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Zweites Kapitel.


Komm, Alter, komm! – Der Tochter Seite
Ist jetzt der beste Ort für dich:
Sinkt auch die Eich', des Sturmes Beute,
Der junge Sproß ist ihre Freude,
Sie sieht auf ihn, nicht hinter sich.

Als die Predigt zu Ende war, trocknete sich der militärische Redner den Schweiß von der Stirn, da er, ungeachtet des kühlen Wetters, durch die Anstrengung, mit der er gesprochen, warm geworden war. Er stieg alsbald von der Kanzel herab, und sprach ein Paar Worte mit dem Korporal, der durch Nicken zu erkennen gab, daß er ihn verstanden habe, und nun mit seinen Leuten fortmarschirte, um Quartier in der Stadt zu nehmen.

Der Prediger selbst verließ die Kirche, als ob sich nichts Außerordentliches zugetragen habe, schlenderte durch die Straßen von Woodstock wie ein Fremder, der die Stadt in Augenschein nimmt, und schien nicht zu bemerken, daß er selbst ein Gegenstand ängstlicher Aufmerksamkeit für die Bürger war, deren verstohlne, aber oft wiederholte Blicke ihn als einen verdächtigen und furchtbaren Mann zu betrachten schienen, den man aber auf keine Weise reizen dürfe. Er kümmerte sich nicht darum, sondern schritt weiter, auf eine von den vorzüglichsten Schwärmern jener Zeit angenommene Weise, in einem steifen, feierlichen Schritt, mit einer strengen und doch auch beschaulichen Miene, als wär' er über die Störungen entrüstet, welche irdische Gegenstände ihm wider Willen zugeführt, da sie seine Gedanken auf einen Augenblick von den himmlischen Dingen ablenkten. Unschuldige Vergnügungen, von welcher Art sie auch seyn mochten, erregten bei jenen Schwärmern Verdacht und Argwohn, und unschuldiger Frohsinn war ihnen ein Greuel. Dieser Gemüthszustand begeisterte jedoch jene Menschen zu großen und männlichen Thaten, indem sie statt der Befriedigung der Leidenschaften Grundsätze, und zwar die eines nicht selbstsüchtigen Charakters zum herrschenden Beweggrunde machten. Einige von diesen Männern waren allerdings Heuchler, die sich der Religion nur als Deckmantel ihres Ehrgeizes bedienten, aber manche besaßen wirklich den hingebenden Charakter, die strenge republikanische Tugend, die jene nur heuchelten. Bei Weitem die Mehrzahl schwankte zwischen beiden Extremen, fühlte bis zu einem gewissen Grade die Macht der Religion, und fügte sich, äußerlich religiösen Sinn zur Schau tragend, in den Geist der Zeit.

Jener Mann nun, der seine Ansprüche auf Heiligkeit auf der Stirn und im Gange zeigte, und diese Abschweifung veranlaßte, erreichte endlich das Ende der Hauptstraße, die in den Park von Woodstock führte. Ein befestigtes gothisches Portal beschützte den Eingang. Es war von gemischter Bauart, zwar im Ganzen nach dem Style verschiedener Zeitalter zusammengesetzt, weil es mehre Zusätze erhalten hatte, that aber doch eine auffallende und großartige Wirkung. Ein ungeheures Gitterthor von gehämmertem Eisen mit mancher Verzierung und Inschrift, oben darüber der verhängnißvolle Namenszug C. R. war jetzt halb zerstört, theils durch Rost, theils durch Gewalt.

Der Fremde stand still, als sey er ungewiß, ob er hineintreten solle oder nicht. Durch das Gitterthor bemerkte er eine Allee von majestätischen Eichen, die mit einer sanften Krümmung in das Dickicht eines weitläuftigen, alten Forstes zu führen schien. Da das Nebenpförtchen des großen eisernen Gitterthors zufällig offen gelassen war, so gerieth der Soldat in Versuchung hineinzutreten, doch that er es mit einigem Zögern, gleichsam wie einer, der einen Ort betritt, den er für verboten hält – wie er denn wirklich in seinem Wesen mehr Ehrfurcht für den Ort zeigte, als man von seinem Stande und Charakter erwarten konnte. Sein vorher stattlicher Gang wurde langsamer; endlich stand er still und sah sich um.

Nicht weit vom Thore wurde er zwei alte, ehrwürdige Thürme gewahr, die sich hinter den Bäumen erhoben, und deren künstliche Wetterfahne in der Herbstsonne schimmerte. Diese zeigten das alte Jagdschloß oder Waldhaus, wie es genannt wurde, an, welches seit Heinrich II. zuweilen der Aufenthalt Englischer Monarchen gewesen war, wenn sie die Wälder von Oxford besuchten, welche damals einen solchen Ueberfuß an Wild hatten, daß dem alten Fuller zufolge, es Jägern und Falkonieren nirgends besser gefiel. Das Jagdschloß lag auf einem ebnen Grunde, der jetzt mit wilden Feigenbäumen bepflanzt ist, nicht fern vom Eingange jener herrlichen Stelle, wo der Reisende zuerst stille steht, um Blenheim zu betrachten, an Marlboroughs Siege zu denken, und die überladene Pracht von Vanburgh's Styl zu rühmen oder zu tadeln. Dort stand auch unser Prediger still, aber mit ganz anderen Gedanken, und zu ganz andern Zwecken, als die Gegend um ihn her zu bewundern. Nicht lange darauf sah er zwei Gestalten, eine männliche und weibliche, langsam herankommen, und so tief im Gespräch versenkt, daß keins die Augen aufschlug, noch den in dem Pfade stehenden Fremden bemerkte. Der Soldat benutzte diese Zerstreuung, und indem er zugleich ihre Bewegungen zu beobachten und unbemerkt zu bleiben wünschte, schlüpfte er hinter einen großen Baum, wie sie auf beiden Seiten des Pfades standen, und deren Zweige überall bis auf die Erde herabhingen, und ihn gegen zufällige Entdeckung schirmten,

Indessen waren jene Beiden näher gekommen, und wandten sich zu einem ländlichen, von der Sonne noch beschienenen Sitze, dicht an dem Baume, hinter dem sich der Fremde verborgen hatte.

