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Achtzehntes Kapitel.


So wären die Harpyen fort – doch ehe
Wir hier, wo sie geweilt, uns niedersetzen,
Laßt uns den Ort von ihrem Schmutze säubern.

Agamemnon.

Wildrake's Gesandtschaft war vorzüglich durch Vermittlung des bischöfflichen Geistlichen gelungen, den wir früher als Kaplan bei der Familie fanden, und dessen Stimme in mehr als einer Hinsicht viel bei seinem Herren galt.

Kurz vor der Mittagsstunde befand sich Sir Heinrich Lee mit seinem kleinen Haushalte wieder in unbestrittenem Besitz ihrer alten Wohnung im Jagdschlosse zu Woodstock, und die vereinten Bemühungen Josselins Joliffs, Phöbes und der alten Hanne brachten das wieder in Ordnung, was die früheren Gäste in großer Unordnung zurückgelassen hatten.

Sir Heinrich Lee hatte, gleich allen Leuten von Stande jener Zeit, eine Liebe zur Ordnung, die bis ins Kleinliche ging, und fühlte sich, wie eine vornehme Dame, deren Kleidung im Gedränge zerzaust worden ist, beleidigt und gedemüthigt durch die Verwirrung, in welche sein Hausrath gekommen war, und voll Ungeduld, bis die Wohnung von allen Spuren jener Gäste gereinigt war. In seinem Aerger gab er mehr Befehle, als die beschränkte Zahl seiner Diener Zeit oder Hände hatte, auszuführen. »Die Buben,« sagte der alte Ritter, »haben noch dazu einen solchen Schwefelgestank zurückgelassen, als wenn der alte David Leslie David Leslie, ein berühmter schottischer Feldherr, in Gustav Adolphs von Schweden Schule in Deutschland gebildet, war Anfangs Befehlshaber der Armee des schottischen Parlaments gegen König Karl I., trat aber, als Schottland Karl II. 1650 als König anerkannt hatte, auf des Königs Seite, kämpfte gegen Cromwell, und wurde von demselben bei Dunbar (den 1. Sept. 1650) und bei Worcester (den 1. Sept. 1651) geschlagen. Anm. d. Uebers. und die ganze schottische Armee sich bei ihnen einquartirt hätten.«

»Es mag wohl beinahe so schlimm seyn,« sagte Josselin, »denn es heißt ja für gewiß, der Teufel wäre in Person unter ihnen erschienen und hätte sie fortgejagt.«

»Nun dann,« sagte der Ritter, »muß der Fürst der Dunkelheit ein Edelmann seyn, wie der alte Shakspeare sagt. Er läßt sich nie mit denen seiner eignen Uniform in Streit ein; denn die Lee's sind nun von Geschlecht zu Geschlecht seit 500 Jahren ungestört hier gewesen, und kaum treten diese mißgeschaffenen Knauser ein, so treibt er sein Spiel mit ihnen.«

»Nun, eins haben er und sie uns doch gelassen,« sagte Joliff, »wofür wir ihnen danken können, und das ist eine so wohlgefüllte Speisekammer, als seit manchem Tage selten im Woodstocker Jagdschlosse gesehen worden; – ganze Schöpse, große Rinderbraten, Kasten voll Conditorwaare, Fässer voll Sekt, Muskateller-Wein, Doppelbier und was sonst noch Alles. Wir können den halben Winter hindurch königlich davon schmausen, und Hanne muß sich gleich an das Einböckeln machen.«

»Pfui! du Bube,« sagte der Ritter, »sollen wir die Ueberbleibsel eines solchen Abschaumes von Menschen essen? – Wirf sie gleich fort! – Doch nein (sich besinnend), das wäre Sünde, aber gieb sie den Armen, oder sieh darauf, daß sie den Eigenthümern wieder zugeschickt werden. – Und, hörst Du, von ihren starken Getränken mag ich keins – lieber wollt ich, wie ein Einsiedler, mein ganzes Leben lang Wasser trinken, als mir das Ansehen geben, wie wenn ich solchen Schurken in dem, was sie übrig gelassen haben, Bescheid thäte, gleich einem armseligen Weinschenken, der die Neigen in den Flaschen zusammengießt, wenn die Gäste ihre Rechnung bezahlt haben und fortgegangen sind. – Und, hört Ihr, ich mag auch kein Wasser aus der Cisterne, aus der diese Buben geschöpft haben – holt mir einen Krug aus Rosamundens Brunnen.«

