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Zwölftes Kapitel.

Sie ist auf irgend einem Weg' entflohn;
Wißt ihr, wo ihr sie finden könnt?

 

Die Nachforschungen nach Miß Vere wurden vielleicht des Scheines wegen am nächsten Tage mit ähnlichem schlechten Erfolge wieder aufgenommen, und die Gesellschaft kehrte nach Ellieslaw am Abend zurück.

»Es ist auffallend,« sagte Mareschal zu Ratcliffe, »daß vier Reiter und ihr weiblicher Gefangener durch das Land gekommen sein sollten, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. Man sollte glauben, sie wären durch die Luft geflogen oder hätten ihren Ritt unterhalb der Erde ausgeführt.«

»Man kann oft,« erwiderte Ratcliffe, »zur Kenntniß dadurch gelangen, daß man dasjenige, welches nicht ist, entdeckt; wir haben jetzt jede Landstraße, jeden Reit- und Fußweg, die nach dem Schlosse führen, in allen Strichen des Compasses, mit Ausnahme des verwickelten und schwierigen Passes, untersucht, welcher südwärts nach Westburnflat und durch die Moräste führt.«

»Und weßhalb haben wir diesen nicht untersucht?«

»Darüber mögen Sie Herrn Vere fragen,« erwiderte trocken der Andere.

»Alsdann will ich ihn sogleich fragen,« sagte Mareschal, und fügte, sich zu Herrn Vere wendend, hinzu: »Herr, man hat mich benachrichtigt, daß ein Pfad, welcher nach Westburnflat führt, von uns noch nicht untersucht wurde.«

»O,« sagte Sir Frederik lachend, »wir kennen sehr gut den Eigenthümer von Westburnflat – ein wilder Bursch, der zwischen den Gütern seiner Nachbarn und den eigenen wenig Unterschied macht. Sonst aber hält er sehr ehrlich an seinen Grundsätzen, er wird sich an nichts vergreifen, was Ellieslaw gehört.«

»Außerdem,« sagte Herr Vere, geheimnißvoll lächelnd, »hatte er vergangene Nacht anderen Flachs an seinem Spinnrocken. Habt ihr nicht gehört, daß dem jungen Elliot sein Haus verbrannt und sein Vieh weggetrieben wurde, weil er sich weigerte, seine Waffen einigen ehrlichen Leuten auszuliefern, die für den König sich zu erheben gedachten?«

Die Herren lächelten einander zu, als hörten sie von einer Unternehmung, welche ihre eigenen Absichten begünstigte.

»Demnach,« begann Mareschal aufs Neue, »glaube ich, daß wir auch in dieser Richtung reiten müssen, sonst wird man uns sicherlich wegen unserer Nachlässigkeit tadeln.«

Kein vernünftiger Einwurf konnte gegen diesen Vorschlag gemacht werden, und die Herren der Gesellschaft wandten ihre Rosse nach der Richtung von Westburnflat. Sie waren nicht weit geritten, als sie den Schall von Hufen vernahmen, und ein kleines Corps von Reitern auf sich zukommen sahen.

»Dort kommt Earnscliffe,« sagte Mareschal, »ich kenne sein braunes Reitpferd mit dem Sterne auf der Stirn.«

»Und dort kömmt meine Tochter mit ihm!« rief Vere wüthend aus. »Wer wird jetzt meinen Verdacht für falsch oder beleidigend halten! Ihr Herren – meine Freunde, leiht mir den Beistand eurer Degen, damit ich mein Kind wieder erlange.«

Er zog seinen Degen; Sir Frederik und mehrere der Gesellschaft folgten seinem Beispiel und trafen Anstalt, die Anderen anzugreifen, welche auf sie zuritten; der größere Theil trug jedoch Bedenken.

»Sie kommen zu uns in Frieden und Vertrauen,« sagte Mareschal Wells; »hören wir zuerst, welchen Bericht sie uns von dieser geheimnißvollen Angelegenheit geben. Wenn Miß Vere behauptet, daß sie die geringste Beleidigung oder Beschädigung von Earnscliff erhalten hat, so bin ich der Erste, sie zu rächen; hören wir aber, was sie sagen.«

»Ihr thut mir unrecht mit Eurem Verdacht, Mareschal,« fuhr Vere fort, »Ihr seid der Letzte, von dem ich erwartet hätte, daß Ihr denselben aussprächt.«