Der Mann war ältlich, schien aber mehr durch Kummer und Krankheit, als von der Last der Jahre gebeugt. Er trug einen schwarzen Mantel über einem Anzug von derselben melancholischen Farbe, und der malerischen Form, die Vandyk verewigt hat. So schön aber auch die Kleidung war, so war sie doch mit einer Sorglosigkeit angelegt, welche den unbehaglichen Zustand seines Gemüths hinlänglich zu erkennen gab. Seine alten, aber noch immer schönen Züge waren eben so bedeutend, als seine Kleidung und sein Gang. Das Auffallendste an seinem Aeußeren war ein langer weißer Bart, der ihm weit über die Brust herabfloß, und einen sonderbaren Kontrast mit der Farbe seines Anzugs bildete.

Die junge Dame, auf welche der ehrwürdige Herr sich einigermaßen zu stützen schien, während sie Arm in Arm einher wandelten, war eine schlanke Sylphengestalt, so zart gebildet und so schön, daß es einem fast bedünken wollte, als sey die Erde, auf der sie wandle, nicht werth, ein so ätherisches Wesen zu tragen. Doch sterbliche Schönheit hat auch Theil an dem Kummer der Sterblichen. Die Augen der Schönen zeigten Spuren von Thränen, ihre Wangen glühten, während sie den Worten ihres alten Gefährten zuhörte, und man sah deutlich an seinem melancholischen, doch mißvergnügten Blicke, daß das Gespräch ihm eben so sehr, als ihr selbst zu Herzen ging. Als sie sich auf die eben erwähnte Bank gesetzt hatten, konnte der horchende Soldat die Reden des alten Herrn ganz deutlich vernehmen, aber die Antworten der jungen Dame kamen ihm etwas weniger deutlich zu Ohren.

»Es ist nicht zu ertragen,« sagte der alte Mann heftig, »selbst einen unglücklichen Gichtbrüchigen könnte es dahinbringen, wieder Soldat zu werden. Meiner Leute sind weniger worden, das gebe ich Dir zu, oder sie sind von mir abgefallen in diesen Zeiten – ich grolle den armen Schelmen nicht, was hätten sie anders thun sollen, da die Speisekammer kein Brod und der Keller kein Bier mehr hergab? Aber noch haben wir um uns einige abgehärtete Jäger von alter Woodstocker Art – die meisten zwar in meinen Jahren – doch was thut das? altes Holz verwirft sich selten von der Nässe; – ich will das alte Haus behaupten, und es ist ja nicht das erstemal, daß ich es gegen zehnmal so viel Mannschaft schon behauptet habe, als die, wovon jetzt die Rede ist.«

»Ach lieber Vater!« sagte die junge Dame in einem Tone, der anzudeuten schien, daß sie seinen Vorsatz, sich zu vertheidigen, für verzweifelt hielt.

»Und warum ach?« sagte ärgerlich der alte Herr, »weil ich meine Thür vor ein 20 oder 40 solcher blutdürstiger Heuchler verschließe?«

»Aber ihre Befehlshaber können ja eben so leicht ein Regiment oder eine ganze Armee schicken, wenn sie wollen,« erwiederte die Dame, »und was kann Ihre jetzige Vertheidigung andres herbeiführen, als Ihrem Untergang, wenn Sie Ihre Feinde noch mehr aufbringen?«

»Mag es doch seyn, Alexia,« erwiederte der Vater, »ich habe genug, und schon zu lange gelebt. Habe ich doch den gütigsten, fürstlichsten Herrn überleben müssen! Was thu' ich noch auf Erden seit dem unglücklichen 30sten Januar? Der Vatermord jenes Tages war ein Zeichen für alle treuen Diener Karl Stuarts seinen Tod zu rächen oder zu sterben, sobald sie eine würdige Gelegenheit dazu finden können.«

»Sprechen Sie nicht so, Vater, « sagte Alexia Lee, »es ziemt Ihrem Ernst und Ihrer Würde nicht, ein Leben aufzugeben, das Ihrem Könige und Ihrem Vaterlande noch nützen kann – es wird, es kann nicht immer so bleiben. England wird nicht lange die Herrscher über sich dulden, welche diese schlimmen Zeiten ihm aufgedrungen. Unterdeß – (hier entgingen dem Ohr des Horchenden einige Worte) – und hüten Sie sich vor Ungeduld, die nur das Uebel noch ärger macht.«

»Aerger?« rief der ungeduldige alte Mann, »was kann noch ärger werden? ist das Schlimmste nicht schon da, werden diese Leute uns nicht heraustreiben, aus dem einzigen Obdach, das uns geblieben – das zertrümmern, was noch vom königlichen Eigenthum unter meiner Obhut steht – den Fürstenpalast in eine Räuberhöhle verwandeln, und sich dann das Maul wischen, und Gott danken, als hätten sie ein gutes Werk gestiftet?«

»Doch,« sagte die Tochter, »ist noch Hoffnung, und ich glaube ganz gewiß, der König ist gerettet – haben wir doch auch Grund, meinen Bruder Albert in Sicherheit zu glauben.«

»Ja, Albert! das ist auch wieder so etwas,« sagte der alte Mann in einem Tone des Vorwurfs, »ohne Deine Bitten wäre ich selbst nach Worcester gegangen, aber da muß ich durchaus hier liegen, wie ein nichtsnutziger Hund, wenn die Jagd beginnt, wenn ich, wer weiß, welche wichtige Dienste hätte leisten können. Ein alter Mann kann zuweilen mit dem Kopfe nützen, wenn auch sein Arm nicht viel werth ist. Aber Du und Albert wolltet ja gar zu gern, er sollte allein gehen, und nun, wer kann sagen, was aus ihm geworden ist?«

