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Fünftes Kapitel.

Der kahlste Fels auf weitstem Haidegrund
Fühlt, ob auch öde selbst, des Frühlings Milde.
Im Thaue des Aprils, im Strahl des Mai's
Ergrünt sein Moos, zum Wachsthum frisch belebt.
So schmilzt ein Herz, ob noch so sehr verdorrt,
Bei Frauenthränen, oder wird erfreut
Durch eines Weibes Lächeln.

Beaumont.

 

Als der Frühling vorrückte und das Wetter wärmer wurde, fand man den Klausner häufiger auf dem breiten flachen Stein vor seinem Hause sitzen. Als er dort eines Tages sich niedergelassen hatte, sprengte gegen Mittag eine Gesellschaft von Herren und Damen wohlberitten und mit zahlreicher Begleitung über die Haide, in einiger Entfernung bei seiner Wohnung vorbei. Hunde, Falken und Handpferde vermehrten das Gefolge, und zu Zeiten erklang die Luft von dem Rufe der Jäger und dem Schalle der Jagdhörner, welche die Diener bliesen. Der Klausner war im Begriff, sich in seine Wohnung bei dem Anblick eines so munteren Zuges zurückzuziehen, als drei junge Damen mit ihren Dienern, welche einen Umweg gemacht, und um ihre Neugier durch den Anblick des weisen Mannes von Mucklestane-Moor zu befriedigen, sich von der Gesellschaft getrennt hatten, plötzlich herbei kamen, ehe er seine Absicht ausführen konnte.

Die Erste kreischte und hielt die Hand vor die Augen, als sie einen so ungewöhnlichen Gegenstand erblickte; die Zweite richtete mit einem hysterischen Gekicher, welches ihren Schrecken verbergen sollte, an ihn die Frage, ob er ihr nicht ihr Schicksal vorhersagen könne; die Dritte, welche am besten beritten, am besten gekleidet war und auch unzweifelhaft die Schönste von den Dreien war, kam näher, als wollte sie die Unhöflichkeit ihrer Gefährtinnen ausgleichen.

»Wir haben den rechten Weg verloren, der durch diese Moräste führt, und unsere Gesellschaft ist ohne uns weiter geritten,« sagte die junge Dame. »Da wir Euch, Vater, an der Thüre Eures Hauses sitzen sahen, haben wir uns hieher gewandt, um –«

»Still!« unterbrach sie der Zwerg, »noch so jung und schon so listig! Ihr kamt, und Ihr wißt, daß Ihr kamt um Euch über das Bewußtsein der Jugend, des Reichthums und der Schönheit zu freuen, indem Ihr sie mit Alter, Armuth und Häßlichkeit vergleicht; es ist eine Beschäftigung, die sich für die Tochter Eures Vaters eignet, wie ungleich jedoch dem Kinde Eurer Mutter!«

»Kanntet Ihr denn meine Eltern, und kennt Ihr mich?«

»Ja, es ist das erstemal, daß Ihr meinen wachenden Augen begegnet, ich habe Euch aber in meinen Träumen gesehen.«

»In Euren Träumen?«

»Ja, Isabel Vere, was hast du oder die Deinigen mit meinen wachenden Gedanken zu schaffen?«

»Eure wachenden Gedanken, Herr,« sagte die zweite von Miß Vere's Gefährtinnen mit einer Art spöttischen Ernstes, »sind ohne Zweifel auf die Weisheit gerichtet; die Thorheit kann sich nur in den Augenblicken Eures Schlafes eindrängen.«

»Ueber die Deinigen,« erwiderte der Zwerg, ärgerlicher als es einem Einsiedler oder Philosophen geziemte, »übt die Thorheit eine unbeschränkte Herrschaft, du magst wachen oder schlafen.«

