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Viertes Kapitel.

Ich bin ein Menschenfeind und hass' Euch All';
Bei dir nur wünsch ich, daß ein Hund du wärst,
Damit ich dich ein wenig lieben könnte.

Timon von Athen.

 

Am folgenden Morgen nahm Earnscliff nach dem Frühstück Abschied von seinen gastfreundlichen Bekannten, und versprach die Rückkehr zur gehörigen Zeit, um an dem Wildpret seinen Antheil zu erhalten, welches mittlerweile aus seiner Wohnung angelangt war. Hobbie gab sich den Anschein, als ob er an der Thür seiner Wohnung Abschied von ihm nähme, schlüpfte jedoch wieder hinaus und schloß sich ihm auf dem Gipfel des Hügels an.

»Ihr wollt dorthin gehen, Herr Patrick? Was auch meine Mutter sagen mag, so will ich Euch nicht im Stich lassen; ich hielt es für das Beste, ruhig fortzuschlüpfen, im Fall sie etwas von unserem Vorhaben argwöhnen sollte. Wir dürfen sie auf keine Weise quälen, es war beinahe das letzte Wort, das mir mein Vater auf seinem Todtenbette sagte.«

»Das dürfen wir auf keine Weise, Hobbie,« sagte Earnscliff; »sie verdient alle Aufmerksamkeit.«

»Wahrhaftig, in dieser Angelegenheit würde sie ebensosehr um Euch wie um mich bekümmert sein. Glaubt Ihr aber wirklich, daß kein Uebermuth darin liegt, wenn wir uns dorthin zurückwagen? Wir haben ja, wie Ihr wißt, keine besondere Verpflichtung.«

»Wenn ich so dächte, wie Ihr, Hobbie,« sagte der junge Herr, »so würde ich vielleicht diese Angelegenheit nicht weiter erforschen; da ich jedoch der Meinung bin, daß übernatürliche Erscheinungen entweder gänzlich aufgehört haben, oder in unsern Tagen sehr selten geworden sind, so will ich nicht eine Angelegenheit unerforscht lassen, welche das Leben eines armen wahnsinnigen Wesens betrifft.«

»Schon gut, wenn Ihr das wirklich glaubt,« erwiderte Hobbie, mit dem Ausdruck des Zweifels – »und es ist gewiß, daß gerade die Feen – ich meine die guten Nachbarn selbst (man sagt ja, sie können den Namen Feen nicht leiden), welche einst des Abends sich auf jedem grünen Hügel zeigten, nicht halb so oft in unsern Tagen sichtbar sind. Ich kann kein Zeugniß ablegen, daß ich selbst jemals Eine Fee gesehen habe, ich hörte aber einmal hinter mir im Moor ein Pfeifen, dem eines Strandpfeifers so ähnlich wie irgend etwas nur einem Andern ähnlich sein kann, aber mein Vater hat manche Fee gesehen, wenn er vom Jahrmarkt am Abend mit manchem Tropfen Branntwein in seinem Kopfe heimkehrte, der ehrliche Mann.«

Earnscliff konnte sich eines Lächelns bei dieser letzten Bemerkung nicht erwehren, welche die allmälige Abnahme des Aberglaubens von einer Generation zur andern andeutete; sie fuhren fort, über solche Gegenstände zu reden, bis sie den aufrecht stehenden Stein erblickten, wovon das Moor den Namen erhalten hatte.

»Ich stehe dafür,« sagte Hobbie, »dort schleicht jenes Geschöpf noch einher, aber es ist Tageslicht, Ihr habt Euer Gewehr und ich habe meinen Hirschfänger mitgebracht; ich glaube, wir dürfen uns an dasselbe wagen.«

»Jedenfalls,« erwiderte Earnscliff, »aber im Namen alles Wunderbaren, was treibt der Mensch doch?«

»Er baut einen Steindamm mit den grauen Gänsen, wie man jene großen, zerstreuten Steine nennt; wahrhaftig, so etwas ist noch nie erhört worden!«

