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Drittes Kapitel.


Die Ihr das Wirthshaus nur zu Eurer Bühne macht,
In dichten Dampf gehüllt der Schreckensscenen lacht,
Zu Edgehill, Newberries, im Osten, West und Nord,
Wo Euern kühnen Muth bezeugt so mancher Ort;
Gefahren aller Art, der Kugeln dichter Schwarm,
Bedrohten Euer Haupt; nur muth'ger focht der Arm.
Dem Dichter ist es gleich, wem Ihr das Schwert geweiht,
Euch allen gilt dies Wort. – – – – –

Joseph Tomkins und Joliff, der Förster, standen einige Minuten und sahen stumm den Pfad entlang, auf welchem die Gestalten des Ritters von Ditchley und des schönen Fräuleins Alexia hinter den Bäumen verschwanden. Dann sahen sie einander zweifelhaft an, wie Menschen, welche nicht wissen, ob sie auf freundlichem oder feindlichem Fuß mit einander stehn, oder wie sie das Gespräch beginnen sollen. Sie hörten, wie der Ritter nach Bevis pfiff; dieser aber, obwohl er dabei die Ohren spitzte, gehorchte doch dem Rufe nicht, sondern fuhr fort, Joseph Tomkins Mantel zu beschnüffeln.

»Du bist mir ein feiner Vogel, mein ich,« sagte der Förster, indem er seinen neuen Bekannten ansah, »ich habe von Menschen gehört, die ein Zaubermittel besitzen, womit sie Hunde und Wild an sich locken.«

»Kümmere Dich nicht um meine Eigenschaften Freund,« sagte Joseph Tomkins, »sondern denke nur darauf, Deines Herrn Geheiß zu erfüllen.«

Josselin antwortete nicht sogleich, sondern steckte, wie zum Zeichen des Waffenstillstands, seinen Stock in die Erde, und lehnte sich darauf, indem er mürrisch sagte: – »So, mein alter steifer Ritter und Ihr, mein Herr Prediger, spieltet also zur Nachmittagspredigt ein wenig mit den Rapieren – nun, es war gut für Euch, daß ich nicht eher herbei kam, als bis die Klingen aufgehört hatten, zu klirren, sonst hätt ich den Takt dazu auf Eurem Schädel geschlagen.«

Der Independent entgegnete mit grinsender Miene: »Nein, Freund, für Dich selbst ist es gut; denn nimmermehr wär ein Küster besser bezahlt worden für die Todtenglocke, die er geläutet. Jedoch, warum sollte Krieg zwischen uns seyn, oder meine Hand sich gegen Dich erheben. Du bist nur ein armer Schelm, thust Deines Herrn Befehl, und ich wünsche auch keineswegs, daß mein eignes Blut oder Deines um dieser Sache willen vergossen würde. – Du sollst mich, wie ich höre, in den friedlichen Besitz des sogenannten Palastes von Woodstock setzen – obwohl jetzt kein Palast in England ist, und auch keiner seyn wird in künftigen Tagen, bis wir in den Palast des neuen Jerusalems einziehen, und die Herrschaft der Heiligen auf Erden beginnt.«

»Nun, dazu ist schon ein hübscher Anfang gemacht, Freund Tomkins,« sagte der Förster, »es fehlt nicht viel daran, so seyd Ihr Könige, wie die Sachen jetzt stehen, und was Euer Jerusalem betrifft, so versteh ich davon nichts, aber Woodstock ist ein recht hübscher Bissen zum Anfang. – Nun, wollt Ihr aufbrechen und Alles in Besitz nehmen? Ihr habt gehört, was mir befohlen worden,«

»Hm! ich weiß nicht,« sagte Tomkins, »ich muß mich vor Fallstricken hüten, und bin hier allein. Ueberdies ist heute das hohe vom Parlamente anberaumte Dankfest, was die Armee auch zufrieden ist – auch werden vielleicht der alte Mann und das junge Frauenzimmer gern etwas von ihren Kleidern und ihrem sonstigen Eigenthum retten wollen, und ich möchte nicht, daß sie meinetwegen in Schaden geriethen. Willst Du mir es also morgen früh übergeben, so soll es in Gegenwart meiner eigenen Leute und jenes Presbyterianers, des Bürgermeisters geschehen, damit die Uebergabe in Gegenwart von Zeugen erfolge. Dahingegen wäre Niemand bei uns, als Du zur Uebergabe, und ich zur Besitznahme, so könnten die Belialsmänner sagen: seht! der getreue Tomkins ist ein Edomit gewesen – der ehrliche Joseph war wie ein Ismaelit, stand früh auf, und theilte die Beute mit denen, die dem Manne dienten – ja, mit denen, die Bärte und grüne Jacken trugen, zum Andenken an den Mann und seine Regierung.«

Josselin heftete seine dunkeln Augen forschend auf den Soldaten, als suche er zu entdecken, ob er es ehrlich meine oder nicht, dann fuhr er sich mit allen fünf Fingern durch die Haare, als könne er ohne das nicht zu einem Entschlusse kommen. »Das klingt Alles recht schön, Bruder,« sagte er, »aber ich muß Dir gerade heraus sagen, da sind so einige silberne Becher und Schüsseln und Flaschen und dergleichen in dem Hause. Sie sind bei dem allgemeinen Aufräumen, als unser ganzes Silbergeschirr eingeschmolzen wurde, um damit unsere Ritters Leute beritten zu machen, noch übrig geblieben. Nimmst Du mir diese nun nicht ab, so kann ich Ungelegenheiten davon haben, denn es könnte heißen, ich hätte etwas bei Seite gebracht – da ich nun aber ein so ehrlicher Kerl bin« –

»Wie nur irgend ein anderer Wilddieb,« sagte Tomkins – »siehst Du, ich bin Dir noch eine Unterbrechung von heute früh schuldig.«

»Nur zu,« erwiederte der Förster, »wenn ich auch einmal einen Hirsch bei Seite brachte, so geschah das nicht auf unrechten Wegen, sondern bloß, daß die Pfanne meiner alten Haushälterin nicht verrosten möchte; aber silberne Näpfe, Becher und dergleichen, ja, da hätte ich eben so gern das geschmolzene Silber getrunken, als das Gefäß gestohlen. So möchte ich also nicht, daß hierüber ein Tadel oder Verdacht auf mich fiele. Wollt Ihr Euch also die Dinge jetzt gleich übergeben lassen, nun, so ists gut – wo nicht, so meßt mir keine Schuld bei.«

»Ei wahrhaftig?« sagte Tomkins, »wer wird mich aber freisprechen, wenn sie auf den Gedanken kämen, daß etwas unterschlagen worden wäre. Gewiß nicht die verehrten Herrn Commissarien, die das ganze Gut als ihr Eigenthum betrachten; darum müssen wir, wie Du sagst, vorsichtig in der Sache zu Werke gehen. Das Haus zu verschließen und es zu verlassen, das wäre gar einfältig gehandelt. Was meinst Du, wenn wir die Nacht dort zubrächten? Dann kann ohne unser beider Wissen nichts angerührt werden.«