»Gott segne uns,« sagte die Dame, »er ist sicherlich ein Prophet.«

»Ja gewiß,« antwortete der Klausner, »wie du ein Weib bist, – ein Weib! ich hätte sagen sollen eine Dame, eine feine Dame! Ihr fragtet mich, ob ich Euch Euer Glück prophezeihen wolle – Eure Laufbahn ist nur Eine, eine endlose Jagd im Leben nach Thorheiten, die der Jagd nicht werth sind, und die sobald sie eingefangen wurden, nach einander weggeworfen werden – eine Jagd, die von den Tagen des wankenden Kindesalters bis zum Greisenalter mit seinen Krücken fortgesetzt wird. – Spielzeug und Lustbarkeit während der Kindheit – Liebe mit ihren Abgeschmacktheiten in der Jugend – Kartenspiel im Alter – Alles das wird auf einander als Gegenstand der Jagd folgen, – Blumen und Schmetterlinge im Frühling – Schmetterlinge und Distelwolle im Sommer – verwelkte Blätter im Herbst und Winter – Alles das wird, auf der Jagd verfolgt und eingefangen, sämmtlich bei Seite geworfen. – Geht, Euer Schicksal ist Euch verkündet.«

»Alles das wird jedoch eingefangen,« erwiderte die lachende Schöne, die eine Cousine der Miß Vere war; »das ist wenigstens Etwas, Nancy,« fuhr sie fort, indem sie sich an die furchtsame Dame wandte, welche zuerst dem Zwerge nahe gekommen war; »wollt Ihr ihn ebenfalls um Euer Schicksal befragen?«

»Um keinen Preis,« sagte Jene, indem sie sich zurückwandte; »ich habe genug von dem Eurigen gehört.«

»Wohlan dann,« sagte Miß Ilderton, indem sie Geld dem Zwerge anbot, »ich will für meine Wahrsagung bezahlen, als wäre sie einer Prinzessin durch ein Orakel gegeben.«

»Die Wahrheit,« sprach der Wahrsager, »kann weder gekauft noch verkauft werden.« Bei den Worten stieß er die angebotene Gabe mit mürrischer Verachtung zurück.

»Wohlan denn,« sagte die Dame, »ich will mein Geld behalten, Herr Elshender, um es auf der Jagd, die ich jetzt vorhabe, zu gebrauchen.«

»Ihr werdet es brauchen,« erwiderte der grobe Zwerg, »ohne Geld jagen nur Wenige mit Glück, und noch Wenigere werden selbst gejagt – halt,« sagte er zu Miß Vere, als ihre Gefährtinnen sich entfernten, »mit Euch habe ich mehr zu reden, Ihr besitzt Alles, nach dessen Besitz Eure Gefährtinnen sich sehnen, oder hinsichtlich dessen sie wenigstens wünschen, daß man den Besitz bei ihnen voraussetzt – Schönheit, Reichthum, hohen Stand und die Gaben guter Erziehung.«

»Verzeiht mir, wenn ich jetzt meinen Gefährtinnen folge, Vater; ich bin sowohl gegen Schmeichelei wie Wahrsagen unempfindlich.«

»Bleibt,« fuhr der Zwerg fort, indem er seine Hand an den Zügel ihres Pferdes legte, »ich bin kein gewöhnlicher Wahrsager und ich bin kein Schmeichler. Von allen Vortheilen, die ich erwähnte, hat ein jeder sein entsprechendes Uebel – unglückliche Liebe, gehinderte Neigung, die Düsterkeit des Klosters oder eine verhaßte Verbindung. Ich, der ich allen Menschen Böses wünsche, kann Euch kein Böses mehr wünschen, so sehr ist Euer Lebenslauf davon durchkreuzt.«