Alexia hörte diesen Befehl, und da sie sich wohl dachte, daß die andern Hausgenossen schon genug zu thun hätten, ergriff sie ruhig einen kleinen Krug, warf einen Mantel über, und ging selbst hinaus, um Sir Heinrichen das verlangte Wasser zu holen. Unterdeß sagte Josselin mit einigem Zögern: »es wäre noch ein Mann da, der zu den Fremden gehörte und das Wegschaffen einiger den Commissarien gehörigen Kisten und Koffer anordnete, und dem Se. Gnaden die Befehle wegen der Lebensmittel ertheilen könnten.«

»Laß ihn herkommen!« – (das Gespräch wurde in der Halle gehalten) – »warum zögerst Du und schlenderst so herum?«

»Es ist nur,« sagte Josselin, »weil Ew, Gnaden ihn nicht gern sehen möchten; denn es ist der nämliche, der vorgestern Abend« –

Er hielt inne.

»Meinen Degen zum Vogelfang durch die Luft schickte, willst Du sagen? – Ei nun, wann wäre ich denn je übellaunig gewesen, wenn einer Stand gegen mich hielt? – Ob er gleich ein Rundkopf ist, so ist mir das um so lieber. Mich hungert und durstet nach einem zweiten Gange mit ihm. Ich habe die ganze Zeit her über seinen Stoß nachgedacht, und ich glaube, wenn wir es noch einmal versuchten, so kenne ich wohl eine Finte, womit ich ihn pariren könnte. – Hole ihn gleich.«

Der getreue Tomkins wurde demnach hereingelassen und benahm sich mit einem eisernen Ernst, den weder die Schrecken der vorigen Nacht, noch die würdige Haltung des hochgebornen Mannes, vor dem er stand, auf einen Augenblick überwältigen konnten.

»Nun, guter Bursch,« sagte Sir Heinrich, »ich möchte gern etwas mehr von Deiner Fechtkunst sehen, die mich neulich zu Schanden machte – aber wahrhaftig, ich glaube es war damals schon ein wenig zu dunkel für meine alten Augen. – Nimm ein Rappier, Mensch – ich wandele hier in der Halle umher, wie Hamlet sagt, und es ist die Zeit des Tages bei mir gekommen, wo ich aufathme. – Nimm das Rappier zur Hand!«

»Da Ew. Gnaden es wünschen,« sagte Tomkins, indem er seinen langen Mantel fallen ließ und das Rappier in die Hand nahm.

»Nun,« sagte der Ritter, »wenn Ihr bereit seyd, ich bin es. Ist mirs doch, als hätte das bloße Auftreten auf diesem alten Pflaster die Gicht, die mich bedrohete, weggebannt. – Ha! – ich trete so fest auf, wie ein Kampfhahn.«

Sie fingen das Spiel sehr munter an, und war es nun, weil der alte Ritter besonnener mit der stumpfen als mit der scharfen Waffe focht, oder weil der Secretär ihm in diesem blos scherzhaften Kampfe einigen Vortheil ließ, gewiß ist, daß Sir Heinrich die Oberhand behielt, und dies versetzte ihn in ganz vortreffliche Laune.

»Da,« sagte er, »nun habe ich Eure Finte weg – zweimal sollt Ihr mich nicht auf dieselbe Weise fassen. – Das war eine sehr handgreifliche List. – Ei ja, wäre es nur neulich hell genug gewesen – aber es ist besser, nicht weiter davon zu sprechen. Jetzt wollen wir's seyn lassen, ich muß nicht fechten, wie wir unklugen Cavaliere es mit Euch rundköpfigen Schurken machten, und Euch so oft schlugen, bis wir Euch endlich lehrten, uns zu schlagen. – Und nun sagt mir, warum habt Ihr Eure Vorrathskammer hier so voll gelassen? – Meintet Ihr, ich oder meine Familie würden Eure Neigen essen? – Was! könnt Ihr Eure sequestrirten Rinderbraten nicht besser anwenden, als sie zurückzulassen, wenn Ihr in andere Quartiere zieht?«

»Es kann seyn,« sagte Tomkins, »daß Ew. Gnaden das Fleisch von Schaafen oder Böcken oder Ziegen nicht mögen. Jedoch, wenn Sie erfahren werden, daß diese Lebensmittel aus Ihren eignen Zinsen und Vorräthen in Ditchley angeschafft und bezahlt wurden, die schon seit mehr als einem Jahre zum Nutzen des Staats sequestrirt wurden, so werden Sie sich vielleicht weniger ein Gewissen daraus machen, sie zu Ihrem eignen Nutzen anzuwenden.«