Als sie näher kamen, konnte Earnscliff sich des Erstaunens nicht erwehren, und mußte seinem Gefährten beipflichten. Die Gestalt, die sie am Abend zuvor gesehen hatten, schien langsam und mit Mühe die großen Steine über einander zu legen, als wolle sie eine kleine Einfriedigung bilden. Material lag in großer Menge umher; die Arbeit in der Ausführung des Werkes war wegen der Größe der meisten Steine eine ungeheure; es schien erstaunenswert, daß jener Mensch mehrere derselben, womit schon die Grundlage seines Gebäudes von ihm gelegt war, hatte fortbewegen können; er strengte sich heftig an, um einen großen Steinblock fortzubewegen, als die beiden jungen Männer herbeikamen, und war mit der Ausführung seines Vorhabens so eifrig beschäftigt, daß er jene nicht eher sah, als bis sie dicht bei ihm standen. Bei seinen Bemühungen, den Stein zu heben, um ihn nach seiner Absicht hinzulegen, äußerte er einen Grad der Körperstärke, welcher mit seiner Größe und offenbaren Entstellung gänzlich unvereinbar schien. Nach den schon überwundenen Schwierigkeiten mußte er die Stärke eines Herkules besitzen, denn einige Steine, deren Aufhebung ihm gelungen war, erheischten offenbar die Kräfte von zwei Männern zu ihrer Bewegung. Hobbie's Argwohn wurde wieder rege, als er die übernatürliche Kraft bemerkte.

»Ich bin beinahe überzeugt, daß es der Geist eines Maurers ist; seht nur, welche Grundsteine er gelegt hat! Wäre er dennoch ein Mensch, so wundere ich mich, was er damit erreichen will, einen Damm im Moore zu bauen. Man braucht einen solchen zwischen Cringlehope und den Wäldern – »ehrlicher Mann,« (er erhob die Stimme) »Ihr baut hier ein festes Werk.«

Das Wesen, an welches er diese Worte richtete, erhob seine Augen mit geisterhaftem Starren, richtete sich von seiner gebückten Stellung auf und stand vor ihnen mit all' seiner angebornen und scheußlichen Häßlichkeit. Der Kopf war von ungewöhnlicher Größe, mit dichtem, borstigem Haar bedeckt, welches durch Alter zum Theil ergraut war; seine Augenbraunen, struppig und hervorragend, hingen über ein Paar kleiner, dunkler, und durchdringender Augen, die tief in der Höhlung liegend, mit wunderbarer Wildheit umherrollten und einen theilweisen Wahnsinn andeuteten. Seine übrigen Gesichtszüge waren von rauhem, gleichsam grob ausgehauenem Gepräge, womit ein Maler etwa den Riesen eines Romanes ausstatten würde; hiezu kam der wilde, unregelmäßige und eigenthümliche Ausdruck, den man so oft im Antlitz derjenigen erblickt, deren Körper mißgestaltet sind. Sein Rumpf, dick und viereckig, wie der eines Mannes von mittlerer Größe, ruhte auf zwei großen Füßen; die Natur aber schien die Beine und Schenkel vergessen zu haben, oder dieselben waren so kurz, daß die Kleidung sie verdeckte. Seine Arme, lang und fleischig, waren mit zwei großen und kräftigen Händen ausgerüstet, und zeigten, wo die eifrige Arbeit sie entblößt hatte, ein rauhes und zottiges, schwarzes Haar. Es schien, als ob die Natur die getrennten Theile seines Körpers ursprünglich zu den Gliedern eines Riesen bestimmt, jedoch launenhaft dieselben nachher der Gestalt eines Zwerges zugewiesen habe, so wenig entsprach die Länge der Arme und die eiserne Körperstärke der Kürze des Wuchses.

Der Anzug des Zwerges bestand in einer Art von grobem und braunem Mönchskleide, welches mit einem Riemen von Seehundsfell umgürtet war. Auf dem Kopf trug er eine Mütze von Dachsfell oder von einem andern rauhen Pelz, welche die seltsame Wirkung der ganzen Erscheinung beträchtlich steigerte und die Gesichtszüge überschattete, deren gewohnter Ausdruck derjenige eines mürrischen und boshaften Menschenhasses zu sein schien.

