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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Vielleicht wird's ein Gesang,
Vielleicht auch eine Predigt.

Burns.

Scheint es doch, als ob gedrückte Völker, gleich gedrückten Menschen, jenen Ahnungen unterworfen wären, die ihnen in ihrem stumpfsinnigen Zustande ihr Geschick in dunkeln Bildern aufschließen, und daß der vampirartige Druck, indem er die Zirkulation der Geisteskräfte hemmt und so diese selbst ins Stocken bringt, ganze Völker den Tieren nähere und in ihnen den witternden Instinkt erzeuge, der sie gewissermaßen für die höhere Erkenntnis freierer, bürgerlicher Gesellschaften schadlos hält. Es kommt ein trübes, aber stark hervortretendes Gefühl wie auf den Fittichen der Windsbraut über sie, man weiß nicht wie, setzt sich in den rohen Gemütern fest, man begreift nicht warum, spricht zu ihnen mit einer warnend flüsternden Stimme, zieht sie, der Gewalt und des gesunden Menschenverstandes spottend, mit sich fort, so unwiderstehlich, als wäre es die Stimme jenes eisernen Schicksals, von dem die Alten so viel gefabelt haben und die Neueren zu fabeln fortfahren. Es ist dieses eine merkwürdige psychologische Erscheinung, die sich häufig unter der indianischen Bevölkerung der Spanien unterworfenen Länder gezeigt, und die zu der Zeit, in welcher unsere Geschichte vorgeht, mehr als einmal die Berechnungen der weisesten Köpfe irregeleitet hat.

So hatte der Morgen des neunten Februars kaum heraufgegraut, als die ganze ungeheure Masse jener elenden Geschöpfe, die unter dem Namen Leperos Leperos. Diese über alle Begriffe elende Menschenklasse besteht zum Teile aus Bettlern, Handwerkern, Schreibern und selbst Künstlern. Die Ordentlichsten unter ihnen arbeiten einen, höchstens zwei Tage in der Woche. Die Kleidung dieser bessern Klasse besteht in einem leichten Pantalon, einem Mäntelchen und einem Strohhute. Ihre Wohnung ist unter den Arkaden, in irgendeiner Höhle oder in den Lehmhütten der Vorstädte. Ihre Arbeiten sind erstaunenswürdig. Sie verfertigen goldene Ketten, die alles übertreffen, was in dieser Art in den Vereinigten Staaten oder in Europa gesehen werden kann. Ihre Heiligenbilder und -figuren sind oft bewundernswert. Während der Revolution soll sich ihr Charakter verschlimmert haben. Es gibt ihrer mehr denn zehntausend, die absolut nichts tun, nichts besitzen und, eine fetzige Flanelldecke abgerechnet, so mutternackt vor ihren Löchern auf offener Straße liegen, daß auch der Starknervigste verscheucht wird. wahrscheinlich noch unsern Lesern bekannt ist, und von der sich eine Kopie in einem europäischen, nicht weniger reizend gelegenen und gleichfalls unter einem krassen Despotismus seufzenden Lande unter der Benennung Lazzaroni vorfindet, Stadt und Vorstädte verließ und sich mit Weibern und Kindern auf der Straße von Ajotla bis zur vulkanischen Hügelkette hinzog, die auf dieser Seite als Vorposten der Tenochtitlangebirge angesehen werden kann.

Es ist diese Straße mit ihren Umgebungen eine der düstersten Partien des reichen Tales von Mexiko oder Tenochtitlan, und der Sumpfboden, durch den sie führt und der erst jenseits der Hügelkette mit einer Schicht von Lavaschlacken abwechselt, hatte, selbst in den früheren Zeiten des Glanzes der Hauptstadt, jenen traurigen Charakter der Öde nicht zu mildern vermocht, der heutzutage das Auge des Reisenden bei seinem Eintritte in Mexiko so unangenehm überrascht. Ärmliche Hütten, von halbnackten Indianern bewohnt, die an dem Desague Der sogenannte Ableitungskanal von Huehuetoca, durch welchen die Gewässer des Flusses Guautitlan durch die Gebirge in das Tal von Tula abgeführt werden. arbeiteten oder ihr armseliges Leben durch Fischfang fristeten, auf begünstigteren Punkten durch Fleckchen von Gemüsegärten unterbrochen, waren noch die anziehendsten Gegenstände, während die tieferen Niederungen ganz öde lagen und durch ihre ungesunden Ausdünstungen selbst die stumpfsinnigen Indianer verscheuchten.

Dieser Straße entlang konnte man schon am frühesten Morgen ganze Horden jener düsteren, braunen, häßlichen, an Körper und Geist gleich vernachlässigten Geschöpfe sich bald langsamer, bald schneller fortschleppen und der besagten Hügelkette nähern sehen; ein scheußlicher Auswurf und nie gesehenes Aggregat von Elend, Unflätigkeit und Verworfenheit, das hinkend, schleichend und kriechend herankam und mit menschlichem Wesen, die Gestalt ausgenommen, wenig mehr gemein hatte. Die große Mehrzahl war völlig nackt, wenn man nicht zerfetzte Flanelldecken, die in Fragmenten über ihre Rücken herabhingen, oder die straff herabhängenden Haare der Weiber, die die häßlichsten Teile ihrer Leiber notdürftig verdeckten, mit einem oder dem anderen Lumpen um ihre Schenkel gewunden, für Kleidung gelten lassen wollte. Nur wenige hatten schwarze oder braune Jacken und abgetragene Mangas oder kattunene Pantalons mit Mäntelchen von Baumwollenzeug. Die meisten trugen jedoch Sombreros de Petate. Sie kamen in Gruppen von zwanzig, von hundert, von mehreren Hunderten angezogen, mit jenem scheinbaren Vakuum im Gesichte, das dem blödsinnigen Indianer des Tenochtitlantales eigentümlich ist, und wieder einer Unruhe, die sie wie rasend gegen die Gebirge von Rio Frio hinzutreiben schien. Es war etwas Geheimnisvolles an diesen braunen und düstern Geschöpfen; kein Lärm war zu hören, kein Ausbruch roher Lust, der gewöhnlich zahlreiche Pöbelhaufen zu begleiten pflegt. Auf den Gesichtern der meisten schwebte eine tief versteckte Tücke, ein schadenfroher Ingrimm, eine heimliche Erwartung, die an den stumpfsinnigen, aber von Natur nichts weniger als dummen Physiognomien beängstigend auffiel. Über der ganzen meilenweiten Strecke, auf der ihr Zug sich fortbewegte, hingen dünnere oder dichtere Rauchwolken, die zugleich die Dichtigkeit der Haufen selbst andeuteten; denn so entblößt und hilflos sie alle ohne Ausnahme waren, mit einem Luxusartikel hatten sie sich insgesamt versehen, – Männer, Weiber und Kinder – der Zigarre, und der Qualm aus Tausenden dieser Kräuter war auch der einzige leidliche Geruch, den diese gräßliche Horde von sich gab. Einzelne Haufen hatten sich auf der Straße, die an dem Damme gegen die besagte Hügelkette hinzieht, gelagert, während andere über die Hügelkette hinausgedrungen oder auf dieser ihren Posten gefaßt hatten. Liegend, stehend, auf ihren Schenkeln hockend, in die Berge von Rio Frio hineinstarrend, harrten sie nun; warum und auf wen würde schwer zu bestimmen gewesen sein; denn sie selbst hatten bloß eine düstere Ahnung. Stunden vergingen und sie lagen immer noch in jener Apathie, die den indianischen Mexikaner und alle sehr gedrückten Völker charakterisiert, und die eine natürliche Folge des Despotismus ist, der auf ihnen lastet, und der sie die Schläge unsichtbarer Gewalt, die sie treffen und in ihrem innersten Sein erschüttern, zuletzt als Fügungen eines eisernen Schicksals anzusehen geneigt macht, dem entfliehen zu wollen Vermessenheit wäre. Lange Zeit herrschte Stille unter den Tausenden, die bloß von einzelnen Lauten oder kurz ausgestoßenen Seufzern unterbrochen wurde, die aber weder Anklang noch Erwiderung fanden.

Einer dieser Haufen, der sich auf einem Vorsprung der Hügelkette gelagert hatte, über die sich die Straße von Mexiko nach Ajotla hinaufwindet, wurde endlich durch den Anblick eines Trupps Reiter aufgeregt, der von Buen Vista herabkam und der nämliche war, den wir kurz vorher zu so gelegener Zeit die Hacienda verlassen gesehen haben. Der Anblick, obwohl nichts weniger als selten auf der häufig befahrenen Verbindungsstraße von Puebla und Mexiko, schien die Leperos einigermaßen aufzuregen. Sie reckten ihre Hälse empor, starrten eine Weile aufmerksam in die Ferne, und dann, Hunden gleich, die etwas Fremdes oder Feindseliges wittern, knurrten sie und streckten sich wieder hin.

Nach einer Weile waren hohle und abgebrochene, dumpf heulende Töne zu vernehmen, die Verwünschungen ähnlich klangen; diese Töne wurden allmählich lauter, und einer murrte endlich vernehmbar:

»Ahuitzote!« Mit diesem Unglücksruf richtete sich der Guachindango auf, und seine schief auseinanderstehenden Augen wandten sich der Gegend zu, wo die Reiter herkamen.

»Ahuitzote«, murrten und knurrten die übrigen im Kreise herum, und indem sie das Wort ausstießen, schien ihnen die letzte Silbe in der Kehle stecken zu bleiben.

»Als wir gestern in den Portales Arkaden. schliefen, kam Agustin Iturbide –«, murmelte ein Indianer. Doch zu träge, seinen Nachsatz zu endigen, fiel sein Blick auf seine blutigen Schenkel und Schultern, die noch deutliche Spuren von Säbelhieben trugen.

»Die Erde ist Tonantzins Die mexikanische Ceres, Göttin des Mais., der Himmel der Jungfrau von Guadeloupe, und die Portales des roten Geschlechtes. Sonst sind wir auf Wagen in die Casa des Cabildo Polizeiwache. Mehrere Karren sind immer beschäftigt, die nachts in den Straßen gestorbenen oder todtrunkenen Leperos auf die verschiedenen Polizeiwachen zu bringen. gefahren und drei Tage verpflegt worden.« Hier stockte die träge Zunge des Indianers, wieder müde von der Anstrengung des Sprechens oder um die Zigarre nicht ausgehen zu lassen.

»Es wird eine Zeit kommen, wo kein Cachupin uns aus den Portales jagen wird«, knurrte ein zweiter.

»Und die Söhne Tenochtitlans ihren Pulque trinken werden.« Und die Söhne Tenochtitlans ihren Pulque trinken werden. Ist das Lieblingsgetränk der untern und Mittelklassen, dem Spruce-, Sprossenbier an Stärke vergleichbar, obgleich die besseren Sorten bei weitem geistiger sind. Er wird aus der Agave Americana, und zwar auf folgende Weise gewonnen: Ein Indianer macht einen Einschnitt in den Stamm der Aloe zu derselben Stunde, wo diese in die Blüte zu schießen beginnt (dieses nennt man das Corazón, das Herz öffnen), so daß bloß die dicke äußere Rinde bleibt und ein Becken sich bildet, in welchem der Saft sich sammelt. Es hat gewöhnlich zwei Fuß Tiefe und zwei Fuß im Durchmesser. Durch ein kleines Loch wird ein Horn gesteckt, und durch dieses läuft der Saft ab, der Aguamiel, Honigwasser, genannt wird, und ein sehr angenehmes Getränk ist. Der zuerst gewonnene Saft, nachdem er zehn oder zwölf Tage gegoren, wird sofort als Gärungsstoff benutzt für alle mit Aguamiel gefüllten Schläuche. Hat der Pulque gegoren, so ist er genießbar. Er ist ein kühlendes magenstärkendes Getränke, an das man, ungeachtet des faulen Beigeschmacks, sich sehr leicht gewöhnt, und das bei gehöriger Zubereitung eines der köstlichsten Erfrischungsmittel werden könnte. Die berühmtesten Agavepflanzungen sind bei Tlascala, Tolucca und Cholula.

»Und ihre Tortillas mit fettem Chili essen«, meinte ein vierter.

»Maledito Don Agostino! Er ist mehr der Ahuitzote der Kinder Tenochtitlans als der Cachupins.«

Ein alter Indianer von kräftigem Bau war unterdessen den Hügel heraufgekommen und hatte sich, ohne ein Wort zu sagen, auf einer der Lavaschlacken, mit welchen der Boden übersäet war, niedergehockt. Der Haufe hatte ihm mit mehr Aufmerksamkeit zugesehen, als bisher noch der Fall gewesen war, und die Blicke der meisten hingen wie in Erwartung an dem Manne. »Tatli Ixtla Vater; ein aztekisches Wort.« murmelten sie, mit den Köpfen mechanisch nickend, und stierten ihn an, als erwarteten sie irgendeine Mitteilung. Als diese jedoch nicht erfolgte, ließen sie ihre Köpfe wieder sinken und verfielen in ihr voriges Dahinbrüten.

Der Indianer hatte geheimnisvoll zur Linken gesehen, dann zur Rechten, dann auf die Straße hinausgespäht. Nun zündete er sich eine Zigarre an, und nachdem er einige Rauchwolken verschluckt, fing er in dem der indianischen Rasse eigentümlichen mysteriösen Tone an:

»Ixtla hat die Predigt des Cura Hipólito von Tlascala gehört. Es sind keine Cuentos de frailes Mönchsmärchen, Legenden.. Ixtla hat dasselbe vielmals von den roten Priestern gehört. Wollen meine Brüder die Worte des Cura Hipólito hören?«

Ein einstimmiges Kopfnicken bejahte die Frage.

»Wer Ohren hat zu hören, der höre! So hat Cura Hipólito gesagt und so sagt Ixtla«, begann der Indianer. »Als Don Abraham, ein trefflicher Caballero, den die heilige Jungfrau von Guadalupe und Mexikotl sehr ausgezeichnet –«

Der Mann hielt inne, um seine Zigarre nicht ausgehen zu lassen; eine Pause, die wir benutzen, um unsere Leser vorläufig darauf aufmerksam zu machen, daß der hier genannte und nach der bekannten Weise der indianisch-mexikanischen Priester mit Mexikotl und der Jungfrau von Guadalupe in Verbindung gebrachte Don Abraham kein anderer war, als Abraham, der ehrwürdige Stammvater des hebräischen Volkes.

»Als Don Abraham«, fuhr der Indianer fort, »sein Ende herannahen sah, rief er seinen Sohn, Don Isaak zu sich, dem er all sein Erbe vermachte, worauf er in dem Herrn verschied.«

Es folgte wieder eine Pause, nach welcher der Sprecher fortfuhr:

»Dieser Don Isaak war, wie Señores vielleicht gehört haben, ein gottesfürchtiger Mann gewesen, der wieder zwei Söhne, Don Esau und Don Jago, hatte. Verstehen Euer Gnaden,« wiederholte der Indianer, »zwei Söhne, Don Esau und Don Jago, und Don Esau, wohlgemerkt, war der Ältere oder Erstgeborene, und Don Jago der Jüngere. Als Don Jago das zwanzigste Jahr erreicht, hatte er ein Traumgesicht, welches ihm sagte, er solle in die Madre Patria gehen, wo er ein großes Glück finden würde.«

Der Mann hielt bei den Worten »Madre Patria«, worunter unsere Leser stets Spanien zu verstehen haben, wieder inne; denn mehrere Leperos waren von der Straße heraufgekommen und hatten sich um den Sprecher herumgelagert.

»Da Señor Jago«, fuhr der Indianer fort, »als der jüngere Sohn auf das Erbteil seines Vaters weniger Anspruch hatte als Don Esau, so ging er in die Madre Patria und kam in der Madre Patria an, wo er die Gunst des Königs der Mauren durch seine süßen Reden gewann, der ihm eine seiner Töchter, die Prinzessin Señora Lea, zum Weibe gab, und nach zwei Jahren die zweite seiner Töchter, die Prinzessin Señora Rachel, mit welchen beiden Señoras er zwölf Söhne und Töchter erzeugte, die alle Könige in der Madre Patria wurden, so wie ihr Vater, zu dem die Gachupins unter dem Namen San Jago de Compostela beten.«

Die Indianer und Mestizen, aus welchen die Leperos bekanntlich bestehen, nickten mit jener ruhigen Überzeugung, die wir auch häufig an den unteren Volksklassen europäischer Staaten bemerken, wenn sie Geschichten hören, an deren Wahrheit die Autorität großer Namen um so weniger zu zweifeln gestattet, als ein solcher Zweifel leicht nicht nur die Seele, sondern auch den Leib in Gefahr bringen könnte.

»Als Don Jago sein Reich gegründet hatte,« fuhr der Indianer fort, »kam ihn die Begierde an, das Land seiner Väter wieder zu sehen, und er zog mit seinen Leuten hin, wo seines Vaters Haus stand. Und nun hören Sie, Señores«, hob der Indianer mit stärkerer Stimme an, »Don Esau war, wie Sie wissen, der Erstgeborene der zwei Brüder, und als solcher hätte er das Recht auf das Land seines Vaters gehabt, wenn ihn nicht der Traidor, Don Jago, oder wie ihn die Gachupins nennen, San Jago, um dieses Recht betrogen hätte, und durch ihn die Söhne Tenochtitlans, die vom Anbeginn ihrer Tage die Narren der Gachupins, der Söhne Jagos, waren.«

Die Leperos richteten sich in eine horchende Stellung auf, und ihre Züge begannen etwas mehr Interesse zu verraten.

»Es war in der Estio Trockene Jahreszeit; Mai bis Oktober.,« fuhr der Indianer fort, »daß der Verräter Jago ankam und in seines Vaters Hause eintrat, wo ihm ein großes Convite Ein Gastmahl bei feierlichen Gelegenheiten. gegeben wurde. Don Esau war auf der Jagd, während Señor Jago es sich wohl schmecken ließ und die besten Tortillas aß und den herrlichsten Pulque von Tacotitlan Ist vorzüglich berühmt. trank, den kein Conde besser haben konnte, und als Don Esau hungrig und durstig nach Hause kam – –«

Der Indianer hielt inne, denn seine Zuhörer waren bei der Erwähnung des Pulque von Tacotitlan sehr gespannt geworden.

»Und als Don Esau nach Hause kam und seinen Bruder gerade über einer Schüssel Frijoles Bohnen; die von den Chinampas, den sogenannten schwimmenden Gärten, sind sehr wohlschmeckend. fand, die besten Frijoles, die je auf den Chinampos des Chalco gezogen wurden, was glauben Sie wohl, daß der Verräter Jago tat?«

» Escucha!« riefen etliche Indianer, ihre Hände emporreckend.

»Señores!« sprach der Indianer, seine Augen geheimnisvoll auf die Leperos richtend, die ihre Hände emporgestreckt hatten. »Señores sehen, daß Ixtla keine Lügen sagt. Hören Sie, der Verräter Jago zog seine Schüssel mit Frijoles wie vor einem Hunde zurück, und als Don Esau ihn bat, ihm ein paar Mundvoll zukommen zu lassen, versprach er ihm die ganze Schüssel, wenn er ihm das Recht der Erstgeburt, das Mayorazgo, abtreten wollte, und keine einzige Frijole sollte er haben, wenn er es ihm nicht abtreten wollte – –«

»Und Don Esau?« fragten die Leperos.

»Was würden meine Brüder getan haben, wenn sie durstig gewesen wären und hungrig, und den Pulqueschlauch vor sich gesehen hätten und die Schüssel mit Frijoles und Tortillas?«

Dieses argumentum ad hominem machte den ganzen Haufen mit lüsternem Blicke aufschnappen.

»Ah, Tortillas, ah, Pulque!« riefen alle, mit den Zungen schnalzend.

»Kurz,« unterbrach sie der alte Indianer, »Don Esau gab, wozu ihn der Hunger zwang, und Don Jago gab ihm dafür die Schüssel mit Frijoles und einen herrlichen Schlauch, mit Tacotitlan-Pulque gefüllt.«

» Maldito Gavacho!« brummten die Leperos, denen der Tausch doch zu ungleich erscheinen mochte.

»Stille,« erwiderte der Indianer, »denn Don Esau ist, wie Sie sogleich hören werden, der Stammvater der Söhne Tenochtitlans.«

Die Leperos vernahmen diese Neuigkeit mit weit aufgerissenen Augen.

»Wohl, Señores,« fuhr der Indianer fort, »Don Esau hatte seine Schüssel Frijoles, und Señor Jago das Mayorazgo, wonach ihn so lange gelüstet hatte, und Don Jago kehrte wieder in die Madre Patria zurück, und Don Esau, der das Mayorazgo verloren hatte, wanderte in die weite Welt. Nun wissen Sie, Señores, daß die Welt Mexiko ist; denn Tenochtitlan ist die Hauptstadt in der Welt.«

Die Leperos nickten.

»Nach Tenochtitlan wanderten also Esau und seine Söhne und ihre Weiber und bauten Tenochtitlan in den See, und legten die Chinampas an, und die Stadt wurde größer als irgendeine in Mexiko und der Welt –«

»Viele hundert Jahre hatten«, fuhr der Indianer fort, »Don Esaus Söhne Tenochtitlan und Anahuac beherrscht, und zehn Könige hatten in Anahuac regiert, und die jüngern Söhne Don Esaus in Mechoacan und Cholula, und die Kinder seiner Kebsweiber lebten als freie Männer in Tlascala.«

» Es verdad«, brummte einer der Leperos. » Es verdad«, brummten die andern nach.

»Wohl,« fuhr der Indianer fort, »die Söhne Don Esaus lebten und gediehen und hatten Duros und Tortillas in Fülle, da fiel es den Söhnen Don Jagos ein, daß ihr Vater das Recht der Erstgeburt erlangt hatte und daß sie als seine Söhne es ererbt und also das Recht über die ganze Welt, das heißt Mexiko, hätten, und daß ihnen Esaus Söhne tributpflichtig wären, und da sie ein betrügerisch-verwegenes Geschlecht waren, so bestiegen sie ihre Schiffe und landeten in Yucatán und Veracruz und kamen auf der Höhe von Xalapa an, und Tlascala, wo sie die Söhne Tlascalas durch süße Worte in ihr Netz zogen und mit ihrer Hilfe durch die Barrancas und über die Berge Tenochtitlans drangen und Tenochtitlan belagerten und zerstörten, und alle die, welche Machettes und Lanzen trugen, töteten und die übrigen zu Sklaven machten.«

» Malditos herejes!« brummten die Leperos, ihren Stimmen gerade den Umfang gebend, der mit ihrer liegenden Stellung vereinbar war.

»Und als sie Tenochtitlan genommen hatten,« fuhr der Indianer fort, »sagten sie: Sehet, hier ist gut wohnen. Hier lasset uns unsere Ranchos aufschlagen, und die Söhne Esaus sollen uns unsern Mais bauen, und unsern Chili säen und unsere Metl-Gärten pflanzen und pflegen und das Corazón zur Zeit öffnen, und ihre Töchter sollen unsere Baumwolle spinnen und ihre Weiber unsere Tortillas backen, und ihre Kinder sollen das Gold aus den Flüssen waschen, und die Krieger sollen statt Kriegern Caballitos und Tenatores sein. Und so geschah es.«

Der Indianer, nachdem er dieses Resumé der Predigt des Padre Hipólito gegeben, hielt inne, entweder weil er nichts mehr zu sagen wußte oder weil er über die Anwendung nachsann, die er nun aus diesen verschiedenartigen Lebens- und Leidensläufen der Kinder Esaus auf seine Zuhörer zu machen gesonnen war. Diese Geistesarbeit schien jedoch dem geistarmen Indianer nichts weniger als leicht anzukommen, und in der langen Pause, während welcher er sich abmühte, den Saft und die Kraft der Predigt des Padre Hipólito seinen Zuhörern recht warm vorzulegen, hatten diese armseligen Menschen den ganzen Vortrag wieder rein vergessen. Soviel wurde wenigstens aus dem ekelhaften Faulleben sichtbar. Sie blieben nämlich sitzen, liegen und hocken, ohne sich um den Redner, der die Helden des alten Testamentes so geschickt nach Mexiko transferiert hatte, auch nur im mindesten mehr zu bekümmern. Viele stierten hierauf in die Straße hinein, in deren Wendungen die Reiter nun deutlicher erschienen.

»Ahuitzote!« brummte wieder einer der Leperos.

» Y Cachupines«, fiel ein zweiter ein.

»Don Agustin ist ein ärgerer Ahuitzote als die Gachupins«, murrte ein dritter.

»Die Criollos«, schrie ein Zambo, »sind die Eier der Piques Auch Nigua oder Chegoe, eine Sandfliege; ein sehr lästiges Insekt, das besonders in den Niederungen von Mexiko, Veracruz, Acapulco äußerst peinigend wird, wenn es ihm gelingt, seine Eier in die Haut einzulegen., die Gachupins die Piques selbst. Sie sind die Söhne des Marquis und seiner Conquistadores und Camaradas, die die Tlaskalaner überlisteten, ihnen beizustehen gegen Anahuac, und als sie Anahuac hatten, machten sie die roten Bundesgenossen zu Sklaven. Larifari. Viva la libertad!«

» Larifari. Viva la libertad!« schrie ein zweiter dieser gemischten Rasse, der, die Arme in die Seiten stemmend, mit souveräner Verachtung auf die Horden der Leperos herabsah. » Viva la libertad!« schrie er wieder. » Viva! Viva! Da seht die Casa Haus. des Conde Jago, des reichsten Caballero von Mexiko, der aus einer einzigen Bonanza Wird eine reiche Silberausbeute genannt; überhaupt Glück in Minenunternehmungen. netto sechs Millionen Dollars löste; netto, Señores. Viva la libertad! – Wissen Sie, Señores, was die Libertad ist? Wir waren, wo sie gewesen ist, in Guanaxuato, wo wir die Duros in Körben aus der Alhóndiga trugen. Ei, Señorias, da konnten Sie die schönsten milchweißen Gesichter zu Dutzenden fürs bloße Nehmen haben.«

» Viva la libertad!« schrie der ganze Haufen, welches Geschrei von der nächsten Horde, die sich unter dem Hügel auf die Straße gelagert hatte, tausendstimmig wiedergegeben wurde.

» Al Diablo!« brüllte derselbe Zambo darein. »Es lebe die Freiheit, wo Cassio nehmen kann, was er will und wo er will; zum Beispiel die Doncella der Condesa Ruhl zur Mundschenkin und die Condesa bei der Jungfrau von Guadalupe! – Sie soll unsere Tortilleria Maiskuchenbäckerin; in wohlhabenderen Häusern ist eine eigene Person für dieses Geschäft angestellt. sein.«

» Santa Bríjida, Santa Agata, Santa Marta, Santa Ursula y todas las diez mil vírgenes, orad por la razón del Señor Chino!« Heilige Brigitta, heilige Agate, heilige Marta, heilige Ursula, mit allen Euren zehntausend Jungfrauen, bittet für den Verstand Sr. Gnaden des Neger-Indianers. schrien die über die Keckheit des Chino erstaunten und erbosten Leperos.

»Chino!« überschrie sie der Neger-Indianer entrüstet, »haltet ihr mich für einen Chino? Es posible? ist es möglich; es posible?« schrie er wieder, indem er seine Jacke aufriß und aus einer silbernen Kapsel, die das Bildnis der Jungfrau von Guadalupe barg, ein beschmutztes Papier hervorzog, das er triumphierend emporhielt. »Sehen Sie, Señorias, que se tenga por blanco!« Daß er sich selbst für weiß halten möge; die gewöhnliche Formel, mit welcher das Emanzipationsdekret der farbigen Klassen schließt.

» Que se tenga por blanco!« schrien ihm zweihundert und bald tausend Stimmen mit brüllendem Gelächter nach, indem sie im Kreise um ihn herumtanzten und immer wieder riefen: » Que se tenga por blanco!«

Der zerlumpte Neger-Indianer, der in seinem Fiebertraume die Condesa Ruhl zu seiner Mundschenkin erkoren hatte, schien seine Ansprüche auf die weiße Farbe nicht so leicht aufgeben zu wollen. Er sah einige Augenblicke den tollen Sprüngen der unflätigen häßlichen Horde zu und brüllte dann wieder: » Yo soy blanco y todo blanco es Caballero!« Ich bin ein Weißer, und jeder Weiße ist ein Kavalier.

»Ein Gato von Veracruz bist du, erbärmlicher Wicht, eine Sandfliege, die sich unter uns einnisten will – y basta!«

»Wollen euch beweisen, wer mehr vermag, euer Vincente Guerrero oder Cassio Isidro!« rief der Neger-Indianer; »wollen es euch beweisen!« schrie er mit in die Seiten gestemmten Händen, »und ehe zehn Monde vergehen, soll euer Vincente Guerrero wieder mein Arriero sein!«

Das Maß des Zambo war nun voll, und an tausend Leperos stürzten, ihrer Trägheit und Gebrechen vergessend, mit einem Male auf den Wicht los, um ihn für die Kühnheit zu bestrafen, sich mit einem der größten Helden der Revolution, dem Repräsentanten der farbigen Interessen, auf gleiche Rangstufe zu stellen. Der Zambo war jedoch flinker als die trägen Leperos, und seine gewaltigen Sprünge über die Lavaschlacken ermüdeten bald die Mehrzahl seiner roten Verfolger und Verfechter des Ruhmes des großen Vincente Guerrero.


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