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Dreizehntes Kapitel.

So schmücket dich das Kleid der Rebellion
Mit schöner Färbung, die dem Blick gefällt,
Leichtfert'ger Neu'rer und Unzufried'ner,
Die arm und gaffend sich die Arme reiben,
Wenn toller Wirrwarr sich dem Auge beut.

Heinrich IV. Theil II.

 

In Ellieslaw Castle waren große Vorbereitungen zur Bewirthung von Gästen an diesem wichtigen Tage getroffen worden, an welchem nicht allein die Herren von Stande, welche in dieser Gegend zur Jacobitischen Partei gehörten, sondern auch viele untergeordnete Unzufriedene erwartet wurden, welche wegen schlechter Umstände, aus Liebe zur Veränderung, aus Haß gegen England, oder aus einer der zahlreichen Ursachen, welche damals die Leidenschaften der Menschen entflammten, zur Theilnahme an der gefährlichen Unternehmung geneigt waren. Männer von Rang und Vermögen fanden sich nicht Viele unter jener Zahl. Die großen Grundeigenthümer hielten sich entfernt, und der größte Theil des niederen Adels sowie der Bauern, welche die Militz bildeten, gehörten zur reformirten, der sogenannten presbyterianischen Kirche, und waren deßhalb zur Theilnahme an einer Jacobitischen Verschwörung nicht geneigt, wie sehr sie auch über die Union unzufrieden sein mochten. Einige Landedelleute von Vermögen hatten sich aber wegen der von Jugend auf gehegten Parteigrundsätze, aus religiösen Beweggründen oder aus ähnlichem Ehrgeiz wie Ellieslaw, den Entwürfen desselben angeschlossen; auch fanden sich bei der Zusammenkunft einige feurige junge Leute wie Mareschal ein, welche sich in einer gefährlichen Unternehmung auszuzeichnen wünschten, wodurch sie die Unabhängigkeit ihres Vaterlandes zu behaupten hofften. Die anderen Mitglieder der Zusammenkunft waren Personen untergeordneten Ranges und verzweifelter Vermögensumstände, die jetzt in diesem Theile des Landes zum Aufstande bereit waren, den sie auch später, im Jahre 1715, unter Forster und Derventwater ausführten, als ein von einem Edelmann der Grenze Namens Douglas befehligter Trupp für das Haus Stuart in Waffen trat – ein Trupp, welcher beinahe dort gänzlich aus Freibeutern bestand, unter denen ein damals berüchtigter Räuber eine höhere Offiziersstelle einnahm. Wir halten die Angabe dieser Einzelnheiten, welche sich ausschließlich auf die Provinz, den Schauplatz unserer Erzählung, beziehen, deßhalb für nothwendig, weil die Jacobitische Partei ohne Zweifel in den andern Theilen des Königsreichs in höherem Grade sowohl furchtbare wie achtungswerthe Bestandtheile enthielt.

Eine lange Tafel dehnte sich durch die weite Halle von Ellieslaw Castle aus, welches noch in dem Zustande gelassen war, in welchem es sich hundert Jahre früher befand; d. h. jene Halle war ein langer, finsterer, die ganze Seite des Schlosses ausfüllender Raum mit gewölbten Bögen von Bruchstein, deren Bug über hervorragende Gestalten hervorsprang; letztere waren in so grotesken Formen ausgehauen, wie sie jemals die phantastische Einbildungskraft eines gothischen Baumeisters ersinnen konnte; sie grinseten und runzelten die Stirn und knirschten die Zähne nach der Gesellschaft hin, welche sich jetzt unter ihnen zusammendrängte. Das Licht fiel in den Bankettraum durch lange, schmale Fenster auf beiden Seiten; dieselben waren mit gefärbtem Glas ausgefüllt, so daß die Sonne ein düsteres und entfärbtes Licht hineinwarf. Ein Banner, welches nach der Ueberlieferung den Engländern in der Schlacht von Sark abgenommen sein sollte, wehte über dem Stuhle, in welchem Ellieslaw den Vorsitz führte, als sollte es den Muth seiner Gäste durch die Erinnerung an alte Siege über ihre Nachbarn entzünden. Er selbst, eine stattliche Gestalt, bei dieser Gelegenheit mit großer Sorgfalt gekleidet und mit Gesichtszügen, die trotz ihres finsteren und unheilvollen Ausdrucks sich doch als schön bezeichnen ließen, spielte sehr gut die Rolle eines alten Feudal-Barons. Sir Frederik Langley saß zu seiner Rechten, und Herr Mareschal Wells zu seiner Linken. Einige Herren von Ansehen mit ihren Brüdern und Neffen saßen am oberen Ende der Tafel, und unter ihnen hatte Herr Ratcliffe seinen Platz. Unter dem Salzfaß, einem massiven silbernen Geräth in der Mitte der Tafel, saß sine nomine turba, ein Schwarm ohne Namen, Männer, deren Eitelkeit dadurch befriedigt wurde, daß sie sogar diese untergeordnete Stelle in dem geselligen Mahle einnahmen, während der Unterschied ihrer Plätze einen Vorbehalt für den Stolz der Männer aus höheren Ständen bildete. Bei der Auswahl dieses Unterhauses hatte keine Sorgfalt stattgefunden, denn Willie von Westburnflat war Einer der Gesellschaft. Die schaamlose Keckheit dieses Menschen, welcher sich so in dem Hause eines Edelmanns zeigte, dem er noch soeben eine so auffallende Beleidigung zugefügt hatte, ließ sich allein durch die Vermuthung erklären, daß er sehr wohl wußte, sein Antheil an der Entführung der Miß Vere sei ein Geheimniß, welches bei ihr selbst und ihrem Vater sicher war.