»Ei, ganz gewiß,« sagte Sir Heinrich, »und ich bin noch obendrein recht froh, daß Ihr mir zu einem Theil meines Eigenthums verholfen habt. Ich war doch ein rechter Esel, daß ich mir einbildete, Eure Herren würden anders, als auf ehrlicher Leute Unkosten leben.«

»Und was das Rindfleisch betrifft,« fuhr Tomkins eben so feierlich fort, »so ist noch ein Rumpf in Westminster, an dem wir, die wir zur Armee gehören, lange hacken und hauen können, eh' er nach unserm Sinne zertheilt ist.«

Sir Heinrich besann sich, als wolle er den Sinn dieser Rede herausbringen, denn seine Fassungsgabe war nicht eben schnell. Als er aber endlich den Sinn gefaßt hatte, brach er in ein lauteres Gelächter aus, als Josselin seit langer Zeit von ihm gehört hatte.

»Recht, Schelm,« sagte er, »Dein Spaß gefällt mir. – Es ist die wahre Moral des Puppenspiels. Faust rief den Teufel auf, so wie das Parlament die Armee – und dann, so wie der Teufel mit Faust davonfliegt, wird auch die Armee mit dem Parlamente davon fliegen – oder dem Rumpfe, wie Du's nennst, oder dem sitzenden Theile des sogenannten Parlaments. – Und dann, siehst Du, Freund, soll der eigentliche Teufel unter allen meinetwegen recht gern wieder mit der Armee davon fliegen, von dem obersten General bis hinab zum niedrigsten Trommelschläger. – Ei, sieh nur darum nicht so grimmig aus, bedenke, daß es hell genug ist zu einem Gange auf scharfe Klingen.«

Der getreue Tomkins schien es für das Beste zu halten, sein Mißvergnügen für den Augenblick zu unterdrücken; er bemerkte, die Wagen ständen bereit, um die Sachen der Commissarien in den Flecken zu schaffen, und empfahl sich Sir Heinrich Lee mit vielem Ernste.

Unterdeß fuhr der alte Mann fort in seiner wiedererlangten Halle herumzugehen, wobei er sich die Hände rieb und mehr Freude äußerte, als er noch seit dem unglücklichen 30sten Januar gezeigt.

»Hier sind wir also wieder in dem alten Hause, Joliff, und noch dazu mit Lebensmitteln gut versehen. – Wie der Schelm meine Gewissenszweifel zu lösen wußte – der Albernste unter denen ist doch ein besonderer Casuist, wo sich's um den Vortheil handelt. Sieh Dich um, ob sich einige von unserm eignen zerrissenen Regiment draußen herum treiben, denen ein Maul voll eine willkommene Gottesgabe wäre. – Und dann sein Fechten, Josselin – obwohl – der Kerl ficht gut – recht gut. – Aber Du sahest, wie ich mit ihm fertig wurde, als ich hinreichendes Licht hatte.«

»Ei, ja wohl,« sagte Josselin. »Ew. Gnaden lehrten ihn den Herzog von Norfolk von Saunders Gärtner zu unterscheiden. Ich stehe dafür, der wird nicht wünschen, wieder unter Ew. Gnaden Scheere zu kommen.«

»Je nun, ich werde alt, aber die Geschicklichkeit rostet nicht im Alter, wenn auch die Sehnen steifer werden. Aber mein Alter ist einem derben Winter gleich – frostig, aber hell. – Und wenn wir nun, so alt wir auch sind, doch noch bessere Tage erleben sollten! Ich sage Dir, Josselin, dieser Streit zwischen den Schurken von der Feder, und zwischen den Schurken vom Schwerte gefällt mir. Wenn die Diebe sich zanken, so können rechtliche Leute hoffen, dadurch wieder zu ihrem Eigenthum zu kommen.«

So triumphirte der alte Cavalier in der dreifachen Freude, seine Wohnung wieder erlangt zu haben – auch seinen Ruf als guter Fechter, wie er meinte, und endlich, daß er eine Aussicht zu einem Wechsel entdeckt, wobei er nicht ohne Hoffnung war, daß Etwas zum Vortheil der königlichen Sache dabei herauskommen möchte.

Unterdes ging Alexia mit stolzerem und leichterem Herzen, als es seit mehreren Tagen in ihrem Busen geklopft, mit einer Fröhlichkeit, der sie in der letzten Zeit ganz fremd geworden, um auch das Ihrige zum Ordnen und Versorgen des Haushalts beizutragen, indem sie das aus Rosamundens Brunnen verlangte frische Wasser holte.