»Und wenn es so ist, Vater, so laßt mich den Trost des Unglücks, der mir bereit liegt, genießen, so lange noch Wohlstand in meiner Gewalt ist. Ihr seid alt, Ihr seid arm; Eure Wohnung liegt von menschlicher Hülfe, wenn Ihr krank seid, oder wenn Ihr Mangel leidet, weit entfernt; Eure Lage setzt Euch in mancher Hinsicht dem Argwohn des Pöbels aus, welcher zu Handlungen der Rohheit nur zu sehr geneigt ist. Laßt mich glauben, daß ich das Loos eines menschlichen Wesens verbessert habe! Nehmt solchen Beistand an, den ich Euch darbieten kann, thut dieß um meinetwillen, wo nicht um Eurer selbst willen, damit ich, wenn diese Uebel entspringen, welche Eure Prophetengabe vielleicht zu richtig voraussieht, mich des Gedankens erfreuen kann, daß die Stunden meiner glücklicheren Zeit nicht gänzlich umsonst vergangen sind.«

Der alte Mann erwiderte mit gebrochener Stimme und beinahe ohne sich zur jungen Dame hinzuwenden: »Ja, so solltest du denken, so solltest du reden, wenn jemals die Rede und die Gedanken der Menschen Etwas mit einander gemein haben! Das ist nicht der Fall – ach! es ist unmöglich und dennoch – wart' einen Augenblick, – rege dich nicht, bis ich heimkehre.« Er ging in seinen kleinen Garten und kam mit einer halb aufgeblühten Rose zurück; »du ließest mich eine Thräne vergießen, die erste, welche mein Augenlid seit vielen Jahren benetzte; wegen dieser guten That empfange dies Zeichen der Dankbarkeit. Es ist nur eine gewöhnliche Rose, bewahre sie jedoch und trenne dich nicht von ihr. Komm zu mir in der Stunde des Unglücks. Zeige mir jene Rose oder nur ein Blatt von ihr, wäre es auch verwelkt so wie mein Herz. Sollte ich mich in meinen heftigsten und wildesten Wuthanfällen gegen eine verhaßte Welt befinden, so wird diese Rose dennoch sanftere Gedanken in meinen Busen zurückrufen und dem deinigen vielleicht glücklichere Aussichten gewähren. Aber keine Botschaft,« rief er mit seiner gewöhnlichen menschenfeindlichen Stimmung, »keine Botschaft, keine Zwischenträger! Komme selbst; das Herz und die Thür, welche gegen jedes irdische Wesen verschlossen sind, werden sich dir und deinem Kummer öffnen. Jetzt geh weiter.«

Er ließ den Zaum los, und die junge Dame ritt weiter, nachdem sie ihren Dank dem sonderbaren Wesen ausgesprochen hatte, soweit es ihr Erstaunen über die außergewöhnliche Art seiner Anrede es ihr gestattete. Sie wandte sich oft zurück, um auf den Zwerg zu blicken, welcher an der Thüre seiner Wohnung blieb und ihre Heimkehr nach ihres Vaters Schloß Ellieslaw auf dem Moor überwachte, bis der Rücken des Hügels die Gesellschaft seinem Anblick entzog.

Die Damen scherzten mittlerweile mit Miß Vere über die sonderbare Unterredung, die sie soeben mit dem weitberühmten Weisen des Moores gehabt hatten. »Isabelle hat alles Glück, zu Hause und auswärts! Ihr Falke fängt das Birkhuhn; ihre Augen verwunden die jungen Herrn; ihren armen Gefährtinnen und Cousinen bleibt nichts übrig; sogar der Geisterbeschwörer kann der Kraft ihrer Reize nicht entgehen. Ihr solltet aus Mitleid aufhören, Alles für Euch in Beschlag zu nehmen, meine theure Isabelle, oder wenigstens einen Laden etabliren und alle Waaren verkaufen, die Ihr doch für Euren eigenen Gebrauch nicht aufstapeln wollt.«

»Ihr sollt meine Waaren,« erwiderte Miß Vere, »und den Geisterbeschwörer in den Kauf zu sehr wohlfeilem Preise haben.«

»Nein, Nancy soll den Hexenmeister haben,« sagte Miß Ilderton, »um ihre Mängel auszugleichen; sie ist selbst noch nicht durchaus eine Hexe, wie Ihr wißt.«

»O Gott! Schwester,« erwiderte die jüngere Miß Ilderton, »was könnte ich mit einem so furchtbaren Ungeheuer anfangen? ich hielt meine Augen geschlossen, nachdem ich Einmal auf ihn geblickt hatte, und wahrlich, ich glaubte ihn immer noch zu sehen, obgleich ich die Augenlider so fest wie möglich zudrückte.«

»Das ist Schade,« sagte ihre Schwester, »so lange Ihr lebt, wählt einen Bewunderer, dessen Fehler verborgen bleiben können, indem Ihr ein Auge dabei zudrückt. Wohlan denn, wie ich glaube, muß ich ihn selbst nehmen, um ihn in der Mama Cabinet unter chinesischem Porzellan aufzubewahren, und um zu zeigen, daß Schottland ein Exemplar menschlichen Thones erzeugen kann, welches zehntausendmal häßlicher ist, wie die unsterblichen Geschöpfe der Künstler in Canton und Peking; so fruchtbar Letztere auch in Erzeugung von Ungeheuern sein mögen.«

»Die Lage dieses armen Mannes,« bemerkte Miß Vere, »bietet so viel Trauriges, daß ich, Lucy, in Eure Scherze nicht so bereitwillig wie sonst eingehen kann; wie ist es möglich, daß er in einem so wüsten Lande in solcher Entfernung von den Menschen leben kann? Und wenn er die Mittel besitzt, um gelegentlichen Beistand sich zu sichern, wird dann nicht sogar der Verdacht, daß er dieselben besitzt, ihn der Beraubung und Ermordung von einigen unserer unruhigen Nachbarn aussetzen?«

»Ihr vergeßt ja aber, daß er ein Zauberer ist,« sagte Nancy Ilderton.

»Und wenn seine Teufelei und Zauberkunst ihm nicht ausreichen sollte,« bemerkte ihre Schwester, »so kann er sich ja auf sein natürliches Zaubermittel verlassen; er braucht nur seinen ungeheueren Kopf und sein widernatürliches Gesicht aus der Thüre oder dem Fenster zu strecken, so daß die Angreifenden es deutlich erblicken. Der verwegenste Räuber, der jemals ein Pferd bestieg, würde kaum ihn zum zweiten Mal anzuschauen wagen. Gut, ich wünsche nur, daß ich diesen Gorgonenkopf auf eine halbe Stunde zur Verfügung hätte.«

»Zu welchem Zweck, Lucy?« fragte Miß Vere.

»Ich würde aus dem Schloß jenen finsteren, steifen und stolzen Sir Frederik Langley verscheuchen, der ein Günstling Eures Vaters ist, aber bei Euch so wenig in Gunst steht. Gewiß, ich werde dem Zauberer mein Leben lang nur für die halbe Stunde verpflichtet sein, worin wir aus der Gesellschaft dieses Mannes erlöst wurden, als wir diese Zeit durch den Abstecher, um Elshie zu besuchen, gewannen.«

»Was würdet Ihr denn sagen,« sprach Miß Vere in leisem Tone, so daß die jüngere Schwester sie nicht hören konnte, welche ihnen auf dem Wege etwas voraus war, da der enge Pfad allen Dreien nicht gestattete, neben einander zu reiten, »was würdet Ihr sagen, theuerste Lucy, wenn Euch vorgeschlagen würde, seine Gesellschaft Euer Leben lang zu ertragen?«

»Ich würde dreimal Nein, Nein, Nein sagen, jedesmal lauter wie vorher, bis man mich in Carlisle hören würde.«

»Sir Frederik würde alsdann sagen: Neun abschlägige Antworten sind einer halben Einwilligung gleich.«

»Dieß,« erwiderte Miß Lucy, »ist gänzlich von der Weise abhängig, wie die abschlägige Antwort ertheilt wird. Die meinige sollte kein Gran von Beistimmung enthalten.«

»Aber wenn Euer Vater sagen würde,« bemerkte Miß Vere, »thue dies, oder –«

»So würde ich den Folgen seines Oder trotzen, um die Lücke bei der gelassenen Wahl auszufüllen, wäre er auch der grausamste Vater, von welchem jemals in Romanen berichtet wurde.«

»Und wenn er Euch mit einer katholischen Tante, einer Aebtissin und einem Kloster drohte?«

»Alsdann,« erwiderte Miß Ilderton, »würde ich ihm mit einem protestantischen Schwiegersohn drohen, und eine Gelegenheit zum Ungehorsam wegen einer Gewissenssache gerne benutzen. Jetzt, da Nancy uns nicht hören kann, laßt mich Euch sagen, daß Ihr nach meiner Meinung vor Gott und Menschen zu entschuldigen seid, wenn Ihr dieser unheilvollen Heirath mit jedem verfügbaren Mittel widersteht; er ist ein stolzer, finsterer und ehrgeiziger Mann, ein Verschwörer gegen den Staat, ehrlos wegen seiner Habsucht und seiner Strenge, ein schlechter Bruder, bösartig und unedelmüthig gegen alle seine Verwandten, – Isabelle, ich würde lieber sterben, als mich mit ihm vermählen.«

»Laßt meinen Vater nicht merken, daß Ihr mir solchen Rath gabt,« sagte Miß Vere, »sonst, meine theure Lucy, müßt Ihr Ellieslaw Castle Lebewohl sagen.«

»Und ich sage Ellieslaw Castle von ganzem Herzen Lebewohl,« erwiderte ihre Freundin, »wenn ich Euch nicht aus demselben befreit und unter einem liebreicheren Beschützer sehen werde, wie demjenigen, welchen die Natur Euch gab. Ach, wenn nur mein armer Vater seine frühere Gesundheit noch besäße! wie gerne würde er Euch aufgenommen und beschützt haben, bis diese lächerliche und grausame Verfolgung vorüber wäre.«

»Wollte Gott, dem wäre so, theure Lucy,« erwiderte Isabelle, »ich fürchte aber, daß Euer Vater bei seiner schwachen Gesundheit mich nicht gegen die Mittel zu schützen vermag, welche sogleich würden angewandt werden, um die arme Entflohene zurückzuholen.«

»Ich fürchte das wirklich,« erwiderte Miß Ilderton, »aber wir wollen überlegen und Etwas ersinnen, jetzt da Euer Vater und seine Gäste sich so tief in eine geheimnißvolle Verschwörung eingelassen zu haben scheinen, wie man aus dem Hin- und Hergehen der Boten, aus den sonderbaren Gesichtern schließen kann, welche ohne Nennung ihrer Namen erscheinen und verschwinden, wie aus der Einsammlung und Vereinigung der Waffen und der ängstlichen Spannung und der Geschäftigkeit erhellt, wodurch jeder Mann im Schlosse aufgeregt zu sein scheint; unter solchen Umständen kann es für uns vielleicht nicht unmöglich sein, eine kleine Verschwörung unsererseits als Anhang der andern zu entwerfen – immer vorausgesetzt, daß die Angelegenheiten bis zum Aeußersten getrieben werden. Ich hoffe, die Herren haben alle Politik nicht für sich in Beschlag genommen. Einen Verbündeten möchte ich gerne in unsern Rath zulassen.«

»Doch nicht Nancy?«

»O nein,« sagte Miß Ilderton, »Nancy, obgleich ein ausgezeichnet gutes Mädchen, welche viel Anhänglichkeit zu Euch hegt, würde nur eine einfältige Rolle in einer Verschwörung spielen – eine so einfältige wie Renault und alle die untergeordneten Verschwörer im Geretteten Venedig. Nein, dies ist ein Jaffier oder ein Pierre, wenn Euch der Charakter besser gefällt; jedoch, obgleich ich weiß, daß er Euch gefällt, so scheue ich mich dennoch, seinen Namen zu nennen, damit ich Euch nicht zugleich ärgere. Könnt Ihr nicht rathen? Etwas wie ein Adler und ein Fels; der Name beginnt nicht mit dem englischen Wort für Adler, jedoch mit einem andern, das im Schottischen so etwas bezeichnet« Earn, schottisch für Eagle (Adler)..

