Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Schön, jung und treu? – Nun, ist das wahr,
So wär's ein Wunder offenbar.

Waller.

Rose, von Natur eines der liebevollsten und uneigennützigsten Geschöpfe, die je athmeten, war die erste, welche schnell die eigenthümliche Lage ihrer Gebieterin und die ausgezeichnete Zurückhaltung überlegte, die bisher ihr Verhältniß zu ihrem jungen Vormunde charakterisirt hatte. Sie sann ängstlich nach, was man denn mit dem jungen, verwundeten Ritter anfangen werde, und gleichwohl fehlte es ihr an Entschlossenheit, ihrer Gebieterin, die ihr zur Seite ritt, diese Frage vorzulegen.

Evelinens Aeußeres war in der That so beschaffen, daß es beinahe Grausamkeit gewesen wäre, die Sorgen, die noch vor kurzem ihren Geist betäubend niederdrückten und noch auf ihr lasteten, durch einen neuen Gegenstand zu vermehren. Auf ihrem Gesichte, bleich wie der Tod, zeigten sich hin und wieder Blutflecken. Ihr Schleier war zerrissen und mit Staub und geronnenem Blute bedeckt; das wild aufgelöste Haar flatterte in verwirrten Locken um Stirn und Schultern und eine einzige zerknickte und zerraufte Feder war alles, was von ihrem Kopfputz übrig geblieben war. Sie hatte sich in ihre Flechten verwickelt und flatterte darin eher zum Spotte, als zum Putze. Ihre Augen waren auf den Tragsessel gerichtet, auf welchem Damian lag und sie ritt dicht an seiner Seite, wie es schien an nichts anderes, als an die Gefahr des Jünglings denkend.

Rose sah deutlich, die Gefühle ihrer Gebieterin waren so aufgeregt, daß es ihr schwer werden mußte, eine kluge und verständige Ansicht von ihrer eigenen Lage zu gewinnen. Sie versuchte allmälig ihre Aufmerksamkeit darauf zu lenken.

»Theuerste Lady,« sagte Rose, »wär' es Euch gefällig, meinen Mantel umzunehmen?«

»Quäle mich nicht!« antwortete Eveline, mit halb unmuthigem Tone.

»In der That, Mylady,« sagte Frau Gillian, sich brüstend, als fürchte sie, sich in ihren Rechten als Kammerfrau beeinträchtigt zu sehen, »Rose Flammock hat Recht. Weder Euer Mieder, noch Euer Kleid sitzen so, wie sie sollten, ja, wenn man die Wahrheit sagen soll, kaum anständig. Wenn Rose also etwas bei Seite reiten will, daß ich Euch nahen kann, so will ich Euren Anzug mit ein Paar Nadeln besser in Ordnung bringen, als es irgend eine Flamänderin in einem halben Tage vermöchte.«

»Ich kümmere mich nicht um meine Kleidung!« erwiederte Eveline in einem ähnlichen Tone, wie früherhin.

»So kümmert Euch um Eure Ehre– um Euren Ruf!« flüsterte Rose, welche dicht an ihre Gebieterin heranritt, ihr in's Ohr. »Ueberlegt, und zwar schnell, wohin Ihr den Verwundeten schaffen lassen wollt.«

»Nach dem Schlosse,« versetzte Eveline mit lauter Stimme, als ob sie jeden Schein der Heimlichkeit verachte.

»Warum nicht lieber nach seinem eigenen Lager oder nach Malpas?« sagte Rose. »Glaubt mir, theuerste Lady, das wird am besten seyn.«

»Warum nicht? Weshalb nicht? Warum sollten wir ihn nicht lieber gar hier am Wege liegen lassen, den Messern der Walliser und den Zähnen der Wölfe preisgegeben? Ein – zwei – drei Male hat er mich gerettet. Wohin ich gehe, soll er mich begleiten, und nicht einen Augenblick früher will ich selbst in Sicherheit seyn, als bis ich ihn vollkommen sicher weiß.«

Rose sah ein, daß ihre Vorstellungen vergeblich wären, ja, ihre eigene Ueberlegung sagte ihr, daß das Leben des Verwundeten durch ein längeres Fortschaffe, als schlechterdings nothwendig war, leicht gefährdet werden konnte. Ein Mittel fiel ihr ein, durch welches sie diesen Einwurf zu entkräften glaubte; doch hielt sie es für nöthig, deshalb ihren Vater zu befragen. Sie berührte ihren Zelter mit der Reitgerte und in einem Augenblicke befand sich ihre kleine aber schöne Gestalt, und ihr munteres kleines Pferd dem riesenhaften Flamänder und seinem großen schwarzen Streitrosse zur Seite, gleichsam eingehüllt in ihren weiten Schatten.