»Nein, nein, Vater,« sagte Alexia, »wir haben gute Hoffnung, daß Albert an jenem unglücklichen Tage entkam. Der junge Abney sah ihn ja eine Meile vom Schlachtfelde.«

»Der junge Abney log, glaub ich,« sagte der Vater in derselben widersprechenden Laune – »des jungen Abneys Zunge scheint auch schneller als seine Hände, aber doch noch lange nicht so schnell als seines Pferdes Beine, wenn er vor den Rundköpfen ausreißt. Wollt ich doch lieber, Alberts Leichnam läge zwischen Karl und Cromwell, als daß ich hören müßte, er wäre eben so schnell davon gelaufen, als der junge Abney.«

»Mein theurer Vater,« sagte die junge Dame weinend, »was soll ich nur zu Ihrem Troste sagen?«

»Trost, Mädchen? Nichts mehr von Trost – ein ehrenvoller Tod, die Trümmer von Woodstock zum Grabmal, das wäre der einzige Trost für den alten Heinrich Lee. Ja, bei dem Andenken meines Vaters! ich will das Schloß gegen die rebellischen Räuber behaupten!«

»Doch, lieber Vater, lassen Sie sich rathen,« sagte das Mädchen, »und unterwerfen sich dem, was wir nicht hindern können. – Mein Oheim Everard –«

Hier unterbrach der alte Mann die unvollendete Rede. »Dein Oheim Everard, Dirne! – Wohl, nur weiter! – Was ist's mit Deinem kostbaren, liebreichen Oheim Everard?«

»Nichts, Vater,« sagte sie, »wenn es Ihnen mißfällt.«

»Mißfallen?« erwiederte er, »warum sollte es mir mißfallen? oder wäre es auch, warum solltest Du oder irgend jemand Dich stellen, als bekümmerte es Dich? Was ist in den letzten Jahren geschehen – was kann, nach der Vermuthung des Sterndeuters, möglicherweise noch geschehen, was uns Vergnügen gewähren könnte?«

»Das Schicksal,« erwiederte sie, »kann Ihnen ja wohl noch die freudige Wiedereinsetzung unsers verbannten Fürsten vorbehalten haben.«

»Zu spät für meine Zeit, Alexia,« sagte der Ritter; »ist noch ein solches weißes Blatt in dem Buche des Himmels, so wird es doch erst lange nach meinem Tode umgewendet werden. – Aber ich sehe, Du weichst mir aus. – Mit einem Worte, was giebt's von Deinem Oheim Everard?«

»Ach, Vater,« sagte Alexia, »Gott weiß, ich möchte lieber ewig schweigen, als etwas sagen, das, wie Sie es nehmen, die üble Stimmung Ihres Gemüths noch mehr aufregen könnte!«

»Die üble Stimmung!« sagte der Vater; »oh, Du bist ein gar zuckersüßer Arzt, und möchtest gewiß nichts als Balsam und Honig und Oel auf meine üble Stimmung tröpfeln – wenn das die rechte Benennung für eines alten Mannes Leid ist, dem fast das Herz bricht. – Noch einmal, was giebts von Deinem Oheim Everard?«

Er sprach diese Worte mürrisch und mit starker Stimme; Alexia Lee antwortete ihrem Vater in zitterndem und unterwürfigem Tone.

»Ich meinte nur, Vater, überzeugt zu seyn, daß mein Oheim Everard, wenn wir diesen Ort verlassen« –

»Das heißt, wenn wir von solchen breitmäuligen, abgestutzten Buben, wie er selbst einer ist, hier hinaus gestoßen werden. – Aber nur weiter mit Deinem gütigen Oheim – was will er thun? – Will er uns etwa die Ueberreste seines ehrsamen und knickerigen Haushalts geben, zweimal wöchentlich die Ueberbleibsel eines schon dreimal benagten Kapauns, und die andern fünf Tage reichliche Fasten? – Will er uns vielleicht Betten neben seinen halb verhungerten Kleppern anweisen, und diesen etwas Stroh abdarben, damit seiner Schwester Mann – oh! daß ich meinen abgeschiednen Engel bei einem solchen Namen nennen mußte! – und seiner Schwester Tochter nicht auf den Steinen schlafen? Oder wird er uns jedem einen Rosenobel schicken, und uns dabei ermahnen, ja recht lange damit auszureichen, weil es noch nie so schwer gewesen, baares Geld zu bekommen? Oder was will Dein Oheim Everard sonst für uns thun? Uns Erlaubnis geben zu betteln? Ei, das kann ich auch ohne ihn.«

»Sie verkennen ihn,« antwortete Alexia mit mehr Feuer, als sie noch bis dahin gezeigt hatte; »und wollten Sie nur Ihr eignes Herz fragen, so würden Sie eingestehen – verzeihen Sie mir, Vater – daß Ihr Mund Worte spricht, die Ihr besseres Urtheil verwerfen muß. Mein Oheim Everard ist weder ein Knauser noch ein Heuchler, er hängt weder so sehr an den Gütern dieser Welt, daß er uns nicht gern reichlich unterstützen würde, noch so an fanatischen Meinungen, daß alle christliche Liebe für andre Sekten, außer seiner eignen, in ihm erloschen seyn sollte.«

