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Achtzehntes Kapitel.

Wenn ich so hoch ständ', als mein Ehrgeiz strebt,
Setzt' ich den Fuß kühn auf der Kön'ge Nacken.

Die geheimnißvolle Mutter.

Der bangste, unglücklichste Augenblick in dem Leben Hugo von Lacy's war unstreitig derjenige, in welchem er, sich mit Evelinen durch alle bürgerlichen und religiösen Ceremonien verlobend, im Begriff schien, sich dem Moment zu nahen, der ihm seit einiger Zeit als das Hauptziel aller seiner Wünsche gegolten hatte. Er durfte sich des nahen Besitzes eines schönen, liebenswürdigen Weibes versichert halten, das zugleich mit all den irdischen Vortheilen ausgestattet war, die seinem Ehrgeiz und seiner Neigung schmeicheln konnten. Allein in eben diesem glücklichen Augenblick umwölkte sich der Horizont seines Lebens auf eine stürmische, unheilverkündende Weise.

Als er in der Wohnung seines Neffen anlangte, hörte er, daß der Puls des Patienten stärker klopfe, und das Phantasiren zugenommen habe. Die Umgebung des Kranken hegte wenig Hoffnung, daß er wieder genesen, ja man fürchtete, daß er die scheinbar schnell herannahende Krisis nicht überleben werde. Der Konstabel schlich sich an die Thür des Zimmers, die ihn sein schmerzliches Gefühl nicht betreten ließ, und horchte auf die wilden, sinnlosen Reden, welche das Fieber veranlaßte. Nichts ist trauriger, als den Geist thätig zu sehen in den gewöhnlichen, täglichen Beschäftigungen, indeß der Körper schmerzlich und gefahrvoll auf schwerem Krankenlager darnieder liegt. Dieser Kontrast mit dem gewöhnlichen Gesundheitszustande, mit seinen Freuden und Beschäftigungen, macht die Hülflosigkeit des Kranken, dessen Seele durch jene Bilder aufgeregt wird, zwiefach ergreifend, und der Grad unserer Theilnahme an dem Leidenden ist um so größer, je weiter dessen Gedanken von seiner wirklichen Lage abschweifen.

In des Konstabels Seele ward dies Gefühl rege, als er seinen Neffen das Feldgeschrei seines Hauses zu wiederholten Malen ausrufen hörte. Nach den Befehlen und Anordnungen zu urtheilen, die er von Zeit zu Zeit ertheilte, dachte er sich wahrscheinlich, er führe seine Reisigen gegen die Walliser an. Dann murmelte er wieder verschiedene Ausdrücke der Reitkunst, der Falkenjagd und übrigen Waidwerkskunde. Der Name seines Oheims kam bei allen diesen Gelegenheiten vor, als sey sein Andenken ihm bei den Bildern des Kriegs, wie bei denen der Jagd stets gegenwärtig. Noch andere Töne murmelte er so leise, daß man sie nicht deutlich unterscheiden konnte.

Mit einem Herzen, das noch tiefer ergriffen ward von den Leiden seines Verwandten, als er die Gegenstände vernahm, mit denen sich sein irrer Geist beschäftigte, legte der Konstabel zweimal die Hand an die Thürklinke, um in das Schlafgemach einzutreten, und ließ sie beide Male wieder sinken, da seine Augen sich mit reichlicheren Thränen füllten, als er den Anwesenden zu zeigen wünschte. Endlich verließ er, seinen Vorsatz ganz aufgebend, schnell das Haus, bestieg sein Pferd, und ritt, nur von vier Dienern begleitet, nach dem Pallast des Bischofs, wo, dem allgemeinen Gerücht nach, der Erzbischof Balduin seine einstweilige Residenz aufgeschlagen hatte.

Die vielen Reiter und Handpferde, Saumrosse Ein Pferd, das nicht zum Ziehen, sondern zum Lastentragen gebraucht wird; vorwiegend im Oberdeutschen üblich. und Maulthiere, Diener und Begleiter, sowohl weltlichen als geistlichen Standes, welche sich vor dem Thore der erzbischöflichen Wohnung hin und wieder drängten, vereinigt mit der gaffenden Menge von Bewohnern, welche hinzuströmten, um das prächtige Gefolge zu betrachten, oder auch vielleicht zufällig den Segen des Prälaten zu erhaschen, machten es dem Konstabel beinahe unmöglich, sich der Thür des Pallastes zu nähern: Als dies Hinderniß glücklich beseitigt war, trat ihm ein neues durch die Hartnäckigkeit der erzbischöflichen Diener entgegen, die ihm nicht eher erlauben wollten, über die Thürschwelle zu schreiten, als bis sie dazu von ihrem Herrn ausdrücklich Befehl erhalten hätten.

