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Einleitung.

AUSZÜGE

aus den Verhandlungen einer Sitzung der allgemeinen Versammlung der Participienten, welche die Errichtung eines Actien-Vereins bezwecken zum Entwurfe und zur Bekanntmachung der Classe von Werken, welche den Namen WAVERLEY-NOVELLEN führen.

Gehalten in der Waterloo-Schenke
an der Regentenbrücke.

Edinburg, den 1. Juni 1825.

(Der Leser wird bemerkt haben, daß die verschiedenen Berichte über die in dieser Versammlung stattgehabten Verhandlungen in öffentlichen Blättern mit noch geringerer Genauigkeit, als gewöhnlich, mitgetheilt worden sind. Der Grund hiervon war kein unzeitiges Zartgefühl von Seiten der Journalisten, die sich da, wo sich nur irgend ein Paar vereinigen, stets das Vorrecht der Allgegenwart anmaßen, und auch die geheimsten Beratungen, die hier und da Statt finden mögen, durch den Druck öffentlich bekannt machen. Allein man nahm bei der jetzigen Gelegenheit zu sehr ungewöhnlichen und eigenmächtigen Maßregeln seine Zuflucht, um die Berichterstatter an der Ausübung eines Rechts zu hindern, welches ihnen beinahe von allen Versammlungen, gleichviel ob ein politischer Zweck oder eine Handelsspeculation sie zusammenführt, unbedingt eingeräumt zu werden pflegt. Unser eigener Berichterstatter war in der That kühn genug, sich unter dem Tische des Secretärs zu verbergen, wo er nicht eher entdeckt ward, als bis die Beratung beinahe zu Ende war. Mit Schmerz müssen wir bekennen, daß er viel von Faustschlägen und Fußtritten leiden mußte, ja, daß zwei oder drei Blätter seinem Notizenbuche gewaltsam entrissen wurden, wodurch er sich genötigt sah, seinen Bericht so kurz abzubrechen. Wir finden dies Benehmen höchst unliberal, besonders von Männern, die selbst in genauer Berührung mit der Presse stehn, besonders, wenn man die häufigen, äußerst langweiligen Ankündigungen erwägt, die sie selbst in die Flugschriften einrücken. So haben sie daher noch von Glück zu sagen, daß der gemißhandelte Berichterstatter keine andre Rache nahm, als die Schärfe, womit er seine Schilderung ihrer Verhandlungen gewürzt hat. – Edinburger Zeitung.)


Da eine Versammlung der Gentlemen und anderer Theilnehmer an den berühmten Schriften, unter dem Namen der WAVERLEY-NOVELLEN, durch öffentliche Ankündigungen zusammenberufen war, so schlossen sich mehrere ausgezeichnete Gelehrte derselben an. Man kam zuerst darin überein, daß einigen Individuen die Namen ertheilt werden sollten, welche die in Frage stehenden Ankündigungen ihnen beilegten, und so ward Eidolon Im englischen Original lautet die Stelle: » the Eidolon, or image of the author«. einstimmig zum Vorsitzer ernannt, und Jonathan Oldbuck Figur aus dem Roman »Der Antiquar« von Walter Scott., Esq. von Monkbarns, zum Secretär erwählt.

Der Vorsitzer redete nun die Versammlung folgendermaßen an:

»Gentlemen!