Dieser merkwürdige Zwerg blickte auf die beiden schweigenden jungen Leute mit einem mürrischen, gereizten Blick, bis Earnscliff ihn zu besserer Laune durch die Bemerkung zu stimmen suchte: »Freund, Ihr habt eine harte Arbeit, erlaubt mir, Euch zu helfen.«

Er legte somit nebst Elliot durch vereinigte Anstrengung den Stein auf die sich erhebende Mauer. Der Zwerg überwachte sie mit dem Auge eines Aufsehers bei der Arbeit, und gab durch verdrießliche Bewegungen seine Ungeduld über die Zeit zu erkennen, welche sie zu der Zurechtlegung des Steines brauchten. Er wies auf einen zweiten Stein; sie hoben ihn ebenfalls auf den Steindamm – dann auf einen dritten und auf einen vierten – sie fuhren fort, seiner Laune nachzukommen, obgleich mit einigem Aerger, denn er wies ihnen die schwersten Steinstücke, die in der Nähe lagen, offenbar mit Absicht zu.

»Und nun, Freund,« sagte Elliot, als der unvernünftige Zwerg auf einen andern großen Stein wies, der noch größer war, als irgend einer derjenigen, die sie vorher gehoben hatten, »Earnscliff mag thun, wie ihm beliebt; mögt Ihr aber ein Mensch oder etwas Schlimmeres sein, so soll der Teufel mir in den Fingern sitzen, wenn ich noch länger mir den Rücken mit dem Heben dieser Steine wie ein Lastträger zerbreche, ohne nicht einmal so viel wie »»Danke Euch«« für meine Mühe zu bekommen.«

»Dank!« rief der Zwerg mit einer Bewegung aus, welche die äußerste Verachtung ausdrückte. »Da habt Ihr ihn und werdet fett daran! Nehmt ihn, und mag er bei Euch und mir gedeihen, wie er bei jedem sterblichen Wurm gedieh, welcher jemals das Wort von seinem kriechenden Nebengeschöpf ausgesprochen vernahm! Geht fort; entweder arbeitet oder packt Euch!«

»Da erhalten wir einen schönen Dank, Earnscliff, dafür, daß wir dem Teufel ein Tabernackel bauten, und unsere eigenen Seelen noch dazu in Gefahr setzen, denn was wissen wir?«

»Unsere Gegenwart,« erwiderte Earnscliff, »scheint nur seine Raserei zu steigern. Wir thun besser, ihn hier allein zu lassen und Jemand herzuschicken, um ihn mit Nahrung und Bedürfnissen zu versehen.«

Sie thaten dieß; der deßhalb abgeschickte Diener fand den Zwerg, wie er an der Mauer zu arbeiten fortfuhr, konnte aber kein Wort von ihm herausbringen. Der Bursch, welcher den Aberglauben des Landes theilte, beharrete nicht auf dem Versuche, Fragen oder Rath einer so sonderbaren Gestalt aufzudringen, sondern legte die Speisen, die er mitgebracht hatte, auf einen Stein in einiger Entfernung nieder, und ließ sie dem Menschenfeinde zur Verfügung.