Dieser zahlreichen und gemischten Gesellschaft war ein Essen aufgetragen, welches zwar nicht aus den Leckereien der Jahreszeit, wie die Zeitungen sich auszudrücken pflegen, sondern aus großen, soliden und prunkhaften Gerichten bestand, unter denen der Tisch sogar seufzte. Die Heiterkeit stand aber nicht im Verhältniß zur guten Bewirthung. Die Gäste am unteren Theil der Tafel wurden durch den Zwang und die Achtung zurückgehalten, daß sie Mitglieder einer so erhabenen Gesellschaft waren. Diejenigen, welche dort um den Tisch saßen, hegten das Gefühl der Ehrfurcht, durch welches der Küster P. P. nach seinem Bekenntniß erdrückt wurde, als er den Psalm in Gegenwart von Personen so hoher Verehrung wie der weise Herr Friedensrichter Freeman, die gute gnädige Frau Jones und der gewaltige Herr Sir Thomas Truby, anstimmen mußte. Diese ceremoniöse Kälte wich jedoch bald den Aufregungen zur Heiterkeit, welche ebenso freigebig gespendet, wie von den Gästen niederen Ranges reichlich verbraucht wurden. Sie wurden in ihrer Heiterkeit gesprächig, laut und sogar lärmend.

Der Wein oder Branntwein vermochte jedoch nicht den Frohsinn derjenigen zu erwecken, welche an den höheren Plätzen der Tafel saßen. Diese empfanden die erkältende Aufregung, welche oft eintritt, wenn die Menschen zur Ergreifung eines verzweifelten Entschlusses genöthigt werden, nachdem sie sich in Umstände versetzt haben, in denen es ebenso schwierig ist vorzuschreiten wie zurückzugehen. Der Abgrund zeigte sich tiefer und gefährlicher, als sie dem Rande desselben näher kamen, und Jeder erwartete mit einer inneren Bewegung der Scheu, welcher von seinen Verbündeten das Beispiel geben würde, um sich hinabzustürzen. Dieß innere Gefühl der Furcht und des Widerstrebens wirkte in verschiedener Weise, je nach den verschiedenen Gewohnheiten und Charakteren der Gesellschaft. Der Eine sah ernst, der Andere einfältig aus; ein Dritter blickte mit Besorgniß auf die leeren Sitze am höheren Ende der Tafel, welche für Mitglieder der Verschwörung bestimmt waren, deren Klugheit über den politischen Eifer das Uebergewicht besaß, und welche sich jetzt in diesem Augenblick der Entscheidung entfernt hielten; einige schienen den Rang und die Aussichten derer, welche gegenwärtig und abwesend waren, sich vorzurechnen. Sir Frederik Langley war zurückhaltend, finster und unzufrieden, Ellieslaw selbst machte so erzwungene Anstrengungen, den Muth der Gesellschaft anzufeuern, daß dadurch die Erschlaffung seines eigenen Muthes um so mehr in die Augen fiel. Ratcliffe überwachte das Schauspiel mit der Fassung eines wachsamen aber theilnahmlosen Zuschauers. Mareschal allein blieb der gedankenlosen Lebhaftigkeit seines Charakters treu; er aß und trank, lachte und scherzte, und schien sogar an der Verstörung der Gesellschaft Vergnügen zu finden.