Ich habe kaum nöthig, Sie zu erinnern, daß wir ein gemeinsames Interesse haben an dem schätzenswerthen Eigenthume, das sich unter unsrer gemeinschaftlichen Thätigkeit bedeutend vermehrt hat. Während das Publicum sich thöricht Mühe gab, diesem oder jenem Individuum die ungeheure Masse des verschiedenartigsten Stoffs beizuschreiben, der sich durch die Arbeiten so Vieler anhäufte, wissen Sie, meine Herren, recht gut, daß Jeder in dieser zahlreichen Versammlung bereits seinen Theil der Ehre und des Vortheils erhielt, den der gemeinsame Erfolg abwarf. Es ist mir in der That unerklärlich, wie der Scharfsinnige vermuthen konnte, eine so ungeheure Masse von Sinn und Unsinn, Scherz und Ernst, Humor und Pathos, von Gutem, Schlechtem und Unbedeutendem, das zu einer solchen Zahl von Bänden sich anhäufte – wie dies, sag' ich, das Werk Einer Hand seyn könne, da wir doch die Ansicht kennen, welche der unsterbliche Adam Smith über die Eintheilung der Arbeit so geistreich ausgesprochen hat. Fällt es denn denen, die eine so sonderbare Meinung hegen, nur gar nicht ein, daß die Hände von zwanzig Menschen zur Verfertigung einer kleinen Nadel, daß zwanzig Hunde nöthig sind, um ein so unbedeutendes Thier, als ein Fuchs ist, zu tödten?«

»Halt, Freund!« rief ein stämmiger Landmann; »ich hab' ein Windspiel zu Hause, das Euch den tüchtigsten Fuchs in Pomaragaires überwältigt, eh' Ihr das Wort: Kloß, aussprechen könnt.«

»Wer ist der Mann?« fragte der Vorsitzer, etwas hitzig, wie es uns schien.

»Ein Sohn Dandie Dinmonts Figur aus dem Roman »Guy Mannering« von Walter Scott., antwortete der Unerschrockene Landmann. »Mein Gott, ich dächte, Ihr müßtet Euch seiner erinnern. Einer der Besten unter Euch, dafür steh' ich. Und, wie ihr seht, bin ich in den Pacht eingetreten, und kann vielleicht noch etwas mehr seyn – hab' auch einigen Theil an diesem Euren Buchhandel.«

»Gut,« erwiederte der Vorsitzer, »gut! Ich bitte recht sehr, ruhig zu seyn. – Gentleman! Als ich unterbrochen ward, wollt' ich so eben den Zweck dieser Zusammenkunft eröffnen, der, wie den Meisten unter Ihnen bekannt ist, die Berathung über einen Vorschlag betrifft, der bereits auf Ihrem Tische liegt, und den ich selbst die Ehre hatte, Ihnen bei der letzten Versammlung zu präsentiren. Wir wollen uns nämlich an die Regierung wenden, und eine Parlamentsacte auswirken, die uns vergönnt, uns zu einem Corpus zu vereinen und uns eine persona standi in judicio bewilligt, mit Vollmacht versehen, diejenigen gerichtlich zu belangen und zu bestrafen, die sich Eingriffe erlauben in die uns anerkannten Vorrechte und in die Form und Ausstattung unserer Werke. In einem Briefe, den ich von dem erfindungsreichen Dousterswivel Wie in Anm. 2. erhielt –

»Ich protestire gegen jede Berufung auf diesen Schwindler,« rief Oldbuck heftig. »Er ist ein ganz gemeiner Betrüger.«

»Schämen Sie sich, Herr Oldbuck,« sagte der Vorsitzer, »daß Sie sich solcher Ausdrücke bedienen gegen den scharfsinnigen Erfinder der großen Patent-Maschine, die zu Groningen errichtet ward, wo man den rohen Hanf auf der einen Seite hineinthut, und auf der andern das sauber gekrauste Hemd herausnimmt, ohne der Hechel, Spule, des Weberstuhls, Weberschiffe, des Webers selbst, der Scheere, Nadel oder Nähterin zu bedürfen. Er geht so eben damit um, dies Meisterstück durch einen neuen Zusatz zu vervollkommnen, der die Wäscherin entbehrlich macht. Aber als die Maschine vor Sr. Herrlichkeit, dem Burgemeister, probirt ward, hatte sie die Unbequemlichkeit, daß die Platteisen zu glühend wurden. Außerdem gelang das Experiment zu völliger Zufriedenheit. Er wird dabei reich werden, wie ein Jude!«