»Ihr meint doch nicht den jungen Earnscliff, Lucy,« sagte Miß Vere, tief erröthend.

»Wen sollte ich sonst meinen?« sagte Lucy, »Jaffiers und Pierre's sind sehr selten hier zu Lande, wie ich annehmen kann, obgleich man genug Renaults und Bedamars vorfindet.«

»Lucy, wie könnt Ihr so tolle Reden führen, Schauspiele und Romane haben Euch das Gehirn verdreht; Ihr wißt, daß, abgesehen von der Einwilligung meines Vaters, ohne die ich Niemand heirathen will, und die in diesem Falle nie ertheilt werden würde; auch abgesehen davon, daß Ihr von der Neigung des jungen Earnscliff keine andere Kunde, als nach Euren tollen Vermuthungen und Einfällen habt, daß außerdem der verhängnißvolle Streit ein Hinderniß ist.«

»Der Streit, worin sein Vater getödtet wurde?« fragte Lucy, »das hat vor sehr langer Zeit statt gehabt; ich hoffe, wir haben die Zeiten der Blutrache überlebt, worin ein Zank zwischen zwei Familien wie ein spanisches Schachspiel vom Vater auf den Sohn sich vererbte, und wo ein Mord oder zwei in jeder Generation vorkamen, um dergleichen Unheil nicht aussterben zu lassen. Heutzutage verfahren wir mit unsern Zänkereien wie mit unsern Kleidern; wir haben unsern eigenen Schnitt und für uns unsern besondern Anzug; wir denken eben so wenig daran, die Zänkereien unserer Väter zu rächen, wie deren geschlitzte Wämser und Pluderhosen zu tragen.«

»Lucy, Ihr behandelt die Sache zu leichtfertig,« erwiderte Miß Vere.

»Durchaus nicht, meine theure Isabelle,« sagte Lucy, »bedenkt, Euer Vater war zwar bei dem unglücklichen Handgemenge gegenwärtig, Niemand aber hat vermuthet, daß er den tödtlichen Stoß führte, außerdem waren in früheren Zeiten nach gegenseitigem blutigen Kampfe zwischen Clans die nachfolgenden Familienverbindungen so wenig ausgeschlossen, daß die Hand einer Schwester oder Tochter das häufigste Pfand der Wiederaussöhnung bildete. Ihr lacht über meine Belesenheit in Romanen; allein ich versichere Euch, würde Eure Geschichte geschrieben, wie die so mancher weniger unglücklichen und verdienstvollen Heldin, so würde der einsichtsvolle Leser Euch zu der Dame und zur Geliebten von Earnscliff gerade wegen des Hindernisses bestimmen, welches Ihr für so unübersteigbar haltet.«

»Unsere Tage sind aber keine romantische Zeit, sondern traurige Wirklichkeit; denn dort steht das Schloß Ellieslaw.«

»Und dort steht Sir Frederik Langley im Thore und erwartet die Damen, um ihnen seinen Beistand beim Absteigen vom Pferde anzubieten, – ich möchte eben so gern eine Kröte berühren; ich will seine Hoffnung täuschen und den alten Stallknecht Horsington zu meinem Stallmeister annehmen.«

Bei diesen Worten peitschte die lebhafte junge Dame ihren Zelter vorwärts, sprengte bei Sir Frederik mit einem vertrauten Nicken vorüber, als er sich bereit hielt, den Zügel ihres Pferdes zu ergreifen, und sprang in die Arme des alten Stallknechtes. Isabelle hätte gerne dasselbe gethan, allein sie wagte es nicht, denn ihr Vater stand in der Nähe, und der Ausdruck des Mißfallens verdunkelte schon ein Antlitz, welches zum Ausdruck der rauhen Leidenschaften besonders geeignet war; sie sah sich zur Annahme der unwillkommenen Höflichkeiten ihres verabscheuten Bewerbers genöthigt.


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