»Was hat Euren edlen Muth heute Morgen niedergeschlagen?« rief er aus. »Wir scheinen hier bei einem Begräbniß zusammengekommen zu sein, wo die hauptsächlichsten Leidtragenden nicht lauter wie ihr Athem sprechen dürfen, während die Stummen und die gemietheten Leute (er blickte auf die untere Seite der Tafel) wie in einem Gelage lärmen. Ellieslaw, wann wollt Ihr anfangen? Wo schläft Euer Muth, Mann? Und was hat die hohen Hoffnungen des Ritters von Langley-Dale herabgestimmt?«

»Ihr sprecht wie ein Verrückter,« sagte Ellieslaw; »seht Ihr nicht, wie Viele weggeblieben sind?«

»Was hat das zu bedeuten,« sagte Mareschal, »habt Ihr nicht vorher gewußt, daß die Hälfte der Menschen mehr mit Geschwätz wie mit der That bei der Hand ist? Was mich betrifft, so bin ich sehr ermuthigt, da ich wenigstens Zweidrittel unserer Freunde hier in unserer Versammlung gegenwärtig sehe, obgleich ich beargwöhne, daß die eine Hälfte von diesen nur gekommen ist, um im schlimmsten Falle Euer Mittagsessen in Sicherheit zu bringen.«

»Wir haben keine Nachricht von der Küste, welche über die Ankunft des Königs uns Gewißheit gibt,« sagte ein Anderer der Gesellschaft in jenem Tone gedrückten und zitternden Flüsterns, welches einen Mangel an Entschlossenheit anzeigt.

»Keine Zeile vom Grafen D–, kein einziger Herr von der südlichen Seite der Grenze,« sagte ein Dritter.

»Wer wünscht noch mehr Leute von England,« rief Mareschal im theatralischen Tone eines affektirten Heldenthums aus:

»Mein Vetter Ellieslaw, mein holder Vetter,
Ist uns der Tod beschieden ...«

»Um Gotteswillen,« unterbrach Ellieslaw, »verschont uns jetzt mit Euren Thorheiten, Mareschal.«

»Wohlan denn,« sagte sein Vetter, »ich will Euch statt derselben meine Weisheit, so gut sie ist, zum Besten geben. Sind wir wie Thoren vorgeschritten, so wollen wir nicht wie Memmen zurückgehen. Wir haben genug gethan, um den Verdacht der Regierung uns aufzubürden, wir dürfen uns nicht zurückziehen, bevor wir etwas gethan haben, um Beides zu verdienen – was, will Niemand reden? so will ich zuerst den Sprung über den Graben thun.« Er sprang auf, füllte ein Bierglas mit rothem Wein, machte eine Bewegung mit der Hand und befahl Allen, seinem Beispiel zu folgen und sich von ihren Sitzen zu erheben. Alle gehorchten, die Gäste von höherem Stande gleichsam in leidendem Gehorsam, die Andern mit Begeisterung. »Wohlan, meine Freunde, ich gebe euch das Losungswort des Tages – die Unabhängigkeit Schottlands und die Gesundheit unseres gesetzlichen Fürsten, König Jakobs VIII., welcher jetzt in Lothian gelandet ist und, wie ich vertraue und glaube, sich im vollen Besitz seiner alten Hauptstadt befindet!« Er trank den Wein und warf das Glas über seinen Kopf mit den Worten: »es soll niemals durch einen niedrigeren Toast entweiht werden.«

Alle folgten seinem Beispiel und verbürgten ihr Wort unter dem Krachen der Gläser und dem Zuruf der Gesellschaft mit den Grundsätzen der politischen Partei zu stehen und zu fallen, welche ihr Toast ausgesprochen hatte.