»Gut, rief Oldbuck, »wenn der Schurke –«

»Schurke, Herr Oldbuck!« unterbrach ihn der Vorsitzer, »das ist ein höchst ungeziemender Ausdruck, und ich muß Sie zur Ordnung verweisen. Herr Dousterswivel ist nur ein excentrisches Genie.«

»Das ist im Griechischen ziemlich eins und dasselbe,« brummte Oldbuck vor sich hin. Wenn nun aber,« fügte er laut hinzu, »dies excentrische Genie genug zu thun hat, mit dem Versengen der Holländischen Leinewand, was zum Teufel hat es denn hier zu schaffen?«

»Je nun, er ist der Meinung, daß mit Hülfe eines kleinen Mechanismus ein Theil der Arbeit bei der Dichtung dieser Novellen durch Benutzung des Dampfs zu ersparen sey.«

Ein Murmeln der Mißbilligung ließ sich bei diesem Vorschlage hören, und die Worte: »Fort damit!« und: »Das heißt uns das Brod vor dem Munde wegnehmen!« und wieder: »Eben so gut könnten sie einen Pfarrer aus Dampf schaffen!« wurden von einem Ohre zum andern geflüstert. Erst nach wiederholten Ermahnungen zur Ordnung, fand der Vorsitzer Gelegenheit zur Fortsetzung seiner Anrede.

»Ruhe! Ordnung! Achtung für den Stuhl, bitt ich! Hört, hört den Vorsitzer!«

»Gentlemen! Ich muß nothwendig voraus schicken, daß solch eine mechanische Wirkung nur auf die Theile der Erzählung anwendbar seyn kann, die aus Gemeinplätzen zu bestehen pflegen, wie z. Â, die Liebesreden des Helden, die Schilderung der Heldin, die moralischen Bemerkungen aller Art, und die Vertheilung der Gaben des Glücks am Schlusse des Werks. Herr Dousterswivel hat mir einige Zeichnungen geschickt, aus denen man deutlich sieht, daß, wenn man die für diese Gegenstände gewählten Wörter und Redensarten in eine Art von Rahmen, faßt, ähnlich dem des Weisen von Laputa, und sie unter einander ihren Platz verwechseln läßt, durch einen ähnlichen mechanischen Proceß, wie der Damastweber ihn zur Veränderung seiner Muster anwendet, alsdann nothwendig viele neue und glückliche Combinationen entstehen, indeß der Verfasser, von der Anstrengung seines Gehirne ermüdet, eine angenehme Erholung in dem blos mechanischen Gebrauche seiner Finger finden kann.«

»Ich spreche, um mich belehren zu lassen, Herr Präses,« sagte Se. Wohlwürden, Herr Laurence Tempelton Laurence Templeton ist das Pseudonym, das Scott in seinem »Widmungsbrief« des Romans »Ivanhoe« verwendet.; »aber ich bin nicht abgeneigt, den vor kurzem erschienenen Roman Walladmor Unter dem Titel »Walladmor« hatte der deutsche Schriftsteller Willibald Alexis 1824 einen Roman »Frei nach dem Englischen des Walter Scott«, wie es im Untertitel heißt, veröffentlicht, der allerdings komplett aus Alexis' Feder stammte. für das Werk Dousterswivels, durch Hülfe der Dampfmaschine, zu halten.«

»Schämen Sie lieh, Herr Templeton,« entgegnete der Vorsitzer. »Ich versichere Sie, es wäre manches Gute im Walladmor enthalten, wenn der Verfasser nur im Geringsten die Gegend gekannt hatte, wohin er die Scene verlegt hat.«

»Oder, wenn er so viel Verstand gehabt hätte, wie Einige unter uns, und hätte die Scene in einer so entfernten oder entlegenen Gegend spielen lassen, daß Niemand hätte genau dahinter kommen können,« rief Herr Oldbuck.