»Mein theuerster Vater»« sagte Rose, »die Lady wünscht, daß Sir Damian nach dem Schlosse gebracht werden soll, wo er dann wahrscheinlicher Weise lange verweilen muß. Was denkt Ihr davon? Ist das ein heilsamer Einfall?«

»Für den Jüngling offenbar, Röschen,« antwortete der Flamänder, »denn er wird um so leichter der Gefahr des Wundfiebers entgehen.«

»Ganz gut; aber ist's auch ein kluger Einfall hinsichtlich meiner Gebieterin?« fuhr Rose fort.

»Klug genug, wenn sie anders klug handelt. Doch weshalb solltest zu daran zweifeln, Röschen?«

»Ich weiß nicht,« sagte Rose, die selbst gegen ihren Vater nur ungern die Zweifel und Besorgnisse blicken ließ, die sie insgeheim hegte; »wo es böse Zungen gibt, da pflegts an Verläumdung nicht zu fehlen. Sir Damian und meine Lady sind beide sehr jung. – Mich dünkt, es wäre besser, lieber Vater, Ihr selbst bötet dem verwundeten Ritter ein Obdach an in Eurem Hause, statt daß er nach dem Schlosse gebracht wird.«

»Das werde ich wohl bleiben lassen, Mädchen, wenn ich es anders vermeiden kann,« entgegnete der Flamänder heftig. »Weder ein Normanne, noch ein Engländer soll mir die friedliche Schwelle meines Hauses betreten, um über meine einfache Einrichtung zu spotten und mein Hab und Gut anfzuzehren. Du kennst diese Leute nicht, weil Du immer bei Deiner Gebieterin bist und ihre Gunst genießest; ich aber kenne sie nur zu gut, und ihre freundlichsten Aeußerungen waren stets: Fauler Flamänder, gieriger Flamänder, flämischer Dummkopf, und – Dank sey's den Heiligen, daß sie seit des Wallisers Gwenwyns Ueberfalle mich nicht mehr Flandrische Memme nennen können.«

»Stets habe ich Euch für zu gelassen gehalten, mein Vater, als daß Ihr auf diese niedrigen Verläumdungen achten solltet,« versetzte Rose. »Bedenkt, wir gehören zum Banner der Lady, die mir stets eine liebevolle Gebieterin, so wie ihr Vater Euch immer ein gnädiger Herr war. Dem Konstabel seyd Ihr obendrein für die Erweiterung Eurer Vorrechte zur Erkenntlichkeit verpflichtet. Schulden lassen sich durch Geld abtragen, aber Güte kann nur durch Güte belohnt werden, und ich bin überzeugt, daß sich Euch nie wieder eine solche Gelegenheit darbietet, dem Hause der Berengare und Lacy's etwas Gutes zu erweisen, als wenn Ihr dem verwundeten Ritter die Thüre Eurer Wohnung öffnet.«

»Die Thüre meiner Wohnung?« entgegnete der Flamänder. »Weiß ich denn, wie lange ich dies, oder irgend ein Haus auf Erden, das meinige nennen kann? Ach, meine Tochter! wir sind hieher geflüchtet, um der Wuth der Elemente zu entgehen; wer weiß, wie bald uns die Raserei der Menschen den Untergang bereitet?«

»Ihr sprecht in Räthseln, mein Vater»« sagte Rose. »Es stimmt durchaus nicht überein mit Eurer sonstigen Klugheit und Besonnenheit, aus dem kecken und gewagten Unternehmen eines Walliser Geächteten, auf ein so allgemeines Unheil zu schließen.«

»Ich meine nicht den einäugigen Räuber,« sagte Wilkin, »wiewohl die gesteigerte Frechheit solcher Buben, wie David, kein gutes Zeichen für die Ruhe eines Landes ist. Du aber, die Du in jenen festen Mauern lebst, vernimmst nur wenig, was in der übrigen Welt vorgeht, und Deine Lage ist minder sorgenvoll. Auch hättest Du diese Dinge nicht von mir erfahren, wenn ich es nicht für nöthig befunden hätte, mich in ein anderes Land zu begeben.«