»Ihr habt den Sprung über den Graben mit einem Zeugen gemacht,« sagte Ellieslaw bei Seite zu Mareschal, »aber ich glaube, auch dieß wird zum Besten führen; jedenfalls können wir nicht mehr von unsern Unternehmungen zurücktreten. Ein Mann« (er blickte auf Ratcliffe) »hat den Toast verweigert, dieß jedoch nur beiläufig gesagt.« Alsdann stand er auf und redete zur Gesellschaft im Styl einer aufreizenden Schmähung gegen die Regierung und ihre Maßregeln, besonders aber gegen die Union – ein Vertrag, durch welchen nach seiner Behauptung Schottland zugleich um seine Unabhängigkeit, seinen Handel betrogen und als gefesselter Sklave zu den Füßen seines Nebenbuhlers gelegt war, gegen welchen es sich mit seiner Ehre soviele Jahrhunderte lang in so manchen Gefahren und mit so viel Blut ehrenvoll vertheidigt hatte. Hiermit war ein Ton angeschlagen, welcher eine wiederklingende Saite in der Brust jedes Gegenwärtigen vorfand.

»Unser Handel ist zerstört!« brüllte der alte John Newcastle, ein Schleichhändler aus Jedburgh, am unteren Ende der Tafel.

»Unser Ackerbau ist zu Grunde gerichtet!« rief der Gutsherr von Broken-girth-flow, der Eigenthümer von Ländereien, welche seit Adams Tagen nichts wie Haidekraut und Heidelbeeren getragen hatten.

»Unsere Religion ist mit Stumpf und Stiel ausgerottet,« seufzte der rothnasige Pfarrer der bischöflichen Gemeinde von Kirkwhistle.

»Wir werden in Kurzem keine Rehe schießen oder ein Mensch küssen dürfen, ohne einen Erlaubnißschein von den Kirchenältesten und dem Kirchenschatzmeister erlangt zu haben,« sagte Mareschal Wells.

»Oder wir dürfen nicht mehr einen Krug Branntwein an einem frostigen Morgen brauen, ohne den Erlaubnißschein vom Accis-Aufseher zu besitzen,« sagte der Schleichhändler.

»Oder wir dürfen nicht mehr in einer finstern Nacht über die Haide reiten,« meinte Westburnflat, »ohne Erlaubniß vom jungen Earnscliff oder einem anglisirten Friedensrichter einzuholen; das waren schöne Tage an der Grenze, als man weder von Friedensrichtern, noch Frieden etwas hörte.«

»Gedenken wir des uns zugefügten Unrechts von Darien und Glencoe,« fuhr Ellieslaw fort, »und ergreifen wir Waffen zum Schutz unserer Rechte, unseres Eigenthums, unserer Leben und Familien.«

»Gedenkt der ächten bischöflichen Weihe, ohne welche es keine gesetzliche Priesterschaft geben kann,« sagte der Pfarrer.

»Gedenkt des Seeraubs, welcher gegen euren ostindischen Handel von Green und den englischen Dieben begangen wurde,« sagte William Willieson, der Eigenthümer zur Hälfte und der alleinige Schiffer einer Brigg, welche jährlich zwischen Cockpool und Whitehaven vier Reisen machte.

»Gedenkt eurer Freiheiten,« begann Mareschal auf's Neue, der ein boshaftes Vergnügen an der Beschleunigung der Aeußerungen jener von ihm aufgeregten Begeisterung, wie ein schelmischer Knabe zu empfinden schien, welcher die Schleußen eines Mühlendamms eröffnet hat und alsdann das Geklapper der von ihm in Bewegung gesetzten Räder mit Freuden vernimmt, ohne an das Unheil zu denken, das er möglicher Weise veranlaßt hat. »Gedenkt eurer Freiheiten,« rief er aus, »der Teufel hole die Steuern, die Presser und die Kirchenältesten, und das Andenken an den alten Willie Wilhelm III., der uns das gebracht hat!«

»Verdammt sei der Aichmeister!« schrie der alte John Rewcastle, »ich will ihn mit meiner eigenen Hand auseinander hauen.«

»Und verdammt seien der Friedensrichter und der Gerichtsdiener,« schrie Westburnflat; »ich will ihnen ein paar Kugeln noch vor Morgen in den Leib jagen.«

»Wir Alle sind also einstimmig,« sagte Ellieslaw, als der Zuruf etwas nachgelassen hatte, »diesen Zustand der Dinge nicht länger zu ertragen?«

»Wir stehen sämmtlich dafür ein,« erwiderten seine Gäste.