»Je nun, was das anlangt,« sagte der Vorsitzer, »so müssen Sie erwägen, daß das Ding für den Deutschen Markt producirt ward, wo die Leute nicht mehr von den Walliser Sitten, als von dem Walliser Crw Ein Getränk der alten Britten. – A. d. Uebers. wissen.«

»Ich bete zu Gott, daß dies nicht auch der Fehler unsres neuesten Products seyn möge,« versetzte Dr. Dryasdust Dryasdust war eine fiktive literarische Autorität, die Sir Walter Scott zitierte, um Hintergrundinformationen in seinen Romanen zu beglaubigen., indem er auf einige Bücher hinwies, welche auf dem Tische lagen.

»Ich fürchte, die Sitten, welche in unseren Verlobten geschildert werden, dürften kaum auf den Beifall der Cymerier rechnen. Man hätte Llhuyd nachschlagen, Powel vergleichen, Lewis's Geschichte, und vorzüglich ihre Einleitung, zu Rathe ziehen sollen, um dem Werke das gehörige Gewicht zu geben.«

»Gewicht?« sagte Capitän Clutterbuck Eines der Pseudonyme, unter denen Scott vor 1827 seine »Waverly«-Romane veröffentlicht hatte; »Das Kloster« z. B, ist fiktiv von Capitän Clutterbuck herausgegeben.; »bei meiner Seele, Doctor, es ist ohnehin schon schwer genug.«

»Wenden Sie sich an den Rednerstuhl!« sagte der Vorsitzer halb mürrisch.

»So richte ich mich denn an den Rednerstuhl!« rief Capitän Clutterbuck, »und erkläre, daß die Verlobten schwer genug und, um den Stuhl Johann von Gaunts, oder selbst den des Cador Edris, niederzudrücken. Ich muß indeß, nach meiner geringen Einsicht, hinzufügen, daß der Talisman Der zweite Roman der Gruppe »Erzählungen der Kreuzfahrer« (1825). leichter gehalten ist.

»Es ziemt sich nicht für mich, etwas darüber zu sagen, versetzte der würdige Pfarrer von St. Ronans Scotts Roman »St. Ronans Brunnen« (1824). »allein ich muß gestehen, daß, da ich mich so lange schon mit der Belagerung von Ptolemais Belagerung von Akkon (28. August 1189 bis 12. Juli 1191), das wichtigste Ereignis des Dritten Kreuzzuges. Ptolemais ist der antike Name des Ortes. beschäftigt habe, mein Werk, so geringfügig es auch seyn mag, wenigstens früher hätte erscheinen sollen, als ein andres, über einen ähnlichen Gegenstand.«

»Ihre Belagerung, Pastor?« sagte Oldbuck sehr verächtlich. »Wie können Sie nur von Ihrem armseligen prosaischen Machwerk in Gegenwart eines Mannes sprechen, dessen großes historisches Gedicht in zwanzig Gesängen, mit gehörigen Noten versehen, ad Graecas Calendas, D. h. bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. vertagt worden ist?«

Der Vorsitzer, der während dieses Streits nicht wenig zu leiden schien, sprach jetzt mit vieler Würde und Bestimmtheit: »Gentlemen! Diese Art der Erörterung ist gänzlich außer der Ordnung. Es liegt ihnen die Beantwortung einer Frage ob, und hierauf muß ich Ihre Aufmerksamkeit beschränken. Erinnern Sie sich, Gentlemen, daß die Priorität der Bekanntmachung eines Werks stets dem kritischen Ausschusse übertragen worden ist, nach dessen Entscheidung keine Appellation mehr Statt finden darf. Ich erkläre, daß ich den Rednerstuhl verlasse, wenn noch mehr dergleichen fremdartige Dinge zur Sprache kommen. – Jetzt also, Gentlemen, da wir wieder zur Ordnung, zurückgekehrt sind, wär' es mein Wunsch, daß Einer von Ihnen die Frage erörtern möchte, ob wir, die wir uns verbunden haben, auf gemeinschaftliche Kosten einen Handel mit erdichteten Erzählungen zu treiben, nicht durch eine Parlamentsacte zu einer eigenen Innung erklärt werden sollten. Was sagen Sie zu diesem Vorschlage, meine Herren? Vis unita fortior, ist ein altes, wahres Sprüchwort.«

» Societas mater discordiarum, ist ein eben so alter und richtiger Wahlspruch!« versetzte Oldbuck, der entschlossen zu seyn schien, bei dieser Gelegenheit keinen Vorschlag des Präses zu billigen.