Der Zwerg fuhr in seiner Arbeit jeden Tag mit einer so unglaublichen Emsigkeit fort, daß dieselbe beinahe übernatürlich zu sein schien. An einem Tage vollendete er oft die Arbeit von zwei Menschen; sein Bau nahm bald den Anschein von Mauern einer Hütte an, welche zwar sehr klein und nur von Stein und Rasen ohne Mörtel erbaut, nach der ungewöhnlichen Größe der dazu gebrauchten Steine eine Festigkeit zeigte, welche für eine Hütte von einem so engen Umfange und rohem Baue sehr ungewöhnlich war. Earnscliff, welcher das Treiben des Zwerges genau beobachtete, hatte nicht sobald den Zweck des Baues erkannt, als er eine Anzahl Balken hinschickte, die zur Bildung eines Daches sich eigneten; er ließ dieselben in der Nähe des Ortes niederlegen, und war entschlossen, am nächsten Tage Arbeiter zu schicken, um das Dach aufzurichten. Indeß der Zwerg kam seiner Absicht zuvor; er hatte am Abend, bei Nacht und früh am Morgen mit solcher Anstrengung und sinnreicher Anwendung seiner Hülfsmittel gearbeitet, daß er beinahe die Aufrichtung der Sparren vollendet hatte. Seine nächste Arbeit ging dahin, Binsen zu schneiden und daraus das Dach seiner Wohnung zu verfertigen, eine Aufgabe, die er mit auffallender Gewandtheit vollbrachte. Da er Abneigung gegen die Annahme irgend einer Hülfe, mit Ausnahme gelegentlichen Beistandes von Vorübergehenden, zeigte, so wurden Materialien, die für seinen Zweck sich eigneten und Werkzeuge ihm geliefert, in deren Gebrauch er sich sehr geschickt zeigte. Er verfertigte die Thür und das Fenster seiner Hütte, bereitete sich eine rohe Bettstelle, und richtete sich einige Gesimse an den Wänden zu. Als seine Bequemlichkeiten sich vermehrten, schien sich seine bittere Stimmung etwas zu mindern.

Seine nächste Arbeit bestand in der Bildung einer starken Umzäunung und im Anbau des von derselben eingeschlossenen Landes, soweit dieß in seinen Kräften stand, bis er sich einen kleinen Garten nach Herbeibringung von Dammerde und der Umgrabung der dort befindlichen Pflanzendecke gebildet hatte. Man muß natürlich voraussetzen, daß dieser Einsiedler, wie schon angedeutet wurde, gelegentlich Hülfe von Vorübergehenden erhielt, die zufällig über das Moor gingen, oder auch von Mehreren, die aus Neugier herbeikamen, um seine Werke anzusehen. Sah man eine menschliche Gestalt, die beim ersten Anblick für harte Arbeit so wenig geeignet schien, mit einer solchen unaufhörlichen Emsigkeit arbeiten, so war es auch wirklich unmöglich, daß man bei ihm vorüberging, ohne einige Minuten anzuhalten, um ihn bei der Arbeit zu unterstützen. Da nun Niemand unter denjenigen, welche gelegentlich dem Zwerge halfen, mit dem Grade von Beistand bekannt war, welchen derselbe von Andern erhalten hatte, so verlor der schnelle Fortschritt jenes Werkes in den Augen Jener nichts an Wunderbarem. Das Dach und feste Aeußere der Hütte, die in der kurzen Zeit von solch' einem Wesen vollendet war, die überlegene Geschicklichkeit, welche Letzterer in der Mechanik und in anderen Künsten zeigte, erregte den Verdacht der umwohnenden Nachbarn. Sie behaupteten, wenn er kein Kobold sei, – eine Meinung, die aufgegeben wurde, seitdem er sich als ein Wesen von Fleisch und Bein, eben so, wie sie selbst, zeigte – so müsse er dennoch in genauer Verbindung mit der unsichtbaren Welt stehen, und diesen entlegenen Platz sich gewählt haben, um seinen Verbindungen mit Geistern ungestört zu pflegen. Sie behaupteten, obgleich in ganz anderem Sinn, als die Phrase ein Philosoph anwendet, daß er niemals weniger allein sei, als wenn er allein sei; von den Höhen, welche das Moor in größerer Entfernung beherrschten, hätten die Vorübergehenden oft mit diesem Bewohner der Wüste eine Person arbeiten sehen, welche regelmäßig verschwinde, sobald sie sich der Hütte näherten. Eine solche Person wurde gelegentlich erblickt, wie sie mit ihm an der Thüre saß, auf dem Moore umher ging, oder ihm Beistand leistete, um Wasser aus seiner Quelle zu holen. Earnscliff meinte, die Erscheinung sei nur des Zwerges Schatten.