»Nicht ganz so,« sagte Herr Ratcliffe; »obgleich ich nicht hoffen darf, die heftige Stimmung zu mindern, welche so plötzlich die ganze Gesellschaft ergriffen zu haben scheint, so bitte ich, doch zu bemerken, daß ich, soweit als die Meinung eines einzigen Mitgliedes Bedeutung hat, nicht gänzlich mit der Liste der Beschwerden übereinstimme, welche soeben ausgesprochen wurden, und daß ich gegen die wahnsinnige Maßregel protestire, zu deren Annahme ihr geneigt zu sein scheint, um jene Beschwerden zu beseitigen. Ich kann leicht begreifen, daß Vieles von demjenigen, was hier gesagt wurde, in der Hitze des Augenblicks seinen Grund hat, oder vielleicht nur im Scherz gemeint war. Es gibt jedoch Scherze von solcher Art, daß sie auch sonst sehr leicht laut werden könnten, und ihr müßt bedenken, ihr Herren, daß die steinernen Mauern Ohren haben.«

»Steinerne Mauern mögen Ohren haben,« erwiderte Ellieslaw mit einem Blick triumphirender Bosheit; »aber häusliche Spione, Herr Ratcliffe, werden sich bald ohne dieselben befinden, wenn irgend ein solcher seinen Aufenthalt in einer Familie fortsetzen will, wo seine Erscheinung eine Aufdringung ohne Erlaubniß war, wo sein Betragen dasjenige eines anmaßenden Einmengers in alle Angelegenheiten gewesen ist, und dessen Abreise diejenige eines getäuschten Schurken sein wird, wenn er diesen Wink nicht benutzen will.«

»Herr Vere,« erwiderte Ratcliffe mit ruhiger Verachtung, »ich bin mir sehr wohl bewußt, daß meine Gegenwart hier, sobald sie Ihnen nicht länger von Nutzen ist, was wegen Ihres raschen Schrittes jetzt eintreten muß, sogleich für mich ebenso unsicher wird, wie sie Ihnen immer verhaßt war. Ich habe jedoch einen Schutz, und zwar einen sehr starken; denn Sie werden nicht gerne vernehmen, wie ich vor diesen Herren und Männern von Ehre die eigenthümlichen Umstände darlege, in welchen unsere Verbindung ihren Ursprung nahm. Was das Uebrige betrifft, so freue ich mich über die Beendigung unseres Verhältnisses, und wenn, wie ich glaube, Herr Mareschal und einige andere Herren mir die Sicherheit meiner Ohren und meines Halses (für welchen letzteren ich noch mehr Grund zur Besorgniß habe) während dieser Nacht verbürgen werden, so werde ich Ihr Schloß vor morgen früh nicht verlassen.«

»So sei es,« erwiderte Herr Vere; »Ihr seid vor meiner Rache gesichert, weil Ihr Euch unterhalb derselben befindet, nicht aber, weil ich die Enthüllung unserer Familiengeheimnisse besorge, obgleich ich Euch um Euretwillen den Rath gebe, sich davor zu hüten. Eure Geschäftsführung und Vermittlung kann einem Manne von geringer Wichtigkeit sein, welcher Alles gewinnen oder verlieren muß, je nachdem das gesetzliche Recht oder der ungerechte Thronraub in dem jetzt bevorstehenden Kampfe Erfolg haben wird – lebt wohl, Herr.«

Ratcliffe stand auf und warf ihm einen Blick zu, welchen Vere mit Schwierigkeit auszuhalten schien; dann verbeugte er sich gegen die Uebrigen und verließ die Halle.

Dieß Gespräch rief bei Vielen der Gesellschaft einen peinlichen Eindruck hervor, den Ellieslaw dadurch zu beseitigen suchte, daß er die Verhandlung über das Geschäft des Tages begann. Die hastigen Berathschlagungen zielten auf die Organisirung eines augenblicklichen Aufstandes. Ellieslaw, Mareschal und Sir Frederik Langley wurden zu Anführern mit der Vollmacht, die weiteren Maßregeln zu leiten, ernannt. Ein Sammelplatz wurde festgesetzt, auf welchem Alle am nächsten Morgen mit solchen Begleitern und Freunden ihrer Sache sich einzufinden versprachen, wie sie ein Jeder in seiner Gegend sammeln konnte.