»Monkbarns,« sagte der Vorsitzer mit schmeichelndem Tone, »Sie haben die klösterlichen Einrichtungen gründlich studirt, und wissen, daß eine Vereinigung von Personen und Talenten durchaus erforderlich ist, zu irgend einem achtungswerthen Unternehmen, um einen gewissen Einfluß auf den Zeitgeist zu gewinnen. Tres faciunt collegium – es bedarf dreier Mönche, um ein Kloster zu bilden.«

»Und neun Schneider, um einen Mann machen!« rief Oldbuck, nicht im Mindesten durch seine Vorstellung besänftigt. »Die eine Stelle paßt eben so wenig hieher, als die andere.«

»Nicht doch!« sagte der Vorsitzer; »Sie wissen wohl, der Prinz von Oranien sagte zu Mr. Seymour: ›Ohne Verbündete haben wir auf Sand gebaut!‹«

»Ich weiß wohl,« versetzte Oldbuck, »daß es sich besser geziemt hätte, wenn bei dieser Gelegenheit nichts von dem alten Sauerteige zum Vorschein gekommen wäre, wenn Sie gleich der Verfasser einer Jacobitischen Novelle sind. Mir ist nach 1688 nichts von dem Prinzen von Oranien bekannt; aber ich habe sehr viel von dem unsterblichen Wilhelm III. vernommen.«

»Und wenn ich mich recht besinne,« flüsterte Templeton Oldbuck in, »so war es Seymour, der jene Bemerkung gegen den Prinzen machte, und nicht dieser gegen Seymour. Aber das ist so ein Pröbchen von der Genauigkeit unsres Freundes! Der arme Mann! er verläßt sich gar an sehr auf sein Gedächtniß, das ihn in den letzten Jahren nur zu oft im Stiche ließ, ja, sich fast gänzlich verlor –«

»Und versank in bodenlose Tiefe,« fügte Oldbuck hinzu. »Denn was läßt sich von einem Manne erwarten, der gar zu sehr eingenommen ist für seine flüchtigen und leeren Dichtungen, um den beistand belesener und gründlich unterrichteter Leute anzunehmen!«

»Nicht geflüstert – keine Kabalen geschmiedet – keine Geheimnisse, Gentlemen!« sagte der unglückliche Vorsitzer, bei dem uns zum Theil ein Hochländischer Viehtreiber einfiel, der seine schwarze Heerde, wenn sie den richtigen Pfad verlassen, mit Mühe wieder dahin zurücktreibt.

»Ich habe bis jetzt,« fuhr er fort, »nicht eine einzige vernünftige Bemerkung gehört in Betreff der Parlamentsacte, deren Entwurf hier auf dem Tische liegt. Es kann Ihnen nicht entgangen seyn, daß in unsern Tagen die beiden Extreme der gebildeten und rohen Gesellschaft auf dem Punkte stehen, sich gegenseitig zu nähern. In der patriarchalischen Zeit ist Jeder sein eigener Weber, Schlächter, Schneider, Schuhmacher u. s. w.; in dem Zeitalter der Actien-Compagnien aber, wie man das jetzige nennen kann, läßt sich in gewissem Sinne behaupten, daß dieselben verschiedenartigen Gewerbe von Einem Individuum getrieben werden. In der That kann Jemand, der sich recht tief in alle diese Speculation einläßt, seine eigenen Ausgaben zur Vermehrung seines Einkommens benutzen, so wie die trefflich eingerichtete hydraulische Maschine, durch ihre Ausleerung wieder ihren Wasserbedarf herbei führt. Ein solcher Mann kauft sein Brod von seinem eignen Bäckerverein, Milch und Käse von der eignen Molken-Compagnie, schafft sich ein neues Kleid zum Vortheile seiner eignen Bekleidungs-Gesellschaft an, erleuchtet sein Haus zur Beförderung seiner Gas-Einrichtung, und trinkt ein Flasche mehr, als gewöhnlich, zum Vortheile der allgemeinen Weineinfuhr-Compagnie. Jede Handlung, die sonst bloße Verschwendung seyn würde, wird für einen solchen Mann durch den odor lucri angenehm, und zugleich Vernunft gemäß. Ist selbst der Preis irgend eines Artikels übermäßig, und seine Qualität gering, so wird der Mann, der gewissermaßen seine eigne Waare verkauft, nur in Betreff seines eignen Vortheils hintergangen. Ja, wenn die vereinte