»Ihr schadet Euch selbst, Ellieslaw, durch Eure Heftigkeit, obgleich Ihr eine Entschuldigung in der Sache selbst finden möcht.« Alsdann ritt er den Uebrigen ein wenig voraus und rief mit lauter Stimme: »Steht, Earnscliff, oder kommt Ihr und Miß Vere allein zu uns heran. Man hat Euch beschuldigt, jene Dame von dem Hause ihres Vaters entführt zu haben; wir stehen hier in Waffen, um unser Blut zu vergießen, damit wir sie wieder erlangen, oder diejenigen, welche sie beleidigt haben, der Gerechtigkeit zu überliefern.«

»Und wer könnte dieß williger thun, wie ich, Herr Mareschal,« sagte Earnscliff mit Stolz, »der ich das Vergnügen hatte, diesen Morgen sie aus dem Gefängnisse, worin ich sie eingeschlossen fand, zu befreien, und der ich sie jetzt zum Schloß Ellieslaw zurückgeleite?«

»Ist dieß der Fall, Miß Vere?« fragte Mareschal.

»So ist es,« antwortete Miß Vere mit lebhaftem Ausdruck; »um des Himmelswillen, stecken Sie Ihre Degen ein. Ich schwöre bei Allem, was heilig ist, daß ich von rohen Gesellen fortgeführt wurde, deren Personen und Zweck mir gänzlich unbekannt sind; der Freiheit bin ich durch die tapfere Dazwischenkunft dieses Herrn zurückgegeben worden.«

»Von wem und weßhalb konnte dieß geschehen sein?« setzte Mareschal die Unterredung fort; »hattet Ihr keine Kenntniß von dem Ort, wohin Ihr gebracht wurdet? Earnscliff, wo fandet Ihr diese Dame?«

Ehe jedoch diese Frage beantwortet werden konnte, ritt Ellieslaw herbei und schnitt die Unterredung ab, indem er sein Schwert in die Scheide steckte.

»Wenn ich genau weiß,« sagte er, »wieviel ich Herrn Earnscliff verdanke, so kann er sich auf eine passende Anerkennung seines Dienstes verlassen;« dann ergriff er den Griff des Zaumes von Miß Vere mit den Worten: »bis dahin hat er meinen Dank, daß er meine Tochter der Gewalt ihres natürlichen Beschützers wieder zurückgab.«

Ein finsteres Nicken seines Kopfes wurde von Earnscliff mit gleichem Stolze zurückgegeben.

Als Ellieslaw auf dem Weg nach seinem Hause mit seiner Tochter wieder zurückritt, schien er mit ihr ein so ernstliches Gespräch zu führen, daß die Uebrigen der Gesellschaft es für unschicklich hielten, durch zu große Annäherung sich ihnen aufzudringen. Mittlerweile sagte Earnscliff, als er von den andern Herrn aus der Gesellschaft Ellieslaws Abschied nahm, mit lauter Stimme: »Obgleich ich mir keines Umstandes in meinem Betragen bewußt bin, der einen solchen Verdacht rechtfertigen sollte, so muß ich bemerken, daß Herr Vere zu glauben scheint, ich hätte einigen Antheil an der scheußlichen Gewaltthätigkeit genommen, welche gegen seine Tochter geübt wurde. Ich bitte euch, ihr Herren, auf meine bestimmte Zurückweisung einer so unehrenvollen Beschuldigung zu achten; den aufgeregten Gefühlen eines Vaters kann ich in einem solchen Augenblick verzeihen, wenn aber irgend ein anderer Herr« – (er blickte sehr scharf auf Sir Frederik Langley) »mein Wort und das der Miß Vere nebst dem Zeugniß meiner mich begleitenden Freunde für ungenügend hinsichtlich meiner Rechtfertigung erachtet, so werde ich mich für sehr glücklich schätzen, die Beschuldigung so zurückzuweisen, wie es einem Manne geziemt, der seine Ehre für theurer als sein Leben hält.«

»Und ich will ihm zur Seite stehen,« sagte Simon von Hackborn, »und will es mit Zweien von Euch aufnehmen, Edelleuten oder Bauern, Gutsherren oder Pächtern – Simon ist das Alles Eins.«

»Wer ist der grobe Kerl?« fragte Sir Frederik Langley, »und was hat er mit den Streitigkeiten von Edelleuten zu schaffen?«

»Ich bin ein Bursch vom oberen Teviot,« sagte Simon, »und ich will mit Jedermann nach meinem Belieben zanken, mit Ausnahme des Königs und meines Gutsherrn.«