Einige der Gäste begaben sich nach Hause, um die erforderlichen Vorbereitungen zu treffen; Ellieslaw sprach gegen die Andern, welche mit Westburnflat und dem alten Schleichhändler der Flasche tapfer zuzusprechen fortfuhren, eine förmliche Entschuldigung aus, daß er den Vorsitz an der Tafel verlasse, da er mit den andern Befehlshabern, die man neben ihm ernannt habe, eine besondere und nüchterne Unterredung halten müsse. Diese Entschuldigung wurde um so bereitwilliger angenommen, da er zugleich seine Gäste bat, sich bei den Erfrischungen noch weiterhin gütlich zu thun, welche die Keller des Schlosses darbieten konnten. Lauter Zuruf des Beifalls folgte ihnen, als sie sich entfernten; die Namen Vere, Langley und vor allen Mareschal wurden während des übrigen Abends wiederholt im Chore gebrüllt und mit vollen Bechern hinuntergewaschen.

Als die hauptsächlichsten Verschwörer sich in ein besonderes Zimmer zurückgezogen hatten, sahen sie eine Minute lang mit einer Art Verlegenheit einander an, welche in Sir Frederik's finsteren Gesichtszügen zum Ausdruck mürrischer Unzufriedenheit wurde. Mareschal brach zuerst das Schweigen, indem er mit lautem Gelächter sagte: »Wohlan, jetzt sind wir eingeschifft, meine Herren, vogue la galère!«

»Wir können Euch für das plötzliche Untertauchen Dank sagen,« sagte Ellieslaw.

»Ja, aber ich weiß nicht, in wie weit ihr mir danken werdet,« erwiderte Mareschal, »wenn ich euch diesen Brief zeige, den ich gerade, als wir uns zur Tafel setzten, erhielt. Mein Bedienter sagte mir, er sei ihm von einem Manne eingehändigt worden, den er nie vorher gesehen hatte, und der im Galopp fortritt, nachdem er den Auftrag hinterlassen hatte, mir das Schreiben sogleich einzuhändigen.«

Ellieslaw entfaltete ungeduldig den Brief und las laut:

 

Edinburgh –

Geehrter Herr!

Da ich gegen Eure Familie Verpflichtungen habe, welche ich nicht nennen werde, und da ich erfahre, daß Ihr zu der Gesellschaft Spekulanten gehört, welche Geschäfte für das Haus Jakob & Comp., früher Kaufleute in London, jetzt in Dünkirchen, machen, so halte ich es für meine Pflicht, Euch diese noch wenig bekannte Privatmittheilung zu geben, daß die von Ihnen erwarteten Schiffe von der Küste weggetrieben wurden, ohne daß sie im Stande waren, mit der Löschung ihrer Ladung anzufangen, oder einen Theil derselben zu landen; daß ferner die Geschäftsfreunde im westlichen Theil des Landes sich entschlossen haben, ihre Namen der Firma zu entziehen, da das Geschäft jetzt nur noch mit Verlust verbunden sein kann. Indem ich große Hoffnung hege, daß Ihr diese frühzeitige Benachrichtigung für Euch benutzen und Maßregeln, um Euch vor Verlusten zu sichern, treffen werdet, verbleibe ich Euer untertänigster Diener

Nihil Namenlos.

An Herrn Ralf Mareschal von Mareschall Wells. Citissime.

 

Sir Frederik's Kinnlade sank nieder und sein Gesicht wurde finster, als der Brief gelesen war und Ellieslaw ausrief: »Dieß betrifft ja die Hauptspringfeder unserer Unternehmung. Wenn die französische Flotte mit dem König an Bord von der englischen weggejagt ist, wie dieß verdammte Gekritzel anzuzeigen scheint, wo sind wir dann?«

»Wo wir diesen Morgen waren, wie ich glaube,« sagte Mareschal noch immer lachend.

»Verzeiht mir, Mareschal, und laßt Eure schlecht angebrachte Munterkeit bei Seite. Diesen Morgen hatten wir uns noch nicht öffentlich blosgestellt, wie es jetzt durch Eure tolle Handlung geschehen ist, während Ihr doch den Brief in der Tasche hattet, der uns benachrichtete, daß unsere Unternehmung verzweifelt wäre.«