»Je nun, was das anbetrifft,« antwortete der Förster, »ich sollte freilich in meiner Hütte seyn, um Alles ein Bischen bequem für meinen Herrn und Fräulein Alexia einzurichten; denn die alte Mutter Hanna ist etwas harthörig, und wird sich nicht so recht zu benehmen wissen – und doch die Wahrheit zu sagen, ich möchte mein Seel heut Abend lieber Sir Heinrich nicht wieder sehen; denn was heut geschehen ist, das hat ihm die Galle ins Blut gejagt, und er möchte leicht etwas in der Hütte angetroffen haben, das ihn noch mehr aufbringt.«

»Es ist doch Schade,« sagte Tomkins, »daß ein Herr, von so ernstem und gottseligem Aussehn, ein so bösgesinnter Cavalier ist, und daß er sich, wie das ganze Otterngezücht, mit Flüchen umgeben hat, wie mit einem Kleide.«

»Das soll wohl so viel heißen, daß der steife, alte Ritter die Gewohnheit hat zu fluchen?« sagte der Förster, die Redensart belachend, die seitdem oft gebraucht wurde. »Wer kann das ändern? Er ists nun einmal so gewohnt. Solltest Du hier jetzt in eigner Person plötzlich auf eine Maie steigen, und alle fröhlichen Mohrentänzer prangten rund umher mit lustigen Pfeifen und Tambourins, klingelnden Glöckchen und flatternden Bändern, und muntre Buben und lachende Mädchen sprängen umher, bis Du das rothe Strumpfband um den hellblauen Strumpf gewahr würdest, ich meine, da würde wohl auch so ein Gefühl von natürlicher Geselligkeit oder alter Gewohnheit die Oberhand über Deinen Ernst behalten, und Du würdest da Deinen elenden thurmhohen Hut dahin werfen, und den blutdürstigen langen Stoßdegen dorthin, und mitspringen wie die Narren von Hogs-Norton, wenn der Esel den Dudelsack bläßt.«

Der Independent wandte sich grimmig zu dem Förster und erwiederte: »Was soll das bedeuten, Herr Grünrock? Was ist das für eine Sprache, gegen einen der Mitarbeiter in dem Weinberge des Herrn? Ich rathe Dir, Deiner Zunge Zaum und Gebiß anzulegen, damit nicht etwa Deine Rippen die Zeche bezahlen.«

»Hoho, falle nur nicht gar in einen vornehmen Ton mit mir, Bruder!« antwortete Josselin. »Bedenke, daß Du's nicht mit dem alten 65jährigen Ritter zu thun hast, sondern mit einem eben so unbändigen und hurtigen Kerl als Du – vielleicht ist ers auch wohl noch ein Bischen mehr – jünger wenigstens auf jeden Fall – und ich bitte Dich, warum fährst Du nun so über eine Maie auf? Ich wollte, Du hättest einen gewissen Philipp Hazeldine aus dieser Gegend gekannt – das war der beste Mohrentänzer zwischen Oxford und Burford.«

»Desto mehr Schande für ihn,« antwortete der Independent, »und ich hoffe, er hat den Irrthum seines Wandels eingesehen, und sich, wie er es leicht konnte, wenn er anders ein tüchtiger Mann war, für bessere Gesellschaft geschickt gemacht, als Waldjäger, Wilddiebe, lose Dirnen, Eisenfresser, versoffene Nachtschwärmer, blutdürstige Zänker, verlarvte Possenreißer, liederliche Kerle und leichtfertige Weiber, Narren und Geiger und fleischliche Lüstlinge jeder Art.«

»Nun,« erwiederte der Förster, »Ihr habt Euch gerade zur rechten Zeit außer Athem geredet; denn hier stehen wir eben vor der berühmten Maie von Woodstock.«

Sie standen still auf einem offnen Stücke Wiesenland, von großen Eichen und wilden Feigenbäumen schön umgeben, wovon eine, als König des Waldes, ein wenig abgesondert von den übrigen stand, gleich als verschmähe sie die Nachbarschaft eines Nebenbuhlers. Die Zweige waren veraltet und voll Knoten, aber der ungeheure Stamm zeigte noch, welche gigantische Größe dieser König des Waldes in Englands heitern Wäldern erreichen kann.

»Dieß heißt die Königseiche,« sagte Josselin, »die ältesten Leute in Woodstock wissen nicht, wie alt sie ist; sie sagen, Heinrich pflegte, mit der schönen Rosamunde darunter zu sitzen, und hätte die Mädchen tanzen, und die Dorfbuben Wettläufe anstellen, und um Degengehänge oder Mützen ringen sehen.«

»Daran zweifele ich gar nicht, Freund,« sagte Tomkins, »ein Tyrann und eine H – waren gerade die rechten Beschützer für solche Eitelkeiten.«

»Meinetwegen, sag Du immer Dein Sprüchlein aus, Freund,« erwiederte der Förster, »laß Du mich nur auch meins sagen. Dort steht die Maie, wie Du siehst, einen halben Pfeilschuß von der Königseiche, mitten in der Wiese. Der König gab jedes Jahr zehn Schillinge von den Einkünften zu Woodstock her, um eine neue aufzupflanzen, nebst einem dazu passenden Baume aus dem Walde. Jetzt ist sie nun krumm geworden, und verdorrt und zusammengerollt, wie ein Brombeerzweig. Auch der Rasen pflegte kurz abgeschnitten, und mit Walzen geebnet zu werden, bis er so glatt war, wie ein Sammetmantel – jetzt ist er uneben und überwachsen.«

»Gut, gut, Freund Josselin,« sagte der Independent, »aber wo liegt die Erbauung in dem Allem? – Was für eine nützliche Lehre konnte aus einer Pfeife und einem Tambourin gezogen werden? oder lag etwas der Weisheit ähnliches in einem Dudelsack?«

