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Sechstes Kapitel.

Nennen wir uns nicht Diebe nach der Beute des
Tages, denn wir sind Ritter der Nacht; laßt uns die
Förster der Diana, die Edelleute des Schattens, die
Günstlinge des Mondes sein.

Heinrich IV. Theil I.

 

Der Einsiedler hatte die übrige Zeit des Tages, an welchem er mit den jungen Damen zusammengetroffen war, innerhalb seines Gartens zugebracht. Am Abende saß er wieder auf seinem Lieblingssteine. Die röthlich untergehende Sonne unter rollenden Wolken warf ein düsteres Licht über das Moor und ertheilte eine tiefere Purpurfarbe den breiten Umrissen von kahlen Anhöhen, welche diesen einsamen Platz umringten. Der Zwerg blickte auf die Wolken; als sie sich über einander in Massen gesammelter Dünste häuften, und als ein heller Strahl des sinkenden Lichtkörpers auf seine auffallende und seltsame Gestalt fiel, konnte er als der Dämon des drohenden Gewitters oder als ein Kobold erscheinen, der aus seinem Wohnort unter der Erde durch die unterirdischen Zeichen der Annäherung eines heftigen Sturmes auf die Oberfläche entboten war. Als er so dasaß und sein dunkles Auge auf den zürnenden und geschwärzten Himmel wandte, sprengte ein Reiter schnell auf ihn zu, hielt an, als wolle er sein Pferd auf einen Augenblick Athem schöpfen lassen und machte dem Einsiedler eine Art Verbeugung mit einem Ausdruck, der zwischen Frechheit und Verlegenheit in der Mitte stand.

Die Gestalt des Reiters war dünn, groß und schlank, zeigte jedoch merkwürdige Kraft, breite Knochen und starke Sehnen; sie glich derjenigen eines Mannes, der sein ganzes Leben lang die heftigsten Leibesübungen betrieb, welche die Zunahme des Menschenleibes im Umfange verhindern, während sie durch Gewohnheit die Muskelkraft stärken und stählen. Sein Antlitz mit scharfen Zügen, sonnverbrannt und mit Sommersprossen, zeigte einen unheimlichen Ausdruck von Gewaltthätigkeit, Unverschämtheit und List, von welchen Eigenschaften eine jede abwechselnd vorzuherrschen schien; rothes Haar und röthliche Augenbrauen, unter denen scharfe graue Augen blitzten, vervollständigten den Unheil verkündenden Umriß der Gesichtsbildung jenes Reiters. Er trug Pistolen in den Satteltaschen, und ein zweites Paar ragte unter seinem Gürtel hervor, obgleich er sich Mühe gegeben hatte, dasselbe unter seinem zugeknöpften Wamse zu verbergen. Sein Anzug war eine verrostete Sturmhaube, ein Büffelwams von etwas alterthümlichem Schnitt, Handschuhe, von denen derjenige der rechten Hand mit kleinen Eisenschuppen, wie ein alter Fechthandschuh, bedeckt war; ein großer Pallasch vervollständigte seine Ausrüstung.

»So,« sagte der Zwerg, »Raub und Mord sitzen wieder zu Pferde.«

»Ja,« erwiderte der Bandit, »Elshie, Eure Heilkunde hat mich wieder flott gemacht.«

»Und alle Eure Versprechungen, Euch zu bessern, die Ihr während Eurer Krankheit machtet, sind vergessen?« fuhr Elshender fort.

»Alle sind mit den Wasserbrocken und Brodsuppen verschwunden,« sagte der Bandit, ohne sich zu schämen, »Ihr wißt, Elshie, denn man sagt, Ihr seid mit dem Herrn sehr wohl bekannt:

›Als einst der Teufel kränkelte, da wollt' er gern ein Mönch sein,
Doch als der Teufel sich besserte, zog er nicht länger die Klauen ein.‹«

»Du sagst die Wahrheit,« sprach der Einsiedler, »ein Wolf läßt sich eben so wenig von seinem Blutdurst oder ein Rabe von seiner Gier nach Aas trennen, wie du von deinen verruchten Neigungen.«

»Was Henker sollte ich thun, es ist mir angeboren, es liegt mir im Blut und Knochen; höre, Mann, die Burschen von Westburnflat sind zehn Geschlechter lang Straßenräuber und Viehdiebe gewesen. Sie haben Alle viel getrunken, gut gelebt, blutige Rache für kleine Beleidigungen genommen, und haben niemals der Waffen, um Alles das zu gewinnen, entbehrt.«

»Recht, du bist ein Wolf von ächter Race,« sagte der Zwerg, »wie jemals ein solcher des Nachts über eine Schafhürde sprang; in welchem Auftrage der Hölle bist du jetzt ausgeritten?«

»Kann Eure Weisheit es nicht errathen?«

»So viel weiß ich,« sagte der Zwerg, »daß deine Absicht eine böse ist, daß deine That noch schlimmer und der Ausgang der schlimmste von allen sein wird.«

»He, Vater Elshie, gerade deßhalb bin ich um so mehr Euer Liebling,« meinte Westburnflat, »das habt Ihr ja immer gesagt.«

»Ich habe Ursache, alle Diejenigen zu lieben,« erwiderte der Zwerg, »welche die Geiseln ihrer Nebenmenschen sind, und du bist eine blutige.«

»Nein, zu dem bekenne ich mich nicht schuldig; blutig bin ich nie, wenn nicht Widerstand stattfindet, Ihr wißt ja, das treibt einem Manne die Borsten in die Höhe, und daran ist auch nicht viel gelegen; ich beschneide nur den Kamm eines jungen Hahnes, der ein wenig zu muthig gekräht hat.«

»Doch nicht dem jungen Earnscliff?« fragte der Einsiedler mit einiger Aufregung.

»Nein, dem jungen Earnscliff noch nicht, aber seine Zeit kommt vielleicht noch, wenn er keinen guten Rath annimmt. Er mag in die Kaninchenstadt zurückkehren, für die er sich eignet; er braucht sich hier nicht herumzutreiben, um das wenige Rothwild zu tödten, das hier noch übrig ist, oder um angeblich als Friedensrichter zu walten und den vornehmen Leuten im rauchigen Edinburgh Briefe zu schreiben über den unruhigen Zustand des Landes; er mag sich in Acht nehmen.«

»Dann muß es Hobbie von Heugh-foot sein,« sagte Elshie, »was hat der Euch zu Leide gethan?«

»Nichts Besonderes, ich höre aber, daß er gesagt hat, ich sei am Fastabend vom Kugelspiel aus Furcht vor ihm weggeblieben; das geschah aber nur aus Furcht vor den Gerichtsdienern, denn ein Verhaftsbefehl war gegen mich ausgefertigt. Ich will Hobbie und seinem ganzen Clan Stand halten, indeß es ist weiter Nichts, als daß ich ihm eine Lection geben will, damit er seiner Zunge gegen Leute, die besser sind wie er, nicht zu freien Lauf läßt. Ich bin überzeugt, daß er vor morgen früh die beste Schwungfeder aus seinem Flügel verloren hat. Lebt wohl, Elshie, einige geschickte Bursche warten auf mich dort unten im Walde, ich will bei Euch einsprechen, wenn ich zurückkehre, und eine hübsche Erzählung alsdann für Eure Heilkunde bringen.«

Ehe der Zwerg sich fassen konnte, um zu antworten, gab der Straßenräuber von Westburnflat seinem Pferde die Sporen. Das Thier stieß sich an einem der Steine, die zerstreut umherlagen und sprang vom Wege ab. Der Reiter gebrauchte seine Sporen ohne Mäßigung oder Gnade, das Pferd wurde wüthend, bäumte sich, schlug hinten und vorne aus und sprang wie ein Hirsch mit allen vier Fußen vom Boden auf. Es war vergeblich; der unbeugsame Reiter saß fest, als sei er ein Theil des Pferdes, das er beritt; nach einem kurzen aber wüthenden Kampf zwang er das unterworfene Thier zu einem Schritt, der ihn bald aus dem Bereiche brachte, worin ihn der Einsiedler erblicken konnte.

»Dieser Schurke,« rief der Zwerg, »dieser kaltblütige, verhärtete, grausame Raufbold – dieser Elende, bei welchem jeder Gedanke mit Verbrechen befleckt ist, besitzt Körpermasse und Sehnen, Glieder, Stärke und Thätigkeit genug, um ein edleres Thier wie er selbst ist, zu zwingen, daß es ihn zu dem Orte trägt, wo er Ruchlosigkeiten vollbringen kann, während ich, besäße ich die Schwäche zu wünschen, daß dieses unglückliche Schlachtopfer auf seiner Hut wäre, und daß seine hülflose Familie gerettet würde, meine guten Absichten durch die Altersschwäche vereitelt sehen müßte, welche mich an diesen Platz heftet. Warum sollte ich wünschen, daß es anders wäre? Was hat meine krächzende eulenartige Stimme, meine scheußliche Gestalt, meine widerlichen Züge mit den schöneren Geschöpfen der Natur zu schaffen? Empfangen nicht die Menschen sogar meine Wohlthaten mit Zurückschaudern, Abscheu und schlecht unterdrücktem Widerwillen? Warum sollte ich mich um ein Geschlecht bekümmern, welches mich als Mißgeburt und als Verstoßenen betrachtet, welches mich als solchen behandelt? Nein, bei aller Undankbarkeit, die ich erfuhr, – bei dem Unrecht, welches ich ertrug, bei meinem Gefängniß, meinen Geißlungen und meinen Ketten, ich will das Gefühl der sich auflehnenden Menschlichkeit niederkämpfen! ich will nicht mehr der Thor wie früher sein, um von meinen Grundsätzen abzuweichen, wenn man sich an mein Gefühl wandte, als wenn ich, dem Niemand Mitgefühl erweist, Mitgefühl mit irgend Jemand hegen sollte! Das Schicksal mag seinen Sichel-Wagen durch die erdrückte und zitternde Masse der Menschheit treiben. Soll ich der Thor sein, um diese abgelebte Gestalt, diesen entstellten Klumpen von Sterblichkeit unter seine Räder zu werfen, damit der Zwerg, der Zauberer, der Krüppel eine schöne Gestalt oder einen thätigen Leib von Zerstörung rettet und die Welt bei dem Wechsel in die Hände klatscht? Niemals! – und dennoch, dieser Elliot – so jung, so tapfer und freimüthig, so – ich will nicht länger daran denken, ich kann ihm nicht helfen, und ich bin entschlossen, fest entschlossen, ihm nicht zu helfen, wenn ich könnte, wenn ein bloßer Wunsch Bürgschaft für seine Sicherheit böte!«

Nachdem er so sein Selbstgespräch beendet hatte, zog er sich in seine Hütte zum Schutz vor dem Wetter zurück, welches jetzt mit großen und schweren Regentropfen auszubrechen begann. Die letzten Sonnenstrahlen verschwanden gänzlich und zwei oder drei ferne Donnerschläge folgten auf einander in kurzen Zwischenräumen, indem sie unter der Reihe der kahlen Höhen wie der Widerhall eines entfernten Treffens erschallten.


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