»Still,« sagte Mareschal, »laßt uns keinen Zank anfangen. Herr Earnscliff, obgleich wir nicht in allen Dingen die gleiche Ansicht haben, so hoffe ich doch, daß wir sogar als Feinde, wenn das Schicksal es will, einander gegenüberstehen können, ohne daß wir unsere Achtung vor Geburt, redlichem Spiel und unseren Personen außer Augen setzen. Ich halte Euch in dieser Angelegenheit für ebenso unschuldig, als mich selbst; ich will mein Wort verbürgen, daß mein Vetter Ellieslaw, sobald die Verstörung dieser plötzlichen Ereignisse gewichen ist, und sein Urtheil sich frei zu äußern vermag, den wichtigen Dienst nach Gebühr anerkennen wird, welchen Ihr ihm heute erwiesen habt.«

»Der Dienst, welchen ich Eurer Cousine erwies, gewährt an sich selbst eine genügende Belohnung – guten Abend, ihr Herren,« fuhr Earnscliff fort, »ich sehe, die meisten Ihrer Gesellschaft sind schon nach Ellieslaw unterwegs.«

Nachdem er Mareschal mit Artigkeit und die Uebrigen mit Gleichgültigkeit gegrüßt hatte, wandte Earnscliff sein Pferd und ritt nach dem Heugh-foot, um mit Hobbie Elliot die weiteren Maßregeln zu Aufsuchung der demselben geraubten Braut zu bereden, da er noch nicht wissen konnte, letztere sei ihren Verwandten zurückgegeben.

»Dort geht er,« sagte Mareschal; »bei meiner Seele, er ist ein schöner, tapferer, junger Herr, und dennoch möchte ich gerne auf dem grünen Rasen mit blanker Waffe ihm gegenüberstehen. Auf der Schule galt ich ihm beinahe gleich im Fechtrappiere; ich möchte mich an ihm mit scharfer Klinge versuchen.«

»Nach meiner Meinung,« bemerkte Sir Frederik Langley, »haben wir sehr unklug gehandelt, daß wir ihn und seine Leute ziehen ließen, ohne sie zu entwaffnen; die Whigs werden sich wahrscheinlich unter einem so muthigen jungen Kerl, wie er es ist, als ihrem Leiter sammeln.«

»Schämt Euch, Sir Frederik,« rief Mareschal aus, »glaubt Ihr, Ellieslaw konnte mit Ehren seine Einwilligung zu einer Gewaltthat gegen Earnscliff geben, als derselbe sein Gebiet nur betrat, um ihm seine Tochter zurückzubringen? Wenn er aber auch Eurer Meinung wäre, glaubt Ihr denn, daß ich und die Uebrigen dieser Herren sich durch ihre Theilnahme an solchem Verfahren beschimpfen würden? Nein, nein, ehrliches Spiel und alt Schottland für immer. Ist das Schwert gezogen, so bin ich bereit, das meinige wie nur irgend Jemand zu gebrauchen, so lang es aber in der Scheide steckt, haben wir uns wie Männer von Erziehung und gute Nachbarn zu benehmen.«

Bald nach diesem Gespräch erreichten sie das Schloß, worauf Ellieslaw, der einige Minuten vorher angelangt war, ihnen in dem Hofe begegnete.

»Wie geht es der Miß Vere? habt Ihr die Ursache ihrer Entführung erfahren?« fragte Mareschal mit hastigen Worten.

»Sie hat sich in ihr Gemach wegen großer Ermüdung zurückgezogen; ich kann nicht viel Licht hinsichtlich ihres Abenteuers von ihr erwarten, als bis sie sich etwas erholt hat,« erwiderte ihr Vater. »Euch jedoch, Mareschal, und den andern Freunden sind wir Beide wegen der gütigen Nachforschungen verbunden. Nur muß ich jetzt das Gefühl eines Vaters auf einige Zeit unterdrücken, um mich dem eines Patrioten hinzugeben. Ihr wißt, dieser Tag ist für unsere endliche Entscheidung festgesetzt – die Zeit drängt – unsere Freunde kommen herbei, und ich habe mein Haus nicht allein für die Herren von Stande, sondern auch für das schlechtere Spornleder eröffnet, das wir nothwendig brauchen müssen. Wir haben deßhalb wenig Zeit zu Vorbereitungen für ihren Empfang – überblickt diese Listen, Marchie« (eine Abkürzung, unter welcher Mareschal Wells bei seinen Freunden bekannt war). »Sir Frederik, lesen Sie diesen Brief aus Lothian und dem Westen. Alles ist für die Sichel reif; wir brauchen nur die Schnitter aufzubieten.«

»Von ganzem Herzen,« sagte Mareschal; »je mehr Unheil, desto besser der Krieg.«

Sir Frederik zeigte in seinen Zügen einen ernsten und verstörten Ausdruck.

»Geht mit mir bei Seite, mein guter Freund,« sprach Ellieslaw zu dem finsteren Baronet, »ich habe Euch etwas im Geheimen zu sagen, womit Ihr sicherlich zufrieden sein werdet.«

Beide gingen in's Haus und ließen Ratcliffe mit Mareschal im Hofe stehen.

»Somit,« sagte Ratcliffe, »halten die Herren Eurer politischen Ansicht den Fall dieser Regierung für so gewiß, daß sie sogar es verschmähen, unter anständiger Verkleidung die Intriguen ihrer Partei zu verbergen?«

»Wahrlich, Herr Ratcliffe,« erwiderte Mareschal, »die Handlungen und Gedanken Eurer Freunde bedürfen vielleicht der Verhüllung; mir aber gefällt es besser, daß die unsrigen sich mit offenem Antlitz zeigen können.«

»Und ist es möglich,« fuhr Ratcliffe fort, »daß Ihr, der Ihr ungeachtet Eurer Gedankenlosigkeit und Hitze (ich bitte um Verzeihung, Herr Marrschal, ich bin ein schlichter Mann) – daß Ihr, da Ihr doch, ungeachtet der Mängel Eures Charakters, natürlichen, gesunden Menschenverstand und eine erworbene Geistesbildung besitzt, Euch bethören lasset, einem so verzweifelten Unternehmen beizutreten? Was fühlt Euer Kopf, wenn Ihr an diesen gefährlichen Zusammenkünften Theil nehmt?«

»Er fühlt sich nicht so sicher auf seinen Schultern,« erwiderte Mareschal, »als spräche ich von Jagd und Falken. Ich habe keinen so gleichgültigen Charakter, wie mein Vetter Ellieslaw, welcher vom Hochverrathe spricht, als sei derselbe ein Wiegenlied für Kinder, und welcher das süße Mädchen, seine Tochter, mit weniger Aufregung verliert und wieder erlangt, als ich empfunden haben würde, hätte ich einen jungen Windhund verloren und wieder bekommen. Mein Temperament ist nicht unbeugsam und mein Haß gegen die Regierung nicht so eingewurzelt, daß ich über die Gefahr des Versuches verblendet wäre.«

»Weßhalb laßt Ihr Euch denn damit ein?« fragte Ratcliffe.

»Nun, ich liebe den armen verbannten König von ganzem Herzen; mein Vater war ein alter Royalist, und ich wünsche, daß die Höflinge von Unionisten dafür etwas büßen, daß sie das alte Schottland verriethen und verkauften, dessen Krone so lange unabhängig gewesen ist.«

»Und wegen so eitler Schatten,« fragte sein Ermahner, »wollt Ihr Euer Vaterland in Bürgerkrieg und Euch selbst in Verwirrung stürzen?«

»O nein, aber Verwirrung für Verwirrung; ich hätte lieber, daß sie morgen als nach einem Monat käme; kommen wird sie, das weiß ich, und wie Euer Landvolk sagt, besser heut wie morgen – dann bin ich jünger um so viel Tage – und was das Hängen betrifft, so kann ich, wie Sir John Fallstaff sagt, dem Galgen ebenso wohl Ehre machen wie ein Anderer. Ihr kennet den Schluß der alten Ballade:

So munter sprang er hinunter
Von der Leiter, mit Anstand gar;
Er tanzt' in der Luft über seiner Gruft,
Wo der Galgen das Denkmal war.«

»Herr Mareschal, Ihr thut mir leid,« sagte sein bedächtiger Rathgeber.

»Ich bin Euch verbunden, Herr Ratcliffe, ich möchte jedoch nicht, daß Ihr Euer Urtheil über die Unternehmung nach der Weise bildet, wie ich dieselbe rechtfertigte; weisere Köpfe wie der meinige sind am Werke gewesen.«

»Weisere Köpfe wie der Eurige können gebeugt werden,« sprach Ratcliffe in warnendem Tone.

»Vielleicht, aber nie ein leichteres Herz, und jetzt, damit es durch Eure Vorstellung nicht schwerer wird, sage ich Euch Lebewohl bis zum Mittagessen; dann sollt Ihr sehen, daß Eure Besorgnisse meinem Appetit nicht geschadet haben.«


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