»Das magst Du gelehrtere Leute fragen, als mich,« sagte Josselin, »mich dünkt aber, die Menschen können nicht immer ernsthaft seyn, und den Hut tief in die Augen drücken; ein junges Mädchen muß lachen, wie eine zarte Blume blühen muß – und ein junger Bursche wird sie nur um so lieber haben; gerade wie derselbe lustige Frühling, der die jungen Vögel singen macht, auch die fröhlichen Hirschkälber zum Hüpfen bringt. Es sind schlimmere Tage gekommen, seitdem die lustigen alten Zeiten vorüber sind – ich sage Dir, an den Festtagen, die Ihr Herren Haudegen abgeschafft habt, habe ich diesen grünen Rasenplatz lebendig gesehen von lustigen Mädchen und kräftigen Burschen. Der gute alte Pfarrer selbst hielt es nicht für eine Sünde, ein Weilchen zuzusehen; und sein heiliger Rock hielt uns alle in guter Ordnung, und lehrte uns, unsere Lust in den Schranken des Anstands halten. Manchmal fiel uns freilich wohl ein derber Spaß ein, oder wir ließen auch wohl den Becher einmal zu oft herumgehen; das geschah aber alles in Freude und guter Nachbarschaft. – Ei, und wenn nun auch einmal ein Bischen Prügelei vorfiel, oder eine kleine Balgerei, so ging das Alles in Liebe und Güte ab, und besser ein Paar trockene Schläge beim Trunke, als die blutigen Vorfälle, die wir im nüchternen Ernste erlebt haben, seitdem die presbyterianische Kappe sich über die Bischoffsmütze erhob, und wir unsere gottseligen Pfarrherrn und gelehrten Doctoren, deren Predigten alle so mit Griechisch und Latein ausgestopft waren, daß sie wohl den Teufel selbst confuß gemacht hätten, gegen Weber und Schuhflicker austauschten, und dergleichen Kanzelfreiwillige mehr, wie – wie wir sie diesen Morgen gehört haben – es muß heraus.«

»Gut, Freund,« sagte der Independent mit einer Geduld, die man kaum hätte erwarten sollen, »ich zanke nicht mit Dir, daß Dir meine Lehre nicht ansteht. Wenn Dein Ohr so sehr mit dem Klange des Tambourins und der Mohrensprünge gekitzelt worden ist, nun da ist's freilich nicht wahrscheinlich, daß Du Geschmack an gesünderer und mäßigerer Nahrung finden solltest. – Aber laß uns nun in das Waldhaus treten, damit wir vor Sonnenuntergang an unser Geschäft gehen.«

»Schon recht, das möchte aus mehr als einem Grunde räthlich seyn,« sagte der Förster, »denn es gehen Sagen über das Waldhaus, so daß manche Leute sich fürchten, zur Nachtzeit dort zu bleiben.«

»Pflegten nicht jener alte Ritter und das Fräulein, seine Tochter, dort zu wohnen?«, sagte der Independent. »Ich habe es wenigstens so gehört.«

»Ei freilich,« sagte Josselin, »und als sie noch einen lustigen Haushalt hatten, da ging Alles gut genug; denn nichts vertreibt die Furcht so, wie ein gutes Glas Bier; aber als unsere besten Leute in den Krieg gingen, und auf der Flucht von Naseby erschlagen wurden, fanden die Zurückgebliebenen das Waldhaus einsam, und der alte Ritter wurde fast von allen seinen Dienern verlassen. – Es kann auch wohl seyn, daß es ihm am Besten fehlte, um Reitknechte und Bedienten zu bezahlen.«

»Ein mächtiger Grund zur Verminderung eines Haushalts,« sagte der Soldat.

»Ganz richtig,« erwiederte der Förster. »Sie sprachen von Tritten in der großen Gallerie, die sie in stiller Nacht gehört haben wollten; von Stimmen, die zu Mittag in den Tapeten-Zimmern flüsterten, und die Dienstboten behaupteten, es wären diese Dinge, die sie wegscheuchten; aber meinen dummen Einsichten nach fingen die alten Blauröcke von Bedienten, wenn Martini oder Pfingsten herbeikam, ohne daß ihnen ihr Lohn ausgezahlt wurde an, darauf zu denken, wie sie anderswo unterkommen möchten, ehe der Frost sie träfe – es ist kein Teufel so furchtbar, wie der, der in der Tasche tanzt, wenn man ihn nicht mit gemünztem Gelde daraus bannen kann.«

»Euer Hausstand wurde also klein?« sagte der Independent.

»Ei freilich,« sagte Josselin, »aber wir blieben doch wohl noch unsrer zehn zusammen, theils Blauröcke im Hause, theils Grünröcke draußen im Jagdrevier, wie hier Euer gehorsamer Diener. Wir hielten zusammen, bis wir uns zu einem Morgenritte hier und dorthin berufen fühlten.«

»Nach Worcester,« sagte der Soldat, »wo Ihr wie Ungeziefer und Raupen, was Ihr doch auch eigentlich seyd, zertreten wurdet.«

»Ihr mögt sagen, was Euch beliebt,« erwiederte der Förster; »ich widerspreche einem Menschen nicht, in dessen Gewalt ich bin. Wir wurden freilich gezwungen umzuwenden, sonst würdet Ihr nicht hier seyn.«

»Nein, nein, Freund,« sagte der Independent, »Du wagst nichts durch Freimüthigkeit und Vertrauen zu mir; ich kann einem guten Soldaten auch ein guter Camerad seyn, und wenn ich auch bis zum Untergang der Sonne mit ihm gekämpft hätte – doch da sind wir ja schon vor dem Waldhause.«

Wirklich standen sie dem alten gothischen Gebäude gegenüber, das unregelmäßig und zu verschiedenen Zeiten gebaut worden, je nachdem die Laune der englischen Monarchen sie antrieb, die Vergnügungen der Jagd in Woodstock zu kosten, und solche Verschönerungen zu ihrer eignen Bequemlichkeit vorzunehmen, wie der wachsende Luxus jedes Zeitalters es erforderte. Den ältesten Theil des Gebäudes hatte die Sage den Thurm der schönen Rosamunda genannt. Dies war ein sehr hoher Thurm mit kleinen Fenstern und sehr dicken Mauern, der keinen Ausgang nach unten hatte, noch andere Mittel zum Hinuntersteigen darbot; indem der andere Theil ganz aus festem Mauerwerk bestand. Der Sage nach hatte man nur auf einer kleinen Zugbrücke hingelangen können, die man nach Belieben von einem kleinen Portal, nahe an der Spitze des Thurms, auf die Zinnen eines anderen, eben so gebauten, aber 20 Fuß niedrigeren, hinunterlassen konnte, der nur eine Wendeltreppe enthielt, welche in Woodstock die Liebesleiter genannt wird, weil es heißt, daß Heinrich diese Treppe bis auf die Zinnen des Thurmes hinaufstieg, und sich dann der Zugbrücke bediente, um zu dem Zimmer seiner Geliebten zu gelangen.

Diese Sage war vom Doctor Rochecliffe, dem vormaligen Pfarrer von Woodstock, lebhaft bestritten worden, welcher behauptete, daß das, was den Namen Rosamundens Thurm führte, weiter nichts sey, als eine innere Veste oder Citadelle, in welche der Herr oder Aufseher des Schlosses sich zurückziehen könnte, wenn alle andere Sicherheitsmaaßregeln fehlschlügen, und sich so entweder länger vertheidigen, oder wenigstens, im schlimmsten Falle, noch vernünftige Bedingungen der Uebergabe erlangen könnte. Den Bewohnern von Woodstock, die eifersüchtig auf die alte Sage waren, gefiel diese neue Erklärungsweise nicht, und es heißt sogar, daß der schon früher erwähnte Bürgermeister, aus Rache wegen der Zweifel, die der Pfarrer über diesen wichtigen Gegenstand verbreitete, ein Presbyterianer wurde, indem er lieber die Liturgie aufgeben wollte, als seinen festen Glauben an Rosamundens Thurm und an die Liebesleiter.