»Ach so, die englische Kirche gilt bei ihm unstreitig für eine Sekte, und bei Dir vielleicht auch, Alexia,« sagte der Ritter. »Was ist ein Muggletonianer oder ein Schwärmer oder ein Brownist Die Religionsstreitigkeiten, die unter Heinrich VIII., Eduard VI. und der katholischen Maria England aufregten, unter Elisabeth eine Zeitlang schwiegen, und unter den ersten Stuarts von Neuem begannen, gaben zu manchen Sekten Veranlassung, und beschleunigten den Umsturz des Thrones. Die Muggletonianer erhielten ihren Namen von einem Handwerker, Namens Moggleton, der unter andern Ungereimtheiten die Lehre aufstellte, daß Gott, dem Elias die Regierung des Himmels übergeben, auf Erden gekommen und daselbst in menschlicher Gestalt große Martern und Leiden erduldet habe. Auch leugneten seine Anhänger die Schöpfung der Erde, die Unsterblichkeit der Seele, und verweigerten der obrigkeitlichen Gewalt den Gehorsam. – Die Brownisten erkannten als Stifter Robert Bolton an, empfingen aber die Benennung von Robert Brown, der im 16sten Jahrhundert eine Zeitlang Prediger in der Nähe von London gewesen, dann nach Middelburg auf Seeland gegangen, und dann endlich wieder nach England, nach dem er sich mit der englischen Kirche ausgesöhnt, zurückgekehrt seyn soll. An die Spitze der Sekte traten hierauf Heinrich Barrow und Greenwood, die auf Elisabeths Befehl 1593 hingerichtet, und deshalb von ihrer Parthei als Märtyrer angesehen wurden. Die meisten Brownisten begaben sich alsdann nach Holland, wo Franz Jonson und Heinrich Ainsworth (Amsterdam, 1602) ihr Glaubensbekenntniß herausgaben. Nach demselben trennten sie sich nur in einigen Lehren von der bischöfflichen Kirche; obwohl sie nach der Behauptung einiger alle Gebetsformeln, und selbst das Vaterunser, alle Religionsbücher und Lehranstalten, so wie die englische Liturgie, für unnütz hielten. Anm. d. Uebers.. anders, als ein Sektirer? und Deine Redensart stellt sie alle, die Hänse von Presbyterianern nicht ausgenommen, auf eine und dieselbe Stufe mit unsern gelehrten Prälaten und unsrer frommen Geistlichkeit? Das ist nun einmal die Kunstsprache der Zeit, in der Du lebst, und warum solltest Du nicht auch, wie eine von jenen weisen Jungfrauen und Psalme singenden Schwestern mit schwatzen, da Du zwar einen alten unheiligen Edelmann zum Vater hast, aber doch leibliche Nichte vom Oheim Everard bist.«

»Was kann ich Ihnen antworten, theurer Vater,« sagte Alexia, »wenn Sie so sprechen? Hören Sie nur noch ein Wort geduldig an, so bin ich mit meines Oheims Everard Auftrag zu Ende.«

»Ha ha es ist also doch ein Auftrag! Nun, das dachte ich mir gleich vom Anfange an – ja, ich habe sogar eine starke Vermuthung in Hinsicht auf den Abgesandten – nun, Fräulein, so richten Sie denn Ihre meine Ungeduld zu klagen.«

»Wohl denn, Vater,« erwiderte die Tochter, »mein Oheim Everard ersucht Sie, höflich gegen die Commissäre zu seyn, die hieher kommen, um Beschlag auf die Wildgehege und das Gut zu legen, oder sich wenigstens sorgfältig zu hüten, ihnen Widerstand zu zeigen: es kann, sagte er, Ihnen, selbst nach Ihren eignen Grundsätzen, nichts helfen, und giebt einen Vorwand, um auf das Schlimmste gegen Sie zu verfahren, welches, wie er meint, außerdem vermieden werden könnte. Ja, er hat sogar gute Hoffnung, daß wenn Sie seinen Rath befolgen, der Ausschuß, bei dem Einflusse den er besitzt, dahingebracht werden könnte, gegen eine mäßige Geldbuße die Sequestration von Ihrem Gute zu nehmen. So spricht mein Oheim, und nun, da ich Ihnen seinen Rath mitgetheilt, brauche ich Ihre Geduld nicht weiter durch Vorstellungen zu ermüden.«

»Es ist auch gut, daß Du es nicht thust, Alexia,« antwortete Sir Heinrich Lee in einem Tone des unterdrückten Verdrusses; »denn bei dem heiligen Kreuz, Du hättest mich beinah zu der Ketzerei verleitet, Dich nicht für meine Tochter zu halten. – Ach! geliebte Gattin, die Du jetzt dem Kummer und den Sorgen dieser hartbedrängten Welt entrückt bist, hättest Du je geglaubt, daß die Tochter, die Du an Deinen Busen drücktest, wie Hiobs gottloses Weib, eine Versucherin ihres Vaters in der Stunde der Betrübniß werden, und ihm empfehlen würde, sein Gewissen unter seinen Vortheil zu schmiegen, und von den blutigen Händen der Mörder seines Herrn und vielleicht seines Sohnes einen armseligen Rest des Vermögens, das man ihm geraubt, zurück zu erbetteln! – Wie, Mädchen, meinst Du, wenn ich betteln muß, ich werde zu jenen gehen, die mich zum Bettler gemacht haben? Nein, ich will nimmermehr diesen meinen, aus Kummer über den Tod meines Fürsten grau gewordenen Bart zeigen, um das Mitleid irgend eines stolzen Sequestrators zu erregen, der vielleicht einer der Königsmörder war. Nein! Soll Heinrich Lee Andere einmal um Nahrung ansprechen, so sey es irgend ein braver Anhänger des Königs, der nur noch ein halbes Brod übrig hat, aber sich darum nicht weigern wird, es mit ihm zu theilen. Seine Tochter mag ihren eigenen Weg wandern, und sich zu ihren reichen rundköpfigen Verwandten flüchten; doch nenne sie den nicht länger Vater, dessen redliche Dürftigkeit sie zu theilen sich weigerte.«

»Sie thun mir Unrecht, Vater,« antwortete die junge Dame lebhaft, aber mit zitternder Stimme, »grausames Unrecht. Gott weiß es, Ihr Weg ist der meinige, wenn er gleich an den Bettelstab und ins Verderben führt, und betreten Sie ihn, so soll mein Arm Sie stützen, so lange Sie noch eine so schwache Hülfe annehmen wollen.«

»Deinen Arm willst Du mir leihen, Mädchen, im Geheim aber denkst Du daran, Dich an Markham Everards Arm zu hängen.«

