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Einundzwanzigstes Kapitel.

Ich merke schon, Fee Mab hat Euch besucht.

Romeo und Julia.

Der Gegenstand, mit dem sich unser Geist, ehe wir entschlummern, beschäftigt, pflegt öfters noch während des Schlafs der Einbildungskraft vorzuschweben, wenn sie, ungehemmt durch die sinnlichen Organe, ihr eigenes phantastisches Gewebe aus den Gedanken bildet, die zufällig in dem Schlafenden rege werden.

Kein Wunder war es daher, daß Hugo von Lacy in einigen verworrenen Traumbildern sich selbst mit dem unglücklichen Marcus von Cornwallis gleichsam in Eine Person verschmolzen zu sehen glaubte, und daß diese unangenehmen Visionen seine Stirn beim Erwachen tiefer umwölkten, als es am Abend zuvor der Fall gewesen war. Er schwieg und schien in Gedanken verloren, als sein Knappe ihn beim Ankleiden mit der Ehrfurcht bediente, die man jetzt nur Monarchen zollt.

»Guarine,« sagte er endlich, »kennst Du den kräftigen Flamänder, der sich, wie man sagt, so gut benommen hat bei der Belagerung von Garde Doloureuse? Es soll ein großer, starker, kräftiger Mann seyn.«

»Allerdings, Mylord,« antwortete der Knappe, »kenne ich Wilkin Flammock – ich sah ihn noch gestern.«

»Wirklich?« entgegnete der Konstabel. »Hier, meinst Du? In der Stadt Glocester?«

»Gewiß, gnädigster Herr! Er kam hieher, theils in Handelsgeschäften, theils, wie ich glaube, um seine Tochter Rose zu sehen, welche die Begleiterin der jungen Lady Eveline ist«

»Er ist ein tüchtiger Krieger, nicht wahr?«

»Wie die meisten seiner Landsleute – ein sicherer Wall für eine Burg, aber schlechtes Zeug im offenen Felde,« erwiederte der normännische Knappe.

»Auch treu, nicht wahr?« fuhr der Konstabel fort.

»Treu, wie die meisten Flamänder, so lange ihnen ihre Treue bezahlt wird,« entgegnete Guarine, der sich über den ungewöhnlichen Antheil wunderte, den sein Gebieter an einem seiner Meinung nach höchst untergeordneten Menschen nahm. Allein nach einigen weiteren Erkundigungen befahl der Konstabel, den Flamänder sogleich herbeizurufen.

Andere Geschäfte des Morgens kamen jetzt an die Reihe, denn des Konstabels schnelle Abreise drängte ihn, noch so Manches schleunig anzuordnen. Als er eben mehreren Offizieren Audienz gab, zeigte sich am Eingange des Zelts die vierschrötige Gestalt Wilkin Flammocks. Er trug ein Wamms von weißem Zeuge und als Waffe nur ein Messer an der Seite.

»Verlaßt das Zelt, Ihr Herren!« sagte Hugo von Lacy; »wartet indeß in der Nähe, denn hier kommt Jemand, den ich allein sprechen muß.«

Die Offiziere entfernten sich und der Konstabel blieb mit dem Flamänder allein.

»Ihr seyd Wilkin Flammock, der zu Garde Doloureuse so tapfer gegen die Walliser focht?«

»Ich that mein Möglichstes, Mylord,« antwortete Wilkin; »ich war dazu durch meinen Kaufbrief verbunden, und hoffe stets als rechtlicher Mann zu handeln.«

»Mich dünkt,« sagte der Konstabel, »Ihr, mit einem so kräftigen Körper begabt, und wie ich höre, so kühnen Geistes, Ihr könntet Euer Auge wohl auf etwas Höheres richten, als auf Euer Weberhandwerk.«

»Niemand weigert sich, wenn er seine Lage verbessern kann,« entgegnete Wilkin. »Doch bin ich weit entfernt, mich über die meinige zu beklagen, und bin zufrieden, wenn sie auch niemals besser werden sollte, wüßte ich nur gewiß, daß sie sich nie verschlimmerte.«

»Aber, Flammock,« sagte der Konstabel, »ich habe größere Dinge mit Euch im Sinn, als Eure Bescheidenheit Euch ahnen läßt. Ich gedenke Euch ein Pfand von großem Werthe anzuvertrauen.«

»Wenn es Tuchballen enthält, Mylord, so wird Niemand besser damit umgehen können, als ich,« erwiederte der Flamänder.

»Nicht doch! Dein Sinn steht zu niedrig!« rief der Konstabel. »Was meinst Du, wenn ich Dich zum Ritter schlage für Deine Tapferkeit, und Dich als Kastellan auf Garde Doloureuse zurückließe!«

»Was die Ritterwürde anlangt, Mylord, so bitte ich um Vergebung. Die würde sich für mich passen, wie ein vergoldeter Helm für einen Eber. Aber, was die Bewachung betrifft, sey es einer Hütte oder einer Burg, ihr glaube ich eben so gut gewachsen zu seyn, als irgend ein Anderer.«

»Dein Rang aber müßte doch etwas erhöht werden,« sagte der Konstabel, die unkriegerische Tracht des Flamänders musternd; »er ist jetzt zu gering, um Dich zum passenden Beschützer und Hüter einer Dame von Geburt und Rang zu machen.«

»Ich der Hüter einer Dame von Geburt und Rang!« rief Flammock, während sein großes, helles Auge noch größer und heller ward, als er sprach.

»Eben Du!« sagte der Konstabel. »Lady Eveline gedenkt das Schloß Garde Doloureuse zu ihrem Aufenthalt zu wählen. Ich habe darüber nachgedacht, wem ich die Bewahrung ihrer Person sowohl, als der festen Burg anvertrauen könnte. Wollte ich irgend einen namhaften Ritter erwählen, wie sich deren mehrere in meinem Gefolge befinden, so würde er die Walliser durch seine Thaten zu unterwerfen suchen, und sich in Unruhen verwickeln, welche der Sicherheit des Schlosses Gefahr brächten. Vielleicht würde er auch, durch ritterliche Turniere und Jagdparthien gelockt, abwesend seyn, oder gar unter den Mauern, oder in dem Burghofe selbst, dergleichen leichtsinnige Zerstreuungen anordnen, und auf diese Weise die stille, einsame Wohnung, die sich für Evelinens Lage eignet, durch das Geräusch ungeziemender Gelage beunruhigen. Auf Dich kann ich mich verlassen – Du wirst fechten, wenn es Noth thut, doch nicht die Gefahr um der Gefahr willen aufsuchen. Deine Geburt und Sitten werden Dich Lustbarkeiten vermeiden lassen, die, so lockend sie auch Andern erscheinen mögen, Dir selbst nur widrig seyn können. Deine Verwaltung wird eben so regelmäßig seyn, als ich Sorge tragen werde, sie ehrenvoll zu machen, und als Verwandter ihrer geliebten Rose wirst Du Evelinen als Hüter vor vielen Andern willkommen seyn, die ihrem Range angemessener wären. Um mit Dir die Sprache zu reden, welche Deine Nation am leichtesten versteht, so soll der Lohn für die treue Bewachung dieses wichtigen Pfandes Deine kühnsten Hoffnungen übersteigen.«

Der Flamänder hatte dem ersten Theil dieser Rede mit einem Ausdruck des Erstaunens zugehört, das sich allmälig in ein tiefes, besorgtes Nachdenken verwandelte. Starr blickte er, als der Konstabel bereits schwieg, zu Boden, und sagte dann plötzlich, indem er die Augen aufschlug: »Es frommt zu nichts, weitläufige Entschuldigungen zu machen. Dies kann Euer Ernst nicht seyn, Mylord, und wenn er's wäre, so wird aus dem Plane nichts.«

»Wie? Weshalb?« fragte der Konstabel mit unwilligem Erstaunen.

»Mag ein Anderer Eure Güte nutzen, und es dahin gestellt seyn lassen, ob Euch der vollgültige Lohn dafür wird. Ich bin ein rechtlicher Kaufmann, und mag keine Bezahlung für Dienste, die ich nicht leisten kann.«

»Aber ich frage Dich noch einmal: Warum kannst Du oder willst Du dies Amt nicht annehmen?« sagte der Konstabel. »Wenn ich Dir ein solches Vertrauen schenken will, so sollst Du ihm billigerweise entsprechen.«

»Wohl wahr,« entgegnete der Flamänder; »aber der edle Lord von Lacy sollte es, dünkt mich, fühlen, und der kluge Lord von Lacy es einsehen, daß ein flamändischer Weber keinen passenden Hüter für seine verlobte Braut abgeben kann. Denkt sie Euch eingesperrt in jener einsamen Burg unter so ehrenwerthem Schutze, und überlegt wohl, wie lange der Platz einsam bleiben möchte in diesem Lande der verliebten Abenteuer. Minstrels würden herbeieilen, Balladen unter unsern Fenstern anstimmen, und ihr Harfengeklimper würde hinreichend seyn, unsere Mauern in ihren Grundfesten zu erschüttern, wie die Priester es uns von den Mauern Jericho's erzählen: Wir würden uns von so viel irrenden Rittern umringt sehen, als jemals Karl der Große oder König Arthur um sich gehabt haben. Gott sey mir gnädig! Eine viel geringere Veranlassung, als eine schöne, edle Einsiedlerin, die, wie sie's nennen würden, in einem Thurm unter der Vormundschaft eines alten flamändischen Webers seufzt, würde die halbe Ritterschaft Englands um uns versammeln. Man würde vor der Burg Lanzen brechen, Gelübde schwören, Liebeszeichen und Farben zur Schau tragen, und, weiß Gott, was sonst noch für Thorheiten begehen. Glaubt Ihr, daß dergleichen Abenteurer, deren Blut wie Quecksilber durch ihre Adern rinnt, würden auf meine Weisung sogleich abziehen?«

»So sperrt die Thore! Zieht die Zugbrücke auf! Nieder mit dem Fallgatter!« rief der Konstabel mit erzwungenem Lächeln.

»Glaubt Ihr, Mylord, daß irgend ein junger Fant sich vor solchen Hindernissen scheuen würde? Sie sind ja eben die rechte Würze der Abenteuer, welche jene Ritter suchen. Der Ritter vom Schwan würde durch den Graben schwimmen, der Ritter vom Aar die Mauern überfliegen, der Ritter vom Donnerkeil die Thore sprengen.«

»So braucht die Armbrust und das Wurfgeschoß,« sagte Hugo von Lacy.

»Um förmlich belagert zu werden,« entgegnete der Flamänder, »wie das Schloß Tintadgel auf den alten Tapeten, blos aus Liebe zu einer schönen Dame! Und dann die lustigen Frauen und Fräulein, die auf Abenteuer ausziehen, von Burg zu Burg, von Turnier zu Turnier, mit bloßem Busen, wallenden Federn, Dolchen im Gürtel, Wurfspießen in den Händen; wie die Elstern schwatzend und flatternd wie die Dohlen, dann und wann auch girrend wie die Tauben – wie soll ich die wohl aus Evelinen's Einsamkeit verbannen?«

»Dadurch, daß Du die Thore fest verschließest!« versetzte der Konstabel noch immer in dem Tone erzwungenen Scherzes. »Schon ein hölzerner Riegel gewährt die Sicherheit.«

»Hm! Wenn nun aber der flamändische Weber spricht: › Zu!‹ und die junge normännische Dame › Auf!‹ ruft, da fragt sich's, wer dem Andern gehorchen wird. Mit Einem Wort, Mylord, hinsichtlich eines solchen Hüteramts, und was damit zusammenhängt, wasche ich meine Hände. Selbst der keuschen Susanne Die biblische Geschichte von »Susanna im Bade« (Dan. 13,1-64): Zwei hoch angesehene alte Richter lauerten Susanna heimlich im Garten auf, als diese ein Bad nehmen wollte, bedrängten sie, mit ihnen zu schlafen, und drohten, sie ansonsten zu beschuldigen, Ehebruch mit einem jungen Mann begangen zu haben. Doch Susanna blieb standhaft. Die beiden Alten ließen Susanna daraufhin verhaften und erklärten, sie beim Ehebruch überrascht zu haben, hielten öffentlich über sie Gericht und verurteilten sie zum Tode. Als das Urteil vollstreckt werden sollte, hatte Daniel eine Eingebung des Heiligen Geistes und stellte ein Verhör der beiden Zeugen an. Er fragte sie unabhängig voneinander, unter welchem Baum Susanna ihren Mann betrogen habe. Indem die Zeugen unterschiedliche Bäume angaben, erkannte man die beiden als Lügner, und Susanna kam frei, während die beiden Alten hingerichtet wurden. Hüter möchte ich nicht seyn, wenn sie auch in einem bezauberten Schlosse lebte, dem kein sterbliches Wesen sich nahen könnte.«

»Du sprichst und denkst wie ein gemeiner Wüstling, der über weibliche Treue spottet, weil er einst mit den Unwürdigsten des schönen Geschlechts in Verbindung stand,« sagte der Konstabel. »Aber Du solltest vom Gegentheil überzeugt seyn, da Du, wie ich weiß, eine sehr tugendhafte Tochter hast.«

»Ihre Mutter war es nicht minder!« rief Wilkin, den Konstabel etwas lebhafter, als es sonst seine Art war, unterbrechend. »Aber, Mylord, das Gesetz verlieh mir das Ansehen, mein Weib zu beherrschen und es zu leiten, und eben so ward mir durch Gesetz und Natur die Pflicht und Gewalt, über meine Tochter zu wachen. Was ich beherrschen kann, dafür kann ich verantwortlich seyn; ob ich aber bei einem mir anvertrauten Pfande mich so gut benehmen kann, das ist eine andere Frage. – Bleibt daheim, mein guter Herr!« fuhr der ehrliche Flamänder fort, da er bemerkte, daß seine Worte einigen Eindruck auf Hugo von Lacy machten. »Laßt eines Thoren Rath einmal den Vorsatz eines Klugen ändern – einen Vorsatz, der – verzeiht mir – in keiner weisen Stunde gefaßt ward. Bleibt in Eurem eigenen Lande, regiert Eure eigenen Vasallen und schützt Eure eigene Braut. Ihr allein könnt von ihr zärtliche Liebe und Gehorsam fordern, und ich bin überzeugt, ohne daß ich mir zu errathen getraue, was sie entfernt von Euch beginnen möchte, unter Euren Augen wird sie die Pflichten einer treuen, liebenden Gattin erfüllen.«

»Und das heilige Grab?« versetzte der Konstabel mit einem Seufzer, während sein Herz die Weisheit des Raths erkannte, den er, durch die Umstände verhindert, nicht befolgen konnte.

»Mögen sie, die das heilige Grab verloren gehen ließen, es wieder erobern, Mylord!« versetzte Flammock. »Wenn diese Lateiner und Griechen Der Ersten Kreuzzug (1096) war unbeabsichtigt durch einen Hilferuf des byzantinischen Kaisers Alexios I. Komnenos initiiert worden, dessen Reich von inneren wie auch äußeren Krisen geschwächt war und dem die Mittel fehlten gegen die sunnitischen Seldschuken, die ihrerseits 1071 das Byzantinische Reich besiegt und Jerusalem eingenommen hatten. Zu diesem Zeitpunkt durften Christen auch unter muslimischer Herrschaft ihre Religion weiter ausüben. Allerdings war es Pilgern wegen der kriegerischen Auseinandersetzung kaum noch möglich, Palästina zu erreichen. - Bei dem zur Zeit der Romanhandlung anstehenden Kreuzzug handelt es sich bereits um den dritten (1189-92), an dem u.a. Friedrich Barbarossa und Richard Löwenherz teilnahmen und der motiviert war durch die Schwäche der Kreuzfahrerstaaten (»Lateiner«) nach den Niederlagen des zweiten Kreuzzuges (1147-49). Angesichts der traditionell guten und strategisch wichtigen Beziehungen zwischen den Fatimiden, die vor den Seldschuken den Orient beherrscht hatten, und Byzanz war den Byzantinern das Konzept eines »Heiligen Krieges«, wie es die römisch-katholische Kirche seit 1095 propagiert hatte, eher fremd geblieben; ihnen ging es wesentlich um die Erhaltung bzw. Wiedergewinnung von Teilen des Reiches, was sich nach der Niederlage bei Myriokephalon 1176 gegen die Seldschuken als aussichtslos erwies, die ihre Macht fortan ausbauen konnten., wie sie heißen, nicht bessere Leute sind, als ich gehört habe, so ist es ziemlich gleichgültig, ob sie, oder die Heiden das Land besitzen, welches Europa so viel Blut und Schätze kostet.«

»Fürwahr, es liegt Sinn in Deinen Worten!« erwiederte der Konstabel. »Doch möchte ich Dir nicht rathen, sie zu wiederholen, man möchte Dich sonst für einen Ketzer oder Juden halten. Was mich betrifft, so sind Wort und Schwur ohne Rücktritt verpfändet; ich kann nur überlegen, wen ich am passendsten zu dem wichtigen Amt erwähle, das Du nicht ganz mit Unrecht ausschlägst.«

»Es gibt Niemand, Mylord, dem Ihr so natürlich und geziemend ein solches Amt übertragen könntet,« entgegnete Wilkin Flammock, »als Eurem nächsten Verwandten, der im Besitz Eures völligen Vertrauens ist. Noch besser wäre es indeß, wenn es gar nicht Noth thäte, irgend Jemand ein solches Amt übertragen zu müssen.«

»Wenn Ihr unter meinem nächsten Verwandten Randal von Lacy versteht,« entgegnete der Konstabel, »so muß ich Euch sagen, daß ich ihn eines solchen ehrenvollen Vertrauens durchaus unwerth erachte.«

»Nicht doch! ich habe einen andern im Sinne,« sagte Flammock, »Jemand, der Euch noch näher durch die Bande des Blutes und wenn ich nicht sehr irre, auch durch Neigung befreundet ist. Ich meine Euren Neffen, Damian von Lacy.«

Der Konstabel fuhr zusammen, als habe ihn eine Wespe gestochen, entgegnete aber sogleich mit erzwungener Fassung: »Damian sollte eigentlich an meiner Stelle nach Palästina gehen; jetzt scheint es, ich muß statt seiner dahin! Denn seit seiner letzten Krankheit haben die Aerzte ihre Meinung durchaus geändert, und halten jetzt ein wärmeres Klima für ihn eben so schädlich, als sie es früherhin für heilsam erklärten. Aber unsere gelehrten Doktoren, so oft sie auch ihren Rath ändern, müssen stets Recht behalten, wie unsere gelehrten Priester, und wir armen Laien wandeln stets im Irrthum. Zwar kann ich mich Damian mit dem festesten Vertrauen hingeben, allein er ist jung, Flammock, sehr jung, und gerade in dieser Eigenschaft gleicht er nur zu sehr dem Mündel, das ich sonst gewiß seiner Obhut übergeben würde.«

»Noch einmal, Mylord, bleibt daheim, und seyd selbst der Beschützer Derjenigen, die Euch so werth seyn muß.«

»Ich sage Dir nochmals, es kann nicht seyn!« antwortete der Konstabel. »Der Schritt, den ich für eine große Pflicht hielt, mag vielleicht ein großer Irrthum seyn, aber daß er unwiderruflich ist, das weiß ich.«

»So vertraut Eurem Neffen, Mylord! Er ist treu und redlich, und man schenkt lieber einem jungen Löwen, als einem alten Wolf sein Vertrauen. Er kann vielleicht irren, aber nie vorsätzlichen Verrath begehen.«

»Du hast Recht, Flammock,« sagte der Konstabel, »und fast möchte ich wünschen, Deinen Rath, so keck er auch ist, früher gehört zu haben. Aber, was zwischen uns vorging, bleibe ein Geheimniß. Sinne auf etwas Anderes, was Dir mehr Vortheil gewähren kann, als die Erlaubniß, über meine Angelegenheiten Deine Meinung zu sagen.«

»Das ist leicht geschehen, Mylord,« versetzte Flammock: »denn ich wünschte von Ew. Herrlichkeit Gunst einige Ausdehnung der Vorrechte zu erbitten, die man uns in dem wüsten Winkel, wohin wir Flamänder uns zurückgezogen haben, gewährt hat.«

»Du sollst sie haben, wenn Ihr nichts Uebertriebenes fordert,« sagte der Konstabel, und der ehrliche Flamänder, unter dessen guten Eigenschaften peinliches Zartgefühl eben nicht den ersten Platz einnahm, setzte nun mit umständlicher Genauigkeit alle Punkte seines Gesuchs, oder seiner Bitte, auseinander, nach deren Erfüllung er lang vergeblich getrachtet, und die er durch dies Gespräch erreichte.

Der Konstabel, begierig, den einmal gefaßten Entschluß auszuführen, eilte nach der Wohnung Damian von Lacy's und kündete, zum nicht geringen Erstaunen seines Neffen, ihm den Wechsel seiner Bestimmung an, indem er seine letzte, noch nicht völlig gehobene Krankheit, nebst dem nothwendigen Schutz der Lady Eveline, als die Gründe angab, weshalb der Neffe zurückbleiben müsse, um während Hugo's Abwesenheit statt seiner die Rechte der Familie und die Ehre des Hauses Lacy zu beschützen, vor allem aber einen wachsamen Hüter abzugeben der jungen und schönen Braut, die sein Oheim auf einige Zeit gezwungen verlassen müsse.

Damian hütete noch das Bett, als sein Oheim ihm seinen veränderten Vorsatz kund that. Vielleicht war dieser Umstand günstig für ihn, um so den Bemerkungen des Oheims leichter die mannigfachen Gefühle zu verbergen, die er nicht zu unterdrücken vermochte. Der Konstabel beeilte sich dagegen, wie Jemand, der gern einen unangenehmen Gegenstand abbrechen will, ihm so schnell als möglich die bereits getroffenen Anordnungen mitzutheilen, wodurch sein Neffe in den Stand gesetzt würde, die Pflichten des ihm übertragenen Amts mit gehörigem Nachdruck zu erfüllen.

Der Jüngling hörte auf seine Worte, und glaubte die Stimme in einem Traum zu vernehmen, die er nicht Muth hatte zu unterbrechen, wiewohl sich ein Gefühl in ihm regte, welches ihm zuflüsterte, sowohl Vorsicht als Rechtlichkeit verlange es, Einwürfe zu machen gegen diesen veränderten Entschluß. Zwar versuchte er, als der Konstabel endlich schwieg, etwas dagegen vorzubringen, allein sein Wort war zu schwach, um einen zwar schnell, doch kräftig gefaßten Entschluß wankend zu machen, den ein Mann aussprach, der sich nie über einen Punkt äußerte, über den er noch nicht selbst mit sich einig war, und was er einmal erklärt, niemals widerrief.

Auch geschah die Weigerung Damian's, wenn man sie so nennen konnte, in zu widersprechenden Ausdrücken, um verständlich zu seyn. In Einem Augenblicke äußerte er seinen Schmerz, die Lorbeern, die er in Palästina zu sammeln gehofft, sich entrissen zu sehen, und bat seinen Oheim dringend, seinen Vorsatz nicht zu ändern, doch ihm zugleich zu gestatten, seinem Banner zu folgen; im nächsten Moment aber zeigte er sich wieder bereit, Eveline bis zum letzten Blutstropfen zu beschützen. Hugo von Lacy sah nichts Unnatürliches in diesen Gefühlen, wenn sie sich auch für den Augenblick zu widersprechen schienen. Daß ein junger Ritter begierig nach Ruhm strebe, fand er sehr begreiflich; doch eben so natürlich schien sein Wunsch, sich einem so wichtigen, ehrenvollen Amte, als das ihm dargebotene, zu unterziehen. Folglich fand er nichts Wunderbares darin, daß, indem er die neue Pflicht willig übernahm, der junge Mann dennoch die Aussicht, einer ehrenvollen Unternehmung beizuwohnen, mit Schmerz aufgab. Er belächelte daher nur die abgebrochenen Einwendungen seines Neffen, und während er unerschüttert seine Erklärung nochmals bekräftigte, verließ er den Jüngling, damit er Muße habe, über den Wechsel seiner Bestimmung nachzudenken. Hugo selbst aber machte der Benediktiner-Aebtissin einen abermaligen Besuch, um ihr und seiner erwählten Braut den gefaßten Entschluß mitzutheilen.

Der Aebtissin Unmuth ward durchaus nicht vermindert durch diese Nachricht, an der sie in der That sehr wenig Antheil zu nehmen schien. Sie berief sich auf ihre geistlichen Pflichten und auf den Mangel ihrer Kenntniß weltlicher Angelegenheiten, falls sie etwa die Sitten der Zeit nicht recht beurtheile; aber sie meine, immer gehört zu haben, sagte sie, daß man die Beschützer und Vormünder junger, schöner Individuen ihres Geschlechts nur aus dem gereifteren Theile des männlichen wähle.

»Durch Eure eigene Unfreundlichkeit ist mir keine andere Wahl geblieben,« sagte der Konstabel. »Da die nächsten Freunde Evelinen's, in Betreff des Anrechts auf ihren Besitz, wodurch sie mich ehrte, ihr den Schutz des eigenen Daches versagen, so würde es von mir noch undankbarer seyn, wenn ich ihr nicht den Schutz meines nächsten männlichen Erben zusicherte; Damian ist jung, aber treu und ehrenwerth, und die ganze Ritterschaft Englands bietet mir keine bessere Wahl dar.«

Eveline schien erstaunt, ja erschrocken, als sie den Entschluß vernahm, den ihr Bräutigam so plötzlich aussprach. Glücklicherweise nöthigte die Bemerkung der Aebtissin den Konstabel, etwas zu erwiedern, und ließ ihn auf diese Weise nicht den Farbenwechsel ihrer Wangen erblicken, die mehr als einmal erbleichend, sich wiederum mit einer dunkeln Röthe überzogen.

Rose, die von der Unterredung nicht ausgeschlossen war, drängte sich dicht an ihre Gebieterin, und scheinbar ihren Schleier ordnend, während sie ihr heimlich die Hand drückte, gönnte sie ihr Zeit und Muth, sich zu einer Antwort zu fassen. Sie war kurz und entscheidend, und zeugte von einer Festigkeit, welche bewies, daß die Ungewißheit des Augenblicks vorüber oder unterdrückt worden war. Sie werde, sagte sie, im Falle der Noth nicht säumen, Damian von Lacy zu ihrem Beistande aufzufordern, wie sie es bereits früher gethan; vor der Hand aber besorge sie in ihrem eigenen festen Schlosse Garde Doloureuse keine Gefahr, und sey entschlossen, dort, nur von ihrem Haushalt umgeben, zu verweilen. In Erwägung ihrer eigenthümlichen Lage, fügte sie hinzu, werde sie die strengste Zurückgezogenheit beobachten, welche hoffentlich auch durch den edlen jungen Ritter, der ihr zum Beschützer gegeben sey, nicht gestört werden würde, falls nicht irgend eine Gefahr für ihre Sicherheit seinen Besuch unumgänglich nothwendig mache.

Die Aebtissin gab, wiewohl sehr kalt, ihre Beistimmung zu einem Vorschlage, den ihre Begriffe des Anstandes billigten, und es wurden schleunige Vorkehrungen getroffen zur Rückkehr Evelinen's nach ihres Vaters Schlosse. Ehe sie indeß das Kloster verließ, fanden noch zwei Ereignisse statt, die ihr nothwendigerweise sehr peinlich seyn mußten. Das erste war der Augenblick, wo Damian ihr von seinem Oheim vorgestellt ward als der Bevollmächtigte, dem er die Aufsicht über sein Eigenthum, und was, wie er betheuerte, ihm noch wichtiger war, den Schutz ihrer selbst und ihrer Besitzungen übertragen habe.

Eveline getraute sich kaum einen Blick auf Damian zu werfen, allein dieser Blick war hinreichend, die Verwüstungen zu erkennen, welche Krankheit und Kummer in den früher so männlich schönen Zügen des Jünglings hervorgebracht hatten. Sie empfing seinen Gruß eben so verlegen, als er den ihrigen, und erwiederte auf seine zaghaft ausgesprochenen Dienstanerbietungen, daß sie während der Abwesenheit seines Oheims ihm nur für seinen guten Willen verbunden zu seyn hoffe.

Die nächste Prüfung, welche ihr bevorstand, war der Abschied von dem Konstabel. Sie schieden nicht ohne Rührung, wiewohl Eveline ihre bescheidene Fassung, und Hugo von Lacy seine ernste, feste Haltung behauptete. Seine Stimme bebte jedoch bei der Aeußerung: ›daß es ungerecht sey, sie durch eine Verpflichtung zu binden, der sie sich mit so vieler Güte unterzogen habe.‹ Drei Jahre setzte er als Termin fest, da der Erzbischof Balduin versprochen hatte, die Dauer seiner Abwesenheit auf diese Zeit zu beschränken. »Erscheine ich nicht, wenn diese drei Jahre verflossen sind,« sagte er , »so möge Eveline schließen, daß Hugo von Lacy die Gruft umfängt, und sich irgend einen Glücklicheren zum Gatten wählen. Einen Dankbareren kann sie nicht finden, mögen auch Viele ihrer würdiger seyn.«

Auf diese Bedingungen trennten sie sich, und der Konstabel, bald darauf sich einschiffend, durchschnitt das schmale Gewässer, das ihn von Flandern schied, um an der dortigen Küste sein Heer mit der Macht des Grafen zu vereinigen, der in jenem reichen und kriegerischen Lande herrschte, und so gemeinschaftlich den Weg einzuschlagen, der ihnen zur Erreichung des heiligen Landes am günstigsten schien. Die breite Flagge, mit dem Wappen Hugo von Lacy's, wehte, von einem günstigen Wind entfaltet, an dem Vordertheil des Schiffes, als wollte sie die Himmelsgegend andeuten, wo sein Ruhm sich vermehren sollte; und wenn man den trefflichen Anführer und den ausgezeichneten Werth der ihn begleitenden Krieger betrachtete, so hatte man selten ein stattlicheres Heer sich nach Palästina einschiffen gesehen, um die von den Saracenen den Lateinern zugefügte Schmach zu rächen.

Nach einer kalten Trennung von der Aebtissin, deren gekränkter Stolz noch immer nicht vergessen konnte, wie geringe Rücksichten ihrer Meinung gezollt worden waren, trat Eveline die Rückreise nach ihrem väterlichen Schlosse an, wo ihr Haushalt nach dem Plane angeordnet war, den er entworfen, und sie gebilligt hatte.

Eben die Vorkehrungen, die sie auf ihrer Reise nach Glocester gefunden hatte, waren auch jetzt an jedem Rastorte zu ihrem Empfange getroffen worden. Allein der Schöpfer derselben blieb unsichtbar, wiewohl sie eben so wenig als damals ungewiß war, wer es sey. Doch schien der Charakter dieser Vorbereitungen sich etwas geändert zu haben. