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Neunzehntes Kapitel.


In dieser Gegend unbekannt, die oft
Als unwirthbar den Fremden sich erwies,
Der ohne Freund und Führer sie durchreist.

Wie Ihr wollt.

Als die Stunde des Essens gekommen war, wurden einige Vorbereitungen gemacht, welche zeigten, daß nach der Meinung seiner wenigen, aber treuen Diener der gute Ritter im Triumph in sein Haus zurückgekommen wäre.

Der große Pokal, auf dem der Erzengel Michael, wie er den bösen Feind bezwingt, in halb erhabner Arbeit abgebildet war, stand auf dem Tische, und Josselin und Phöbe warteten auf, jener hinter Sir Heinrichs Stuhl, diese bei ihrer jungen Gebieterin, und Beide suchten durch pünktliche Aufmerksamkeit den Mangel der zahlreicheren Dienerschaft zu ersetzen.

»Es lebe König Karl!« sagte der alte Ritter, indem er seiner Tochter den schweren Pokal hinreichte; »trink, Liebe, wenn es auch Rebellenbier ist, das sie uns hier gelassen haben. Ich will Dir Bescheid thun; die ausgebrachte Gesundheit adelt den Trank, und hätte ihn auch Oliver selbst gebrauet.«

Die junge Dame berührte den Becher mit den Lippen, und gab ihn dem Vater zurück, der einen derben Zug that.

»Ich will nicht sagen, Gott segne es ihnen,« sagte er; »obgleich ich gestehen muß, sie trinken gutes Doppelbier.«

»Das ist kein Wunder, Herr; sie kommen leicht zu dem Malze, und brauchens nicht zu sparen,« sagte Josselin.

»Meinst Du?« sagte der Ritter; »für den Spaß sollst Du den Pokal selber austrinken.«

Auch zögerte sein Diener keineswegs auf die königliche Gesundheit Bescheid zu thun. Hierauf verneigte er sich und setzte den Pokal wieder hin, indem er mit einem triumphirenden Blick auf die Bildhauerarbeit sagte: »eben jetzt hatte ich einen Streit mit dem Rothrocke da unten über den heiligen Michael.«

»Rothrock – was, Rothrock?«, sagte der hitzige alte Mann, »schleichen noch immer solche Schelme um Woodstock herum? – Wirf ihn gleich die Treppe hinunter, Josselin. – Kennen wir nicht die Buschklepper von Galloway.«

»Erlauben Sie, er hat noch einen Auftrag hier, und wird bald gehen. – Es ist der – der mit Ew. Gnaden in dem Walde zusammentraf.«

»Aha! ich strafte ihn aber in der Halle ab, wie Du selbst gesehen hast – ich habe in meinem Leben nicht besser gefochten, Josselin, der Bursch hat kein so ganz schwarzes Herz, wie die meisten von den Schurken. Er ficht gut, sehr gut. Du sollst morgen auch einen Gang mit ihm in der Halle versuchen, obwohl ich denke, er wird zu stark für Dich seyn. Ich kenne Deine Kraft auf ein Haar.«

Dies konnte er mit einiger Wahrheit sagen; denn es war Josselins Weise, wenn er aufgefordert wurde, wie sichs zuweilen traf, mit seinem Patron zu fechten, nur gerade so viel von seiner Kraft und Geschicklichkeit an den Tag zu legen, daß der Ritter genöthigt wurde, sich den Sieg ein wenig sauer werden zu lassen, den er als kluger Diener ihm immer auf die Länge zu lassen mußte.

»Und was sagte der Rundkopf über unsern großen St. Michaels Pokal?«

»Je nun, er spottete über unsern guten Heiligen und sagte, er wäre wenig besser als eins von den goldnen Kälbern zu Bethel. Aber ich sagte ihm, er sollte nicht so sprechen, bis einer ihrer eigenen rundköpfigen Heiligen den Teufel so ganz kopfüber geworfen hätte, wie St. Michael, wie es auf dem Kelche da abgebildet ist. Da wurde er denn still, und dann wollte er wissen, ob Ew. Gnaden und Fräulein Alexia, der alten Hanne und meiner nicht zu gedenken, da es Ew. Gnaden so haben wollen, daß ich mein Nachtlager hier aufschlagen soll, sich nicht fürchteten, in einem Hause zu schlafen, worin es so viel gespukt hat. Aber ich sagte ihm, wir fürchteten weder Teufel noch Kobolde, da uns jeden Abend die Kirchengebete vorgelesen werden.«

»Josselin,« unterbrach Alexia, »warst Du toll? Du weißt, mit welcher Gefahr für uns und den guten Geistlichen die Ausübung dieser Pflicht statt findet.«

»O! Fräulein Alexia,« sagte Josselin ein wenig beschämt, »von dem Geistlichen habe ich kein Wort gesagt, darauf können Sie sich verlassen. –Nein, nein – das Geheimniß theilte ich ihm nicht mit, daß wir einen ehrwürdigen Kaplan hätten. – Ich denke auch, den kenne ich in- und auswendig. Wir haben so einigen Spaß mit einander gehabt, und sind gar einig, so ein großer Schwärmer er auch ist.«

»Traue ihm nicht zu sehr,« sagte der Ritter. »Ja ich fürchte sogar, Du bist schon zu unbesonnen gewesen, und es wird nun für den guten Mann nicht gerathen seyn, nach Sonnen-Untergang, wie sein Vorsatz war, hieher zu kommen. Diese Independenten haben Nasen wie die Spürhunde, und können einen treuen Unterthan unter jeder Verkleidung auswittern.«

»Wenn Ew. Gnaden das meinen,« sagte Josselin, »so will ich recht gern für den guten Geistlichen Wache halten, und ihn durch die alte Hinterpforte ins Schloß und so in dies Zimmer bringen, und hieher untersteht sich der Tomkins nicht zu kommen, und der Geistliche kann im Woodstocker Schlosse schlafen, ohne daß er das Geringste davon merkt; oder wenn Ew. Gnaden das nicht für sicher halten, so schneide ich ihm die Kehle ab, und mache mir nicht einen Pfifferling daraus.«

»Gott verhüt es!« sagte der Ritter. »Er ist unter unserm Dach und ein Gast, obwohl kein Eingeladener, – Geh, Josselin, es soll Deine Strafe seyn, weil Du Deiner Zunge zu sehr den Zügel hast schießen lassen, für den guten Geistlichen Wache zu halten, und für seine Sicherheit zu sorgen, so lange er bei uns bleibt. – Eine oder zwei Oktobernächte im Walde zugebracht, würden dem guten Manne ganz den Garaus machen.«

»Der wird eher unserm Oktober den Garaus machen, als unser Oktober ihm,« sagte der Förster, und entfernte sich, indem sein Patron ihm beifällig zulächelte.

Er pfiff Bevis, damit dieser mit ihm gehen und die Wache theilen möchte, und nachdem er sich genau hatte sagen lassen, wo er den Geistlichen am wahrscheinlichsten finden würde, versicherte er seinen Herrn, er wollte die schärfste Aufmerksamkeit auf seine Sicherheit verwenden. Als die Diener sich hinwegbegeben hatten, nachdem der Tisch abgedeckt war, lehnte sich der alte Ritter in seinen Stuhl zurück, und hing angenehmeren Träumen nach, als ihm in langer Zeit in den Sinn gekommen waren, bis ihn nach und nach der Schlummer wirklich übermannte, indeß seine Tochter, die es nicht wagte, anders als auf den Zehen zu gehen, eine Nähterei vornahm, sich neben den alten Mann setzte, und ihre Finger mit der Arbeit beschäftigte, indeß sie von Zeit zu Zeit die Augen mit, dem liebenden Eifer, wenn auch nicht mit der Macht eines Schutzengels auf ihren Vater richtete. Endlich, als es dunkel wurde, und die Nacht hereinbrach, wollte sie eben Lichter bringen lassen, als ihr einfiel, welch ein schlechtes Nachtlager sie in Josselins Hütte gehabt hatten, so daß sie sich nicht entschließen konnte, den ersten gesunden und erquickenden Schlaf, den ihr Vater höchstwahrscheinlich seit zwei Tagen und Nächten genossen, zu unterbrechen.

Sie selbst hatte unterdeß keine andere Unterhaltung, als nach einem der großen Fenster hinzusehen, demselben, durch welches Wildrake bei früherer Gelegenheit Tomkins und Josselin beim Trunke erblickt hatte. Alexia sah auf die Wolken, die ein leiser Wind zuweilen vor der vollen Scheibe des Mondes vorübertrieb, zuweilen auch vor derselben aufhäufte, und so sein Licht verbarg Es ist, ich weiß nicht warum, besonders erfreulich für die Phantasie, diesen König der Nacht unter den Dünsten hinziehen zu sehen, die er nicht die Macht hat, zu zerstreuen, und die ihrerseits unfähig sind, den Glanz desselben ganz zu verlöschen. Es ist das treffende Bild der geduldigen Tugend, die ruhig ihren Pfad fortsetzt, ohne sich an gute oder schlechte Reden zu kehren, indem sie diese Vortrefflichkeit in sich selbst hat, die Allen Bewunderung gebietet, aber vor den Augen der Welt durch Leiden, Unglück und Verleumdung verdunkelt wird.

Während vielleicht einige solche Betrachtungen Alexia'n durch den Sinn gingen, merkte sie, erstaunt und beunruhigt, daß Jemand an das Fenster hinaufgeklettert war und ins Zimmer blickte. Der Gedanke an etwas Uebernatürliches bewegte Alexia nicht im Geringsten; sie war zu sehr an den Ort und an die Lage gewöhnt, und in den Scenen, mit denen man von Kindheit an vertraut ist, sieht man nicht leicht Gespenster. Aber Gefahr von Landstreichern in einem beunruhigten Lande war ein viel furchtbarerer Gegenstand der Besorgniß, und dieser Gedanke bewaffnete die von Natur kühne Alexia mit so verzweifeltem Muthe, daß sie ein Pistol von der Wand nahm, an der einige Feuergewehre hingen, und während sie ihrem Vater zurief, zu erwachen, die Gegenwart des Geistes hatte, es dem Eindringenden entgegen zu halten. Dies that sie um so eher, weil sie meinte, in dem Gesicht, das sie zum Theil sah, die Züge des Weibes zu erkennen, der sie am Rosamundens Brunnen begegnet war, und die ihr so besonders rauh und verdächtig vorkam. Ihr Vater ergriff sogleich sein Schwert und kam herbei, indeß die Gestalt am Fenster, beunruhigt über diese Aeußerungen, in dem Bemühen, wieder hinunterzusteigen, fehl trat, wie weiland Cavaliero Wildrake, und mit nicht geringem Geprassel hinunter auf die Erde polterte. Auch mußte der Empfang an dem Busen unsrer gemeinschaftlichen Mutter weder weich noch sicher seyn; denn an einem fürchterlichen Bellen und Knurren merkten sie, daß Bevis herbeigekommen war und den Fallenden gepackt hatte, ehe er sich wieder aufrichten konnte.

»Halt fest, aber thu ihm nichts zu Leibe,« sagte der alte Ritter. – »Alexia, Du bist die Königin unter den Mädchen, steh hier still, bis ich hinunter geh, und den Schurken festhalte.«

»Um Gotteswillen nicht, theuerster Vater, Josselin wird gleich da seyn – horch – ich höre ihn.«

Unten gab es wirklich ein Geräusch, und mehr als ein Licht tanzte bunt durch einander hin und her, indes diejenigen, die sie trugen, einander leise zuriefen, wie Leute, die nur von denen gehört seyn wollen, an die sie sich wenden. Die Gestalt aber, die in Bevis Klauen gefallen war, konnte sich nicht geduldig in ihre Lage fügen, und rief mit weit weniger Vorsicht – »heda! Lee! – Förster! – ruft den Hund ab, sonst muß ich ihn erschießen.«

»Wenn Du das thust,« sagte Sir Heinrich vom Fenster aus, »so zerschmettere ich Dir das Gehirn auf der Stelle – Diebe! Josselin! Diebe! komm herbei, halt den Räuber fest – Bevis, halt fest!«

»Zurück, Bevis; nieder!« rief Josselin. – »Ich komme, ich komme, Sir Heinrich – heiliger Michael, ich werde noch rasend!«

Ein schrecklicher Gedanke kam Alexia in den Sinn – sollte Josselin treulos geworden seyn, daß er Bevis von dem Buben abrief, statt den treuen Hund zu ermuntern, ihn fest zu halten? Vielleicht durch einen Argwohn ähnlicher Art dazu bewogen, schritt unterdeß ihr Vater schnell aus dem Mondscheine seitwärts, und zog Alexia dicht an sich, so daß sie von außen nicht zu sehen waren, aber so standen, daß sie hören konnten, was vorging. Die Balgerei zwischen Bevis und seinem Gefangenen schien durch Josselins Dazwischenkunft ihr Ende erreicht zu haben, und es gab einen Augenblick ein heimliches Geflüster, wie von Leuten, die sich berathen.

»Jetzt ist Alles ruhig,« sagte eine Stimme, »Nun will ich hinauf, und Euch den Weg bahnen.« – Gleich darauf zeigte sich eine Gestalt außerhalb des Fensters, stieß es auf, und sprang in das Zimmer. Aber fast ehe sein Fuß den Boden erreicht hatte, wenigstens gewiß ehe er fest stand, that der alte Ritter, der mit seinem gezogenen Degen bereit stand, einen verzweifelten Ausfall auf ihn, und streckte ihn zu Boden. Josselin, der zunächst mit einer Blendlaterne in der Hand hinaufkletterte, stieß einen fürchterlichen Schrei aus, als er sah, was geschehen war, und rief aus: »Gott im Himmel, er hat seinen eigenen Sohn erschlagen!«

»Nein, nein – ich sage Euch nein,« sagte der hingefallne junge Mann, der in der That der junge Albert Lee, der einzige Sohn des alten Ritters war – »ich bin nicht verwundet – kein Geräusch, bei Eurem Leben – schafft gleich Licht!«. Zugleich sprang er so schnell als er konnte, vom Boden auf, da der Mantel und Wams, die durch den Degen des alten Ritters wie angespießt waren, ihn daran hinderten. Der Stoß war glücklicherweise durch den Mantel von dem Körper abgehalten worden, indem die Klinge durch die Kleider dicht an dem Rücken hingefahren war, indeß das Heft ihn in die Seite traf, und mit der vollen Gewalt des Ausfalls ihn zu Boden streckte.

Josselin legte unterdeß Allen mit den stärksten Beschwörungsformeln Stillschweigen auf. »Still, wenn Sie lange auf Erden leben wollen – still, wenn Sie einen Platz im Himmel haben wollen – nur still auf ein Paar Minuten – unser Aller Leben hängt davon ab.«

Unterdeß verschaffte er Licht mit unglaublicher Eile, und nun sahen sie, daß Sir Heinrich, als er die unglücklichen Worte gehört, ohne Bewegung, Farbe oder Lebenszeichen auf einen der großen Armsessel zurückgesunken war.

»O Bruder! wie konntest Du auf diese Weise kommen?« sagte Alexia.

»Frage nicht – guter Gott, wozu bin ich aufgespart worden?« – Während er sprach, sah er auf seinen Vater, der eiskalt mit starren Zügen und schlaff herabhängenden Armen eher dem Bilde des Todes auf einem Grabmale glich, als einem Wesen, in das wieder Leben kommen würde. »Wurde mein Leben nur aufgespart,« sagte Albert, seine Hände mit einer wilden Gebehrde gen Himmel hebend, »um Zeuge eines solchen Anblicks zu seyn?«

»Wir leiden, was der Himmel zuläßt, junger Mann – wir ertragen unser Leben, so lange der Himmel es uns läßt. Laßt mich heran!« Derselbe Geistliche, der die Gebete in Josselins Hütte verlesen hatte, trat nun heran. »Schafft Wasser,« sagte er gleich, und Alexia's hülfreiche Hand und leichter Fuß brachte mit der besonnenen Zärtlichkeit, die sich nie bei eitlen Klagen aufhält, so lange noch Raum zur Hoffnung ist, mit unglaublicher Schnelligkeit Alles, was der Geistliche gefordert hatte.

»Es ist nur eine Ohnmacht,« sagte er, als er Sir Heinrich an den Puls fühlte – »eine Ohnmacht, die der schnelle und unerwartete Schreck verursachte. Richte Dich auf, Albert! Ich steh Dir dafür, es ist nichts, als eine Ohnmacht. Einen Napf, liebste Alexia, und ein Band oder eine Binde! – Ich muß ihm zur Ader lassen – auch etwas zu riechen, gute Alexia, wenn es zu haben ist.«

Aber während Alexia den Napf und die Binde herbeibrachte, ihres Vaters Aermel aufstreifte, und instinktartig jeder Bewegung des ehrwürdigen Geistlichen schon zuvorzukommen schien, stand ihr Bruder, der kein Wort, kein Zeichen des Trostes hörte oder sah, mit gefalteten und aufwärtsgerichteten Händen, wie ein Denkmal sprachloser Verzweiflung da. Jeder Zug in seinem Gesicht schien den Gedanken auszudrücken: »Hier liegt meines Vaters Leichnam, und ich bin es, dessen Unbesonnenheit ihn erschlagen hat.«

Als aber ein Paar Tropfen Blut der Lanzette zu folgen anfingen, Anfangs einzeln fielen, dann in einem freieren Strome tröpfelten – als in Folge des auf die Schläfe gehaltenen kalten Wassers und der Gerüche an die Nase der alte Mann schwach Athem holte, und sich bemühte, die Glieder zu rühren, verwandelte Albert Lee seine Stellung, stürzte zu den Füßen des Geistlichen, und würde ihm, wenn er es gestattet hätte, die Schuhe und den Saum seines Kleides geküßt haben.

»Steh auf, thörichter Jüngling,« sagte der gute Mann mit tadelndem Tone; »mußt Du denn Dich immer so benehmen? – Knie vor Gott, nicht vor dem Schwächsten seiner Diener. Du bist abermals wieder aus großer Gefahr gerettet worden – willst Du des Himmels Huld verdienen, so erinnere Dich, daß Du zu andern Zwecken aufgespart bist, als Du jetzt bedenkst. Geh mit Josselin, Ihr habt eine Pflicht zu erfüllen; und sey überzeugt, es wird besser mit Deines Vaters, Wiederherstellung stehen, wenn er Dich einige Minuten lang nicht sieht. Hinunter – hinunter in die Wildniß, und bringe Deinen Begleiter herein.«

»Dank, Dank, tausend Dank,« antwortete Albert Lee; und durch das Fenster springend, verschwand er so unerwartet, als er hereingekommen war – Josselin folgte ihm zugleich und auf demselben Wege.

Alexia, deren Besorgniß um ihren Vater jetzt ein wenig geringer war, konnte bei dieser neuen Bewegung unter den aufgetretenen Personen nicht umhin, ihren ehrwürdigen Gehülfen zu fragen: »Guter Doktor, beantworten Sie mir nur eine Frage – war mein Bruder Albert jetzt eben hier, oder habe ich das Alles geträumt, was seit zehn Minuten vorgegangen ist? Mich dünkt, ohne Ihre Gegenwart könnte ich mir einbilden, das Alles wäre im Schlaf geschehen – dieser schreckliche Stoß – der alte Mann, der wie todt und einer Leiche ähnlich dalag – der Krieger in stummer Verzweiflung – ich muß wirklich geträumt haben.«

»Wenn Sie geträumt haben, meine sanfte Alexia,« sagte der Geistliche, »so wollte ich, jede Krankenwärterin hätte Ihre Eigenschaft, da Sie unsern Patienten besser im Schlafe gepflegt haben, als die Meisten von den alten Nachtmützen es können, wenn sie ganz wach sind. Aber Ihr Traum kam durch das Thor der Hornhaut, meine Liebe – Sie können mich ein andermal erinnern, Ihnen das zu erklären. Albert ist wirklich hier gewesen, und wird auch wieder herkommen.«

»Albert,« erwiederte Sir Heinrich, »wer nennt meinen Sohn?«

»Ich, mein gütiger Patron,« sagte der Doktor, »erlauben Sie mir, Ihren Arm zu verbinden.«

»Meine Wunde? von ganzem Herzen, Doktor,« sagte Sir Heinrich, sich aufrichtend, und nach und nach zur Besinnung kommend. »Ich weiß von Alters her, daß Du sowohl den Körper als die Seele heilen konntest, und in meinem Regiment zugleich als Wundarzt und als Kaplan dientest.« – Aber wo ist der Schurke, den ich todtschlug? –– Einen schöneren Stramaçon habe ich in meinem Leben nicht gemacht. Mein Degengriff stieß an seine Rippen. Todt muß er seyn, oder meine rechte Hand hat das Fechten ganz vergessen.«

»Niemand wurde erschlagen, sagte der Doktor; »wir müssen Gott dafür danken, denn es waren nur Freunde da. Ein Mantel und Wams sind jedoch auf eine solche Weise verwundet worden, daß es einigen Aufwand von Geschicklichkeit in der Schneiderkunst kosten wird, sie wieder ganz zu machen. Aber ich war Ihr letzter Gegner, und ließ Ihnen ein wenig zur Ader, blos um Sie auf das Vergnügen und die Ueberraschung vorzubereiten, Ihren Sohn zu sehen, der zwar hart bedrängt, wie Sie leicht denken können, doch seinen Weg von Worcester hieher gefunden hat, wo wir, mit Josselins Hülfe, schon für seine Sicherheit sorgen wollen. Aus diesem Grunde drang ich ja eben in Sie, den Vorschlag Ihres Neffen zur Rückkehr in das alte Jagdschloß anzunehmen, wo man hundert Mann verstecken kann, wenn auch Tausende suchten, um sie zu entdecken. So einen Ort zum Verstecken giebt es gar nicht weiter, und das werde ich beweisen, wenn ich Mittel finde, meine Woodstocker Wunder herauszugeben.«

»Aber mein Sohn – mein lieber Sohn,« sagte der Ritter, »soll ich ihn denn nicht gleich sehen? Und warum sagten Sie mir nichts von der Freude vorher?«

»Weil ich, wohin er geflohen, nicht genau wußte,« sagte der Doktor, »und vielmehr dachte, er habe sich seewärts gewendet, und es würde am besten seyn, Ihnen erst sein Schicksal zu sagen, wenn er sicher an Bord und mit vollen Segeln nach Frankreich begriffen wäre. Wir hatten ausgemacht, daß ich es Ihnen mittheilen sollte, wenn ich heut Abend zu Ihnen käme. Aber es ist ein Rothrock im Hause, dem wir nicht gern mehr wissen lassen möchten, als durchaus nöthig ist. Wir wagten es daher nicht, durch die Halle hereinzukommen, und während wir nun um das Gebäude herumschlichen, sagte uns Albert, er habe sich als Knabe oft ein Vergnügen daraus gemacht, durch dies Fenster hineinzuklettern. Ein junger Mensch, den wir bei uns hatten, wollte durchaus den Versuch machen, da kein Licht im Zimmer zu seyn schien, und wir draußen im Mondschein leicht entdeckt werden konnten. Er glitt aus, und da stürzte unser Freund Bevis herbei.«

»Aufrichtig gesprochen,« sagte Sir Heinrich, »handeltet Ihr einfältig, eine Garnison ohne Aufforderung anzugreifen. Aber das hat Alles nichts mit meinem Sohne Albert zu schaffen. – Wo ist er? – Laßt mich ihn sehen.«

»Aber, Sir Heinrich,« sagte der Doktor, »warten Sie doch, bis Ihre wiedergekehrten Kräfte« –

»Hole der Henker meine Kräfte, Mensch!« antwortete der Ritter, dessen altes Feuer wieder zu erwachen begann. – »Weißt Du nicht, daß ich die ganze Nacht auf dem Schlachtfelde von Edgehill lag und aus fünf Wunden blutete, wie ein Stier, und doch nach sechs Wochen schon wieder meine Rüstung tragen konnte? Und Du sprichst da von den Paar Tropfen Blut auf so einen Ritz, wie ihn ein Katzenpfötchen macht!«

»Ei, wenn Sie sich so muthig fühlen,« sagte der Doktor, »so will ich Ihren Sohn holen – er ist nicht weit.«

Hiermit verließ er das Zimmer, indem er Alexia'n ein Zeichen machte, zu bleiben, im Fall sich wieder einige Symptome von ihres Vaters Schwäche zeigen sollten.

Es war vielleicht ein Glück, daß Sir Heinrich sich gar nicht genau des Vorfalles zu erinnern schien, der auf einmal, wie durch einen Blitzstrahl, ihn ohnmächtig hingestreckt hatte. Er sagte zwar wohl mehr als einmal, er wäre überzeugt, er habe mit dem Stramaçon, wie er es nannte, Schaden angerichtet; aber es fiel ihm nicht ein, daß sein Sohn dieser Gefahr ausgesetzt gewesen sey. Alexia, froh, daß ihr Vater einen so fürchterlichen Umstand vergessen zu haben schien (wie denn die Menschen oft den Streich oder die sonstige plötzliche Ursache vergessen, die sie ohnmächtig machte), unterließ es gern, ihm mehr Licht über diese Sache zu geben, indem sie die allgemeine Verwirrung zum Vorwand brauchte. Und einige Minuten darauf machte Albert allen weiteren Fragen dadurch ein Ende, daß er in Begleitung des Doktors ins Zimmer trat, und sich wechselsweise in die Arme seines Vaters und seiner Schwester warf.

 

Ende des ersten Theils.

 


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