»Mein Vater mein Vater!« antwortete Alexia im Tone des tiefsten Kummers, »was kann so Ihr klares Urtheil, Ihr gütiges Herz umgewandelt haben? – Wehe über diese bürgerlichen Unruhen! sie zerstören nicht blos Menschenkörper, sie verführen auch ihre Seelen, und der Brave, Edle, Großmüthige wird argwöhnisch, rauh und niedrigdenkend! Warum mir Vorwürfe über Markham Everard machen? Habe ich ihn gesehen oder gesprochen, seitdem Sie ihm meine Gesellschaft untersagten, in Ausdrücken – ich will es gerade heraus sagen – die unfreundlicher waren, als es einem Verwandten gebührte? Warum glauben Sie, ich könnte dem jungen Manne meine Pflicht gegen Sie aufopfern? Wäre ich auch einer so strafbaren Schwäche fähig, Markham Everard wäre der erste, der mich deshalb verachtete.«

Sie hielt das Schnupftuch vor die Augen, konnte aber das Schluchzen nicht verbergen, so wenig als den tiefen Kummer, den es andeutete. Der alte Mann war bewegt.

»Ich weiß nicht recht, was ich davon denken soll. Du scheinst aufrichtig, und warst immer eine gute, freundliche Tochter – wie Du den rebellischen Jüngling konntest in Dein Herz schleichen lassen, das weiß ich nicht; vielleicht war es zur Strafe für mich, der ich mir einbildete, die treue Anhänglichkeit meines Hauses sey dem unbefleckten Hermeline gleich. Aber hier ist ein verwünschter Flecken, und gerade auf dem schönsten Edelstein, auf meiner theuren Alexia. Aber weine nur nicht – wir haben so schon Plage genug. Wo sagt doch Shakspeare:

– – Geliebte Tochter,
Ach ebne mir des rauhen Weges Pfad;
Doch halt Dich fern vom Geiste dieser Zeit
Und fall' dem Percy nicht, wie sie, zur Last.«

»Ich freue mich, Sie Ihren Lieblingsdichter wieder anführen zu hören, Vater. Unsre kleinen Streitigkeiten sind immer beinah zu Ende, wenn Shakspeare erst wieder ins Spiel kommt.«

»Sein Buch war der stete Gefährte meines hochseligen Herrn,« sagte Sir Heinrich Lee; »nächst der Bibel (wenn es erlaubt ist, sie zusammen zu nennen) gewährte es ihm mehr Trost, als irgend ein anderes, und da ich an gleicher Krankheit leide, so ist es ja wohl natürlich, daß ich auch dieselbe Arznei nehme. Jedoch mache ich keinen Anspruch auf die Kunst meines Herrn, die dunkeln Stellen zu erklären; denn ich bin nur ein ungelehrter Mann, und ländlich auferzogen zu den Waffen und zur Jagd.«

»Sie haben Shakspeare gesehen, Vater?« sagte die junge Dame.

»Albernes Ding,« erwiederte der Ritter, »er starb ja, als ich noch ein Kind war – das hast Du wohl zwanzigmal von mir gehört, aber Du möchtest nur den alten Mann über den kitzlichen Gegenstand hinweg führen. Nun gut, ich bin zwar eben nicht blind, kann aber schon einmal die Augen zumachen und folgen. Ben Johnson kannte ich, und könnte Dir manches Geschichte von unsern Zusammenkünften in dem Gasthause zur Seejungfrau erzählen, wo zwar viel Wein getrunken wurde, aber auch Witzfunken umher sprühten. Wir saßen nicht da, und bliesen uns den Tabaksdampf ins Gesicht, und drehten nicht das Weiße in den Augen aufwärts, wenn wir die Weinkrüge umkehrten. Der alte Ben adoptirte mich als einen seiner Musen Söhne, ich habe Dir wohl die Verse gezeigt: »an meinen geliebten Sohn, Sir Heinrich Lee von Ditchley, Ritter und Baronet.«

»Sie fallen mir jetzt nicht bei, Vater,« erwiederte Alexia.

»Ich fürchte, Du lügst, Mädchen, aber immerhin – Du sollst mich nun nicht weiter zum Narren machen. Der böse Geist ist für den Augenblick von Saul gewichen. Wir müssen jetzt bedenken, was zu thun ist, entweder Woodstock verlassen – oder es vertheidigen,«

»Mein theurer Vater,« sagte Alexia, »können Sie noch einen Augenblick die Hoffnung nähren, den Platz zu behaupten?«

»Ich weiß nicht, Mädchen,« erwiederte Sir Heinrich, »gern möchte ich zum Abschiede noch einmal dreinschlagen, das ist gewiß – und wer weiß, welch ein Segen daraus erwüchse. Aber freilich, meine armen Diener, die in einem so hoffnungslosen Streite mir beistehen müßten – der Gedanke setzt mich in Verlegenheit, ich gestehe es.«

»O, möchte er doch das, Vater,« erwiederte Alexia, »es sind Soldaten in der Stadt, und drei Regimenter in Oxford,«

»Ach, armes Oxford!« rief Sir Heinrich, dessen schwankender Gemüthszustand durch ein Wort auf jeden neuen Gegenstand gelenkt wurde, der ihm vorkam – »Sitz der Gelehrsamkeit und Bürgertreue! diese rohen Soldaten sind gar unschickliche Bewohner für deine gelehrten Hallen und poetischen Gemächer; aber dein reines, glänzendes Licht wird dem verpesteten Hauch von tausend rohen Buben trotzen, und sollten sie auch wie Boreas dagegen blasen. Selbst diese heiße Verfolgung wird den brennenden Busch nicht verzehren.«

»Ja wohl, Vater,« sagte Alexia, »und es möchte nicht nutzlos seyn zu bedenken, daß bei der geringsten Bewegung der Königlichen in diesem ungünstigen Augenblick jene nur noch härter mit der Universität verfahren werden, die sie in alles verwickelt glauben, was in diesen Gegenden für den König geschieht.«

»Wohl wahr,« erwiederte der Ritter, »und die Buben bedürften nur geringer Ursache, um die armseligen Trümmer dessen einzuziehen, was die Bürgerkriege den Kollegien gelassen haben. Dies und die Gefahr meiner armen Gefährten – nun wohl! Du hast mich entwaffnet, Mädchen, ich will so geduldig und still seyn, wie ein Märtyrer.«

»Gott gebe, daß Sie Ihr Wort halten,« erwiederte die Tochter, »aber Sie werden immer so aufgeregt bei dem Anblick eines dieser Menschen, daß« –

»Willst Du mich zum Kinde machen?« sagte Sir Heinrich. »Wie! weißt Du nicht, daß ich eine Schlange, eine Kröte, ja einen ganzen Haufen Nattern sehen kann, ohne etwas Schlimmeres dabei zu empfinden, als ein wenig Ekel? Und wenn nun auch ein Rundkopf, und besonders ein Rothrock, meiner Meinung nach, giftiger ist als Schlangen, ekelhafter als Kröten, hassenswerther als verschlungne Nattern, so kann ich doch meine Natur so weit überwältigen, daß, wenn in diesem Augenblicke einer erschiene, Du sehen solltest, wie höflich ich ihn behandeln wollte.«

Wie er so sprach, verließ der militärische Prediger seinen Laubschirm, schritt vorwärts, und stand unerwartet vor dem alten Edelmann, der ihn anstarrte, als meinte er, seine Aeußerungen hätten einen bösen Geist hervorgerufen.

»Wer bist Du?« sagte endlich Sir Heinrich mit lauter und ärgerlicher Stimme, indem seine Tochter sich voll Entsetzen an seinen Arm hing, weil sie nicht eben darauf rechnete, daß ihres Vaters friedliche Entschließungen gegen diese unwillkommne Erscheinung ausdauern würden.

»Ich bin,« erwiederte der Soldat, »einer, der sich weder fürchtet noch schämt, sich einen armen Taglöhner an dem großen Werke Englands zu nennen – ja, ein einfacher und aufrichtiger Verheidiger der guten alten Sache.«

»Und was zum Teufel sucht Ihr hier?« sagte der alte Ritter voll Ingrimm.

»Den Willkommen, der dem ersten Beamten der Herrn Commissarien gebührt,« antwortete der Soldat.

»Willkommen bist Du, wie Salz den bösen Augen,« sagte der alte Herr, »aber wer sind Deine Commissarien?«

Ohne viele Umstände hielt ihm der Soldat einen Zettel hin, den Sir Heinrich mit zwei Fingerspitzen anfaßte, wie wenn es ein Brief aus einem verpesteten Hause wäre, und ihn so weit von sich, abhielt, als es nur möglich war, wenn er die Schrift erkennen wollte. Nun las er laut, und fügte, indeß er einen nach dem andern nannte, eine kurze Erklärung zu jedem Namen hinzu, die er freilich an Alexia richtete; aber in einem Tone, dem man wohl anmerkte, er mache sich nichts daraus, wenn der Soldat sie höre.

» Desborough – der Ackersmann Desborough – ein Schleicher, wie nur irgend einer in England – ein Kerl, der, wie ein alter Scythe, unter eine Wagenplane hingehörte – hol ihn der Henker! Harrison – ein blutdürstiger, großsprecherischer Schwärmer, der die Bibel las, damit es ihm nie an einem Texte fehlte, einen Mord zu rechtfertigen – hol ihn ebenfalls der Henker! Bletson – ein ächter Republikaner, einer aus Harrisons Schule, der seinen Schädel voll neugebackner Begriffe über die Regierung hat, deren deutlichster Zweck kein anderer ist, als das Unterste zu Oberst zu kehren; ein Mensch, der die Statuten und Gesetze von Altengland liegen läßt, um von Rom und Griechenland zu schwatzen – der in der Westminsterhalle den Areopagus sieht, und den alten Oliver für einen römischen Consul hält. – Je nun, ich denke, er wird statt dessen wohl den Dictator unter ihnen spielen wollen. Immerhin; auch Bletson hole der Henker!«

»Freund,« sagte der Soldat, »ich möchte gern höflich seyn, aber es verträgt sich nicht mit meiner Pflicht, von diesen gottseligen Männern, in deren Dienst ich bin, auf diese unehrerbietige und unschickliche Weise sprechen zu hören; und ob ich schon weiß, daß Ihr uebelwollenden ein Recht zu haben meint, ohne Umstände mit Euren Verwünschungen zu schalten, die Ihr als Euer Erbe zu betrachten scheint, so ist es doch überflüssig, sie gegen andre anzurufen, die bessere Hoffnungen in Gedanken, und bessre Worte im Munde führen.«

»Du bist ein kauderwelscher Schuft,« erwiederte der Ritter, »und doch hast Du in einer Hinsicht recht – denn es ist überflüssig, Menschen zu verwünschen, die schon so schwarz sind, wie der Höllenrauch selber.«

»Ich bitte Dich, hör auf,« fuhr der Soldat fort, »wenn nicht um Deines Gewissens, doch wenigstens um der guten Sitten willen – gräuliche Flüche und ein grauer Bart schicken sich nicht zusammen.«

»Nun, da ist wahr, und hät's auch der Teufel selber gesagt,« erwiederte der Ritter, »und ich danke dem Himmel daß ich noch einen guten Rath befolgen kann, hätte ihn auch der Böse selbst gegeben. Und so, Freund, was nun jene Commissarien betrifft, so bringe ihnen diese Botschaft: daß Sir Heinrich Lee, Aufseher von Woodstock Park, mit Trift -, Wald- und Jagdgerechtigkeit beliehen ist, wie irgend einer es nur auf seinem Gute seyn kann, – das heißt nämlich, wenn sie ein anderes Gut besitzen, als etwa das, was sie andern ehrlichen Menschen stahlen. Demungeachtet, will er denen, bei welchen Gewalt, vor Recht ergeht, Platz machen, und nicht das Leben guter und treuer Menschen in Gefahr setzen, wo die streitenden Kräfte einander zu ungleich wären, und er betheuert, daß er sich auf diese Weise fügt, nicht weil er die sogenannten Commissarien anerkennt, oder für seine eigne Person ihre Macht fürchtet, sondern blos, um kein englisches Blut weiter zu vergießen, da schon so viel in diesen letzten Zeiten geflossen ist.«

»Wohl gesprochen,« sagte der Beamte der Commissarien, »und daher bitte ich, laß uns mit einander in das Haus gehen, damit Du mir die Gefäße und den goldnen und silbernen Schmuck übergeben kannst, die dem ägyptischen Pharao gehören, welcher sie Dir anvertraute.«

»Was für Gefäße?« rief der alte Ritter aufbrausend, »und wem gehörig? Du ungetaufter Hund, sprich höflich von dem Märtyrer in meiner Gegenwart, oder ich begehe an Deinem armseligen Körper eine That, die sich für mich nicht schickt« – und indem er seinen rechten Arm aus den Händen der Tochter losriß, legte der alte Mann die Hand an das Schwert.

Sein Gegner aber blieb sich völlig gleich, und mit einer Bewegung der Hand, die seiner Rede noch mehr Nachdruck geben sollte, sagte er mit einer Ruhe, welche Sir Heinrichs Zorn vermehrte: »Ei, guter Freund, ich bitte Dich, sey still und lärme nicht so – es schickt sich nicht für graue Haare und schwache Arme, wie Trunkenbolde zu schimpfen und zu toben. Zwinge mich nicht, fleischliche Waffen zu meiner Vertheidigung zu brauchen, sondern höre auf die Stimme der Vernunft. Siehst Du nicht, daß der Herr diesen großen Streit für uns und die Unsrigen gegen Dich und die Deinen entschieden hat? Lege darum Deine Verwalterstelle im Frieden nieder, und übergieb mir die bewegliche Habe jenes Mannes, Karl Stuart.«

»Geduld ist ein gutes Ding, aber sie reißt endlich,« sagte der Ritter, unfähig, seinen Ingrimm länger zu zügeln. Er riß seinen Degen mit der Scheide von der Seite, versetzte dem Soldaten damit einen derben Schlag, zog ihn dann sogleich heraus, und die Scheide über die Bäume werfend, stand er kampffertig vor dem Beamten. Dieser trat rasch zurück, warf seinen Mantel ab, zog sein langes Schwert, und setzte sich zur Wehre. Die Schwerter klirrten heftig aneinander, indeß Alexia voll Entsetzen laut nach Hülfe rief. Aber der Kampf war von kurzer Dauer. Der alte Herr hatte einen Mann angegriffen, der des Fechtens so kundig war, als er, vielleicht auch wohl noch etwas mehr, und der dabei alle Kraft und Gewandtheit besaß, welche das Alter Sir Heinrichen geraubt, so wie die Ruhe, welche jener in seiner Leidenschaftlichkeit verloren hatte. Kaum hatten sie drei Gänge gemacht, als das Schwert des Ritters in die Luft flog, wie wenn es seiner Scheide nacheilen wollte, und glühend vor Scham und Verdruß stand Sir Heinrich entwaffnet, seinem Gegner Preis gegeben. Der Republikaner zeigte sich indeß nicht geneigt, seinen Sieg zu mißbrauchen, auch veränderte er sowohl während des Kampfes als nach dem Siege keineswegs die finstre und ernste Miene, die in seinem Gesicht vorherrschte – ein Kampf auf Leben und Tod schien ihm etwas so alltägliches, und so wenig fürchterliches, wie ein gewöhnlicher Gang mit Rapieren.

»Du bist nun in meine Hand gegeben, und nach dem Recht der Waffen könnte ich Dich unter der fünften Rippe erstechen, wie Abner, der Sohn Nuns, den Asahel erschlug, als er der Jagd auf dem Berge Ammah folgte, der vor Giah liegt, auf dem Wege nach der Wildniß Gibeon; doch fern sey es von mir, die noch übrigen Tropfen Deines Bluts zu vergießen. Wahr ist es, Du bist gefangen durch mein Schwert und meinen Speer; nichts desto weniger, da ich sehe, daß es noch möglich ist, Dich von Deinen schlimmen Wegen abzubringen, und Dich auf gute zurückzuführen, wenn der Herr Dir die Frist zur Reue und Buße verlängert, warum sollte sie durch einen armen sündigen Sterblichen verkürzt werden, der, die Wahrheit zu sagen, nichts ist, als ein Wurm wie Du?«

Sir Heinrich Lee war noch immer verwirrt und unfähig zu antworten, als noch ein Vierter erschien, den Alexias Geschrei herbeigerufen. Dies war Josselin Joliff, einer der Unterförster des Parks, der, als er sah, wie die Sachen standen, seinen Knittel schwang, eine Waffe, von der er sich nie trennte, und ihn zugleich mit der Rache auf das Haupt des Beamten herabgeschleudert hätte, wäre nicht Sir Heinrich dazwischen getreten.

»Wir müssen jetzt unsre Knittel hinter uns herschleppen, Josselin – mit dem Hochschwingen ist es vorbei. Es hilft nichts gegen den Strom anzuschwimmen – der Teufel regiert jetzt hier, und macht unsre Sklaven zu unsern Herren.«

In diesem Augenblick kam noch neue Verstärkung aus dem Dickigt, dem Ritter zu Hülfe, es war der große schon erwähnte Wolfshund, der an Kraft einem Bullenbeißer, an Gestalt und fast auch an Schnelligkeit einem Windhunde glich. Bevis war der edelste seiner Art, der nur je einen Hirsch bezwang, gelbbraun wie ein Löwe, mit schwarzem Maul und schwarzen Füßen, und einen weißen Strich rund um die Zehe. Er war dabei so folgsam als stark und kühn. Als er eben auf den Soldaten losstürzen wollte, verwandelten Sir Heinrichs Worte: »Still, Bevis!« den Löwen in ein Lamm, und statt den Soldaten niederzureißen, ging er rund um ihn her, und schnüffelte, als ob er allen seinen Scharfsinn darauf wenden wollte, zu entdecken, wer der Fremde sey, für den ihm Schonung geboten wurde, so verdächtig er auch aussah. Vermuthlich wurde er zufrieden gestellt, denn seine zweifelhaften und drohenden Bewegungen hörten bald auf; er senkte die Ohren, die von Kampfgier emporgesträubten Haare glätteten sich, und er wedelte mit, dem Schwanze.

Sir Heinrich, der die Klugheit seines Lieblings sehr in Ehren hielt, sagte mit leiser Stimme zu Alexia: »Bevis ist Deiner Meinung, und räth Unterwerfung. Es ist Gottes Finger hierin, den Stolz zu bestrafen, der immer ein Fehler unsers Hauses war.« – »Freund,« fuhr er fort, sich zu dem Soldaten wendend, »Du hast die Lektion vollständig gemacht, welche zehn Jahre des ununterbrochenen Unglücks mir nicht ganz beibringen konnten. Du hast mir deutlich gezeigt, welche Thorheit es ist, zu glauben, daß eine gute Sache einen schwachen Arm stärken könne. Gott vergebe mir den Gedanken, aber ich könnte beinahe ungläubig werden, und meinen, daß des Himmels Segen nur immer das längste Schwert begleitet. Es wird aber nicht immer so seyn. Gott kennt seine Zeit – reiche mir meinen Degen, Josselin, dort liegt er; und sieh Dich nach der Scheide um, die auf dem Baume hängt – zupfe nur nicht an meinem Mantel, Alexia, und sieh so jämmerlich erschrocken aus, ich werde so leicht nicht wieder eine blanke Klinge zur Hand nehmen, das verspreche ich Dir. – Was Dich betrifft, guter Freund, so danke ich Dir, und werde Deinen Herren ohne weiteren Streit oder Umstände Platz machen. Josselin Joliff steht Dir näher als ich, und mag Dir das Schloß und das Hausgeräthe übergeben. Behalte nichts zurück, Joliff, laß ihnen alles. Ich will nicht wieder über die Schwelle treten – aber wo nun die Nacht bleiben? In Woodstock möchte ich niemandem zur Last fallen – hm – ja so soll es seyn. Alexia und ich, Josselin, wollen in Deine Hütte am Rosamundens Brunnen gehen, und wenigstens auf eine Nacht ein Obdach in Deiner Hütte suchen; Du nimmst uns doch gern auf, nicht wahr? – Nun, was ist das – eine bewölkte Stirn?«

Josselin sah allerdings verlegen aus, warf erst einen Blick auf Alexia, sah bald gen Himmel, bald zu Boden, und endlich in die vier Winde hinaus, worauf er zuletzt stotterte: »allerdings – das ist wohl keine Frage – wenn ich nur hinunter laufen könnte, das Haus in Ordnung zu bringen.«

»Ordnung genug – Ordnung genug für Leute, die vielleicht bald froh seyn werden, wenn sie reines Stroh in einer Scheune haben,« sagte der Ritter; »willst Du aber nicht gern verrufene oder übelwollende Leute, wie jetzt der Ausdruck ist, bei Dir beherbergen, so schäme Dich nicht, es auszusprechen. Ich nahm Dich freilich auf, als ein ganz zerlumpter Geselle, machte Dich zum Förster u, s. w., aber was ists nun mehr? Die Matrosen denken nur so lange an den Wind, als er ihre Reise fördert – schwimmen doch Höhere mit dem Strome, warum nicht so ein armer Schelm wie Du?«

»Gott verzeih Ew. Gnaden Ihr hartes Urtheil,« sagte Joliff. »Die Hütte gehört Ihnen, so wie sie ist, und würde es auch, wenn sie ein königlicher Palast wäre, wie ich es um Ihre Gnaden und der Fräulein Alexia willen wünschte – nur möchte ich gern, daß Ihro Gnaden mich voraus laufen ließen, im Fall ein Nachbar da wäre – oder – oder – ich möchte es nur eben ein Bischen in Ordnung bringen für Fräulein Alexia und Ihre Gnaden – daß sichs nur ein Bischen anständig und ordentlich ausnähme.«

»Das ist gar nicht nöthig,« sagte der Ritter, indeß Alexia viel Mühe hatte, ihre Unruhe zu verbergen. »Sind Deine Sachen unscheinbar, je nun, so schicken sie sich desto besser für einen besiegten Ritter – und sind sie unordentlich, ei, so gleichen sie desto mehr der übrigen Welt, die jetzt ganz aus den Fugen getreten ist. Geh Du nur mit dem Manne – wie heißt Du, Freund?«

»Joseph Tomkins ist mein Name nach dem Fleisch,« sagte der Beamte. »Die Leute nennen mich den ehrlichen Joseph, und den getreuen Tomkins.«

»Hast Du diese Namen verdient, so bist Du, besonders wenn man Dein Gewerbe bedenkt, ein wahres Kleinod,« sagte der Ritter; »hast Du sie aber nicht verdient, ei so erröthe darum nicht, Joseph; denn wenn Du nicht wirklich ehrlich bist, so ist es um so wahrscheinlicher, daß Du den Ruf davon behalten wirst. – Der Name und die Sache sind schon lange ganz verschiedene Wege gegangen. Nun, leb wohl – und auch Du, leb wohl, schönes Woodstock!«

Mit diesen Worten wandte sich der alte Ritter, und seiner Tochter Arm ergreifend, gingen sie mit einander in den Wald, auf dieselbe Weise, wie sie dem Leser vorgeführt wurden.


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