»Ja, ja, ich erwartete, daß Ihr das sagen würdet, erstens aber kann mein Freund Nihil Namenlos und sein Brief eine bloße Posse sein, und weiterhin wollte ich Euch wissen lassen, daß ich einer Partei müde bin, die nichts thut, als am Abend kühne Entschlüsse fassen, und dieselben noch vor dem Morgen mit dem Wein ausschlafen. Die Regierung ist jetzt mit Munition und Truppen nicht versehen; in wenig Wochen wird sie an Beidem Ueberfluß haben. Das Land ist jetzt gegen sie in Feuer und Flammen; in wenig Wochen wird diese erste Aufwallung bei den Wirkungen des Eigennutzes, der Furcht und der lauwarmen Gleichgültigkeit so kalt wie um Weihnachten geworden sein. Weil ich nun entschlossen war, Alles auf einen Trumpf zu setzen, so habe ich dafür gesorgt, daß ihr eben so hoch, wie ich, spielt; daß ich euch zur offenen Erklärung zwang, hat nichts zu sagen. Ihr befindet euch jetzt im Sumpfe und müßt hindurch.«

»Herr Mareschal, Ihr irrt Euch in Bezug auf Einen von uns,« sagte Sir Frederik Langley; er zog die Schelle und befahl der eintretenden Person, daß seine Diener und Pferde sogleich zur Abreise bereit sein sollten.

»So dürft Ihr uns nicht verlassen, Sir Frederik,« sagte Ellieslaw; »wir müssen unsere Musterrollen durchsehen.«

»Ich will heute Nacht noch fort, Herr Vere,« sagte Sir Frederik, »und Euch meine Absichten in dieser Angelegenheit, sobald ich zu Hause bin, schreiben.«

»So,« erwiderte Mareschal, »und Ihr wollt uns den Brief durch einen Trupp Reiterei aus Carlisle schicken, um uns zu Gefangenen zu machen? Seht Euch vor, Sir Frederik, wenigstens ich will weder verlassen noch verrathen werden; verlaßt Ihr Ellieslaw heute Nacht, so wird es nur geschehen, wenn Ihr über meinen Leichnam hinwegschreitet.«

»Schämt Euch, Mareschal,« sagte Herr Vere; »wie könnt Ihr so hastig den Absichten unseres Freundes so schlechte Deutung geben! Ich bin überzeugt, daß Sir Frederik nur scherzte; wären wir nicht zu ehrenwerth, um jemals von der Aufgebung unserer Sache zu träumen, so müßte er jedenfalls bedenken, daß wir volle Beweise über seinen Beitritt zu derselben und über seine eifrige Thätigkeit in ihrer Beförderung besitzen. Er muß sich außerdem bewußt sein, daß die Regierung die erste Nachricht bereitwillig empfangen wird und daß wir einige Stunden ihm leicht abgewinnen können, wenn es sich darum handelt, wer die Angelegenheit zuerst anzeigt.«

»Ihr solltet sagen, Ihr und nicht Wir, wenn Ihr von dem Vorsprung in solch einem Wettrennen der Verrätherei redet; was mich betrifft, so will ich mein Pferd wegen einer solchen Schurkerei nicht besteigen,« sagte Mareschal, und murmelte dann zwischen den Zähnen: »ein schönes Paar von Schurken, um in ihrer Gesellschaft den Hals zu wagen.«

»Ich brauche keinen Andern, um mir eine Handlung einzugeben, die ich für zweckmäßig halte,« sagte Sir Frederik Langley; »mein erster Schritt soll sein, Ellieslaw zu verlassen: ich habe keinen Grund, mein Wort Jemandem zu halten« (er blickte auf Vere), »welcher mir das seinige nicht gehalten hat.«

»Worin habe ich Sir Frederik getäuscht?« fragte Ellieslaw, indem er durch eine Handbewegung seinen ungestümen Vetter zum Schweigen brachte.

»Im empfindlichsten und zartesten Punkte – Ihr habt mich in Bezug auf eine vorgeschlagene Heirath gefoppt, welche, wie Ihr wohl wißt, das Pfand unserer politischen Unternehmung war. Diese Entführung und Zurückbringung von Miß Vere – die kalte Aufnahme, die mir von ihr zu Theil wurde, und die Entschuldigung, womit Ihr dieselbe beschönigt, halte ich für bloße Ausflüchte, damit Ihr die Güter, welche ihr von Rechtswegen gehören, im Besitz behalten und mich mittlerweile zum Werkzeuge in Eurem verzweifelten Unternehmen machen könnt, indem Ihr mir Hoffnungen und Erwartungen vorhaltet, die Ihr niemals zu verwirklichen gesonnen seid.«

»Sir Frederik, ich versichere bei Allem, was heilig ist« –

»Ich will auf keine Versicherungen mehr hören; ich bin damit zu lange getäuscht worden,« erwiderte Sir Frederik.

