Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenzehntes Kapitel.


– Im Eifer thun wir schnell, was wir
Bei ruh'gem Sinn gern ungeschehe, machten.

Anonym.

Indes die Commissaren sich anschickten, das Jagdschloß zu verlassen, um sich mit all dem Prunk und der Geschäftigkeit, welche die Bewegungen der Großen begleiten, besonders solcher, die noch nicht vertraut mit ihrer Größe geworden sind, in den Gasthof des Fleckens Woodstock zu begeben, hatte Everard ein Gespräch mit dem presbyterianischen Geistlichen, Herrn Holdenough, der aus dem Zimmer hervorgekommen war, das er, wie zum Trotz der Geister, welche das Haus beunruhigen sollten, eingenommen hatte, und dessen bleiche Wange und nachdenkliche Stirn bewies, er habe die Nacht nicht besser, als die andern Bewohner des Schlosses von Woodstock zugebracht. Als Oberst Everard sich erbot, dem ehrwürdigen Herrn eine Erfrischung zu verschaffen, erhielt er diese Antwort: »Heute werde ich keine Speise kosten, die ausgenommen, von der uns versichert worden, daß sie hinreichend zu unserm Unterhalte sey, da uns versprochen ist, daß unser Brod uns gegeben werden und unser Wasser uns gewiß seyn soll. Ich faste nicht etwa nach der Meinung der Papisten, daß dies jene Verdienste erhöhe, die nur eine Anhäufung elender Lumpen sind, sondern weil ich es für nöthig halte, daß keine gröbere Nahrung heute meinen Verstand umwölke, oder den Dank, den ich dem Himmel für eine höchst wunderbare Erhaltung schuldig bin, minder rein und lebendig mache.«

»Herr Holdenough,« sagte Everard, »Sie sind, wie ich weiß, ein guter und kühner Mann, und ich sahe Sie die vorige Nacht muthig an Ihre heilige Pflicht gehen, als Soldaten, und sogar bewährte Soldaten sehr beunruhiget schienen.«

»Zu muthig – zu verwegen,« war Herrn Holdenough's Antwort, dessen unerschrockenes Aussehen ganz verschwunden zu seyn schien. »Wir sind gebrechliche Geschöpfe, Herr Everard, und am gebrechlichsten, wenn wir uns am stärksten glauben. O, Oberst Everard,« fügte er nach einer Pause hinzu, als wenn sein Vertrauen zum Theil unwillkührlich wäre, »ich habe etwas gesehen, das ich nicht überleben werde!«

»Sie überraschen mich, ehrwürdiger Herr,« sagte Everard – »darf ich Sie bitten, deutlicher zu sprechen? Ich habe einige Geschichten über diese grause Nacht vernommen, habe selbst wunderbare Dinge mit angesehen; aber ich wünschte doch sehr, zu wissen, was Sie gestört hat.«

»Herr,« sagte der Geistliche, »Sie sind ein verständiger Mann, und obwohl ich nicht gern diesen Ketzern, Schismatikern, Brownisten, Muggletonianern, Wiedertäufern u. s. f. eine solche Gelegenheit zum Triumph darbieten möchte, als meine Niederlage in dieser Sache ihnen gewähren würde, so will ich doch gegen Sie, der Sie immer ein treuer Diener unsrer Kirche waren, und durch das große National-Bündniß und den Vertrag, sich der guten Sache verpfändet haben, ganz zuverlässig offner seyn. Setzen wir uns daher und erlauben Sie mir, erst ein Glas reines Wasser zu fordern, denn bis jetzt fühle ich noch einige körperliche Schwäche, obwohl ich, dem Himmel sey Dank, in meinem Gemüth so entschlossen und gefaßt bin, als ein blos sterblicher Mann es nach einer solchen Erscheinung nur seyn mag. – Man sagt, würdiger Oberst, der Anblick solcher Dinge verkünde oder verursache schnellen Tod. – Ob das wahr ist, weiß ich nicht; ist es aber wahr, so scheide ich nur, wie eine müde Schildwache, wenn der Offizier sie von ihrem Posten ablöst, und froh werde ich seyn, diese müden Augen und diese abgematteten Ohren gegen den Anblick und das Quaken jener Frösche, jener Antinomianer, Pelagianer, Socinianer, Arminianer, Arianer und Freigeister zu schließen, die in unser England gekommen sind, gleich jenem widrigen Gewürm in Pharaos Haus.«

Hier trat einer der gerufenen Diener mit einem Becher Wasser ein, und sah zugleich dem Geistlichen ins Gesicht, als wollten seine nichtssagenden grauen Augen die auf der Stirn geschriebene traurige Geschichte herunter lesen, und schüttelte dann, indem er das Zimmer verließ, seinen leeren Schädel mit einer Miene, als sey er stolz darauf, entdeckt zu haben, daß nicht Alles in gehöriger Ordnung sey, obwohl er nicht so recht errathen konnte, was denn eigentlich nicht in der Ordnung sey.

Oberst Everard ersuchte den guten Mann, etwas stärkendere Nahrung zu sich zu nehmen, als das reine Element, aber er lehnte es ab: »Ich bin gewissermaßen ein Kämpfer,« sagte er, »und obwohl ich in dem letzten Streite mit dem Feinde überwunden worden bin, so habe ich doch noch meine Trompete, um Lärm zu blasen, und mein scharfes Schwert, um ihn zu treffen; daher will ich gleich den Nazarenern der alten Zeit nichts essen, das vom Weinstocke kommt, noch Wein, noch andere starke Getränke trinken, bis diese Tage meines Kampfs vorüber sind.«