Der übrige Theil des Waldhauses war von bedeutendem Umfange und aus verschiedenen Zeiten. Es enthielt mehre kleinere Höfe von Gebäuden umringt, die theils von innen mit einander verbunden waren, theils nur von den Höfen aus, häufig aber auf beiderlei Weise. Die verschiedene Höhe des Gebäudes zeigte an, daß die Zimmer nur durch die vielen Treppen zusammenhängen konnten, die im 16ten Jahrhundert und früher noch die Beine unsrer Vorfahren in Bewegung erhielten, und oft wirklich nur zu diesem Zwecke angelegt schienen.

Die mannichfachen und vielen Fronten dieses unregelmäßigen Gebäudes waren, wie Doctor Rochecliffe zu sagen pflegte, ein wahrer Schmaus für den architectonischen Alterthumsforscher, indem sie zuverlässig Proben von jedem Style enthielten; von dem reinen normännischen, zu Heinrichs von Anjou Zeiten bis hinab zu der zusammengesetzten, halb gothischen halb classischen Bauart Elisabeths und ihrer Nachfolger. Demzufolge war der Pfarrer eben so sehr in Woodstock verliebt, als Heinrich in die schöne Rosamunde; und da seine vertraute Bekanntschaft mit Sir Heinrich Lee ihm steten Zutritt in das königliche Waldhaus gestattete, so pflegte er ganze Tage damit zuzubringen, in den alten Gemächern herumzuwandern, sie zu untersuchen, auszumessen, zu studieren, und vortreffliche Gründe zu architectonischen Eigenthümlichkeiten aufzufinden, die ihr Daseyn vermuthlich nur der grillenhaften Laune eines gothischen Künstlers verdankten. Aber der alte Forscher war durch die Intoleranz und Unruhe der Zeit aus seinem Amte vertrieben worden, und sein Nachfolger Nehemias Holdenough würde eine mühsame Forschung der unheiligen Bildhauerei und Bauart blinder und blutdürstiger Papisten, nebst einer Geschichte der liederlichen Liebschaften alter normännischen Monarchen für wenig besser gehalten haben, als hätte er sich vor den Kälbern zu Bethel geneigt, und aus dem Kelch der Verunreinigung getrunken. – Doch wir kehren nun zu unsrer Geschichte zurück.

»Da ist,« sagte der Independent Tomkins, nachdem er die Fronte des Gebäudes sorgfältig betrachtet, »manches seltne Denkmal alter Gottlosigkeit an diesem fälschlich sogenannten königlichen Waldhause. Es soll mich wahrlich recht freuen, es zerstört, ja in Asche verwandelt, und die Asche in den Bach Kidron oder irgend einen andern Bach geworfen zu sehen, auf daß das Land von dem Andenken daran gereinigt werde, und nicht mehr der Gottlosigkeit gedenke, mit der seine Väter gesündigt haben.«

Der Förster vernahm dieß mit geheimem Unwillen, und fing an, bei sich selbst zu überlegen, ob, da sie nur Mann gegen Mann ständen, und das Dazwischenkommen Anderer so bald nicht wahrscheinlich sey, seine Amtspflicht ihn nicht berufe, den Rebellen zu züchtigen, der eine so ehrenrührige Sprache führe. Aber er erinnerte sich zum Glück, daß der Kampf zweifelhaft – daß sein Gegner besser bewaffnet sey – und daß insbesondere, selbst wenn er im Kampfe glücklich wäre, er sich doch der Gefahr einer strengen Wiedervergeltung aussetze. Dabei muß man auch noch gestehen, daß der Independent etwas so düsteres und geheimnißvolles, so grimmiges und ernstes an sich hatte, daß der offnere Geist des Försters in Hinsicht seiner sich gedrückt fühlte, und wenn auch nicht in Furcht gesetzt, doch wenigstens in Zweifel erhalten wurde. Er hielt es daher für das Klügste und Sicherste, sowohl für seinen Herrn als sich selbst, allen Stoff zur Veranlassung eines Streites zu vermeiden, und erst besser zu erfahren, mit wem er es zu thun habe, ehe er sich ihn zum Freunde oder Feinde machte.

Das große Thor des Waldhauses war stark verriegelt, aber das Pförtchen that sich auf, als Josselin an der Klinke drückte. Es war ein kurzer, zehn Fuß tiefer Eingang, der früher am innern Ende durch ein Fallgatter verschlossen war, indeß von jeder Seite drei Schießscharten da hinausgingen, durch welche ein eindringender Feind, auch nachdem er das erste Thor eingenommen, noch einem lebhaften Feuer ausgesetzt war, ehe er sich des zweiten bemeistern konnte. Aber das Fallgatter war beschädigt, und es stand jetzt unbeweglich mit offnem Schlunde, wohl versehen mit eisernen Krallen, aber unfähig, sie dem Eindringenden entgegenzustrecken.

Der Weg in die große Halle oder die äußere Vorhalle des Waldhauses stand daher offen. Eine Gallerie, die in alten Zeiten für Musiker und Sänger eingerichtet war, nahm das eine Ende dieses langen und düsteren Gemaches ein, Eine plumpe Treppe aus viereckigen, fußdicken Blöcken bestehend, befand sich auf beiden Seiten, und in jedem Winkel der Treppe stand als Schildwache die Gestalt eines normännischen Fußsoldaten mit einem offnen Helme auf dem Kopfe, und Zügen, so ernst sie nur des Malers Geist ersinnen konnte. Ihre Bewaffnung bestand in Jacken von Büffelleder oder Panzerhemden, runden Schilden mit Nägeln beschlagen, und Halbstiefeln, welche Füße und Knöchel zierten und schützten, indeß die Knie entblößt blieben. Diese hölzernen Wächter hielten große Schwerter oder Streitkolben in den Händen, gleich wirklichen Schildwachen. Mancher leere Nagel und Haken an den Wänden des düsteren Zimmers bezeichnete die Stellen, von welchen die lange als Trophäen aufbewahrten Waffen im Drange des Kriegs noch einmal abgenommen waren, um Dienste im Felde zu leisten, gleich Veteranen, welche die höchste Gefahr wieder zum Kampfe ruft. An andern rostigen Haken zeigten sich noch die Jagdtrophäen der Monarchen, denen das Waldhaus gehörte, und der waidmännischen Ritter, deren Sorgfalt es von Zeit zu Zeit anvertraut gewesen war.

Am untern Ende der Halle ragte ein ungeheurer schwerfälliger steinerner Kamin 10 Fuß von der Mauer hervor, mit manchem Namenszuge geschmückt, und manchem Wappenschilde des königlichen Hauses von England. In seinem gegenwärtigen Zustande gähnte er den Eintretenden wie der Bogenschlund eines Grabgewölbes entgegen, oder konnte auch vielleicht mit dem Krater eines erloschenen Vulkans verglichen werden; aber die schwarze Farbe der massiven Steinarbeit und aller Umgebungen bewies, daß es Zeiten gegeben hatte, wo ein gewaltiges Feuer den Kamin hinaufloderte, und zugleich Dampfwolken über die Häupter der munteren Gäste verbreitete, deren königlicher oder adeliger Stand sie nicht so empfindlich machte, um über so geringe Unbequemlichkeiten zu zürnen. Es ging eine Sage im Hause, daß bei solchen Gelegenheiten regelmäßig zwei Wagen voll Holz vom Mittag bis zur Abendglocke verbrannt wurden, und die Feuerböcke oder Hunde, wie man sie nannte, die dazu bestimmt waren, das brennende Holz auf dem Heerde zurückzuhalten, waren in Gestalt von Löwen, in so riesenhafter Größe gearbeitet, daß sie die Sage wohl verbürgten, Innerhalb des Kamins befanden sich lange steinerne Sitze, wo trotz der furchtbaren Gluth Monarchen zuweilen Platz genommen und sich damit unterhalten haben sollten, mit eigenen königlichen Händen die Eingeweide oder Hoden des Wildes auf der glühenden Asche zu braten. Die Sage berichtete auch, welche lustige Späße zwischen dem Fürsten und seinen Großen bei dem fröhlichen Schmauße nach der Michaelsjagd auf die Bahn kamen. Sie erzählte zugleich ganz genau, wo König Stephan gesessen, als er sich seine eigenen fürstlichen Beinkleider flickte, so wie die komischen Späße, die er an dem kleinen Winkin, dem Schneider von Woodstock, verübte.

Die meisten dieser rohen Lustbarkeiten gehörten den Zeiten der Plantagenets an.

Als das Haus Tudor den Thron bestieg, wurden die Fürsten sparsamer mit ihrer königlichen Gegenwart, und schmausten in inneren Hallen und Zimmern, die äußere Halle den Trabanten überlassend, die dort die Wache bezogen, und die Nacht in Lust- und Trinkgelagen hinbrachten, zuweilen furchtbare Geschichten von Erscheinungen und Zaubereien erzählend, vor denen manche erbleichten, in deren Ohren die Trompete eines französischen Feindes so lustig erklungen hätte, als ein Aufruf zur Waldjagd.

Josselin zeigte die Eigenthümlichkeiten des Orts seinem finstern Gefährten mit etwas kürzeren Worten an, als wir sie dem Leser geschildert haben. Anfangs schien der Independent mit einiger Theilnahme zuzuhören, doch überwand er diese plötzlich und sagte im feierlichen Tone: »Es müsse Babylon umkommen, wie Dein Gebieter Nebukadnezar umgekommen ist. Er ist ein Wanderer, und Du sollst eine Wüste werden – ja und eine Wildniß – ja, eine Salzwüste, worin Hunger und Durst seyn wird.«

»Das kann sich beides heut Abend zutragen,« sagte Josselin, »des guten Ritters Speisekammer müßte denn etwas voller seyn als gewöhnlich.«

»Wir müssen auch für die Bedürfnisse der Creatur sorgen,« sagte der Independent, »aber nur zu gehöriger Zeit, wenn unsre Pflicht gethan ist – wohin führen diese Eingänge?«

»Der zur Rechten,« erwiederte der Förster, »führt in das, was die Staatszimmer genannt werden. Sie sind nicht benutzt worden seit dem Jahr 1639, wo seine hochselige Majestät« –

»Wie! Bursche,« unterbrach der Independent mit einer donnernden Stimme, »sprichst Du von Karl Stuart als einem seligen oder hochseligen? – Gedenke an die deshalb erlassene Proclamation.«

»Ich hatte nichts Arges im Sinne,« antwortete der Förster, eine härtere Antwort, zu der er nicht übel Lust hatte, mit Gewalt zurückhaltend, »ich habe es mit Bolzen und Rehböcken zu thun, nicht mit Titeln und Staatsangelegenheiten. Was sich aber auch immer seitdem zugetragen haben mag, Segnungen folgten dem armen Könige genug aus Woodstock, denn er ließ einen Handschuh voll Goldstücke für die Armen des Ortes zurück.«

»Still, Freund,« sagte der Independent, »sonst muß ich glauben, daß Du zu jenen bethörten und blinden Papisten gehörst, welche dafür halten, daß das Ertheilen von Almosen eine Buße und ein Abwaschen des Unrechts und der Unterdrückungen sind, welche die Almosenertheiler verübt haben. Dies also, sagst Du, waren die Zimmer Karl Stuarts?«

»Und seines Vaters Jacob vor ihm, und Elisabeths vor jenem und des übermüthigen Heinrichs, der diesen Flügel aufbauete, vor ihnen allen.«

»Und dort wohnten auch vermuthlich der Ritter und seine Tochter?«

»Nein,« erwiederte Josselin, »Sir Heinrich Lee hat zu viel Ehrfurcht für – für Dinge, die jetzt gar nicht mehr als ehrenwerth gelten – überdies sind die Staatszimmer nicht gelüftet, und seit dem letzten Jahren schlecht in Ordnung. Dort jener Gang zur Linken führt in die Zimmer des ritterlichen Aufsehers.«

»Und wohin führt jene Treppe, die auf- und niederwärts zu gehen scheint?«

»Aufwärts,« erwiederte der Förster, »führt sie in mehre, zu verschiedenen Zwecken, als Schlafen und dergleichen gebrauchte Zimmer, abwärts in die Küche, Speisekammern und Gewölbe des Schlosses, die Ihr zu dieser Abendzeit nicht ohne Licht besehen könnt.«

»So wollen wir denn in die Zimmer Eures Ritters gehen,« sagte der Independent, »sind dort die nöthigen Bequemlichkeiten?«

»Solche, deren sich Leute von Stande bedient haben, denen freilich jetzt eine schlimmere Wohnung angewiesen ist,« antwortete der ehrliche Förster, indem ihm die Galle so überlief, daß er in einem murmelnden und unverständlichen Tone hinzusetzte: »für so einen Schurken von Stutzkopf, wie Du, werden sie daher wohl gut genug seyn.«

Er machte jedoch den Zeremonienmeister, und führte den Independenten in des Aufsehers Wohnung.

Den Eingang zu dieser Reihe von Zimmern bildete ein kurzer Gang von der Halle aus, der zur Zeit der Noth mit zwei eichenen Thüren geschlossen werden konnte, welche wieder große eichene Balken hatten, die man aus der Mauer zog, und in viereckige Löcher an die andere Seite des Portals schob, Von diesem Gange aus kamen sie in ein kleines Vorzimmer, welches in die Wohnstube des guten Ritters führte – das man nach dem Styl jener Zeit eine schöne Sommerstube hätte nennen können, von zwei großen Fenstern erleuchtet, die so angebracht waren, daß jedes von ihnen die Aussicht auf eine andere lange Allee tief in den Wald hinein hatte. Der Hauptschmuck des Zimmers bestand, außer zwei oder drei Familien-Portraits, von geringerem Interesse, in einem großen Gemälde in Lebensgröße über dem Kamin, welcher wie der in der Halle von schwerfälliger Steinarbeit war, mit ausgehauenen Wappenschildern und verschiedenen Devisen verziert. Das Bild stellte einen etwa 50jährigen Mann in vollständiger Metallrüstung, in Holbeins harter und rauher Manier gemalt, vor – wahrscheinlich gar das Werk dieses Künstlers, denn der Datum traf zu. Die scharfgezeichneten Winkel, Spitzen und Vorsprünge der Rüstung waren ein guter Gegenstand für den harten Pinsel jener frühen Schule. Die Farben im Gesicht des Ritters waren verbleicht, so daß er einem Wesen aus der andern Welt glich, doch drückten die Züge sehr deutlich Stolz und Frohlocken aus. Er zeigte mit seinem Kommandostabe auf den Hintergrund, wo in solcher Perspective, wie der Künstler sie besaß, die Trümmer einer brennenden Kirche oder eines Klosters gemalt waren, nebst vier oder fünf Soldaten in rothen Jacken, die etwas im Triumphe fort trugen, was einem ehernen Taufbecken glich. Ueber ihren Köpfen las man auf einem Zettel Lee Victor sic voluit. Gerade dem Bilde gegenüber hing in einer Nische in der Mauer eine vollständige Sammlung von Turnierwaffen, deren schwarz und goldene Zierrathen, genau mit denen im Bilde übereinstimmten.

Das Bild war eins von denen, die durch etwas höchst Bestimmtes in den Zügen und im Ausdruck selbst die Aufmerksamkeit derer auf sich ziehen, die nichts von der Kunst verstehen. Der Independent blickte es an, und ein Lächeln flog schnell über sein Gesicht und entwölkte auf einen Augenblick seine düstere Stirn. Ob er aber lächelte, daß der furchtbare alte Cavalier ein frommes Haus entweihte – (eine Beschäftigung, die mit denen seiner eigenen Secte sehr übereinstimmte) – ob es aus Verachtung über des alten Malers harten Pinsel geschah – oder ob der Anblick dieses merkwürdigen Bildes einige andere Ideen erweckte, das konnte der Förster nicht entscheiden.

Das Lächeln verging indes im Augenblick, so wie der Soldat auf die Fenster blickte. Innerhalb der Vertiefungen befand sich eine Erhöhung von ein oder zwei Stufen. In einer derselben stand ein Lesepult von Nußbaumholz und ein ungeheurer Armsessel mit spanischem Leder überzogen. Ein kleiner Schreibeschrank stand daneben und zeigte in einigen seiner offenen Schubfächer Falkenglocken, Hundepfeifen, Werkzeuge zum Aufputz der Falkenfedern, mannichfach geformte Gebisse und andere zur Waidmannslust gehörige Kleinigkeiten.

Die andere Fenster-Vertiefung enthielt andere Dinge. Auf einem kleinen Tische lagen einige Nähtereien, neben einer Laute ein Notenbuch mit Liedern und ein Stickrahmen. Das kleine Behältniß war mit Teppichen versehen und überhaupt mehr ausgeschmückt als das übrige Zimmer. Einige Gefäße mit Blumen, wie die späte Jahreszeit sie noch aufzuweisen hatte, deuteten ebenfalls die sorgsame Auswahl eines weiblichen Geschmacks an.

Tomkins warf einen gleichgültigen Blick auf diese Gegenstände weiblicher Beschäftigung, schritt dann an das andere Fenster, und fing, wie es schien, nicht ohne Theilnahme an, in einem Folianten zu blättern, der auf dem Lesepulte aufgeschlagen lag. Josselin, der beschlossen hatte, seine Bewegungen zu beobachten, ohne sie zu stören, stand still und traurig in einiger Entfernung, als eine Tapetenthür sich plötzlich aufthat, und ein hübsches Landmädchen mit einem Tuche in der Hand hereintrat, als habe sie eben ein häusliches Geschäft vor.

»Nun was soll das bedeuten, Herr Naseweis?« sagte sie zu Josselin in beißendem Tone, »was stört Ihr hier in den Zimmern herum, wenn der Herr nicht zu Hause ist?«

Aber statt der Antwort, die sie vielleicht erwartete, warf Josselin Joliff einen traurigen Blick auf den im Fenster stehenden Soldaten, um seine Aeußerungen verständlich zu machen, und antwortete mit betrübter Miene und Stimme: »Ach! schöne Phöbe, es kommen Leute, die mehr Recht oder Gewalt haben, als irgend einer von uns, und die wenig Umstände machen, zu kommen und zu bleiben, so lange es ihnen beliebt.«

Er warf einen zweiten Blick auf Tomkins, der noch mit dem vor sich liegenden Buche beschäftigt schien, dann trat er dicht zu dem erstaunten Mädchen hin, die noch immer wechselsweise auf den Förster und den Fremden blickte, als ob sie unfähig wäre, die Worte des erstern zu verstehen, oder die Anwesenheit des zweiten zu begreifen.

»Geh,« flüsterte Joliff mit dem Munde so nah an ihrer Wange, daß ihre Locken von seinem Athem in Bewegung geriethen, »geh, liebe Phöbe, spring schnell wie ein Reh hinunter in meine Hütte, ich werde bald dort seyn.«

»Eure Hütte? Nun, wahrhaftig,« sagte Phöbe, »für einen armen Jagdhund, der noch nie etwas in Furcht gesetzt hat, als ein braunes Reh, nehmt Ihr Euch viel heraus – Eure Hütte? wahrhaftig! da werde ich auch wohl hingehen.«

»Still, still, Phöbe! – Zum Scherzen ist jetzt keine Zeit. Hin zu meiner Hütte, sage ich, wie ein Reh; denn der Ritter und Fräulein Alexia sind beide dort, und werden, wie ich fürchte, nicht wieder hieher zurückkehren – es ist alles aus, Mädchen, und unsre schlimmen Tage sind endlich zu unsrer Strafe herbeigekommen – wir werden sauber gehetzt und gejagt werden.«

»Ist das möglich, Josselin?« sagte das arme Mädchen, sich zu dem Förster wendend, mit einem Ausdruck des Entsetzens im Gesicht, welches sie bisher mit ländlicher Koketterie von ihm abgewendet hatte.

»So gewiß, liebste Phöbe, als« –

Der übrige Theil der Betheurung verlor sich in Phöbes Ohr, so nah kamen des Försters Lippen demselben, und wenn sie dabei ihre Wange berührten, so hat der Kummer, gleich der Ungeduld, seine Vorrechte, und die arme Phöbe hatte zu viel Grund zu ernstlichen Besorgnissen, um über eine solche Kleinigkeit Bedenken zu tragen.

Nach der Meinung des Independenten aber, der, noch kurz zuvor ein Gegenstand von Josselins Wachsamkeit, nun seinerseits den Förster beobachtet hatte, sobald die Unterredung zwischen ihm und Phöbe so anziehend zu werden anfing, war es gar keine Kleinigkeit, daß Josselins Lippen Phöbes hübscher, wenn gleich von der Sonne verbrannter Wange so nahe kamen. Er erhob daher, sobald er dies bemerkte, seine Stimme so kreischend, daß sie mit einer Säge die Vergleichung hätte aushalten können, und Josselin und Phöbe auf einmal in verschiedener Richtung sechs Fuß auseinander sprangen; wäre Cupido als Dritter dabei gewesen, so mußte dieser Ton ihn zum Fenster hinausjagen, gleich einer wilden Ente, die vor einem Falken flieht. Sich sogleich in die Stellung eines Predigers und Sittenrichters werfend, rief er aus: »was ist das, Ihr Schamlosen, Ihr Unverschämten – was – sogar in unsrer Gegenwart Lust und Muthwillen treiben – wie – wollt Ihr Eure Possen vor dem Beauftragten der Commissarien des hohen Parlaments treiben, wie in einer Bude auf einem lüderlichen Jahrmarkte, oder mitten unter dem Fiedeln und den Sprüngen einer unzüchtigen Tanzschule, wo spitzbübische Bänkelsänger ihre gottlosen Weisen hören lassen, so wie: Hopsa mein Schatzerl, gieb mir ein Schmatzer'l? – Aber hier,« sagte er mit einem gewaltigen Schlage auf das Buch – »hier ist der König und Hohepriester dieser Laster und Thorheiten – hier ist der, den die Männer der Thorheit unheiliger Weise das Wunder der Natur nennen – hier ist der, den die Fürsten zu ihrem Siegelbewahrer machen, und Ehrendamen zum Schlafkameraden – hier ist der Oberlehrer von schönen Worten, Geckereien und Narrheiten – hier« – (mit einem abermaligen Schlage auf das Buch) – »und o du! den Roxburgh Robert, Graf von Roxburgh, aus der alten Familie Ker von Cesford, bekleidete an König Jacob I. Hofe die Stelle eines Kämmerers, wurde 1603 zum Lord Ker von Cesford, 1607 zum Baron von Kelso und Lesmahago, und 1616 zum Grafen von Roxburgh ernannt. König Karl I. ertheilte ihm die wichtige Stelle eines Siegelbewahrers, die er bis an seinen Tod 1650 verwaltete. Anm. d. Uebers. verehrte! es war der erste Folioband – du, den Bannatyne liebte, es war Hemmings und Condel's – es war die erste Ausgabe Sieben Jahre nach Shakspeare's Tode, 1623, gaben John Hemmings und Condel die dramatischen Werke dieses unsterblichen Dichters heraus. Anm. d. Uebers. – dir,« fuhr er fort, »dir Wilhelm Shakspeare lege ich alles das zur Last, was von gesetzloser Unvernunft und unsittlicher Thorheit das Land seit deiner Zeit besudelte.«

»Nun, mein Seel, das ist eine schwere Beschuldigung,« sagte Josselin, dessen kühnes sorgloses Gemüth nicht lange einzuschüchtern war, »potz alle Hagel! Muß unseres Herrn alter Liebling, der Wilm von Stratford, jeden Schmatz verantworten, der seit Jacobs Zeiten gegeben worden ist – das ist wahrhaftig eine gefährliche Verantwortung – da möcht ich aber nur Wunders halber wissen, wer erst für das verantwortlich ist, was Buben und Mädchen vor seiner Zeit gethan haben.»

»Spotte nicht,« sagte der Soldat, »damit ich nicht, durch die innere Stimme dazu berufen, mit Dir wie mit einem Spötter verfahre. Wahrlich, ich sage Dir, seitdem der Teufel vom Himmel fiel, hat es ihm nie an Dienern auf Erden gemangelt; aber nirgends fand er einen Zauberer, der solche Gewalt über die Seelen der Menschen gehabt hätte, als dieser pestilenzialische Mensch, der Shakspeare. Sucht eine Frau ein schlimmes Beispiel des Ehebruchs, so findet sie es hier – möchte einer wissen, wie er seinen Gefährten zum Mörder abrichten kann, so ist ihm hier die Sache vorgeschrieben – möchte ein Frauenzimmer einen heidnischen Neger heirathen, so ist hier ein Beispiel davon aufgezeichnet – will jemand über seinen Schöpfer spotten, so giebt ihm dies Buch einen Witz an die Hand – will er seinen Bruder nach dem Fleisch herausfordern – so wird er hier mit einer Ausforderung versehen – wollt Ihr Euch betrinken, so ermuntert Euch Shakspeare mit einem Becher dazu – wollt Ihr Euch in sinnliche Lüste stürzen, so fordert er Euch dazu auf, wie mit den üppigen Tönen einer Laute. Dies, sag ich, dies Buch ist der Born und der Quell aller jener Uebel, welche das Land wie ein Strom überschwemmt, und die Menschen zu Spöttern, Zweiflern, Gottesläugnern, Mördern, Aufwieglern und Verehrern des Weinkrugs gemacht haben, so daß sie unreine Orte besuchen, und Abends lange beim Becher sitzen. Hinweg mit ihm, Ihr Männer von England, nach Tophet mit seinem gottlosen Buche und in das Thal von Hinnon Das Thal Hinnon lag Jerusalem gegen Abend, in der Nähe des Btuunens Siloah, wo die abtrünnigen Juden dem Moloch opferten; der höchste Ort des Thales führte den Namen Tophet, d. i. Trommel oder Pauke, weil dort, während des Opferns, die Pauken geschlagen wurden, um das Geschrei der unglücklichen Kinder zu übertäuben. mit seinen verfluchten Gebeinen! Wahrlich, wäre unser Marsch nicht so übereilt gewesen, als wir im Jahr 1643 mit Sir Wilhelm Waller durch Stratford kamen; wäre unser Marsch nicht so schnell gegangen« –

»Weil Prinz Ruprecht mit seinen Reitern hinter Euch her war,« murmelte der nicht zu bessernde Förster.

»Ich sage,« fuhr der eifrige Kriegsmann fort, die Stimme erhebend, und den Arm ausstreckend – »wäre nicht unser Marsch befohlnermaßen so eilig gewesen, so daß wir uns nicht abseits entfernen durften, sondern in geschlossenen Gliedern fortritten, wie es Kriegsmännern geziemt, so hätte ich an dem Tage die Gebeine jenes Lehrers der Laster und der Schwelgerei aus dem Grabe gerissen, und sie auf den nächsten Misthaufen geworfen. Ich hätte sein Andenken dem Spott und Hohngelächter Preiß gegeben. «

»Das ist das härteste, was er bis jetzt noch gesagt hat,« bemerkte der Förster. »Den armen Wilm würde das Hohnlachen mehr als alles Andere verdrossen haben.«

»Wird der Herr wohl noch weiter reden?« fragte Phöbe flüsternd. »Herrjemine, es klingt prächtig, was er schwatzt, wenn man's nur verstände. Aber es ist ein Glück, daß unser guter Ritter nicht mit ansah, wie er mit dem Buche umsprang – Gott steh uns bei, das hätte gewiß Blutvergießen gegeben – aber du mein Gott – sieh, wie er jetzt das Gesicht verzerrt! – Hat er etwa Leibschneiden? Was meinst Du, Josselin, oder soll ich ihm ein Glas Brandwein anbieten?«

»Siehst Du, Mädchen,« sagte der Förster, »er ladet blos seine Büchse zu einem zweiten Schuß, und während er so die Augen dreht und das Gesicht verzerrt, und die Faust ballt, und so mit den Füßen wankt und stampft, darf er auf gar nichts um sich her achten. Ich wollte darauf schwören, daß ich ihm die Börse, wenn er eine hätte – aus der Tasche ziehen wollte, ohne daß er es fühlte.«

»Ei, Josselin,« sagte Phöbe, »wenn er unter diesen Umständen hier bleibt, wird er wohl leicht zu bedienen seyn.«

»Darum sorge Du nur nicht,« sagte Joliff, »sondern sag mir schnell, aber leise, was in der Speisekammer vorräthig ist.«

»Wenig genug,« sagte Phöbe, »ein kalter Kapaun, etwas Eingemachtes und die große Wildpretspastete mit vielem Gewürz – außerdem noch eine oder zwei Semmeln, das ist Alles.«

»Nun, das ist zur Noth schon genug – wickle Dich hübsch in Deinen Mantel, nimm einen Korb, ein Paar Bestecke und Tischzeug – es fehlt ihnen da unten an Allem – trage den Kapaun und die Semmeln hinunter – die Pastete muß hier bleiben für den Soldaten und mich; der Pastetenrand mag die Stelle des Brods vertreten.«

»Das geht recht gut,« sagte Phöbe, »ich habe den Teig selbst gemacht, er ist so dick, wie die Mauern von Rosamundens Thurm.«

»Da würden nun freilich zwei Paar Kinnbacken so bald nicht durchkommen, wenn sie sichs auch noch so sauer werden ließen,« sagte der Förster, »was habt Ihr aber für Getränk vorräthig?«

»Nur eine Flasche Alicante-Wein und eine mit Sekt, außer dem steinernen Kruge voll Brandwein,« antwortete Phöbe.

»Stecke nur die Weinflaschen in Deinen Korb,« sagte Josselin, »dem Ritter muß sein Abendtrunk nicht mangeln – und nun hinunter mit Dir in die Hütte wie ein Kiebitz. Zum Abendbrod ist das schon genug, und morgen ist wieder ein Tag – ha, war mirs doch beim Himmel, als lauerte der Mann uns auf – nein – er rollte nur die Augen in tiefen Gedanken umher – tief genug sind sie freilich wohl – aber hol ihn der Henker, er müßte bodenlos seyn, wenn ich ihn vor Ablauf der Nacht nicht noch ergründen sollte – eile nun, Phöbe.«

Aber Phöbe war eine ländliche Kokette, und wohl wissend, daß Josselin in seiner jetzigen Lage sie nicht auf gehörige Weise abstrafen könne, flüsterte sie ihm ins Ohr: »glaubst Du, daß unsres Ritters Freund, Shakspeare, wirklich alle diese garstigen Dinge ersonnen hat, von denen der Herr da sprach?«

Fort eilte sie, indeß Joliff mit aufgehobenem Finger, künftige Rache drohte und murmelte: »geh nur hin, Phöbe, Du Mädchen mit dem leichtesten Fuß und Herzen, das je den Rasen im Parke von Woodstock betrat! – Ihr nach, Bevis, und bringe sie sicher zu unserm Herrn in die Hütte.«

Der große Jagdhund stand auf, wie ein menschlicher Diener, der einen Befehl erhalten hat, und folgte Phöbe durch die Halle, ihr erst die Hand leckend, um ihr bemerklich zu machen, daß er da sey, und dann sich langsam in Trab setzend, wodurch er am besten dem leichten Schritt derjenigen beikam, die er geleitete, und die Josselin nicht ohne guten Grund wegen ihrer Behendigkeit gerühmt hatte. Indes Phöbe und ihr Beschützer den Wald durchwandern, kehren wir in das Jagdschloß zurück.

Der Independent schien nun wie aus einem Traum aufzufahren: »Ist das junge Frauenzimmer fort?« fragte er.

»Ja, allerdings,« sagte der Förster, »und wenn Ihr noch weiter etwas zu befehlen habt, so müßt Ihr Euch mit männlicher Bedienung begnügen.«

»Befehle – hm – das Mädchen hätte auch wohl bleiben können, um eine zweite Ermahnung abzuwarten,« sagte der Soldat – »wahrlich, mein Geist dachte schon drauf, sie zu erbauen.«

»O,« erwiederte Joliff, »sie wird nächsten Sonntag in der Kirche seyn, und wenn es Ew. militärischen Ehrwürden dann beliebt, uns wieder einen Vortrag zu halten, so kömmt ihr die Lehre, so wie den übrigen zu Gute. Privatpredigten hören die jungen Mädchen aus dieser Gegend nicht – was steht jetzt zu Eurem Belieben, wollt Ihr die andern Zimmer in Augenschein nehmen, und das wenige Silberzeug, das übrig geblieben ist?«

»Hm – nein,« sagte der Independent, »es ist spät und wird dunkel – Du kannst uns doch Betten verschaffen, Freund?«

»In besseren habt Ihr gewiß nie geschlafen,« erwiederte der Förster.

»Und Brennholz und ein Licht, und etwas Weniges an irdischen Nahrungsmitteln zur Erquickung des äußeren Menschen?« fuhr der Soldat fort.

»Ohne Zweifel,« erwiederte der Förster, der sich klüglich besorgt zeigte, diesen wichtigen Mann zu befriedigen.

In wenigen Minuten stand ein großer Leuchter auf einem eichenen Tisch, die gewaltige Wildpretspastete, mit Petersilie verziert, wurde auf den mit einem reinen Tischtuche versehenen Speisetisch gesetzt, der steinerne Krug mit Brandwein nebst einem andern Kruge voll Bier bildete ein ganz erquickliches Zubehör, und zu diesem Mahle setzten sich ganz gesellig der Kriegsmann in einen großen Armsessel nieder, indeß der Förster auf seine Einladung ihm gegenüber auf einem Stuhle Platz nahm. In diesem angenehmen Geschäfte verläßt unsre Geschichte sie für den Augenblick.


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