»Den Teufel hat er einen Schatten,« erwiderte Hobbie Elliot, welcher ein starker Vertheidiger der allgemeinen Meinung war, »er hat sich viel zu tief mit dem Gottseibeiuns eingelassen, um einen Schatten zu haben. Außerdem,« schloß er richtiger, »hat man jemals von einem Schatten gehört, der zwischen einem Körper und der Sonne erscheint? Das Ding, mag es sein was es will, ist dünner und größer wie der Körper selbst, und ist noch dazu mehr wie ein- oder zweimal zwischen ihm und der Sonne gesehen worden.«

Dieser Verdacht, welcher in einem andern Theil des Landes damals Nachforschungen hätte veranlassen können, welche dem vermuthlichen Zauberer sehr lästig hätten werden müssen, erregte hier nur Achtung und Ehrfurcht. Der Einsiedler schien die Zeichen furchtsamer Verehrung, womit ein gelegentlich Vorüberkommender seiner Wohnung nahte, dem Blick des Schreckens und Erstaunens, womit derselbe seine Person und Wohnung betrachtete, und den eiligen Schritt nicht ungern zu sehen, welcher den Rückzug von dem Orte der Furcht beschleunigte. Nur die Kühnsten hielten an, um ihre Neugier durch einen hastigen Blick auf die Mauern der Hütte und des Gartens zu befriedigen, und dann dieselbe durch eine höfliche Begrüßung zu entschuldigen, welche der Bewohner mitunter durch ein Wort oder ein Kopfnicken zu erwidern sich herabließ. Earnscliff schlug oft diesen Weg ein, und selten, ohne sich nach dem einsamen Bewohner zu erkundigen, der jetzt seine Wohnung für die Zeit seines Lebens eingerichtet zu haben schien.

Es war unmöglich, sich mit ihm in ein Gespräch über seine persönlichen Verhältnisse einzulassen; auch war er unzugänglich für Gespräche über irgend einen andern Gegenstand, obgleich die äußerste Wildheit seines Menschenhasses nachgelassen zu haben schien, oder obgleich er, wenigstens weniger häufig, an den Anfällen des Wahnsinns litt, deren Symptom jener Menschenhaß war. Keine Ueberredung vermochte ihn dahin zu bringen, daß er etwas mehr wie die einfachsten Bedürfnisse annahm, obgleich ihm von Earnscliff aus Mitleid, und von seinen mehr abergläubischen Nachbarn aus andern Beweggründen weit mehr angeboten wurde. Die Wohlthaten der Letzteren erwiderte er durch ärztlichen Rath, wenn diese sowohl bei eigenen Krankheiten wie bei denen ihres Viehes ihn um denselben ersuchten – ein Verfahren, welches allmälig bei den Nachbarn allgemein wurde. Er versah die Leute oft mit Medizin, und schien nicht allein solche zu besitzen, welche das Land erzeugte, sondern auch fremde Arzneimittel. Er gab diesen Personen zu verstehen, sein Name sei Elshender, der Klausner; gewöhnlich nannte ihn das Volk aber den klugen Elshie, oder den weisen Mann von Mucklestane-Moor. Einige auch gingen in ihren Fragen über den Bereich der körperlichen Beschwerden hinaus, und baten ihn um Rathschläge in andern Angelegenheiten, die er dann auch mit einem orackelähnlichen Scharfsinn ertheilte, wodurch die Meinung von seinen übernatürlichen Fähigkeiten sehr bestätigt ward. Die Fragenden ließen gewöhnlich eine Gabe auf einem Stein in einiger Entfernung von seiner Wohnung zurück; bestand dieselbe in Geld oder in einem Artikel, dessen Annahme er zurückwies, so warf er ihn entweder fort, oder ließ ihn liegen, ohne Gebrauch davon zu machen. Bei jeder Gelegenheit aber waren seine Sitten grob und ungesellig. Seine Worte genügten gerade in ihrer Anzahl, um seine Meinung so kurz wie möglich auszudrücken; er vermied jede Mittheilung, in welcher nur Eine Sylbe für die vorliegende Sache zu viel war. Wenn der Winter vorüber war und sein Garten ihm Kräuter und Gemüse lieferte, so beschränkte er sich beinahe auf diese Nahrungsartikel. Er nahm jedoch von Earnscliff ein paar Ziegen an, die auf dem Moore weideten und ihn mit Milch versahen.