»Verlaßt Ihr uns,« sagte Ellieslaw, »so müßt Ihr wissen, daß Euer und unser Untergang gewiß ist. Alles hängt von unserem Zusammenhalten ab.«

»Laßt mich für mich selbst sorgen,« erwiderte der Ritter; »sagtet Ihr aber die Wahrheit, so würde ich lieber umkommen, als mich länger zum Narren haben lassen.«

»Kann Nichts, kann keine Bürgschaft Euch von meiner Aufrichtigkeit überzeugen?« sagte Ellieslaw beängstigt; »diesen Morgen hätte ich Euren ungerechten Verdacht als eine Beschimpfung zurückgewiesen, allein in unserer jetzigen Lage« –

»Fühlt Ihr Euch gezwungen, aufrichtig zu sein,« ergänzte Sir Frederik den Satz. »Wollt Ihr, daß auch ich dieß glaube, so könnt Ihr nur in einer einzigen Weise mich davon überzeugen; laßt Eure Tochter mir heute Abend noch ihre Hand geben.«

»So bald? unmöglich,« antwortete Vere; »bedenkt ihren Schrecken, unser gegenwärtiges Unternehmen.«

»Ich will auf Nichts als auf ihre Einwilligung am Altar hören. Ihr habt eine Kapelle im Schlosse. Dr. Hobbles befindet sich unter der Gesellschaft, gebt mir heute Abend diesen Beweis Eurer Aufrichtigkeit und wir sind wieder in Herz und Hand vereint, verweigert Ihr mir aber mein Gesuch in einem Augenblick, wo die Gewährung Eurem Vortheil so angemessen ist, wie soll ich dann Euch Morgen vertrauen, wenn ich mich bei Eurem Unternehmen bloßgestellt habe, und nicht mehr zurück kann?«

»Und kann ich mich darauf verlassen, daß unsere Freundschaft sich erneut, wenn Ihr heute Abend mein Schwiegersohn werden könnt?« fragte Ellieslaw.

»Unfehlbar und unverletzlich,« erwiderte Sir Frederik.

»Dann,« sagte Vere, »obgleich Eure Forderung voreilig, unzart und ungerecht gegen meinen Charakter ist, gebt mir Eure Hand, Sir Frederik – meine Tochter soll Euer Weib sein.«

»Noch heute Nacht!«

»Noch diese Nacht,« versicherte Ellieslaw, »bevor die Glocke 12 schlägt.«

»Ich hoffe jedoch, mit ihrer Einwilligung,« sagte Mareschal, »denn ich versichere euch beiden Herren, daß ich nicht ruhig dastehen will, wenn irgend ein Zwang dem Willen meiner hübschen Cousine aufgedrungen wird.«

»Die Pest hole den hitzigen Burschen,« murmelte Ellieslaw zwischen den Zähnen und sagte dann mit lauter Stimme: »mit ihrer Einwilligung? wofür haltet Ihr mich, Mareschal, daß Ihr Eure Einmischung für nothwendig erachtet, um meine Tochter gegen ihren Vater zu beschützen? Verlaßt Euch darauf, sie hegt keinen Widerwillen gegen Sir Frederik Langley.«

»Oder vielmehr gegen den Namen Lady Langley. Wahrhaftig, das ist ziemlich wahrscheinlich. Viele hübschen Weiber möchten vielleicht ihrer Meinung sein; ich bitte euch um Verzeihung, allein diese plötzlichen Forderungen und Zugeständnisse haben mich hinsichtlich ihrer nicht wenig beunruhigt.«

»Nur die Plötzlichkeit des Vorschlags beunruhigt mich,« sagte Ellieslaw; »läßt sie sich aber nicht bereden, so wird Sir Frederik bedenken« –

»Ich will nichts bedenken, Herr Vere, – Eurer Tochter Hand heute Nacht, oder ich reise ab, wäre es auch um Mitternacht. Dieß ist mein Ultimatum.«

»Ich nehme es an,« sagte Ellieslaw, »und werde euch verlassen, damit ihr unsere militärischen Vorbereitungen besprecht, während ich gehe, um meine Tochter auf eine so plötzliche Veränderung ihres Zustandes vorzubereiten.« – Mit diesen Worten verließ er die Gesellschaft.


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