Der Konstabel fühlte das ganze Gewicht dieses geringschätzigen Empfangs. Er war vom Pferde gestiegen, in dem vollen Vertrauen, wenn auch nicht sogleich vor den Prälaten, so doch wenigstens in den Pallast gelassen zu werden. Als er indeß nun zu Fuße da stand, mitten unter Knappen, Lakaien und Pferdeknechten, den geistlichen Herrn erwartend, fühlte er sich so empört, daß er den raschen Entschluß faßte, sein Pferd wieder zu besteigen, und nach seinem, vor den Thoren der Stadt befindlichen Zelt zurückzukehren, dem Erzbischof es überlassend, ihn dort aufzusuchen, falls er wirklich eine Zusammenkunft wünsche. Allein die Nothwendigkeit, hier nachzugeben, trat eben so schnell vor seine Seele, und unterdrückte die frühere Eingebung seines gekränkten Stolzes. »Wenn unser weiser König,« sagte er zu sich selbst, einem Erzbischof von Canterbury bei seinen Lebzeiten den Steigbügel hielt, und sich nach seinem Tode zu den erniedrigendsten Huldigungen seiner heiligen Ueberreste bequemte König Heinrich gegenüber Thomas Becket, siehe Anm. 48., so ziemt es mir offenbar nicht, bedenklicher gegen seinen geistlichen Nachfolger zu seyn, der dieselbe Macht und Autorität besitzt.« Noch ein anderer Gedanke, den er sich kaum gestehen mochte, empfahl ihm Demuth und Unterwerfung. Er mußte fühlen, daß sein Versuch, die Erfüllung seines Gelübdes als Kreuzfahrer zu umgehen, ihm den gerechten Tadel der Kirche zuzog. Er war daher nicht abgeneigt zu glauben, dieser kalte, verächtliche Empfang von Seiten Balduins, sey vielleicht schon ein Theil der Buße, die er, wie ihm sein Gewissen zurief, durch sein Benehmen verwirkt hatte.

Es verging einige Zeit, ehe Hugo von Lacy eingeladen ward, den Pallast des Bischofs von Glocester zu betreten, in welchem er den Primas von England treffen sollte. Auch stand er noch lange in den Hallen und Vorzimmern, ehe er vor Balduin gelassen ward.

Der Nachfolger des berühmten Becket hatte weder die umfassenden Plane, noch den hochstrebenden Geist jenes merkwürdigen Mannes. Dagegen ließ sich bezweifeln, ob der Letztere, wenn er auch zum Heiligen ernannt ward, für das Wohl der Christenheit nur halb so eifrig besorgt war, als der gegenwärtige Erzbischof. Balduin eignete sich in der That vollkommen zur Vertheidigung der Macht, welche die Kirche gewonnen hatte, wiewohl sein Charakter vielleicht zu aufrichtig und redlich war, um sie weiter auszudehnen. Die Beförderung des Kreuzzuges war das Hauptgeschäft seines Lebens, das Gelingen dieser Angelegenheit das Ziel seines Stolzes; und wenn das Bewußtseyn seiner mächtigen Beredsamkeit, und der Gewalt, die er besaß, die Gemüther der Menschen nach seinem Willen zu lenken, sich auch mit seinem religiösen Eifer vermischte, so hat gleichwohl sein ganzes Leben und sein nachheriger Tod vor Ptolemais Siehe Anm. 12. den Beweis geliefert, daß die Befreiung des heiligen Grabes aus der Hand der Ungläubigen der wahre und unverstellte Zweck aller seiner Bemühungen war. Hugo von Lacy wußte dies nur zu gut, und die Schwierigkeit, einen solchen Charakter zu behandeln, erschien in dem Augenblicke, wo die Unterredung ihm bevorstand, viel größer, als früherhin, wo er sie in der Entfernung betrachtet hatte.

Der Prälat, ein schöner, stattlicher Mann, dessen Züge zu streng waren, um einnehmend zu seyn, empfing den Konstabel in allem Pomp geistlicher Würde. Er saß auf einem eichenen Lehnsessel, der, reich verziert mit gothischem Schnitzwerk, in einem erhöhten Platze des Zimmers unter einem Baldachin von ähnlicher Arbeit stand. Seine Kleidung war die reiche erzbischöfliche Amtstracht, mit kostbarer Stickerei verziert. Dies Gewand öffnete sich vorn auf der Brust, und wies ein reich gesticktes Unterkleid, zwischen dessen Falten das eng anschließende härene Hemd des Prälaten halb hervorblickte, welches er stets unter allen seinen Prachtgewändern trug. Seine erzbischöfliche Mütze lag neben ihm auf einem eichenen Tische von gleicher Arbeit mit seinem Throne. An diesem lehnte auch sein geistlicher Hirtenstab, der nur einem einfachen Schäferstabe glich, doch mächtiger sich bewies, als Schwert und Lanze, als ihn Thomas Becket's Hand schwang.

Ein Kapella, in einem weißen Chorhemde, knieete in einiger Entfernung vor einem Pult, und las aus einem mit bunten Malereien verzierten Buche irgend eine theologische Abhandlung, welche die Aufmerksamkeit des Prälaten so sehr zu fesseln schien, daß er das Eintreten des Konstabels kaum bemerkte, der, über diese abermalige Geringschätzung höchst entrüstet, zögernd am Eingange der Halle stehen blieb, und nicht wußte, ob er, den Vorleser unterbrechend, den Erzbischof anreden, oder sich wieder entfernen sollte. Ehe er aber hierüber mit sich einig werden konnte, war der Kapellan an eine zum Abbrechen schickliche Stelle gekommen, wo der Erzbischof ihm mit den Worten: » Satis est, mi fili!« Schweigen gebot.

Umsonst war der stolze Freiherr bemüht, die Verlegenheit zu verbergen, mit welcher er dem Prälaten nahte, dessen Benehmen offenbar die Absicht verrieth, ihm Scheu und Bangigkeit einzuflößen. Er machte zwar einen Versuch, ein so unbefangenes Wesen zu zeigen, wie es ihrer alten Freundschaft angemessen war, oder sich wenigstens so gleichgültig zu benehmen, als fühle er sich vollkommen ruhig. Beides schlug indeß fehl, und seine Anrede drückte gekränkten Stolz mit nicht geringer Verwirrung zugleich aus. Der Geist der katholischen Kirche konnte sich bei solchen Gelegenheiten versichert halten, auch den stolzesten Laien zu beherrschen.

»Ich merke wohl, daß eine alte Freundschaft hier aufgelöst worden ist,« sagte Hugo von Lacy, der seine Gedanken zu sammeln suchte, und sich beinahe schämte, daß es ihm so schwer ward. »Hugo von Lacy hätte, wie mich dünkt, durch einen andern Boten vor Ew. Hochwürden gerufen werden, und einen andern Empfang erwarten können.«

Der Erzbischof erhob sich langsam in seinem Sessel, und machte eine halbe Verbeugung gegen den Konstabel, der, durch einen unwillkürlichen Wunsch verführt, die Versöhnung einzuleiten, das Kompliment tiefer erwiederte, als es diese karge Höflichkeit verdiente. Der Prälat gab zugleich seinem Kapellan einen Wink, sich zu entfernen, die jener durch die Worte: » Do veniam!« bekräftigte. Er zog sich nun ehrerbietig rückwärts schreitend zurück, ohne die fest auf den Boden gerichteten Augen aufzuschlagen, während seine Hände, kreuzweis über der Brust gefaltet, von den Falten seines Gewandes verhüllt wurden.

Als dieser stumme Diener verschwunden war, entwölkte sich des Prälaten Stirn etwas; allein sie behielt noch immer einen starken Schatten finstern Unmuths, als er auf Hugo von Lacy's Anrede, ohne sich von seinem Sessel zu erheben, die folgenden Worte erwiederte:

»Es frommt zu nichts, Mylord, hier zu erwähnen, was der tapfere Konstabel von Chester dem armen Geistlichen Balduin gewesen, oder mit welcher Liebe und Stolz wir es sahen, daß er sich schmückte mit dem heiligen Zeichen der Erlösung, um Ihn zu ehren, der ihn selbst der Ehre würdigte, sich der Befreiung des heiligen Landes zu weihen. Steht der edle Lord noch immer mit diesem frommen Entschlusse vor mir, so verkünde er mir diese freudige Wahrheit, und Chorrock und Mitra will ich ablegen, und, gleich einem Troßbuben, sein Pferd warten, wenn es nöthig ist, durch diese untergeordneten Dienste ihm die herzliche Achtung zu zeigen, die ich für ihn hege!«

»Hochwürdiger Vater!« antwortete Hugo von Lacy zögernd, »ich lebte der Hoffnung, daß die Vorschläge, die Euch der Dechant von Hereford in meinem Namen gethan, Euch mehr genügen würden.« Doch bald sein eigenthümliches Selbstvertrauen wieder gewinnend, fuhr er mit mehr Zuversicht fort, da der kalte, fühllose Blick des Erzbischofs ihn empörte. »Können jene Vorschläge Euch noch annehmlicher gemacht werden, so laßt mich wissen, auf welche Weise, und Euer Wille soll erfüllt werden, selbst wenn Ihr etwas Unbilliges verlangen solltet. Ich wünsche, mit der heiligen Kirche in Frieden zu bleiben, und ich bin sicher der Letzte, der ihren Befehlen zu trotzen wagt. Das haben meine Thaten auf dein Schlachtfelde, das hat mein Benehmen im Staatsrath bewiesen, und ich weiß nicht, wie ich durch meine Dienste die kalten Blicke und Worte des Primas von England verdient habe.«

»Wollt Ihr der heiligen Kirche Eure Dienste vorwerfen, eitler Mann?« rief Balduin. »Ich sage Dir, Hugo von Lacy, was der Himmel durch Deine Hand für die Kirche gethan hat, das hätte er eben so leicht durch den geringsten Troßbuben Deines Heers vollbringen können. Du bist es, der geehrt ward, das auserwählte Werkzeug zu seyn, durch welches große Dinge in Israel bewirkt würden. Nein, unterbrecht mich nicht! Ich sage Dir, stolzer Freiherr, daß in den Augen des Himmels Deine Weisheit nur Thorheit ist – der Muth, mit dem Du prahlst, nichts als die Feigheit eines Landmädchens – Deine Kraft Schwäche – Dein Speer eine Weidenruthe, und Dein Schwert eine elende Binse!«

»Das weiß ich Alles, guter Vater,« versetzte der Konstabel, »und habe es oft gehört, wenn die geringen Dienste, die ich geleistet, vorüber waren. Aber bedurfte man meiner hülfreichen Hand, da hieß ich unter Priestern und Prälaten ein guter Herr, ein Mann, den man ehren, und für den man beten müsse, wie für die Stifter und Schutzpatrone der Kirche, die unter dem Chor und Hochaltar schlummern. Da war kein Gedanke an Weidenruthe oder Binse, wenn man mich bat, die Lanze einzulegen. Nur, wenn man ihrer nicht bedarf, trifft die Waffe und ihren Besitzer Geringschätzung. Nun, ehrwürdiger Vater, sey es drum! Wenn die Kirche die Sarazenen aus dem heiligen Lande durch Knechte und Troßbuben vertreiben kann, warum predigt Ihr denn Rittern und Edlen das Kreuz, und ruft sie aus ihrer Heimath hinweg, zu deren Schutz und Vertheidigung sie geboren sind?«

Der Erzbischof sah ihn starr an und erwiederte: »Nicht fleischlicher Lüste halber stören wir unsere Ritter und Freiherren in der eifrigen Betreibung roher Festgelage und mörderischer Fehden, was Ihr die Heimath genießen und beschützen nennt. Die Allmacht bedarf nicht ihres Beistandes, das große, vorher bestimmte Werk der Befreiung zu vollbringen – es geschieht zum Wohl ihrer unsterblichen Seele!« Die letzten Worte sprach er mit großem Nachdruck.

Der Konstabel schritt unruhig auf und nieder, und murmelte vor sich hin: »Das ist der lustige Lohn, für den Heer auf Heer aus Europa getrieben ward, die Sandwüste Palästina's mit seinem Blute zu tränken! Das sind die leeren Versprechungen, für die wir unser Hab und Gut, unser Vaterland, unser Leben aufopfern sollen.«

»Und das spricht Hugo von Lacy?« entgegnete der Erzbischof, indem er sich von seinem Sessel erhob und den Ton seines Tadels scheinbar aus Schaam und Verdruß milderte. »Ist er es, der seinen ritterlichen Ruf – die Tugend eines Christen – die Vergrößerung seines irdischen Ruhms – den noch unermeßlichen Vortheil seiner unsterblichen Seele so gering achtet? Ist er es, der eine wesentliche Belohnung durch Schätze und Ländereien zu empfangen hofft, die ihm daheim in Fehden mit seinen minder mächtigen Nachbarn winkt, indeß ritterliche Ehre, heiliger Glaube, sein Gelübde als Ritter, seine Taufe als Christ, ihn zu einem ruhmvolleren und gefährlicheren Kampfe auffordern? – Kann dies wirklich Hugo von Lacy seyn, der Spiegel der angelsächsisch-normännischen Ritterschaft? Kann er solche Gedanken und Gefühle hegen, und sie in Worten aussprechen?«

»Schmeichelei und schöne Worte, klug gemischt mit Sticheleien und Vorwürfen,« antwortete der Konstabel erröthend und sich auf die Lippen beißend, »mögen bei Anderen vielleicht Euren Absichten förderlich seyn. Ich aber bin zu fester Sinnesart, um durch Schmeicheleien oder spitze Worte bestrickt zu werden, wo es Maßregeln von Wichtigkeit gilt. Verbannt daher dies scheinbare Erstaunen und glaubt mir, daß der Charakter Hugo von Lacy's, mag er zum Kreuzzuge ziehen oder daheim verweilen, so untadelhaft bleiben wird in Betreff des Muths, als der Charakter des Erzbischofs Balduin in Betreff seiner Heiligkeit.«

»Möge er viel höher stehen, als der Ruf, womit Ihr ihn zu vergleichen geruht!« sagte der Erzbischof. »Aber eine Flamme kann so gut ausgelöscht werden, als ein Funke, und ich verkünde dem Konstabel von Chester, daß der Ruhm, der so lange sein Banner geschmückt, vielleicht in einem Augenblick für immer entfliehen kann.«

»Wer darf das sagen?« rief der Konstabel, lebhaft für die Ehre zitternd, um derentwillen er so manchen Gefahren Trotz geboten hatte.

»Ein Freund,« versetzte der Prälat, »dessen Züchtigung als Wohlthat empfangen werden sollte. Ihr sprecht von Lohn, von Bezahlung, Herr Konstabel, als ob Ihr auf dem Markte ständet, um über die Bedingungen Eurer Dienste Unterhandlung zu pflegen. Ich sage Euch, Ihr seyd nicht mehr Euer eigener Herr – der Krieger Gottes seyd Ihr durch das heilige Zeichen, welches Ihr freiwillig erwähltet. Ihr könnt Eurem Banner nicht entfliehen, ohne Euch der Schande preiszugeben, der selbst Söldner und Neulinge sich nicht gern blosstellen.«

»Ihr geht zu hart mit uns um,« sagte Hugo von Lacy, plötzlich in seinem unruhigen Gange still stehend. »Ihr Geistlichen macht uns zu Lastträgern Eurer eigenen Bürden, und mit Hülfe unserer überladenen Schultern erklimmt Ihr den Gipfel Eures Ehrgeizes. Aber Alles hat seine Gränzen. Becket überschritt sie, und –«

Ein düsterer, ausdrucksvoller Blick entsprach dem finstern Tone, womit er diese abgebrochenen Worte sagte; und der Prälat, keineswegs zweifelhaft was er meine, fügte mit fester Stimme hinzu: »Und ward ermordet! Das ists also, was Ihr mir anzudeuten wagt – mir, dem Nachfolger jenes glorreichen Heiligen, vermuthlich, um mich zu bewegen, daß ich Euren schwachen, selbstsüchtigen Wunsch erfülle, und Euch die bestimmte Arbeit erlasse. Ihr wißt nicht, an wen Ihr eine solche Drohung richtet. Gewiß ists, Becket, ein heiliger Streiter hier auf Erden, gelangte auf dem blutigen Pfade des Märtyrerthums zu der Würde eines Heiligen im Himmel; aber nicht minder wahr ist es, daß der unwürdige Balduin, wenn er auch nur einen, um tausend Stufen niedrigeren Sitz, als sein gesegneter Vorgänger erhalten sollte, gleichwohl bereit ist, unter dem Schutz unserer lieben Frau sich Allem zu unterwerfen, was der Schlimmste der Lasterhaften seiner irdischen Hülle anhaben kann.«

»Es bedarf nicht dieses Muthgepränges, hochwürdiger Vater,« sagte Lacy, sich wieder sammelnd, »hier, wo es weder Gefahr gibt, noch geben kann. Ich bitte Euch, laßt uns mit Mäßigung über diese Angelegenheit sprechen. Nie war es mein Vorsatz, den Zug nach dem heiligen Lande aufzugeben; ich wünschte nur, ihn aufzuschieben. Meine Anerbietungen, dünkt mich, waren bedeutend genug, um mir das zu verschaffen, was so Manchem in ähnlichen Fällen gewährt worden ist, einen geringen Aufschub der Zeit meiner Abreise.«

»Eine geringe Verzögerung der Gegenwart eines solchen Anführers als Ihr, edler Hugo von Lacy,« entgegnete der Prälat, »wäre ein Todesstreich für unser heiliges und muthiges Unternehmen gewesen. Geringeren Leuten hätten wir das Vorrecht, zu heirathen und zu verheirathen, zugestehen können, selbst wenn sie sich nicht um die Leiden Jakobs kümmern. Aber Ihr, Mylord, seyd ein Hauptpfeiler unseres Unternehmens; fehlt Ihr uns, so stürzt das Ganze in Trümmer! Wer in England wird sich verpflichtet fühlen, vorwärts zu dringen, wenn Hugo von Lacy zurückbleibt? – Mylord, gedenkt weniger Eurer verlobten Braut, und mehr Eures gelobten Wortes. Glaubt mir, eine Verbindung, die Euer gesegnetes Unternehmen zur Ehre des Christenthums stört, kann nie zum Guten führen.«

Der Konstabel war sehr verlegen über die Hartnäckigkeit des Prälaten, und fing an, seinen Vorstellungen nachzugeben. Doch that er es höchst ungern, und vielleicht nur, weil die Sitten und Meinungen der damaligen Zeit ihm keinen Widerstand erlaubten, und ihn nöthigten, blos zu Bitten seine Zuflucht zu nehmen.

»Ich erkenne meine Verpflichtungen zum Kreuzzuge,« sagte er; »auch wünsche ich – ich wiederhole es – nichts weiter, als daß mir die kurze Frist bewilligt werde, die ich zur Anordnung meiner wichtigen Geschäfte brauche. – Indessen können meine Vasallen unter der Anführung meines Neffen –«

»Versprich, was in Deiner Macht ist!« versetzte der Prälat. »Wer weiß, ob nicht zur Strafe, daß Du andern Dingen, statt Seiner heiligen Sache, nachstrebst, Dein Neffe in dem Augenblick, wo wir zusammen sprechen, von hinnen gerufen werden kann?«

»Das verhüte Gott!« rief der Freiherr, aufschreckend, als wolle er zu seinem Neffen fliegen, um ihm beizustehen; dann aber plötzlich inne haltend, heftete er auf den Prälaten einen scharfen, prüfenden Blick. »Ew. Hochwürden,« sagte er, »sollten nicht so mit den Gefahren spielen, welche mein Haus bedrohen. Damian ist mir theuer seiner guten Eigenschaften wegen – theuer durch das Andenken meines einzigen Bruders. Gott vergeb uns Beiden! Er starb, als wir uns mit einander entzweit hatten. Eure Worte verkünden mir, daß mein geliebter Neffe zur Strafe meiner Vergehungen leidet und in Gefahr schwebt.«

Der Erzbischof bemerkte, daß er endlich die Saite berührt hatte, welche in dem Herzen seines störrigen Beichtkindes sehr natürlich widerhallen mußte. Er erwiederte mit vieler Behutsamkeit, da er wohl wußte, mit wem er zu thun hatte: »Fern sey es von mir, des Himmels Rathschläge deuten zu wollen! Aber wir lesen in der heiligen Schrift: Wenn die Väter saure Trauben essen, so werden die Zähne der Kinder stumpf davon. Was ist vernunftgemäßer, als daß wir gestraft werden für unsern Stolz und Eigendünkel durch ein Schicksal, das ganz dazu geeignet ist, eben diesen Geist des Hochmuths zu beugen und zu unterdrücken? Ihr selbst müßt es am Besten wissen, ob diese Krankheit Euren Neffen befiel, ehe Ihr beschlossen hattet, die Kreuzesfahne zu verlassen.«

Hugo von Lacy besann sich schnell und mußte zugeben, daß, bis er an seine Verbindung mit Evelinen gedacht, die Gesundheit seines Neffen keinem Wechsel unterworfen gewesen sey. Sein Schweigen und seine Verwirrung entgingen dem scharfsichtigen Prälaten nicht. Er ergriff die Hand des Kriegers, als er vor ihm stand, von Zweifeln befangen, ob wirklich sein Wunsch, die Fortdauer seines edlen Hauses der Befreiung des heiligen Grabes vorzuziehen, durch die Krankheit bestraft werde, die das Leben seines Neffen in Gefahr bringe. »Kommt, edler Hugo von Lacy,« sagte der Erzbischof, »das Gericht, welches ein augenblicklicher Dünkel auf Euch herab rief, läßt sich durch Buße und Gebet vielleicht noch abwenden. Der Sonnenzeiger wich zurück auf das Gebet des guten Königs Hesekiah Hiskija, König von Juda, bat nach der Bibel Jahwe um Beistand während der Belagerung Jerusalems durch die Assyrer; diese Bitte erhörend, wurde ein Engel entsandt, um in einer Nacht 185 000 Soldaten Assurs zu erschlagen (Jes. 37,36).! Falle nieder auf Deine Kniee und zweifle nicht, daß Du durch Buße, Beichte und Absolution noch jetzt Deinen Abfall von der Sache des Himmels ausgleichen kannst.«

Niedergedrückt von den Vorschriften der Religion, in denen er erzogen war, und von Furcht erfüllt, daß seines Neffen Krankheit und Gefahr die Strafe seines Zögerns seyn möchte, sank der Konstabel vor dem Prälaten, dem er kurz zuvor so muthig getrotzt, aufs Knie und beichtete, als eine tief zu bereuende Sünde, den Vorsatz, die Abreise nach Palästina aufzuschieben. Geduldig wenigstens, wenn nicht mit völliger Uebereinstimmung, unterwarf er sich der Buße, die ihm der Erzbischof auferlegte. Sie bestand in dem Verbot, in der Vermählungsangelegenheit mit Evelinen keine Im englischen Original: »consisted in a prohibition to proceed farther …«. Doppelte Verneinung als Bekräftigung der Verneinung ist damals sogar in der Literatursprache noch nicht unüblich. weitere Schritte zu thun, bis er von Palästina zurückgekehrt sey, wo er, durch sein Gelübde verpflichtet, drei Jahre verweilen mußte.

»Und nun, edler Hugo von Lacy,« sagte der Prälat, »wiederum der geehrteste und geliebteste meiner Freunde – fühlst Du nicht Dein Herz erleichtert, seit Du so edelmüthig Deine Schuld an den Himmel abgetragen, und Deinen muthigen Geist gereinigt hast von jenen selbsüchtigen, irdischen Flecken, die seinen Glanz verdunkelten?«

Der Konstabel entgegnete seufzend: »Mein glücklichster Gedanke in diesem Augenblick wäre der, wenn ich Nachricht erhielt von der Besserung meines Neffen.«

»Seyd nicht trostlos über das Geschick des edlen Damian, Eures hoffnungsvollen tapfern Neffen,« sagte der Erzbischof. »Ich hoffe, Ihr werdet bald Nachricht von seiner Genesung erhalten. Sollte es indeß Gott gefallen, ihn abzurufen zu einer bessern Welt, so wird sein Hinübergang so leicht, und seine Ankunft in jenem Hafen des Glücks so schnell seyn, daß ihm der Tod heilbringender seyn wird, als das Leben.«

Der Konstabel sah ihn an, als wolle er in seinen Zügen mehr Gewißheit über das Geschick seines Neffen lesen, als seine Worte zu enthalten schienen. Der Prälat aber, um weiteren Nachforschungen über einen Gegenstand vorzubeugen, auf den er vielleicht schon zu tief eingegangen war, schellte mit einer silbernen Glocke, die vor ihm auf dem Tische stand, und gebot dem hereintretenden Kapellan, einen zuverläßigen Boten nach der Wohnung Damian von Lacy's abzusenden, um Nachricht von seinem Befinden einzuziehen.

»Ein Fremder,« entgegnete der Kapellan, »der so eben aus dem Krankenzimmer des edlen Damian von Lacy kommt, wünscht den Herrn Konstabel zu sprechen.«

»Er komme sogleich!« rief der Erzbischof. »Mein Herz sagt mir, er bringt uns frohe Nachrichten. Nie habe ich so demüthige Buße gesehen, so willige Aufopferung natürlicher Neigungen und Wünsche für den Dienst des Himmels. Aber ihnen wird auch gewiß der Lohn irdischen oder geistlichen Heils zu Theil.«

Während dieser Worte trat ein seltsam gekleideter Mann ins Zimmer. Sein buntfarbiger und auffallender Anzug war weder neu noch reinlich, und eignete sich durchaus nicht dazu, um in einer Gesellschaft, wie die hier anwesende, zu erscheinen.

»Was soll das, Bursche?« rief der Prälat: »Wie kommt es, daß sich Possenreißer und Minstrels in eine Gesellschaft, wie die unsrige, ohne Erlaubniß eindrängen?«

»Erlaubt mir,« entgegnete der Fremdling, »mein Geschäft gilt nicht Ew. Hochwürden, sondern dem Herrn Konstabel, den hoffentlich meine Neuigkeiten für mein schlechtes Aeußere schadlos halten werden.«

»Sprich, Bursche! lebt mein Neffe noch?« rief der Konstabel begierig.

»Und wird wahrscheinlich leben bleiben, Mylord!« entgegnete der Mann. »Eine günstige Krisis – so nennen es die Aerzte – ist eingetreten, und er ist bereits außer Lebensgefahr.«

»Nun, Gott sey gepriesen, der mir so viel Barmherzigkeit erzeigt!« rief der Konstabel.

»Amen! Amen!« sagte der Erzbischof feierlich. »Um welche Zeit fand dieser heilbringende Wechsel Statt?«

»Kaum vor einer halben Stunde,« entgegnete der Bote. »Ein sanfter Schlaf sank auf den kranken Jüngling herab, wie der Thau im Sommer auf ein verschmachtetes Feld. Er athmete freier, die brennende Hitze ließ nach, und, wie gesagt, die Aerzte fürchten nicht mehr für sein Leben.«

»Merkt Ihr die Stunde, Herr Konstabel?« rief der Erzbischof mit Begeisterung. »Eben damals hörtet Ihr auf den Rath, den der Himmel Euch durch den geringsten seiner Diener ertheilte. Aber zwei Worte Buße, ein einziges kurzes Gebet und irgend ein gnadenreicher Heiliger hat die augenblickliche Erhörung und gränzenlose Erfüllung Eures Flehens bewirkt. Edler Hugo,« fuhr er fort, mit einer Art von schwärmerischer Begeisterung seine Hand ergreifend, »offenbar gedenkt der Himmel große Dinge durch den auszuführen, dem seine Fehler so bereitwillig vergeben, dessen Gebete so augenblicklich erhört werden. Ein Te Deum Laudamus soll in jeder Kirche, in jedem Kloster Glocesters für diese Gnade ertönen, ehe noch die Welt einen Tag älter wird.«

Der Konstabel, nicht weniger erfreut, wenn er auch vielleicht nicht so deutlich die Spuren einer besonderen Vorsehung bei der Genesung seines Neffen zu entdecken vermochte, gab dem Boten dieser frohen Nachricht seine Dankbarkeit zu erkennen, indem er ihm seine volle Börse hinwarf.

»Ich danke Euch, edler Herr!« sagte der Fremde. »Wenn ich indeß mich bücke, diese huldvolle Gabe aufzunehmen, so geschieht es nur, um sie ihrem Eigenthümer wieder einzuhändigen.«

»Was soll das heißen, Bursche?« entgegnete der Konstabel. »Dein Wamms, dächt ich, wäre doch nicht so reich besetzt, daß Du einen solchen Lohn verschmähen solltest.«

»Wer Lerchen fangen will, Mylord,« erwiederte der Bote, »der zieht sein Netz nicht über Sperlinge zusammen. Ich habe eine größere Gnade von Ew. Herrlichkeit zu erbitten, und darum schlag ich diesen Lohn aus.«

»Eine größere Gnade?« fragte der Konstabel. »Ich bin kein irrender Ritter, der sich durch ein Versprechen verpflichtet, sie im Voraus zu gewähren, ehe er weiß, worin sie besteht. Doch begib Dich morgen nach meinem Zelt, und Du sollst mich nicht abgeneigt finden, das zu thun, was ich billigerweise thun kann.«

So sprechend nahm er Abschied von dem Prälaten, bei seiner Heimkehr nicht unterlassend, den Neffen noch einmal zu besuchen, wo er die angenehme Nachricht bestätigt fand, die der Bote in dem buntfarbigen Mantel ihm mitgetheilt hatte.



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