Als Earnscliff fand, daß seine Gabe angenommen war, stattete er nachher dem Einsiedler einen Besuch ab. Der alte Mann saß auf einem breiten, flachen Stein an seiner Gartenthür, auf dem Sitze, den er gewöhnlich einnahm, wenn er Lust hatte, seine Kranken oder Schützlinge zu empfangen. Das Innere seiner Hütte und das seines Gartens verschloß er andern Menschen eben so sorgfältig wie die Einwohner von Otahaite mit ihrem Morai verfahren; er wollte offenbar, daß diese Orte von dem Schritte eines menschlichen Wesens niemals befleckt würden. Wenn er sich in seiner Wohnung verschloß, so ließ er sich durch keine Bitten bewegen, sich zu zeigen oder irgend Jemanden Gehör zu geben.

Earnscliff hatte in einem kleinen, etwas entfernten Bache gefischt. Er hielt in der Hand seine Angelruthe und trug auf der Schulter einen mit Forellen gefüllten Korb; er setzte sich auf einen Stein dem Zwerge gegenüber, welcher mit seiner Gegenwart schon vertraut, sich um ihn nicht weiter bekümmerte, als daß er seinen großen, mißgestalteten Kopf erhob, um ihn anzustarren; dann ließ er denselben wieder auf die Brust sinken, als befände er sich in tiefem Nachdenken.

Earnscliff sah sich um, und bemerkte, daß der Eremit seine Hauseinrichtungen durch den Bau eines Schuppens für die Aufnahme seiner Ziegen vermehrt hatte.

»Elshie, Ihr arbeitet hart,« sagte er zu dem sonderbaren Wesen, mit dem Wunsche, mit ihm ein Gespräch einzuleiten.

»Die Arbeit,« erwiderte der Zwerg, »ist das geringste Uebel in einem so elenden Loose wie dem des Menschen; es ist besser, zu arbeiten wie ich, als zu jagen wie Ihr.«

»Ich kann nicht die Menschlichkeit unseres gewöhnlichen ländlichen Zeitvertreibes vertheidigen, Elshie, und dennoch« –

»Und dennoch,« unterbrach ihn der Zwerg, »ist derselbe besser wie Euer gewöhnliches Treiben, es ist besser, daß Ihr eitle und übermüthige Grausamkeit an Fischen wie an Euren Nebenmenschen übt. Weßhalb sollte ich jedoch dieß sagen? Weßhalb sollte nicht das ganze Menschengeschlecht sich stoßen, zerfleischen und einander verschlingen, bis Alle ausgerottet sind, mit Ausnahme eines einzigen, gewaltigen und gemästeten Behemoth? Ein solcher, wann er sich überfüllt und die Gebeine aller seiner Nebenmenschen benagt hat – sollte dann, wenn die Beute ihm mangelt, Tage lang nach Nahrung brüllend zuletzt Zoll für Zoll aus Hunger sterben; dieß wäre ein des ganzen Geschlechtes würdiger Untergang!«

»Eure Thaten sind besser, Elshie, wie Eure Worte,« erwiderte Earnscliff; »Ihr bemüht Euch, das Geschlecht zu erhalten, welches Euer Menschenhaß also schmäht.«

»Allerdings, aber weßhalb, hört mir zu. Ihr seid Einer derjenigen, auf die ich mit dem geringsten Widerwillen blicke; es kümmert mich nicht, wenn ich meiner Gewohnheit zuwider einige Worte bei Eurer thörichten Blindheit verschwende. Vermag ich nicht, wenn ich auch keine Krankheiten in Familien und die Pest unter Heerden finden kann, dennoch denselben Zweck eben so zu erreichen, wenn ich das Leben derjenigen verlängere, welche den Zwecken der Zerstörung eben so wirksam dienen? – Wenn Alice von Bower im Winter starb, hätte alsdann der junge Ruthven aus Liebe zu ihr vergangenes Frühjahr erschlagen werden können? Wer dachte daran, seine Heerde unter dem Thurme in die Hürden zu treiben, als der rothe Räuber Westbornflat auf seinem Todtenbette liegen sollte? Meine Mittel und meine Geschicklichkeit heilten ihn. Wer wagt es jetzt, seine Heerde auf dem Felde ohne Wache zu lassen oder ohne Loslassung des Schweißhundes zu Bette zu gehen?«

»Ich gestehe,« erwiderte Earnscliff, »durch die letzte dieser Kuren erwiest Ihr der Gesellschaft keinen großen Dienst; um aber das Uebel auszugleichen, so hat Euere Geschicklichkeit meinen Freund Hobbie, den ehrlichen Hobbie von Heugh-foot vergangenen Winter von einem Fieber gerettet, an welchem er sonst hätte sterben können.«

»So glauben die Kinder von Thon in ihrer Unwissenheit,« erwiderte der Zwerg mit boshaftem Lächeln, »und so sprechen sie in ihrer Thorheit. Habt Ihr das Junge einer wilden Katze, welche gezähmt wurde, beobachtet, wie munter, zum Spielen geneigt und zierlich es ist? allein jagt es auf Euer Wild, Eure Lämmer, Euer Geflügel, so bricht seine angeborne Wildheit hervor; es ergreift, zerreißt, zerstört und verschlingt.«

»Das ist der Instinkt eines Thieres,« erwiderte Earnscliff, »was hat aber dieß mit Hobbie zu thun?«

»Es ist sein Bild,« erwiderte der Klausner, »jetzt ist er zahm, ruhig und an friedliche Sitte gewöhnt, weil ihm die Gelegenheit fehlt, seine angeborne Neigung auszuüben; laßt aber die Trompete des Krieges erklingen, laßt den jungen Bluthund Blut riechen, so wird er eben so blutgierig wie der wildeste unter seinen Vorfahren unter den Grenzbewohnern werden, welcher jemals die Wohnung eines hülflosen Bauern anzündete. Könnt Ihr läugnen, daß er gegenwärtig Euch oft drängt, blutige Rache wegen einer Beleidigung zu nehmen, die Ihr empfingt, als Ihr noch ein Kind wart?« – Earnscliff stutzte, der Klausner schien nicht seine Ueberraschung zu bemerken, und fuhr fort, »die Trompete wird ertönen, der junge Bluthund wird Blut lecken, und ich werde lachen und sagen, deßhalb habe ich dich gerettet.« Er schwieg und fuhr fort: »solcher Art sind meine Heilungen, sie bezwecken die Fortpflanzung der Masse von Elend, und ich spiele sogar in dieser Wüste meine Rolle in der allgemeinen Tragödie. Läget Ihr auch auf Eurem Krankenbette, so könnte ich Euch aus Mitleid einen Becher Gift senden.«

»Ich bin Euch sehr verbunden, Elshie, und werde es gewiß nicht unterlassen, bei einer so angenehmen Hoffnung Eures Beistandes Euch um Rath zu fragen.«

»Schmeichelt Euch jedoch nicht zu sehr,« erwiderte der Einsiedler, »mit der Hoffnung, daß ich jedenfalls der Schwäche des Mitleids weichen werde; warum sollte ich einen thörichten Menschen wie Ihr, der zu Erduldung der Erbärmlichkeiten des Lebens so sehr wie Ihr geeignet ist, von dem Elende erretten, welches seine eigene Träumerei und die Erbärmlichkeit der Welt ihm bereiten? Weßhalb sollte ich die Rolle des mitleidigen Indiers übernehmen, und das Gehirn des Gefangenen mit dem Schlachtbeil einschlagen? Weßhalb sollte ich die dreitägige Verzweigung meines verwandten Stammes im Augenblick verderben, wenn die Fackel entzündet, die Zangen glühend sind, wenn der Kessel kocht, wenn die Messer geschärft bereit liegen – wenn alle diese Vorkehrungen zum Zerreißen, zum Sengen, zum Sieden, zum Zerschneiden des Schlachtopfers getroffen wurden?«

»Ihr bietet mir ein furchtbares Bild vom Leben, Elshie, allein ich werde nicht dadurch erschreckt,« erwiderte Earnscliff. »Wir sind zwar hieher gesandt, um zu tragen und zu leiden, aber auch um zu handeln und zu genießen. Jeder Tag hat seine Abendruhe; sogar ein geduldiges Leiden hat seine Milderung durch das tröstliche Bewußtsein einer verübten Pflicht.«

»Ich verachte diese sklavische und thierische Lehre,« sagte der Zwerg, indem seine Augen mit der Wuth des Wahnsinns funkelten; »ich verachte sie als allein der Thiere würdig, welche umkommen, aber ich will keine Worte mehr an Euch verschwenden.«

Er stand hastig auf; bevor er sich aber in seine Hütte entfernte, fügte er mit großer Heftigkeit hinzu, »damit Ihr jedoch nicht glaubt, daß meine scheinbaren, den Menschen erwiesenen Wohlthaten aus der einfältigen und sklavischen Quelle entspringen, die man Liebe unserer Mitmenschen nennt, so wisset, wenn es einen Menschen gäbe, welcher meiner Seele theuerste Hoffnung vernichtete, welcher mein Herz in Stücke zerriß, mein Gehirn versengte, bis es wie ein Vulkan glühte, – wäre dieses Menschen Vermögen und Leben in meiner Gewalt so vollkommen, wie diese zerbrechliche Topfscherbe gegeben« (er ergriff ein neben ihm stehendes, irdenes Trinkgeschirr), »so würde ich ihn nicht so in Atome zertrümmern« – (er schleuderte das Gefäß mit Wuth an die Wand) – »Nein!« (er sprach gefaßter, aber mit der äußersten Bitterkeit), »ich würde ihn mit Reichthum und Macht pflegen, um seine bösen Leidenschaften zu entzünden und sein böses Schicksal zu erfüllen; ihm sollte kein Mittel zu Befriedigung der Laster und der Schurkerei fehlen; er sollte der Mittelpunkt eines Wirbels sein, der weder Ruhe noch Frieden kennen, sondern mit unaufhörlicher Wuth kochen würde, während jedes Schiff durch ihn zertrümmert würde, welches seinen Grenzen sich nähern sollte! er sollte zum Erdbeben werden, welches sogar das Land, wo er wohnt, zu erschüttern vermag, und alle seine Einwohner freundlos, verstoßen und elend macht, wie ich es bin.«

Der Unglückliche stürzte in seine Hütte bei diesen Worten, verschloß die Thür mit heftiger Wuth, und schob schnell zwei Riegel, einen nach dem andern vor, als wolle er das Eindringen von irgend Jemand des verhaßten Geschlechtes verhüten, welches so seine Seele bis zum Wahnsinn gepeinigt hatte. Earnscliff verließ das Moor mit dem gemischten Gefühl des Mitleids und des Schauders, als er erwägte, welche sonderbare und traurige Ursache einen Mann, dessen Sprache Überlegenheit über das Volk an Rang und Erziehung bezeugte, in einen so unglücklichen Seelenzustand versetzt haben konnte. Eben so erstaunte er über die genaue Kenntniß des Charakters und der Privatangelegenheiten der Einwohner dieses Landes, welche ein Mann erlangt hatte, der so kurze Zeit sich dort aufhielt und ein so abgeschlossenes Leben führte.

»Es ist kein Wunder,« sagte er zu sich selbst, »daß dieser Unglückliche bei einer solchen Ausdehnung seiner Kenntnisse, bei solcher Lebensweise, so häßlicher Gestalt und so giftigem Menschenhaß von dem Volke als ein Mann betrachtet wird, welcher mit dem Feinde des Menschengeschlechts in Verbindung steht.«


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