»Wie? Ihr wolltet das Land verlassen, theuerster Vater, wo Euer Fleiß und Eure Sparsamkeit Euch eine anständige Lage verschaffte?«

»Und wo der Hunger lasterhafter Faullenzer, die mich um den Ertrag meiner Arbeit beneiden, mir leicht einen unehrenvollen Tod bereiten kann. Unter dem englischen Pöbel sind in mehr als einer Grafschaft Unruhen ausgebrochen, und die Wuth der Empörer richtet sich auf uns, als wären wir Juden oder Heiden; und gleichwohl sind wir viel bessere Christen und Menschen, als sie. Zu York, zu Bristol und an anderen Orten haben sie die Wohnungen der Flamänder geplündert, ihr Eigenthum verheert, ihre Familien gemißhandelt, und sie selbst ermordet. Und weshalb? – Weil wir unter ihnen Fleiß und Betriebsamkeit verbreiteten, die sie früher nicht kannten, und weil ein Wohlstand, den sie ohne uns nie in Britannien erblickt haben würden, unsere Kunst und Mühe belohnte. Röschen, dieser böse Geist verbreitet sich von Tag zu Tag mehr. Hier sind wir zwar sicherer, als sonst irgendwo, da wir eine ziemlich zahlreiche und starke Kolonie ausmachen. Aber ich traue unseren Nachbarn nicht, und wärst Du nicht in Sicherheit gewesen, Rose, längst hätte ich Alles hier aufgegeben und Britannien verlassen.«

Alles aufgegeben und Britannien verlassen! Diese Worte klangen wunderbar dem Ohre seiner Tochter, die besser als irgend Jemand wußte, mit welchem Erfolge der Fleiß ihres Vaters gekrönt worden war, und wie wenig es mit seinem festen, gesetzten Charakter übereinstimmte, schon errungene, gegenwärtige Vortheile, aus Besorgniß einer entfernten möglichen Gefahr aufzugeben. Endlich erwiederte sie: »Droht diese Gefahr wirklich, mein Vater, so dünkt mirs, daß für Euer Haus und Besitzthum kein besserer Schutz zu hoffen ist, als die Gegenwart dieses edlen Ritters. Wer wird Gewaltthätigkeiten begehen gegen ein Haus, welches Damian von Lacy zum Asyl diente.«

»Das weiß ich doch nicht,« sagte der Flamänder, in demselben ruhigen, doch zweifelhaften Tone. »Der Himmel vergebe mirs, wenns eine Sünde ist, aber ich sehe wenig Gutes aus diesen Kreuzzügen hervorgehen, welche die Priester mit so vielem Erfolge gepredigt haben. Der Konstabel ist nun fast drei Jahre abwesend, und man hat keine sichere Nachricht von seinem Leben oder Tode, von seinen Siegen oder seiner Niederlage. Er zog von hier fort, als sey er Willens, nicht eher den Zügel fahren zu lassen oder das Schwert in die Scheide zu stecken, als bis das heilige Grab den Saracenen entrissen sey, und gleichwohl bleiben wir in Ungewißheit, ob ihnen der kleinste Flecken genommen worden ist. Unterdeß werden die zurückgebliebenen Unterthanen mißvergnügt: die Gebieter mit ihren besten Kriegern sind in Palästina, kaum weiß man, ob noch am Leben oder todt. Haushofmeister und Beauftragte drücken indeß die Vasallen, und ihr Joch ist weder so leicht, noch wird es so geduldig getragen, als das des wirklichen Gebieters. Der gemeine Mann, natürlich von Haß erfüllt gegen den Adel und die Ritter, findet es gar nicht übel, seine Macht gegen diese zu vermehren. – Ei! und da gibt es einige Adliche, die gar nicht Lust haben, jene zurückzuhalten, damit sie selbst Theil an der Beute nehmen können: denn Viele sind durch auswärtige Züge und ein verschwenderisches Leben verarmt, und tragen kein Bedenken, für Geld den eigenen Vater umzubringen. Ich hasse die Armen und wollte, daß Jeder, der sich nicht durch seiner Hände Arbeit ernähren könnte, spornstreichs zum Teufel führe!«

Mit diesem charakteristischen Fluche schloß der Flamänder eine Rede, welche Rosen den Zustand Englands in einem viel bedenklicheren Lichte erblicken ließ, als sie bisher, eingeschlossen in den Ringmauern von Garde Doloureuse, es sich hatte denken können. »Offenbar,« sagte sie, »brauchen die, welche von Berengars und Lacy's Banner beschützt werden, die Gewaltthätigkeiten, von denen Ihr sprecht, nicht zu fürchten.«

»Nur der Name Berengar lebt noch fort,« entgegnete Wilkin Flammock, »und Damian, wenn auch ein tapferer Jüngling, besitzt nicht seines Oheims gebieterischen Charakter und Einfluß. Auch beklagen sich seine Reisigen, daß man sie plage, ein Schloß zu bewachen, welches an und für sich nicht einzunehmen und von einer hinlänglichen Garnison besetzt ist, und daß sie die Gelegenheit zu ehrenvolleren Unternehmungen – das heißt zu Kampf und Plünderung – verlieren, indem sie diese unthätige, ruhmlose Lebensweise führen. ›Der bartlose Damian,‹ sagen sie, ›sey ein Mann gewesen; der bärtige Damian sey nichts als ein Weib, und das Alter, welches seine Oberlippe umdunkle, habe zugleich seinen Muth gebleicht.‹ Und sie sagen noch mehr, was zu wiederholen langweilig wäre.«

»Laßt mich gleichwohl wissen, was sie sagen,« antwortete Rose; »laßt michs wissen um des Himmels willen, wenn es meine theure Lady betrifft, die es nothwendig betreffen muß.«

»Eben sie betrifft es, Röschen,« entgegnete Wilkin. »So manche dieser normännischen Reisigen erzählen sich beim Weinkruge, dieser Damian von Lacy habe mit der verlobten Braut seines Oheims einen Liebeshandel; ja, sie stünden durch Zauberkünste mit einander in Verbindung.«

»Es möchte allerdings durch Zauberkünste seyn,« sagte Rose verächtlich, »denn durch irdische Mittel stehen sie durchaus in keiner Verbindung, wie ich, Ein Zeuge wenigstens, es beweisen kann.«

»Zauberkünsten schreiben sie es allerdings zu,« fuhr Wilkin Flammock fort, »daß, sobald Mylady die Schwelle ihres Schlosses überschreitet, Damian von Lacy mit einem Theile seiner Reiterei auch schon zu Pferde sitzt, wiewohl sie mit Bestimmtheit wissen, daß er weder durch Boten oder Briefe, noch auf irgend eine gewöhnliche Art, Nachricht davon erhielt. Aber niemals hätten sie in solchen Fällen sehr lange die Bergpässe durchzogen, ohne Lady Evelinens Zug zu erblicken, oder wenigstens Nachricht zu empfangen, daß sie sich außerhalb der Burg befinde.«

»Das ist mir nicht entgangen,« sagte Rose, »und Mylady drückte sogar ihren Unmuth darüber aus, daß Damian so genaue Nachricht über ihr Vorhaben einzuziehen wisse, und sie mit einer so außerordentlichen Pünktlichkeit und mit so unermüdlichem Diensteifer bewache. Der heutige Tag,« fuhr sie fort, »hat indeß gezeigt, daß seine Wachsamkeit wohl von Nutzen war. Da sie aber selbst bei jenen seltenen Spazierritten selten mit einander in Berührung kamen, sondern stets gegenseitig in großer Entfernung blieben, so dünkt mich, hätten sie dem Tadel, selbst der aller Argwöhnischsten, entgehen müssen.«

»Ei, Röschen,« erwiederte Wilkin, »man treibt mitunter die Vorsicht so weit, daß dadurch der Argwohn rege wird. Weshalb, fragen die Reisigen, beobachten sie gegenseitig ein so ununterbrochenes und doch stets peinliches Verhältniß? Warum treffen sie denn nie zusammen, da sie doch einander so nah sind? Wären sie sich gegenseitig nichts mehr, als der Neffe und die Braut des Oheims, so würden sie ohne Bedenken öffentlich mit einander umgegangen seyn. Sind sie aber zwei geheime Liebende, so hat man Grund genug, zu glauben, daß geheime Zusammenkünfte zwischen ihnen Statt finden, so schlau sie es auch zu verbergen wissen.«

»Jedes Eurer Worte, mein Vater, steigert die unumgängliche Nothwendigkeit, diesen verwundeten Jüngling in Eure Wohnung aufzunehmen. So groß auch die Uebel, die Ihr fürchtet, seyn mögen, so könnt Ihr Euch darauf verlassen, daß sie nicht vermehrt werden, wenn Ihr ihm und einem Paar von seinen treuesten Gefährten Obdach gewährt.«

»Nicht einem einzigen!« rief der Flamänder heftig; »nicht einem gemästeten Schurken unter ihnen, außer dem Pagen, der ihn pflegen, und dem Arzte, der ihn heilen soll.«

»So darf ich wenigstens diesen Dreien Euer Haus als Obdach anbieten?«

»Thu, was Du willst,« rief der in sie vernarrte Vater, »thue, was Du willst! Bei meiner Treue, Röschen, es ist gut, daß Du verständige und bescheidene Forderungen machst, da ich sie nun einmal aus thörichter Nachgiebigkeit schnell bewillige. Das ist wieder so eine Deiner Grillen von Ehre und Großmuth, die Du mir als Vorsicht und Rechtlichkeit aufstellst. – Ach, Rose, Rose! die, welche mehr thun wollen, als das Gute, bringen zuweilen etwas hervor, was übler ist, als das Böse! – Aber ich denke diesmal mit der bloßen Furcht davon zu kommen; denn Deine Gebieterin, die – mit aller Ehrerbietung sey es gesagt! – so etwas von einem irrenden Fräulein Im englischen Original »damsel errant«, also »ein fahrendes (herumziehendes) Burgfräulein«. hat, wird kräftig auf das ritterliche Vorrecht halten, ihren Ritter in ihrem Hause aufzunehmen, und ihm in Person aufzuwarten.«

Der Flamänder hatte richtig prophezeiht. Rose hatte kaum Evelinen den Vorschlag gethan, den verwundeten Damian in ihres Vaters Hause seine Genesung erwarten zu lassen, als ihre Gebieterin kurz und entschieden das Anerbieten ablehnte.

»Er war mein Retter,« sagte sie, »und gibt es irgend Jemand, für den die Thore von Garde Doloureuse sich freiwillig öffnen sollten, so ist es Damian von Lacy. – Nein, Mädchen, nicht diesen argwöhnischen, kummervollen Blick! Diejenigen, welche über Heuchelei erhaben sind, verachten den Argwohn. Gott und Unsere Frau, sie sind es, denen ich Rechenschaft schuldig bin, und offen liegt vor ihnen meine Seele!«

Sie kamen schweigend an das Schloßthor, wo Lady Eveline Befehl ertheilte, daß ihr Vormund, wie sie Damian mit Nachdruck nannte, ihres Vaters Zimmer bewohnen sollte. Mit der Umsicht eines gereifteren Alters erließ sie die nöthigen Anordnungen zur Aufnahme und Bequemlichkeit seiner Begleiter, und traf alle Anstalten, die ein solcher Zuwachs an Gästen in der Burg nöthig machte. Sie verrichtete alles dies mit der größten Fassung und Geistesgegenwart selbst, ehe sie ihre unordentliche Kleidung wechselte oder ordnete.

Noch ein Schritt blieb ihr zu thun übrig. Sie eilte in die Kapelle der Jungfrau, und vor ihrer himmlischen Beschützerin niederknieend, brachte sie ihr Dank dar für ihre, abermalige Rettung, und flehte um ihren Schutz und ihre Leitung, und durch ihre Fürsprache um den Beistand des Allmächtigen, nach seinem Willen ihre Handlungen zu lenken.

»Du weißt,« rief sie, »daß ich mich nicht im Vertrauen auf meine eigene Kraft in Gefahr gestürzt habe. O, mache mich stark in Augenblicken, wo ich am schwächsten bin! Möge meine Dankbarkeit und mein Mitleid mir keine Falle legen, und während ich bemüht bin, die Pflichten zu erfüllen, die mir der Dank auferlegt, beschütze mich vor dem bösen Leumund der Menschen. Rette – o, rette mich vor den trügerischen Eingebungen des eigenen Herzens!«

Sie betete jetzt mit andächtigem Eifer ihren Rosenkranz ab und begab sich dann nach ihrem Zimmer, dort ihren Frauen gebietend, ihren Anzug zu ordnen, und die äußeren Spuren der Gewaltthätigkeiten zu entfernen, die sie so eben erlitten hatte.



 << zurück weiter >>