Actien-Gesellschaft der Leichenbesorger sich mit der medicinischen Facultät verbinden will, wie es der verstorbene scherzhafte Doctor G** vorschlug, unter der Firma: »Der Tod und der Arzt,« so würden die Theilnehmer leicht ihren Erben ein artiges Sümmchen bei ihrem eignen Todtenbette und Begräbnißkosten zusichern können. Mit Einem Worte, Actien-Gesellschaften sind die herrschende Mode unsres jetzigen Zeitalters; und so würde auch unsere Incorporation, wie mich dünkt, besonders dazu dienlich seyn, in den Verein, dem ich vorzustehn die Ehre habe, wieder jenen Geist der Unterwürfigkeit einzuführen, der so unumgänglich nöthig ist zum Erfolge eines jeden Unternehmens, wo Klugheit, Talent und Betriebsamkeit zugleich wirken müssen. Leider muß ich bemerken, daß, abgesehen von den unter Ihnen selbst obwaltenden Streitigkeiten, ich auch seit einiger Zeit die persönlichen Rücksichten vernachlässigt sehe, zu denen mich die unter uns herrschenden Verhältnisse berechtigen.«

» Hinc illae lacrymae!« murmelte Herr Oldback vor sich hin.

»Allein, wie ich sehe,« fuhr der Redner fort, »sind einige der Herren dort ungeduldig, weil sie ihre Meinung ebenfalls auszusprechen wünschen, und ich mag gleichwohl Niemand im Wege seyn. Ich bitte deshalb – da mein Platz in dieser Versammlung mir verbietet, den Vorschlag selbst zur Sprache zu bringen – daß einige der anwesenden Gentlemen einen Ausschuß bilden möchten, um den Entwurf der auf dem Tische befindlichen Bill durchzusehen, die, wie billig, bei allen Interessenten circulirt hat, damit man alsdann die nöthigen Maßregeln treffen könne, sie am Morgen der nächsten Sitzung dem Hause vorzulegen.«

Ein kurzes Murmeln erhob sich in der Versammlung. Endlich stand Herr Oldbuck abermals auf. »Wie es scheint, Sir,« sagte er, »hat Niemand der Anwesenden Lust, den Antrag zu machen, auf den Sie hindeuten. Es thut mir leid, daß kein fähigerer Kopf es auf sich nimmt, Gründe dagegen vorzubringen, und daß es mir anheimgefallen ist, mich, wie die Schotten sagen, mit Ihnen herumzubeißen – eine Redensart, über die Pitscotti ein sehr artiges bon mot des großen Grafen von Angus anführt.«

Hier flüsterte ihm ein Gentleman zu: »Nehmen Sie sich vor Pitscotti in Acht!« und Oldbuck, den Wink beachtend, fuhr fort:

»Aber das gehört ganz und gar nicht hieher. – Wohlan denn, Gentlemen, damit wir uns kurz fassen, ich halte es für ganz unnöthig, uns auf das allgemeine Räsonnement einzulassen, das uns heute, so zu sagen, ex cathedra zugekommen ist. Auch will ich nicht unsern würdigen Vorsitzer beschuldigen, daß er per ambages (durch Wortumschweife) und unter dem Scheine einer Parlaments-Acte heute einen Versuch gemacht habe, sich über uns ein herrisches, mit unsrer Freiheit unverträgliches, Recht anzumaßen. Nur so viel will ich sagen, daß die Zeiten sich in dem Oberhause ungemein geändert haben müssen. Während man im vorigen Jahre einen Befehl zur Incorporation einer Actien-Compagnie, um Asche durchzusieben, mit leichter Mühe erhalten hätte, dürft es schwer seyn, in diesem Jahre einen ähnlichen Verein zum Einsammeln der Perlen sanctioniren zu sehen. Was frommt es also, die Zeit unsrer Zusammenkunft durch die Untersuchung der Frage zu verschwenden, ob wir in eine Thür ein treten sollen, die uns recht eigentlich vor der Nase versperrt ward, wie es allen Compagnien für Feuer oder Luft, auf dem Lande oder auf dem Wasser erging, die wir in der letzten Zeit alle mißlingen sahen!«

Hier erhob sieh ein allgemeines Geräusch, scheinbar Beifall verkündend, in welchem man nur die Worte unterscheiden konnte: »Es lohnt nicht, daran zu denken! Weggeworfenes Geld! Vor dem Ausschusse geht es verloren!« u. s. w. Aber stärker noch als das Geräusch waren die Stimmen zweier Männer aus den entgegengesetzten Ecken des Zimmers, die sich so laut und vernehmlich antworteten, wie die Glockenschläge der beiden Figuren an der Uhr von St. Dunstan.

Auch die Bemühungen des Vorsitzers, der sie mit vieler Anstrengung zum Schweigen zu bringen suchte, gelangen nur insofern, daß er ihre Worte in einzelne Sylben zu theilen vermochte.

 

Erste Stimme.

Der Lord Ka –

Zweite Stimme.

Lord Lau –

Der Vorsitzer (laut).

Aergerlicher Scandal!

Erste Stimme.

Der Lord Kanz –

Zweite Stimme.

Der Lord Lauder –

Der Vorsitzer (noch lauter).

Ein Bruch der Privilegien!

Erste Stimme.

Der Lord Kanzler –

Zweite Stimme.

Der Lord Lauderdale –

Der Vorsitzer
(mit aller Kraft seiner Stimme).

Sie sind vor den Gerichtsstuhl gefordert!

beide Stimmen (zugleich).

Werden nie eine solche Bill bewilligen.

 

Diese letzten Worte schienen allgemeine Zustimmung zu erhalten, welche das vereinte Händeklatschen der ganzen Versammlung sowohl, als der bereits angeführten Sprecher, aufs Nachdrücklichste bekräftigte.

Mehrere der Anwesenden schienen die Geschäfte für beendigt zu halten, und griffen bereits nach Hut und Stock, als der Vorsitzer, der sich mit offenbarem Unmuthe in seinen Stuhl zurückgelehnt hatte, wieder aufstand und Aufmerksamkeit verlangte. Einige zuckten zwar mit den Achseln, doch blieben alle stehen, wie von einem sie beherrschenden Einflusse zurückgehalten. Aber der Inhalt der Rede, erweckte bald die gespannteste Aufmerksamkeit.

»Ich merke wohl, Gentlemen,« sagte der Vorsitzer, »Sie gleichen jungen Vögeln, die ungeduldig ihrer Mutter Nest zu verlassen wünschen. Sehen Sie sich wohl vor, daß Ihre eignen Schreibfedern kräftig genug sind, um sich darauf zu stützen; denn was mich betrifft, so hab' ich's überdrüßig, mit meinen Schwingen solch eine Brut undankbarer Möwen aufrecht zu erhalten. Aber das Reden frommt zu nichts. – Ich will mich nicht länger solcher schwachen Minister, wie Ihr seyd, bedienen – will Euch abdanken, Euch des Daseyns berauben, wie der alte Absolute sagt. Euch und Euren verstümmelten Handelskram, Eure Gewölbe und Burgen, Eure modernen Alterthümer und alterthümlichen Modernitäten, Eure Verwirrung der Zeiten, Sitten und Begebenheiten, Euer Eigenthum, wie die Schauspieler Kleider und Decorationen nennen, mit Einem Worte, Eure ganze unsinnige, übertriebene Wirthschaft will ich den Thoren überlassen, die sich damit zu schaffen machen wollen. Ich will meinen Ruf retten durch meine eigne rechte Hand, ohne mich so unzuverlässiger Gehülfen zu bedienen,

›Die ich zum Scherz, doch nicht aus Noth, mir wählte.‹

Mein Grundstein ruhe auf besserem Boden, als auf Triebsand, und aus festerem Stoffe, als aus Kartenblättern, will ich meine Gebäude errichten; mit Einem Worte, ich will Geschichte schreiben. In der Tat verfasste Walter Scott in den Jahren ab 1826 überwiegend historische Werke (zu Napoleon, s. u., ›Erzählungen eines Großvaters‹ etc.).«

Das allgemeine Erstaunen that sich durch ein lautes Geräusch kund, von dem unser Berichterstatter nur die Worte verstehen konnte: »Den Teufel auch! – Ihr, werther Sir, Ihr? – Der alte Herr vergißt, daß er seit Sir John Mandeville der größte Lügner ist.«

»Darum eben wird er nicht den schlechtesten Historiker abgeben,« sagte Oldbuck; »denn die Geschichte ist, wie Ihr wißt, immer halbe Dichtung.«

»Für die Hälfte will ich gutsagen,« versetzt der vorige Sprecher; »aber was das Bischen Wahrheit betrifft, welches doch bei alle dem durchaus nöthig ist, da sey uns Gott gnädig! Geoffrey von Monmouth wird für ihn Lord Clarendon seyn.«

Als die Verwirrung sich allmählig mäßigte, rieb mehr als ein Mitglied sich bedenklich die Stirn, während Capitän Clatterbuck vor sich hin brummte;

«So hört doch auf der Freunde Rath!
Das heißt zu schnell verfahren!
Ein Jeder glaubt, Ihr seyd verrückt,
Trotz Euren reifen Jahren!«

»Die Welt und Sie, Gentlemen, mögen glauben, was Ihnen beliebt,« sagte der Vorsitzer, seine Stimme erhebend. »Genug, es liegt in meinem Plane, das wundervollste Buch zu schreiben, das jemals gelesen ward – ein Werk, in welchem jedes Ereigniß unglaublich, und gleichwohl buchstäblich wahr seyn soll – ein Werk, das Erinnerungen zurückruft, die einst in den Ohren der jetzigen Generation wiederhallten, und das von unsern Kindern mit einer Bewunderung gelesen werden soll, die an's Unglaubliche gränzt. Ein solches Werk soll das Leben Napoleon Buonaparte's » The Life of Napoleon Buonaparte« erschien 1827. von dem Verfasser von Waverley seyn!« –

Mitten unter der allgemeinen Verwirrung und den Ausrufungen, welche diese Ankündigung veranlaßte, ließ Herr Oldbuck seine Schnupftabaksdose fallen, und der Schottische Rappé Ein sehr kräftiger, dunkler Schnupftabak., welcher dadurch umherflog, brachte auf unsern Berichterstatter, der sich unter dem Tische verborgen hielt, eine so heftige Wirkung hervor, daß er sich durch sein Niesen verrieth, was die bereits erwähnte unfreundliche Verweisung für ihn zur Folge hatte. Es wurde ihm, vorzüglich von Seiten Capitain Clutterbucks, gedroht, daß er an Nase, Ohren und andern Theilen seines Körpers, noch mehr gezüchtigt werden sollte. Aber wenig erschreckt durch diese Drohungen, denen freilich Leute seines Gewerbes gewöhnlich Trotz zu bieten pflegen, spielte unser junger Freund noch lange an der Thür des Gasthofs den Lauscher, ohne uns indeß irgend eine weitere Auskunft bringen zu können, als daß die Gesellschaft sich etwa eine Viertelstunde nach seiner Verbannung »in bewundernswürdiger Unordnung« getrennt habe.



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