Vielleicht erinnerte sie sich, wie als Kind ihr Vetter Markham sie dies oft verrichten ließ, wenn sie eine gefangene Trojanische Prinzessin vorstellte, die durch ihre Lage verurtheilt war, das Wasser aus einem griechischen Quell für den stolzen Sieger zu schöpfen. – In jedem Falle freute sie sich, ihren Vater in seine alte Wohnung wieder eingesetzt zu sehen, und ihre Freude war darum nicht minder aufrichtig, weil sie wußte, daß ihre Rückkehr nach Woodstock durch Vermittlung ihres Vetters herbeigeführt worden, und daß, selbst in den Augen ihres, sehr gegen ihn eingenommenen Vaters, Everard einigermaßen von der Anklage freigesprochen worden, die der alte Ritter gegen ihn aufgebracht; und war auch noch keine Versöhnung zu Stande gekommen, so waren doch die Präliminarien abgeschlossen, auf welche ein so wünschenswerther Schluß leicht aufzuführen war. Es glich dem Anfange einer Brücke, wenn der Grund sicher gelegt ist, und die Brückenpfeiler so hoch geführt sind, daß der Strom ihnen nichts weiter anhaben kann; die Bogen darüber können dann in einer andern Jahreszeit vollendet werden.

Das zweifelhafte Schicksal ihres einzigen Bruders hätte freilich diesen augenblicklichen Sonnenschein umwölken können; aber Alexia war während des Bürgerkrieges erzogen worden, und hatte die Gewohnheit erlangt, für die ihr theuren Personen so lange zu hoffen, bis Alles verloren war. In dem gegenwärtigen Falle schienen alle Berichte ihr zu versichern, daß ihr Bruder geborgen sey.

Außer diesen Ursachen zum Frohsinn hatte Alexia Lee noch das angenehme Gefühl, daß sie dem Aufenthalt ihrer Jugend wiedergegeben sey, von dem sie nicht ohne vielen Schmerz geschieden war, und vielleicht um so mehr, weil sie denselben nicht zeigen durfte, um nicht ihres Vaters tiefes Gefühl über sein Unglück noch mehr zu reizen. Endlich genoß sie noch für den Augenblick jene Selbstzufriedenheit, welche so oft ein junges, gutartiges Gemüth beseelt, wenn es sich denen, die es liebt, hilfreich erweisen, und im Augenblick der Noth jene kleinen häuslichen Geschäfte verrichten kann, die das Alter so gern von den willigen Händen der Jugend empfängt; so daß, als sie durch die Trümmer der schon erwähnten Wildniß hinschritt, und von da noch einen Bogenschuß weit in den Park hatte, um einen Krug Wasser aus Rosamundens Brunnen zu holen, ihre Züge belebt und ihre Farbe durch die Bewegung ein wenig erhöhet war, Alexia Lee für den Augenblick die heitere und glänzende Lebhaftigkeit des Ausdrucks wieder erlangt hatte, die in früheren, glücklichern Tagen den eigentlichen Charakter ihrer Schönheit ausmachte.

Dieser Brunnen war in alten Zeiten mit architektonischen Zierrathen im Styl des 16ten Jahrhunderts ausgeschmückt gewesen, die sich vorzüglich auf die alte Götterlehre bezogen. Alle diese waren jetzt verwüstet und zertrümmert, und bestanden nur noch als Moos bedeckte Ruinen, indeß der lebendige Quell fortfuhr, täglich seine klaren Schätze herzugeben, obwohl die Menge des Wassers nicht groß war, die unter den lockeren Steinen hervorsprudelte, und durch Ueberbleibsel alter Bildhauerei dahin rieselte.

Mit leichtem Schritt und lachender Stirn nahete sich das junge Fräulein von Lee der gewöhnlich so einsamen Ouelle, als sie auf einmal inne hielt, da sie Jemand daneben sitzen sah. Sie ging indeß zuversichtlich weiter, nur mit weniger frohem Schritt, als sie bemerkte, daß es eine weibliche Gestalt war – vielleicht eine Magd aus der Stadt, die eine grillenhafte Herrin nach dem Wasser der Quelle schickte, das für besonders rein galt, oder auch eine alte Frau, die sich Etwas damit verdiente, es in die angesehnern Häuser zu tragen, und es für eine Kleinigkeit zu verkaufen. Zur Besorgniß war daher keine Ursach vorhanden.

Die Schrecken der Zeit waren indes so groß, daß Alexia selbst eine Fremde ihres eigenen Geschlechtes nicht ohne Besorgniß erblickte. Entartete Weiber waren, wie gewöhnlich, den Lagern beider Armeen im Bürgerkriege gefolgt, und übten einerseits mit offenbarer Verderbtheit, andererseits mit dem trügerischen Tone der Schwärmerei oder Heuchelei fast auf gleiche Weise ihre Talente zu Mord oder Raub. Aber es war helles Tageslicht, die Entfernung vom Jagdschlosse nur gering, und obwohl ein wenig beunruhigt, da eine Fremde zu erblicken, wo sie tiefe Einsamkeit erwartete, hatte doch die Tochter des alten, stolzen Ritters zu viel von seiner Löwennatur an sich, um sich ohne gewisse und bestimmte Ursache zu fürchten.

Alexia ging daher ernsthaft auf die Quelle zu, sah schnell, aber mit gefaßtem Blick auf das dort sitzende Weib, und machte sich dann an ihr Geschäft, ihren Krug zu füllen.

Die Frau, deren Gegenwart Alexia Lee ein wenig überrascht und erschreckt hatte, war eine Person von niederem Stande, deren rother Mantel, braunrothes Mieder und Halstuch mit blauem Rande, und grober spitzen Hut höchstens die Frau eines Pächters von einer kleinen Meierei oder auch eines Verwalters andeutete. Indeß war es gut, wenn sie sich nur nicht als etwas schlimmeres erwies. Ihre Kleider waren freilich von gutem Zeuge, saßen aber, was das weibliche Auge schon durch einen halben Blick unterscheidet, ziemlich schlecht, und es sah aus, als gehörten sie der Person nicht, die sie trug, sondern wären Dinge, zu denen sie durch Zufall, wo nicht durch einen glücklichen Diebstahl gelangt sey. Auch ihre Gestalt, wie es Alexia'n, selbst bei dem schnellen Blicke, den sie ihr geschenkt, nicht entging, war ungewöhnlich groß, ihr Gesicht gelbbraun, ihre Züge sehr rauh, und ihr ganzes Wesen nichts weniger als einnehmend. Das junge Fräulein wünschte fast, als sie sich bückte, um ihren Krug zu füllen, daß sie wieder umgekehrt wäre, und Josselin ausgesandt hätte; aber die Reue kam jetzt zu spät, und es blieb ihr nichts anderes übrig, als, so gut sie konnte, ihre unangenehmen Empfindungen zu verbergen.

»Die Segnungen dieses glänzend schönen Tages über ein eben so schönes Wesen,« sagte die Fremde, mit einer zwar nicht unfreundlichen, aber rauhen Stimme.

»Ich danke Euch,« entgegnete Alexia, und fuhr fort, ihren Krug mit Hülfe einer eisernen Schale, die noch immer an einem der Steine neben der Quelle gekettet hing, emsig zu füllen.

»Mein hübsches Kind, wenn Ihr meine Hülfe annehmen wolltet, so würde vielleicht Eure Arbeit schneller gethan seyn,« sagte die Fremde.

»Ich danke Euch,« sagte Alexia, »aber brauchte ich Hülfe, so hätte ich Leute dazu mitbringen können.«

»Daran zweifle ich nicht, schönes Kind,« antwortete die Frau, »es werden nur zu viel Bursche in Woodstock seyn, die Augen im Kopfe haben. – Ohne Zweifel hättet Ihr Jeden mitbringen können, der Euch ansah, wenn Ihr gewollt hättet.«

Alexia erwiederte keine Sylbe, denn die freien Reden der Sprecherin gefielen ihr nicht, und sie wünschte das Gespräch abzubrechen.

»Seyd Ihr beleidigt, schönes Kind?« sagte die Fremde, »das lag gar nicht in meinem Vorsatze. – Ich will meine Frage anders stellen. – Gehen die guten Mütter in Woodstock so sorglos mit ihren hübschen Töchtern um, daß sie die Schönste von Allen in dem will den Jagdgehege ohne ihren Schutz wandern lassen, oder doch ohne irgend Jemanden, der den Fuchs verhindere, mit dem Lamme davon zu laufen? – Diese Sorglosigkeit deutet wenig Liebe an.«

»Gebt Euch zufrieden, gute Frau, ich bin nicht weit von Schutz und Beistand, sagte Alexia, der die Zudringlichkeit ihrer neuen Bekannten immer weniger gefiel.

»Ach! Du armes Mädchen,« sagte die Fremde, indem sie mit ihrer großen harten Hand den Kopf streichelte, den Alexia nach dem Wasser hinuntergebeugt hatte, »so ein Piepstimmchen, wie die Deine, möchte schwerlich von hier aus in der Stadt Woodstock gehört werden, wenn Du auch noch so laut schriest.«

Alexia schob die Hand der Frau ärgerlich zurück, nahm ihren Krug, obwohl er noch nicht über halb voll war, und da sie sah, daß die Fremde zugleich aufstand, sagte sie, ohnstreitig nicht ohne Furcht, aber doch mit einem natürlichen Gefühl von Empfindlichkeit und Würde: »Es ist nicht nöthig, daß ich mein Geschrei bis Woodstock vernehmen lasse; müßte ich nach Hülfe rufen, so fänd ich sie näher bei der Hand.«

Was sie gesprochen, wurde bald bestätigt, denn in dem Augenblick stürzte der edle Hund Bevis durch das Gebüsch, und stand neben ihr, indem er seine feurigen Augen auf die Fremde richtete, und zugleich jedes Haar seiner Mähne in die Höhe sträubte, wie die Borsten eines hart bedrängten wilden Ebers, und dabei ein paar Reihen Zähne wies, die sich mit denen jedes russischen Wolfs hätten messen können, und ohne weder zu bellen, noch zu springen, seinem leisen entschlossenen Knurren nach, nur auf das Zeichen zu warten schien, um über die Frau herzustürzen, die er offenbar als verdächtig betrachtete:

Aber die Fremde erschrak nicht. »Mein hübsches Kind,« sagte sie, »da hast Du allerdings einen furchtbaren Wächter, so lange Du es nur mit Stubenhockern oder Bauerlümmeln zu thun hast; wir aber, die wir im Kriege gewesen sind, kennen schon Zaubersprüche, um solche wüthende Drachen zu zähmen; hetze darum Deinen vierfüßigen Beschützer nicht auf mich; denn es ist ein edles Thier, und nur Nothwehr könnte mich vermögen, ihm etwas zu Leide zu thun. Hiermit zog sie ein Pistol aus der Brust, spannte es, und richtete es auf den Hund, als fürchte sie, er würde auf sie zuspringen.

»Halt, Frau, halt!« schrie Alexia Lee, »der Hund wird Euch nichts zu Leide thun – nieder Bevis, nieder – und ehe Ihr versucht, ihm etwas anzuhaben, wißt, daß es der Lieblingshund Sir Heinrichs Lee von Ditchley, Aufseher vom Woodstocker Park ist, der alles an seinem Hunde Verübte streng ahnden würde.«

»Und Ihr, hübsches Kind, seyd ohnstreitig die Haushälterin des alten Ritters? Ich habe oft gehört, daß die Lee's guten Geschmack haben.«

»Ich bin seine Tochter,« gute Frau.

»Seine Tochter! – Ich war doch blind – aber freilich, es ist wahr, nichts weniger Vollkommnes konnte der Beschreibung entsprechen, die alle Welt von Fräulein Alexia Lee macht. Ich hoffe doch, meine Thorheit hat mein junges Fräulein nicht beleidigt und sie wird mir zum Pfande der Aussöhnung erlauben, ihren Krug zu füllen und ihn so weit zu tragen, als sie mir gestattet, mitzugehen.«

»Wie Ihr wollt, gute Mutter, aber ich war eben im Begriff, ins Jagdschloß zurückzukehren, wo ich jetzt keine Fremden zulassen kann. Ihr könnt mir nicht weiter folgen, als bis an den Rand der Wildniß, und ich bin schon zu lange vom Hause entfernt; ich will Euch Jemanden entgegen schicken, um Euch den Krug abzunehmen.« Hiermit drehte sie sich um, mit einem Gefühle des Entsetzens, das sie sich kaum zu erklären wußte, und fing an, schnell auf das Schloß zuzugehn, indem sie meinte, ihre lästige Gefährtin auf diese Weise los zu werden.

Aber sie hatte die Rechnung ohne den Wirth gemacht; denn einen Augenblick darauf war ihre neue Gefährtin schon an ihrer Seite, ungeachtet sie nicht lief, wohl aber mit ungeheuren, ganz unweiblichen Schritten ging, wodurch sie das eingeschüchterte trippelnde Mädchen bald einholte. Aber ihr Wesen war viel ehrerbietiger, obwohl ihre Stimme ganz besonders rauh und unangenehm klang, und ihr ganzes Wesen ein unbestimmtes, aber unwiderstehliches Gefühl von Besorgniß einflößte.

»Verzeihen Sie einer Fremden, liebliches Fräulein Alexia,« sagte ihre Verfolgerin, »die nicht im Stande war, eine Dame von Ihren Range von einem Bauernmädchen zu unterscheiden, und mit einer Freiheit sprach, wie sie, sich für Ihren Rang und Stand gewiß nicht schickte, und die Sie, wie ich fürchte, beleidigt haben wird.«

»Ganz und gar nicht,« erwiederte Alexia; »aber, gute Frau, ich bin nahe am Hause, und will Euch nicht weiter bemühen. – Ihr seyd mir unbekannt.«

»Daraus folgt aber nicht,« sagte die Fremde, »daß Ihr Schicksal mir unbekannt ist, schönes Fräulein Alexia. Sehen Sie mein gelbbraunes Gesicht – England erzeugt solche nicht, und in den Ländern, aus denen ich komme, ergießt die Sonne, die unsre Gesichtsfarbe schwärzt, zum Ersatz Strahlen von Wissenschaft in unser Gehirn, die den Bewohnern Ihres lauwarmen Himmelsstrichs versagt sind. Lassen Sie mich Ihre schöne Hand ansehn (wobei sie bemüht war, sich derselben zu bemächtigen) – und ich verspreche Ihnen, Sie sollen hören, was Ihnen gefallen wird.«

»Ich höre, was mir nicht gefällt,« sagte Alexia mit Würde, »mit Euren Wahrsagerkünsten mögt Ihr zu den Frauen im Dorfe hingehen – wir vom Adel halten sie entweder für Betrug oder ungesetzliches Wissen.«

»Doch möchten Sie gern von einem gewissen Obersten hören, dafür stehe ich, den gewisse unglückliche Umstände von seiner Familie getrennt haben, Sie würden mehr als Silber dafür geben, wenn ich Ihnen versichern könnte, daß Sie ihn in zwei oder drei Tagen – vielleicht auch noch früher sehen werden.«

»Ich verstehe nichts von dem, was Ihr redet, gute Frau, wollt Ihr ein Allmosen haben, so ist hier ein Silberstück – es ist Alles, was ich bei mir habe.«

»Es wäre Schade, wenn ich es nähme,« sagte die Frau, »und doch geben Sie es nur – denn die Prinzessin im Feenmährchen muß immer durch ihre Großmuth das Geschenk der wohlwollenden Fee verdienen, ehe sie durch ihren Schutz belohnt wird.«

»Nehmt es – nehmt es – gebt mir meinen Krug,« sagte Alexia, »und geht – dort kommt einer von meines Vaters Dienern. – He! Josselin! – Josselin!«

Die alte Wahrsagerin ließ schnell etwas in den Krug fallen, als sie ihn Alexia zurückgab, dann brauchte sie ihre langen Beine und verschwand schnell im Dickigt.

Bevis wandte sich, zeigte einiges Verlangen, sich der Entfernung dieser verdächtigen Person zu widersetzen, doch lief er wie ungewiß auf Joliff zu, und wedelte mit dem Schwanze, als wolle er ihn erst um Rath fragen. Josselin beruhigte das Thier, und zu seiner jungen Herrin herankommend, fragte er sie erstaunt, was es gäbe, und was sie so erschreckt habe. Alexia machte nicht viel Wesens aus der Sache, und hätte auch wirklich keinen triftigen Grund ihrer Besorgniß angeben können; denn das Wesen der Frau war zwar dreist und zudringlich, aber gar nicht drohend. Sie sagte blos, sie habe eine Wahrsagerin bei Rosamundens Brunnen gefunden, und sie nicht gleich wieder los werden können.

»Seht doch die diebische Zigeunerin, wie sie's gleich roch, daß Lebensmittel in der Vorrathskammer sind! – Das Volk hat Nasen wie die Raben. Sehn Sie, Fräulein Alexia, und wenn Sie eine Meile in der Runde nicht einen Raben oder eine Aaskrähe am blauen Himmel sehen, sobald aber ein Schaf auf dem Anger fällt, so hören Sie gewiß, noch ehe das arme Thier ganz todt ist, ein Dutzend solcher Gäste krächzen, als wollten sie einander zum Schmause einladen – gerade so ist es mit diesen frechen Bettlern. Wo nichts zu geben ist, da sind ihrer Wenige genug, so wie aber ein Schinken im Topfe steckt, müssen sie ihren Antheil daran haben.«

»Ihr seyd so stolz auf Euern frischen Vorrath an Lebensmitteln,« sagte Alexia, »daß Ihr meint, Alle haben Absichten darauf. Ich glaube nicht, daß diese Frau sich Eurer Küche nahen wird, Josselin.«

»Es wird ihr auch so am Besten bekommen; denn ich möchte sie leicht zur Verdauung so ein Bischen kielholen – aber geben Sie mir den Krug, Fräulein Alexia – es schickt sich eher, daß ich ihn trage, als Sie, – Was ist das? Was klingelt denn auf dem Boden? Haben Sie Kieselsteine zugleich mit dem Wasser eingeschöpft?«

»Ich glaube, die Frau ließ Etwas in den Krug fallen,« sagte Alexia.

»Je, da müssen wir nachsehen; denn es wird doch wohl ein Zauberstückchen seyn, und wir haben schon Teufels-Waare genug um Woodstock, – Das Wasser wollen wir nicht sparen – ich kann ja zurücklaufen und den Krug wieder füllen.« Er goß das Wasser auf den Rasen, und auf dem Boden des Krugs fand sich ein goldner Ring mit einem Rubin, dem Anschein nach von einigem Werthe.

»Nun, wenn das nicht Zauberei ist, so weiß ich nicht, was es ist,« sagte Josselin, »Wahrhaftig, Fräulein Alexia, Sie thäten besser, das Ding wegzuwerfen. Solche Gaben und von solchen Händen sind eine Art von Handgeld, welche der Teufel braucht, um sein Hexenregiment anzuwerben, und wenn sie nur einer Bohne werth von ihm annehmen, so sind sie auf Lebenszeit seine Leibeigenen. – Ja, Sie gucken das glänzende Spielding an, morgen aber werden Sie einen bleiernen Ring und einen ganz gewöhnlichen Kieselstein an derselben Stelle finden.

»Nein, Josselin, ich glaube, es ist besser, die gelbbraune Frau aufzusuchen, und ihr das wieder zu geben, was von Werthe zu seyn scheint. Erkundige Dich also nach ihr, und gieb ihr ja ihren Ring wieder. Zum Wegwerfen scheint er mir zu theuer.«

»Hm! so machens die Weiber immer,« murmelte Josselin. »Auch die Allerbeste wird doch immer suchen ein Ding, das zum Putze gehört, zu erhalten. – Nun, Fräulein Alexia, Sie sind freilich noch zu jung und zu hübsch, um in ein Hexenregiment angeworben zu werden.«

»Das fürchte ich nicht, Du müßtest denn Teufelsbanner werden,« sagte Alexia; »geh nur schnell zum Brunnen, wo Du vermuthlich noch die Frau finden wirst, und sage ihr, Alexia Lee möchte eben so wenig ihre Geschenke, als ihre Gesellschaft.«

Hierauf setzte das junge Fräulein ihren Weg zu dem Jagdschlosse fort, indeß Josselin zu Rosamundens Brunnen hinunter ging, um ihren Auftrag zu verrichten. Aber die Wahrsagerin, oder wer sie sonst seyn mochte, war nirgends zu finden, auch gab sich Josselin, da er sie nicht gewahr wurde, nicht viel Mühe, ihr weiter nachzuspüren.

»Wenn dieser Ring,« sagte der Förster zu sich selbst, »den das Weibsbild gewiß irgendwo gestohlen hat, ein Paar Rosenobel werth ist, so ist er besser in ehrlichen Händen aufgehoben, als in den von Landstreichern. Mein Herr hat ein Recht auf alles verlorne und herrenlose Gut, und ein solcher Ring in den Händen einer Zigeunerin, kann gar nichts Anders seyn, ich will ihn also nur ohne Weiteres consisciren, und das, was ich dafür löse, in Sir Heinrichs Haushalte anwenden, wo es ärmlich genug zugehen wird. Dem Himmel sey Dank, meine militärische Erfahrung hat mir doch gezeigt, wie man's machen muß, um Haken an den Fingern zu bekommen – das ist so Soldatengesetz. Aber hol's der Henker, bei dem Allen thät ich doch wohl besser, ich trüge ihn zu Mark Everard, und fragte den um Rath – der ist jetzt unser gelehrter Rathgeber, wo es Fräulein Alexias Angelegenheiten betrifft, und mein gelehrter Doctor, den ich nicht nennen will, in dem, was die Kirche, den Staat und Sir Heinrich Lee angeht. – Und dann will ich ihnen erlauben, meine Eingeweide den Geiern und Raben preis zu geben, wenn sie finden, daß ich mein Vertrauen einem Unrechten geschenkt habe.«


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