Freiheit suchend, niedergelassen, und diese unter rastlosen Kämpfen im Schweiße seines Angesichts zum Sitze der Kultur umgeschaffen hatte, mußte, selbst abgesehen von den freisinnigeren Institutionen, die er mitgebracht und die ihn vor brutaler Anmaßung schützten, schon jene Achtung einflößen, die selbst vom Übermütigsten der Tatkraft nie versagt wird, und die aus denselben Gründen den in üppigen Lebensgenüssen versunkenen Nachkommen der spanischen Kolonisten in Mexiko, die da ernteten, wo sie nicht gesäet hatten, natürlicherweise entzogen ward. Diesen Unterschied der Art und Weise der ursprünglichen europäischen Ansiedelung in den beiden Ländern dürfen wir nie und nirgends übersehen, da er die Grundursache der verschiedenartigen Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse wurde. Der spanische Kolonist war gekommen, um in die reichen Erwerbsquellen einer bürgerlichen Gesellschaft einzutreten, die seine Landsleute zerstört hatten, und deren Trümmer seiner Trägheit so lange frönen mußten, bis er seine Habgier befriedigt und mit den gesammelten Reichtümern in seine Heimat zurückkehren konnte. Der größte Teil der Einwanderer in Mexiko waren unbeweibte Abenteurer im schlimmsten Sinne des Wortes gewesen, von denen die Mehrzahl wieder in die Madre Patria zurückgekehrt, und die Zurückgebliebenen sich häufig mit der indianischen Bevölkerung vermischten. Natürlich blickte der auf die Reinheit seines Geblütes so stolze Spanier mit nichts weniger als Achtung auf eine Menschenklasse herab, der die erste und wichtigste Bedingung zu einem sogenannten viejo Cristiano fehlte, und die er gewissermaßen als tributär mitbetrachtete. So ungerecht eine solche Denkweise um so mehr genannt werden konnte, als die spanische Regierung durch ihre eigene grausame, hinterlistige Politik einen solchen Gang der Dinge herbeigeführt hatte, so war sie doch in der Art herrschend geworden, daß ungeachtet der dem Gesetze nach bestehenden Gleichheit zwischen geborenen Spaniern und Kreolen, die letzteren nicht nur nie zu einem Amte gelangen konnten, sondern daß erstere sich mehr als Herren und Besitzer des kreolischen Privateigentums ansahen als die besitzenden Kreolen selbst, und der unbedeutendste Abenteurer, der in Lumpen auf den Werften von Veracruz landete, mit Stolz auf den angesehensten Kreolen herabsah, in dem er nichts als einen Usurpator der Reichtümer eines Landes sah, das Cortez für ihn erobert, und in dem er früher oder später eine bedeutende Stelle einzunehmen gewiß war.

»Señoria,« sprach der alte Spanier, und seine kleinen funkelnden Augen rollten wie feurige Kugeln unter den grauen buschigen Wimpern, als sie die prachtvolle Tacubastraße hinabritten, »schlägt Ihr Herz nicht lauter? Im alten Kastilien«, sprach er leiser, »ist der König Herr; hier sind wir es.«

Des Obersts Blick hatte bei ihrem Eintritte gleichfalls einen stolzeren Ausdruck angenommen, und indem er den Zügel seines feurigen Andalusiers stärker anzog, schien er ähnlichen Empfindungen Raum geben zu wollen. Herren und Diener ritten rasch in die prachtvolle Straße ein und diese hinab; doch die ganze Straße war leer und öde, und die gänzliche Abwesenheit aller Menschen, selbst aller lebenden Geschöpfe und der Abzeichen von Verkehr, war auffallend; sie lag wie ausgestorben; die ganze Bevölkerung schien geflohen zu sein.

»Aber wo sind die Menschen?« fragte der Oberst.

»Sehen Sie, Señoria,« versetzte der Hidalgo lächelnd, indem er auf ein Pikett Soldaten deutete, das an der Ecke der Straße aufgestellt war, »man ist vorsichtig; auf der Plaza Mayor, höre ich, sind Kanonen aufgestellt und Artilleristen mit brennenden Lunten.«

»Aber die Leute?« fragte der Oberst.

»Ei, das ist immer so an Vormittagen,« versetzte der Spanier, »ausgenommen am frühen Morgen und an Markt- und Besamanostagen. Mexiko, müssen Señoria wissen, ist der Sitz des Hofstaates, und es ist heilsam, sagt unser hochherrlicher Bruder, der Oidor, daß es zwischen Sümpfe eingezwängt ist, obwohl unsere Maultiere während der estación de las aguas auf den Dämmen heillos mitgenommen werden. Aber als Hofstadt, sagt unser Bruder, der sehr achtbare Oidor der hohen Audiencia –«

»Der mit dem Könige und dem Rate beider Indien zu korrespondieren das unschätzbare Glück hat«, bemerkte der Oberst.

»Ebenso«, fuhr der Oidor fort, »unser sehr achtbarer Bruder versichert, daß es vom großen Marquis weise gewesen sei, die Hauptstadt in diesem Tale anzulegen und sie so einigermaßen dem Handel zu entrücken, da es sich nicht geziemen würde, daß der Abglanz des Hofes Sr. Majestät durch das Treiben und Gedränge der Menge verdunkelt oder gewissermaßen in den Hintergrund gestellt würde.«

»Sehr weise«, bemerkte der Oberst.

»Am Morgen«, fuhr der alte Hidalgo fort, »sehen Sie niemanden als Topedas, das heißt, Damen, die der Messe und gewisser anderer Dinge wegen ausgehen. Ah, Señoria, die Topedas!« lächelte der alte Mann; »aber, Señoria,« fuhr er fort, »glauben Sie nicht, daß Belzebub oder Satan, ich entsinne mich nicht, welcher es war, der unseren Herrn versuchte und ihm alle Reiche der Welt zeigte, ihn auf die Cordilleras des Tales von Mexiko, und zwar den Itztaccihuatl, gebracht haben müsse?«

»Da würden aber beide gefroren haben,« meinte der Oberst, »denn der ist mit ewigem Schnee bedeckt. Zudem, der Popocatepetl wäre noch um einige tausend Fuß höher.«

»Bei meiner Ehre, das ist seltsam«, brummte der Spanier, der den Scherz überhört hatte. »Alles wie ausgestorben; das bedeutet etwas. Sehen Sie nur, Señoria! Ah, dieser Gavacho, er wußte – glauben Sie nur, er wußte – würde er wohl sonst so gesprochen haben? Ich sage Ihnen, die Criollos führen etwas im Schilde.«

Der alte Spanier war wieder unruhig geworden; er fuhr auf seinem Sattel unmutig umher, und seine unzusammenhängenden Ejakulationen begannen den Oberst sichtlich zu ermüden.

»Sehen Sie hinab, schauen Sie!« rief er. »Die ganze schöne Welt Mexikos, da ist sie – das bedeutet etwas.«

»Wahrscheinlich, daß die Leute frische Luft schöpfen wollen«, versetzte der Offizier.

»Frische Luft schöpfen, um zehn Uhr morgens? Wer hat je einen Spanier frische Luft schöpfen gesehen seit der Cantabrier Zeiten?« grollte der alte Hidalgo. »Und wenn Spanier es nicht tun und es nicht getan haben, was brauchen Criollos frische Luft zu schöpfen? Was haben sie überhaupt morgens außer Hause zu tun? Ausgenommen um in die Kirche oder Topedas zu gehen, wie es guten Christinnen geziemt.«

»Also Topedasgehen gehört auch unter die Pflichten guter Christinnen?« lachte der Oberst.

»Allerdings«, sprach der Hidalgo; »es ist eine alte Sitte, und alte Sitten, sagt unser Sprichwort, sind köstlicher denn alter Wein; denn sie verschaffen uns Wein, bemerkt unser sehr achtbarer Bruder, der Oidor. Es ist zugleich der Tribut,« fuhr er hastig fort, »den diese Damen uns, den Herren der Welt, bringen; und darum soll sie erhalten werden, diese Sitte, wie sie erhalten worden seit Jahrhunderten. Ah, Señoria! Noch vor zwei Jahren konnten Sie jeden Morgen Hunderte, ja Tausende von Topedas sehen; man brauchte nur zu wählen.«


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