Freundlich und ehrerbietig drang der Oberst von Neuem in Herrn Holdenough, ihm die Ereignisse mitzutheilen, die ihm in der vorigen Nacht zugestoßen waren, und der gute Geistliche fuhr folgendermaßen fort mit dem kleinen charakteristischen Anstrich von Eitelkeit in seiner Erzählung, der natürlich aus der Rolle entsprang, die er in der Welt gespielt, und dem Einflusse, den er über die Gemüther Anderer geübt hatte. »Ich war ein junger Mann auf der Universität zu Cambridge, als ich ein besonderes Freundschaftsbündniß mit einem Mitstudirenden schloß, vielleicht weil wir, obwohl es eitel ist, es zu erwähnen, für die hoffnungsvollsten Zöglinge der hohen Schule galten, und so völlig gleich vorgerückt, daß es vielleicht schwer war, zu sagen, wer von uns am weitesten in seinen Studien sey. Nun pflegte unser Lehrer, Herr Purefoy, zu sagen, daß wenn mein Camerad in Hinsicht der Gaben etwas vor mir voraus habe, ich dagegen hinsichtlich der Gnade vor ihm voraus sey; denn er hing der profanen Gelehrsamkeit der Classiker an, die niemals Nutzen bringt, und oft gottlos und unrein ist, und ich war erleuchtet genug, um meine Studien auf die heiligen Sprachen zu wenden. So wichen wir auch in unsern Meinungen hinsichtlich der englischen Kirche von einander ab; denn er hielt sich mit Laud zu der Arminianischen Meinung, und zu denen, welche unsre geistliche Einrichtung mit der bürgerlichen verbinden, und die Kirche von dem Athem eines irdischen Mannes abhängig machen möchten. Kurz, er begünstigte das Prälatenthum sowohl im Wesentlichen, als in den Ceremonien, und obwohl wir mit Thränen und Umarmungen schieden, so war es doch, um sehr verschiedene Wege zu verfolgen. Er erhielt ein Amt, und wurde ein Controvers-Schriftsteller zu Gunsten der Bischöffe und des Hofs. Auch ich, wie Ihnen wohlbekannt ist, schärfte, so weit es meine armen Fähigkeiten zuließen, meine Feder für die Sache der armen unterdrückten Leute, deren zartes Gewissen den Ritus und die Ceremonien verwarfen, die sich mehr für eine papistische, als reformirte Kirche schickten, und die, der verblendeten Politik des Hofs gemäß, durch Strafen aufgedrungen wurden. Hierauf kam der Bürgerkrieg, und ich – durch mein Gewissen dazu berufen, und keineswegs die traurigen Folgen, die das Aufstehen dieser Independenten mit sich bringen würde, fürchtend oder ahnend – ich ließ mirs gefallen, dem großen Werke meine Unterstützung und meine Thätigkeit zu leihen, indem ich Kaplan in Oberst Harrisons Regiment wurde. Nicht daß ich mich etwa mit fleischlichen Waffen im Felde abgegeben hätte – verhüte es der Himmel, daß je ein Diener des Altars dies thue – aber ich predigte, ermahnte, und war in Zeiten der Noth Wundarzt, sowohl für die Wunden des Körpers, als der Seele. Nun trug sichs gegen Ende des Kriegs zu, daß eine Parthei Uebelgesinnter sich eines befestigten Hauses in der Grafschaft Shrewsbury bemächtigt hatte, das auf einer kleinen Insel in einem See lag, und wohin man nur auf einem schmalen Damm gelangen konnte. Von da aus machten sie Streifzüge, und plagten das Land, und es war hohe Zeit, ihnen zu wehren, so daß ein Theil unsers Regiments abgeschickt wurde, sie zu bezwingen, und ich wurde gebeten, mitzugehen, denn es waren ihrer wenige, um einen so festen Platz einzunehmen, und der Oberst hielt dafür, meine Ermahnungen würden sie zu größerer Tapferkeit anregen. Und so ging ich gegen meine Gewohnheit selbst mit ins Feld, wo tapfer auf beiden Seiten gefochten wurde. Die Uebelgesinnten jedoch, die ihre Kanonen nach uns feuerten, befanden sich so sehr im Vortheil, daß, nachdem wir ihre Thore mit einer Salve aus unseren Kanonen gesprengt hatten, Oberst Harrison seinen Leuten befahl, auf dem Damm hinmarschirend, zu versuchen, ob wir den Ploß nicht durch Sturm einnehmen könnten. Dennoch, obwohl unsre Leute sich tapfer hielten und in guter Ordnung anrückten, geriethen sie endlich, da das Feuer ihnen von allen Seiten heftig zusetzte, in Unordnung, und zogen sich mit vielem Verluste zurück, indem Harrison selbst den Nachtrab tapfer anführte, und sie, so gut er konnte, gegen den Feind vertheidigte, welcher einen Ausfall that, um sie gänzlich in die Flucht zu schlagen. Nun, Oberst Everard, bin ich von Natur ein Mann von heftigem und raschem Charakter, obwohl eine bessere Lehre, als das alte Gesetz, mich mild und geduldig gemacht hat, wie Sie mich jetzt sehen. Ich konnte es nicht ertragen, unsre Israeliten vor den Philistern fliehen zu sehen, stürzte also auf den Damm, mit der Bibel in einer Hand, und eine Hellebarde, die ich aufgegriffen, in der andern, brachte die vordersten Flüchtlinge wieder herum, indem ich drohte, sie niederzuschlagen, wobei ich ihnen zugleich einen Priester in seiner Amtskleidung zeigte, der sich unter den Uebelgesinnten befand, und sie fragte, ob sie nicht eben so viel für einen wahren Diener des Himmelsthun wollten, als die Unbeschnittnen für einen Priester des Baal. Meine Worte und Streiche vermochten sie dazu, sie wandten sich, jauchzend: »Nieder mit Baal und seinen Verehrern!« und griffen die Uebelgesinnten so unversehens wieder an, daß sie dieselben nicht allein in ihr festes Haus zurückdrängten, sondern bunt durch einander mit ihnen hineindrangen. Auch ich befand mich im Haufen, theils mit fortgerissen durch die Menge, theils um unsere wüthenden Soldaten zu vermögen, Pardon zu geben; denn es bekümmerte mein Herz, Christen und Engländer mit Schwertern und Ladestöcken niederhauen zu sehen, wie schlechte Hunde auf der Straße zur Zeit der Hundswuth. Auf diese Weise erreichten wir, die Soldaten immer fechtend und mordend, und ich ihnen zurufend, sie möchten inne halten, das Dach des Gebäudes, das zum Theil mit Blei gedeckt war, und wohin, als zu einem letzten Zufluchsorte, die bis jetzt noch entkommnen Cavaliere sich zurückgezogen hatten. Ich selbst wurde gewissermaßen die schmale Wendeltreppe von unsern Soldaten hinaufgetrieben, die wie Jagdhunde auf ihre Beute losstürzten, und als ich endlich hinaufgekommen war, befand ich mich in der Mitte eines gräßlichen Schauspiels. Von den noch übrigen Vertheidigern widerstanden einige mit der Wuth der Verzweiflung, andere flehten auf ihren Knien um Mitleid in Worten und Tönen, daß es mir noch jetzt fast das Herz bricht, wenn ich daran denke, noch Andere riefen Gott um Erbarmen an, und dazu war es auch Zeit, denn die Menschen hatten keins. Sie wurden niedergeschlagen, durchbohrt, von den Zinnen in den See geworfen, und das wilde Geschrei der Sieger, vermischt mit dem Aechzen, Kreischen und Schreien der Besiegten, bildete einen so fürchterlichen Ton, daß nur der Tod ihn aus meinem Andenken verwischen kann. Und die Menschen, die so ihre Mitgeschöpfe schlachteten, waren weder Heiden aus fernen wilden Ländern, noch Räuber, der Abschaum und Auswurf unsres eignen Volks. Bei kaltem Blute waren es vernünftige, ja sogar religiöse Menschen, die einen guten Namen hatten, sowohl in Hinsicht dessen, was himmlisch, als irdisch ist. O, Herr Everard, Ihr Kriegshandwerk sollte gemieden und gefürchtet werden, indem es solche Menschen in Wölfe gegen ihre Mitgeschöpfe verwandelt.»

»Es ist eine harte Nothwendigkeit,« sagte Everard, die Augen niederschlagend, »und nur als solche zu rechtfertigen. – Aber fahren Sie fort, werther Herr, ich sehe nicht ein, wie diese Erstürmung, ein in dem letzten Kriege auf beiden Seiten nur zu gewöhnliches Ereigniß, mit der Angelegenheit der vorigen Nacht etwas zu thun hat.«

»Sie sollen es gleich hören,« sagte Herr Holdenough; dann hielt er inne, wie Einer, der sich zu fassen bemüht ist, ehe er in einer Erzählung fortfährt, deren Inhalt ihn heftig aufregte. – »In diesem höllischen Tumult – denn gewiß kann nichts auf Erden so sehr der Hölle gleichen, als wenn Menschen in ihrer sterblichen Bosheit auf ihre Mitgeschöpfe so losgehen – sah ich denselben Priester, den ich auf dem Damme bemerkt hatte, mit einem oder zwei andern Uebelgesinnten von den Angreifenden in einen Winkel gedrängt, wo sie sich aufs Aeußerste vertheidigten, wie Leute, die keine Hoffnung haben. – Ich sah ihn – ich erkannte ihn – o Oberst Everard!«

Er ergriff Everards Hand mit seiner eigenen Linken, und hielt die flache rechte Hand laut schluchzend vor das Gesicht.

»Es war Ihr Schulcamerad?« sagte Everard, den Ausgang ahnend.

»Mein alter – mein einziger Freund – mit dem ich die glücklichen Tage der Jugend verlebt hatte! – Ich stürzte vorwärts – ich rang – ich flehte. – Aber mein Eifer ließ mir weder Stimme noch Sprache – Alles verlor sich in dem elenden Geschrei, das ich selbst erhoben hatte. – »Nieder mit dem Priester des Baal! – Schlagt Mathan todt – schlagt ihn todt, und wär er am Altar!« – Ueber die Zinnen hinausgedrängt, aber nach dem Leben ringend, sah ich, wie er sich an einem der Vorsprünge fest hielt, die gemacht waren, das Wasser von dem Bleidache abzuleiten – aber sie hackten nach seinen Armen und Händen. – Ich hörte den schweren Fall in den bodenlosen Abgrund. – Entschuldigen Sie mich – ich kann nicht weiter.«

»Er entkam vielleicht.«

»O! nein! nein! nein! – Der Thurm war vier Stock hoch. Selbst die, welche sich aus den unteren Fenstern in den See stürzten, um schwimmend zu entkommen, fanden keine Sicherheit; denn Reiter am Ufer, von derselben blutdürstigen Laune ergriffen, welche sich der erstürmenden Parthei bemächtigt hatte, galoppirten rund um den See, und erschossen die, welche im Wasser zappelten, oder hieben sie nieder, so wie sie sich bemühten, ans Land zu kommen. Alle wurden niedergehauen und gemordet. – O! möge das an dem Tage vergossene Blut schweigen! – O! daß die Erde es aufnähme in ihre Tiefen! – Möchte es für immer vermischt werden mit den dunkeln Gewässern jenes Sees, so daß es nie nach Rache schreie gegen die, deren Zorn grimmig war, und die in ihrer Wuth mordeten! – Und o! möge es dem irrenden Manne vergeben werden, der in ihre Versammlung kam, und seine Stimme dazu lieh, ihre Grausamkeit anzufeuern! – O! Albany, mein Bruder, mein Bruder! – Ich habe um Dich geklagt, wie David um Jonathan!«

Der gute Mann schluchzte laut, und Oberst Everard fühlte sich so tief mit ihm bewegt, daß er nicht eher wieder in ihn drang, seine Neugier zu befriedigen, bis der volle Strom der reuevollen Leidenschaft sich gelegt hatte. Dieser war jedoch wild und ungestüm, vielleicht um so mehr, da dem strengen ascetischen Charakter des Mannes jedes Nachhängen eines starken geistigen Gefühls irgend einer Art fremd war, und daher um so gewaltiger seyn wußte, wenn es einmal alle Schranken durchbrochen. Große Thränen flossen auf den zitternden Zügen seines hagern, gewöhnlich strengen, oder doch wenigstens ernsten Gesichts hinab. Er erwiederte heftig den Druck von Everards Hand, wie zum Dank für das Mitgefühl, das dieser dadurch zu erkennen gab.

Gleich darauf trocknete sich Herr Holdenough die Augen, zog seine Hand leise aus der Everard's, die er vorher freundlich schüttelte, und fuhr dann gefaßter fort: »Verzeihen Sie mir diesen Ausbruch leidenschaftlichen Gefühls, würdiger Oberst. – Ich weiß, es geziemt sich nicht für einen Mann meines Standes, der Andern Trost bringen sollte, in mir selbst einem Uebermaß von Kummer nachzugeben, der wenigstens schwach, wo nicht gar sündlich ist; denn was sind wir, daß wir weinen und murren über das, was zugelassen wird? Aber Albany war mir wie ein Bruder. Die glücklichsten Tage meines Lebens, ehe mein Beruf, mich in den Streit des Landes zu mischen, mein Pflichtgefühl aufgeregt hatte, verlebte ich in seiner Gesellschaft. – Ich – doch ich will das Uebrige meiner Geschichte kurz fassen.« – Hier zog er seinen Stuhl dicht an Everard heran, und sprach in feierlichem geheimnißvollen Tone, fast flüsternd – »ich habe ihn die vorige Nacht gesehen.«

»Ihn – wen?« sagte Everard, »Können Sie den meinen, den« –

»Den ich so erbarmungslos hinschlachten sah,« sagte der Geistliche. – »Meinen alten Schulfreund – Joseph Albany.«

»Herr Holdenough, Ihr Kleid und Ihr Charakter muß Sie gleich sehr davor bewahren, über einen Gegenstand, wie dieser, zu scherzen.«

»Scherzen!« antwortete Holdenough, »eben so wenig würde ich auf meinem Todbette – eben so wenig mit der Bibel scherzen.«

»Aber Sie müssen sich getäuscht haben,« antwortete Everard hastig. »Diese tragische Geschichte muß Ihnen nothwendig oft in den Sinn zurückkommen, und in Augenblicken, wenn die Phantasie das Zeugniß der äußeren Sinne überwältigt, kann sie Ihnen eine nicht wirkliche Erscheinung dargestellt haben. Nichts ist wahrscheinlicher, als daß, wenn der Geist auf etwas Uebernatürliches gespannt ist, die Phantasie ein Hirngespinst an die Stelle setzt, indeß die überreizten Gefühle es schwierig machen, die Täuschung zu zerstreuen.«

»Oberst Everard!« erwiederte Holdenough streng, »in Erfüllung meiner Pflicht darf ich das Antlitz der Menschen nicht scheuen, und daher sage ich Ihnen gerade heraus, wie ich es schon zuvor bei näherer Beobachtung gethan, daß wenn Sie Ihre weltliche Gelehrsamkeit und Urtheil mit anführen, wie es nur zu sehr Ihre Art ist, um die verborgenen Dinge einer andern Welt zu erforschen, Sie eben sowohl die Gewässer der Isis mit der flachen Hand ausmessen könnten. In der That irren Sie sich hierin, mein guter Herr, und geben den Leuten zu viel Vorwand, Ihren ehrbaren Namen mit Hexensachwaltern, Freidenkern und Atheisten zu vermengen, selbst mit solchen Menschen, wie dieser Bletson, der, wenn die Kirchenzucht ihre Hände gestärkt hätte, wie es zu Anfang des großen Streits der Fall war, schon längst aus dem Schooße der Kirche ausgestoßen, und der Strafe des Fleisches preiß gegeben seyn würde, um womöglich seine Seele zu retten.«

»Sie irren sich, Herr Holdenough,« sagte Oberst Everard, »ich leugne gar nicht das Daseyn solcher übernatürlichen Heimsuchungen, weil ich die Stimme meiner eigenen Meinung gegen das Zeugniß der Jahrhunderte, von so gelehrten Männern als Sie unterstützt, nicht erheben kann noch darf. Demungeachtet, obwohl ich die Möglichkeit solcher Dinge zugebe, habe ich doch kaum in meinen Tagen von einem Beispiel gehört, welches der Augenschein so bestätigte, daß ich bestimmt sagen könnte, dies muß durch übernatürliche Mittel und auf keine andere Weise geschehen seyn.«

»Hören Sie also, was ich zu sagen habe,« sagte der Geistliche, »auf das Wort eines Mannes, eines Christen, und was mehr ist, eines Dieners unserer heiligen Kirche, der jedoch nur ein unwürdiger Aeltester und Lehrer unter den Christen ist. – Ich hatte gestern Abend meinen Standort in dem halb mit Hausrath versehenen Zimmer eingenommen, in welchem ein ungeheuerer Spiegel hängt, welcher dem Goliath von Gath hätte dazu dienen können, sich darin zu bewundern, wenn er vom Kopf bis zum Fuß in seiner ehernen Rüstung gekleidet war. Ich wählte diesen Ort um so lieber, da man mir gesagt hatte, es sey das nächste bewohnbare Zimmer an der Gallerie, in welcher Sie selbst an dem Abende von dem Bösen angefallen wurden – war es so, ich bitte Sie?«

»Von Einem, der keine guten Absichten hatte, wurde ich allerdings in jenem Zimmer angefallen. Insofern wurden Sie recht berichtet.«

»Nun wohl, ich wählte meinen Posten, so gut ich konnte, wie ein entschlossener General sein Lager und seinen Laufgraben der belagerten Stadt so nah als möglich bringt. Und in Wahrheit, Oberst Everard, wenn ich ein Gefühl körperlicher Furcht empfand – denn selbst Elias und die Propheten, die den Elementen geboten, hatten Theil an unserer gebrechlichen Natur, wie vielmehr denn ein armes sündiges Wesen, wie ich – doch waren mein Muth und meine Hoffnung groß; und ich dachte an die Texte, die ich brauchen könnte, nicht in dem gottlosen Sinne der Amulette oder Zaubersprüche, wie die blinden Papisten sie zugleich mit dem Zeichen des Kreuzes und andern fruchtlosen Formen gebrauchen, sondern als Nahrung und Stütze jenes wahren Glaubens und Vertrauens auf die gesegneten Versprechungen, welche der wahre Schild des Glaubens sind, womit Satans feuriger Pfeil bekämpft und ausgelöscht werden kann. Und so bewaffnet und ausgerüstet setzte ich mich nieder zu lesen und zugleich zu schreiben, auf daß ich meinen Geist zwingen möchte, auf jene Gegenstände zu achten, welche der Lage zusagten, in die ich versetzt war, um allen zügellosen Abschweifungen der Phantasie zuvorzukommen, und ihr keinen Raum zu lassen, über eitler Furcht zu brüten. So ordnete ich also, und schrieb nieder, was ich der Zeit gemäß hielt, und vielleicht wird noch manche hungrige Seele aus der Nahrung, die ich damals bereitete, Nutzen ziehen können.«

»Das war weislich und würdig gehandelt, mein guter, verehrter Herr,« erwiederte Oberst Everard, »ich bitte Sie, fortzufahren.«

»Während ich so beschäftigt war und wohl drei Stunden dabei zugebracht hatte, ohne der Müdigkeit nachzugeben, überfiel meine Sinne ein seltsames, durchdringendes Gefühl – und das große altmodische Zimmer schien größer, düsterer und höhlenartiger zu werden, indeß die Nachtluft kälter und empfindlicher wurde. Ich weiß nicht, ob es war, weil das Feuer anfing, abzugehen, oder ob vor solchen Dingen, wie sich damals zutragen sollten, gewissermaßen ein Hauch und ein Dunst des Entsetzens vorhergeht, wie Hiob in einem wohlbekannten Spruche sagt: »Furcht kam über mich und Zittern, welches meine Gebeine erschütterte;« und es war ein Klingeln in meinem Ohr und ein Schwindel in meinem Gehirn, so daß es mir war, wie solchen, die nach Hülfe rufen, wenn keine Gefahr ist, und ich sogar verleitet wurde, zu fliehen, wo ich Niemanden sah zum Verfolgen. Jetzt schien Etwas hinter mir vorbeizugehn, das einen Wiederschein auf den großen Spiegel warf, vor welchen ich meinen Schreibtisch hingesetzt hatte, und welches ich mit Hülfe des großen Lichtes bemerkte, das dem Spiegel gegenüber stand. Und ich sah auf, und sah deutlich im Spiegel das Bild eines Mannes – so gewiß als diese Worte aus meinem Munde kommen, es war kein Anderer, als derselbe Joseph Albany – mein Jugendgefährte, den ich von den Zinnen des Schlosses Clidesthrough hatte in den tiefen See hinunterstürzen sehen.«

»Was thaten Sie?«

»Es fiel mir sogleich ein,« sagte der Geistliche, »daß der Stoiker Athenodorus das Grauen einer solchen Erscheinung durch geduldiges Fortsetzen seiner Studien von sich abgewehrt hatte, und es kam mir zugleich in den Sinn, daß ich, ein christlicher Geistlicher, ein Verwalter der Mysterien, noch weniger Grund habe, Uebles zu fürchten, und noch besseren Stoff zur Beschäftigung meiner Gedanken habe, als ein Heide, den seine eigene Weisheit verblendete. Statt also irgend eine Besorgniß zu verrathen, oder auch nur den Kopf umzuwenden, fuhr ich fort zu schreiben, aber ich gestehe es mit klopfendem Herzen und zitternder Hand.«

»Wenn Sie überhaupt,« sagte der Oberst, »mit einer solchen Vorstellung Ihres Gemüths schreiben konnten, so können Sie, was kühne Entschlossenheit betrifft, sich an die Spitze der englischen Armee stellen.«

»Unser Muth kömmt nicht von uns, Oberster,« sagte der Geistliche, »und nicht als eines solchen sollten wir uns dessen rühmen. Und noch einmal, wenn Sie von dieser seltsamen Erscheinung, als von einer Vorstellung meiner Einbildung, nicht von einer meinen Sinnen vorgeführten Wirklichkeit sprechen, so lassen Sie sich nochmals sagen, daß Ihre weltliche Weisheit nur Thorheit ist, hinsichtlich der Dinge, die nicht weltlich sind.«

»Sahen Sie nicht wieder auf den Spiegel?« sagte der Oberst.

»Das that ich, nachdem ich den tröstlichen Text abgeschrieben hatte: »Du sollst Satan unter deine Füße treten!«

»Und was sahen Sie nun?«

»Den Widerschein desselben Joseph Albany, der langsam wie hinter meinem Stuhle vorüberging, derselbe in Gliedmaßen und Zügen, wie ich ihn in seiner Jugend gekannt, nur daß seine Wange Spuren des höheren Alters zeigte, in dem er starb, und daß er sehr blaß war.«

»Was thaten Sie hierauf?«

»Ich wendete mich von dem Spiegel weg, und sah deutlich die Gestalt, die vorhin den Widerschein auf den Spiegel geworfen hatte, sich nach der Thür hinbegeben, weder schnell noch langsam, sondern wie dahin schwebend im festen Schritt. Sie wandte sich nochmals, als sie die Thür erreicht hatte, und zeigte mir wieder ihr blasses geisterähnliches Gesicht, ehe sie verschwand. Aber wie sie das Zimmer verließ, ob zur Thür hinaus oder anders, dazu war ich zu sehr aufgeregt, um es genau zu bemerken, auch bin ich, ungeachtet aller Anstrengungen, nicht im Stande gewesen, es mir deutlich zurückzurufen.«

»Dies ist eine seltsame, und als von Ihnen kommend, vollkommen beglaubigte Erscheinung,« antwortete Everard, »und doch, Herr Holdenough, wenn, wie Sie glauben, die andere Welt sich wirklich gezeigt, und die Möglichkeit will ich nicht bestreiten, so seyn Sie versichert, daß auch gottlose Menschen in diesen Spukereien mit begriffen sind. Ich selbst habe eine Begegnung mit sogenannten Geistern gehabt, die Körperkraft besaßen, und wie ich gewiß weiß, irdische Waffen trugen.«

»O unstreitig, unstreitig,« erwiederte Herr Holdenough, »Beelzebub mag gern mit Reitern und Fußvolk zugleich angreifen, wie es die Weise des alten schottischen Generals David Leslie war. Er hat seine verkörperten Teufel sowohl, als seine körperlosen, und braucht jene, um diese zu unterstützen.«

»Es kann so seyn, wie Sie sagen, verehrter Herr,« entgegnete der Oberst. – »Aber was gedenken Sie in diesem Falle zu thun?«

»Ich muß mich deshalb mit meinen Brüdern berathen,« sagte der Geistliche, »und sind innerhalb unsrer Gränzen nur noch fünf Diener der wahren Kirche übrig, so wollen wir den Satan mit aller Macht angreifen, und Sie sollen sehen, ob wir nicht Gewalt haben, ihm zu widerstehn, bis er vor uns flieht. Aber in Ermanglung jener geistigen Bewaffnung gegen jene seltsamen, nicht irdischen, Feinde möchte ich wahrlich empfehlen, daß diese besudelte Höhle der alten Tyrannei und Unzucht, als ein Haus der Zauberei und des Greuels, ganz von Feuer verzehrt würde, damit nicht Satan, wenn er sein Hauptquartier hier so sehr nach seinem Belieben einrichtet, eine Garnison und Festung finde, aus welcher er hervorgehen könnte, um die ganze Nachbarschaft zu beunruhigen. Gewiß ist es, daß ich keiner Christen-Seele empfehlen möchte, das Haus zu bewohnen, und wird es verlassen, so würde es ein Aufenthalt für Zauberer werden, um ihre Ränke hier, zu spielen, und für Hexen, um ihren Sabbath hier zu halten, so wie für solche, die wie Demas den Reichthümern dieser Welt nachgehen, nach Gold und Silber suchen, um Zaubersprüche daraus zu bereiten, zum Rachtheil habsüchtiger Seelen, Glauben Sie mir daher, es wäre besser, daß es zertrümmert und eingerissen würde, und man nicht einen Stein auf dem andern ließe.«

»Das kann ich nicht zugeben, mein guter Freund,« sagte der Oberst; »denn der Herr General hat durch eine Vollmacht dem Bruder meiner Mutter, Sir Heinrich Lee und seiner Familie erlaubt, in das Haus seiner Väter zurückzukehren, indem es in der That das einzige Dach ist, unter welchem er einigermaßen hoffen kann, Schutz für seine grauen Haare zu finden.«

»Geschah das auf Ihren Rath, Markham Everard?« fragte der Geistliche streng.

»Ganz gewiß,« entgegnete der Oberst. – »Warum sollte ich nicht meinen Einfluß anwenden, um einen Zufluchtsort für den Bruder meiner Mutter zu erhalten?«

»Nun, so wahr als Deine Seele lebt,« antwortete der Presbyterianer, »das hätt' ich keiner Zunge als Deiner eigenen geglaubt. Sage mir, war es nicht dieser nämliche Sir Heinrich Lee, der mit Hülfe seiner Büffelkoller und Grünjacken dem Befehle des Papisten Laic, den Altar an das östliche Ende der Kirche zu Woodstock zu schaffen, Nachdruck verlieh – und schwur er nicht bei seinem Barte, er wolle jeden auf der Straße von Woodstock aufhängen, der sich weigerte, des Königs Gesundheit zu trinken – und ist nicht seine Hand roth von dem Blute der Heiligen, und ist irgend ein Streiter für das Prälatenthum und die Vorrechte der Krone unversöhnlicher und grimmiger gewesen?«

»Dies Alles kann wohl so gewesen seyn, wie Sie sagen, guter Herr Holdenough,« antwortete der Oberst, »aber mein Oheim ist jetzt alt und schwach, und es ist ihm kaum ein einziger Begleiter geblieben, und seine Tochter ist ein Wesen, bei deren Anblick wohl auch der Strengste vor Mitleid weinen würde, ein Wesen, das« –

»Das Everarden theuerer ist,« sagte Herr Holdenough, »als sein guter Name, seine Treue gegen seine Freunde, seine Pflicht gegen seine Religion; – dies ist keine Zeit, um mit honigsüßen Lippen zu sprechen. Die Pfade, die Sie betreten, sind gefährlich. Sie bemühen sich, den papistischen Leuchter wieder aufzurichten, den der Himmel in seiner Gerechtigkeit von seinem Platz entfernte – um in diese Hallen der Zaubereien die nämlichen Sünder zurückzubringen, die davon verzaubert wurden, Ich gebe es nicht zu, daß das Land durch ihre Hexereien getäuscht werde, – Sie sollen nicht wieder hierher kommen.«

Er sprach dies mit Heftigkeit, und stieß dabei mit seinem Stocke auf den Boden. Der Oberst hingegen, sehr unzufrieden, fing auch an, sich hochmüthig zu äußern, »Sie thäten besser, Herr Holdenough,« sagte er, »wenn Sie erst Ihre Macht bedächten, Ihre Drohungen zu erfüllen, ehe Sie diese so bestimmt aussprechen.«

»Und habe ich nicht Macht zu binden und zu lösen?« sagte der Geistliche.

»Das ist eine Macht, die Ihnen wenig nützt, außer bei denen Ihrer eigenen Kirche,« sagte Everard in einem etwas geringschätzenden Tone.

»Hüten Sie sich – hüten Sie sich,« sagte der Geistliche, der zwar ein sehr guter, aber, wie wir schon früher gesehen haben, reizbarer Mann war. – »Beleidigen Sie mich nicht, sondern denken Sie ehrenvoll von dem Diener, um dessentwillen, in dessen Dienst er steht. – Fordern Sie mich nicht heraus, sage ich Ihnen – ich bin verbunden, meine Pflicht zu thun, und wäre es auch zum Nachtheil meines Zwillingsbruders.«

»Ich sehe nicht, was Ihr Amt bei der Sache zu thun hat, sagte Everard, »und ich meinerseits warne Sie, sich nicht in Dinge einzulassen, die Ihres Amts nicht sind.«

»Recht – Sie halten mich schon für so unterwürfig, wie einen Ihrer Grenadiere,« erwiederte der Geistliche, indeß seine scharfen Züge vor Entrüstung zitterten, so daß sogar sein graues Haar in Bewegung gerieth. »Aber bedenken Sie es wohl, Herr, ich bin nicht so machtlos, als Sie meinen. Ich rufe jeden wahren Christen in Woodstock an, seine Lenden zu gürten, und der Wiedereinsetzung des Prälatenthums, der Unterdrückung, der übeln Gesinnung innerhalb unserer Gränzen zu widerstehn. Ich will den Zorn der Gerechten gegen den Unterdrücker – den Ismaeliten – den Edomiter aufregen, so wie gegen sein Geschlecht, und gegen die, welche ihn unterstützen, und ihn aufmuntern, daß er ins Horn stoße. Ich will laut rufen, und nicht schonen, und die Vielen aufregen, deren Liebe erkaltet ist, und die Menge, die sich nichts um diese Dinge kümmert, Es werden ihrer noch seyn, die mich hören, und ich will den Stab Josephs nehmen, der in der Hand Ephraims war, und hinabgehen, und diesen Ort reinigen, von Hexen und Zauberern und Zaubereien, und will rufen und ermahnen und sagen: »Wollt Ihr das Wort führen für Baal? – Wollt Ihr ihm dienen? Ja, greift die Propheten Baals – lasset keinen entkommen!«

»Herr Holdenough! Herr Holdenough!« sagte Everard mit vieler Ungeduld, »nach der Geschichte, die Sie selbst mir erzählt, haben Sie schon um einmal zu oft über diesen Text gesprochen.«

Der alte Mann schlug sich heftig mit der Hand vor die Stirn, und fiel so plötzlich und so ganz wie erschöpft in einen Stuhl zurück, sobald diese Worte ausgesprochen waren, als hätte Oberst Everard ihm eine Kugel durch den Kopf gejagt. Sogleich den Vorwurf bereuend, der ihm in der Ungeduld entfahren war, eilte Everard, um Verzeihung zu bitten, und suchte ihn auf alle Weise zu versöhnen, so unzulänglich auch die Entschuldigungen seyn mochten, die ihm im Augenblicke einfielen. Aber der alte Mann war zu tief verletzt – er stieß seine Hand zurück, hörte nicht auf das, was er sagte, und fuhr endlich auf, indem er mit rauhem Tone ausrief: »Sie haben mein Vertrauen gemißbraucht, Herr – niederträchtig gemißbraucht, um es zu einem Vorwurf zu benutzen. Wäre ich ein Kriegsmann, Sie hätten es nicht gewagt. – Aber freuen Sie sich nur Ihres Triumphs über einen alten Mann, und Ihres Vaters Freund – schlagen Sie nur auf die Wunde, die sein unbesonnenes Vertrauen Ihnen zeigte.«

»Aber, mein würdiger, vortrefflicher Freund,« sagte der Oberst –

»Freund!« fuhr der alte Mann auf – »wir sind Feinde, Herr – Feinde, für jetzt und für immer.«

Mit diesen Worten sprang er von dem Sitze auf, in den er vielmehr gesunken war, als er sich darauf gesetzt hatte, und lief aus dem Zimmer mit einer Eile, wie er sie gewöhnlich zu haben pflegte, wenn sein Gefühl aufgeregt war, und die allerdings mehr Heftigkeit als Würde verrieth, besonders da er im Laufen zwischen den Zähnen murmelte, um, wie es schien, seine eigene Leidenschaft rege zu erhalten, indem er sich die erfahrne Beleidigung immer wieder vorsagte.

»So!« sagte Oberst Everard, »es war also noch nicht Streit genug zwischen meinem Oheim und den Woodstocker Leuten, sondern ich mußte ihn noch dadurch vermehren, daß ich den reizbaren, hitzigen, alten Mann, den ich schon als eifrig in seinen Ideen über Kirchenregierung, und als unbiegsam in seinen Vorurtheilen gegen alle Andersdenkende kenne, noch mehr aufbringe. Nun wird der Pöbel in Woodstock aufstehn; denn ob er gleich ihrer nicht zwanzig zusammen bringen konnte, um ihn in einem rechtlichen Vorhaben zu unterstützen, so darf er sie nur zu Mord und Verheerung aufrufen, und es wird ihm an Anhängern nicht fehlen. Und mein Oheim ist eben so unbeugsam, und nicht zu überreden. Und könnte er alles Vermögen, das er jemals hatte, damit wieder erlangen, er würde doch nicht gestatten, daß zwanzig Soldaten zum Schutz des Hauses darin einquartirt würden, und ist er allein, oder hat Niemand als Josselin bei sich, so feuert er so gewiß auf die, welche das Schloß angreifen, als hätte er hundert Mann in Garnison, und was kann alsdann die Folge davon seyn, als Gefahr und Blutvergießen?«

Diese Reihe melancholischer Betrachtungen wurde durch Herrn Holdenoughs Rückkehr unterbrochen, der mit demselben schnellen Schritte ins Zimmer trat, – mit dem er es verlassen, und indem er gerade auf den Obersten zu lief, sagte er: »Nimm meine Hand, Markham – nimm schnell meine Hand, denn der alte Adam in meinem Herzen flüstert mir zu, daß es eine Schande ist, sie so lange hinzuhalten.«

»Recht von Herzen fasse ich Ihre Hand, mein verehrter Freund,« sagte Everard, »und ich hoffe, es ist zum Zeichen erneuter Freundschaft.«

»Ganz gewiß, gewiß!« sagte der Alte, seine Hand freundlich schüttelnd, »Du hast freilich bitter gesprochen, aber Du hast die Wahrheit zur rechten Zeit gesagt, und ich denke – obwohl Deine Worte hart waren – in guter und freundlicher Absicht. Nun wäre es doch wahr und wahrhaftig sündlich von mir, mich abermals zu-übereilen, um eine Gewaltthat herbeizuführen, während ich derer gedenke, die Du mir vorgeworfen hast.« –

»Verzeihen Sie, guter Herr Holdenough,« sagte Everard, »es war ein übereiltes Wort, ich gedachte nicht, Ihnen im Ernst Vorwürfe zu machen.«

»Still! still! ich bitte darum,« sagte der Geistliche; »ich sage, die Anspielung, auch das, was Du mir mit vollem Rechte vorgeworfen hast – obwohl der Vorwurf die Galle des alten Adam in mir aufregte, denn der innere Versucher ist immer auf der Lauer, um uns zu seinem Zweck herumzubringen – diese muß ich, anstatt empfindlich darüber zu seyn, als eine Gunst anerkennen, denn solche Wunden versetzt uns ein treuer Freund, Und ganz gewiß sollte ich, der ich durch eine unglückliche Ermahnung zu Schlacht und Kampf die Lebenden ins Reich der Todten sandte – und wie ich fürchte, auch die Todten unter die Lebenden zurückbrachte – auf Friede und Nachsicht denken, und auf Aussöhnung des Streites, die Strafe dem großen Wesen überlassend, dessen Gesetze übertreten sind, und die Rache dem, der da gesagt hat, »ich will vergelten.«

Des alten Mannes Züge leuchteten von einem demüthigen Vertrauen bei dieser Aeußerung, und Oberst Everard, der seine angebornen Schwächen und die frühen Vorurtheile seiner Amtswürde und seine einseitige und partheiliche Meinung kannte, die er nothwendig erst unterdrücken mußte, ehe er zu einem solchen Geständniß gebracht werden konnte, eilte, ihm seine Bewunderung über seine christliche Liebe zu bezeigen, mit Vorwürfen gegen sich selbst gemischt, daß er sein Gefühl so tief verletzt habe.

»Denken Sie nicht daran – denken Sie nicht weiter daran, vortrefflicher junger Mann,« sagte Holdenough, »wir haben Beide gefehlt, ich, daß ich meinen Eifer so über die christliche Liebe die Oberhand gewinnen ließ, Sie vielleicht, daß Sie einem alten, empfindlichen Manne, der vor Kurzem seine Leiden in Ihren befreundeten Busen ergossen hatte, so hart zusetzten. Mag Alles vergessen seyn. Lassen Sie Ihre Verwandten – wenn Sie nicht durch das abgehalten werden, was sich in diesem Woodstocker Hause zugetragen, ihre Wohnung wieder einnehmen, sobald Sie wollen. Können sie sich gegen die Mächte der Luft beschützen, so glauben Sie mir, wenn ich es durch Etwas, das in meiner Macht ist, verhindern kann, so soll ihnen kein Leid geschehen von irdischen Nachbarn, und seyn Sie überzeugt, guter Herr, daß meine Stimme noch immer Etwas gilt bei dem würdigen Bürgermeister, den guten Rathsherrn und den besseren Hausvätern dort in der Stadt, obwohl die unteren Klassen von jedem Winde hin und her bewegt werden. Und seyn Sie ferner überzeugt, Oberst, daß wenn Ihrer Mutter Bruder, oder sonst Eins von Ihrer Familie finden sollten, daß sie sich in einen unbesonnenen Handel eingelassen haben, in dies unglückliche und unheilige Haus zurückzukehren, oder sollten sich einige Zweifel in ihrem Herzen und Gewissen erheben, die eines geistlichen Trösters bedürfen, so wird Nehemias Holdenough Nacht und Tag eben so zu ihrem Gebote stehn, als wären sie in dem heiligen Schooß der Kirche auferzogen, deren unwürdiger Diener er ist, und weder die Furcht vor dem, was in diesen Mauern zu sehen ist, noch die Bekanntschaft mit ihrem verblendeten fleischlichen Zustande, indem sie unter dem Einfluß der bischöflichen Kirche aufwuchsen, wird ihn verhindern, zu ihrem Schutz und ihrer Erbauung zu thun, was in seinen geringen Kräften steht.«

»Ich fühle Ihre ganze Güte, mein verehrter Herr,« sagte Oberst Everard, »aber ich halte es nicht für wahrscheinlich, daß mein Oheim Sie weder auf die eine noch auf die andere Weise bemühen wird. Er ist sehr gewohnt, in zeitlichen Gefahren sich selbst zu schützen, und bei geistigen Zweifeln sich auf sein Gebet und auf seine Kirche zu verlassen.«

»Ich hoffe doch nicht, zudringlich gewesen zu seyn, indem ich meinen Beistand anbot,« sagte der alte Mann, etwas aufgeregt, daß seine angebotene geistliche Hülfe abgelehnt wurde, »wenn dies der Fall ist, bitte ich um Verzeihung. – Ich bitte demüthigst um Verzeihung – zudringlich möchte ich nicht gern seyn.«

Der Oberst eilte, dies gereizte Gefühl durch den Glauben an seine Wichtigkeit veranlaßt, zufrieden zu stellen, welches, verbunden mit einem von Natur hitzigen Charakter, den er nicht immer im Zaum halten konnte, des guten Mannes einziger Fehler waren.

Sie waren wieder auf dem vorigen freundschaftlichen Fuße, als Roger Wildrake aus Josselins Hütte zurückkam und seinem Herrn zuflüsterte, er sey glücklich in Erfüllung seines Auftrags gewesen. Hierauf wandte sich der Oberst an den Geistlichen und sagte ihm, daß da die Commissarien schon Woodstock geräumt hätten, und sein Oheim, Sir Heinrich Lee, gegen Mittag in das Jagdschloß zurückzukehren gedächte, so wolle er, wenn es Sr. Ehrwürden beliebte, ihn in den Flecken begleiten.

»Wollen Sie nicht hier verweilen,« sagte der ehrwürdige Mann mit einer gewissen forschenden Besorgniß in seiner Stimme, »um Ihren Verwandten zu ihrer Rückkehr in diesem ihrem Hause Glück zu wünschen?«

»Nein, mein guter Freund,« sagte Oberst Everard, »die Parthei, die ich in diesem unglücklichen Streit ergriffen – vielleicht auch die Art der Gottesverehrung, bei der ich auferzogen wurde – haben meinen Oheim so gegen mich eingenommen, daß ich eine Zeitlang seinem Hause und seiner Familie fremd bleiben muß.«

»Wirklich?« sagte der Geistliche. »Es freut mich von ganzer Seele, das zu hören. Entschuldigen Sie meine Freimüthigkeit – ich freue mich wirklich – ich dachte – es kommt nichts drauf an, was ich dachte – ich möchte Sie nicht gern wieder beleidigen. Aber wahrlich, obwohl das Mädchen ein angenehmes Gesicht hat, und er, wie Alle sagen, in menschlichen Dingen untadelhaft ist – doch – aber es thut Ihnen wehe – wahrlich ich will nichts weiter sagen, Sie müßten denn nach meiner aufrichtigen vorurtheilsfreien Meinung fragen, die Ihnen zu Gebote stehen soll, die ich aber Ihnen nicht überflüssiger Weise aufdringen will. Gehen wir mit einander in das Städtchen – die anmuthige Einsamkeit des Waldes wird vielleicht uns geneigt machen, einander unsere Herzen zu öffnen.«

Sie gingen mit einander in das Städtchen, und gewissermaßen zu Herrn Holdenoughs Erstaunen ersuchte der Oberst, obwohl sie über mannichfache Gegenstände sprachen, ihn nicht um geistlichen Rath, hinsichtlich seiner Liebe zu seiner schönen Base, indeß, weit über die Erwartung des Kriegsmanns, der Geistliche Wort hielt, und seinem eignen Ausdrucke nach, nicht unbefugt und ungefragt über einen so kitzlichen Punkt Rath ertheilte.


 << zurück weiter >>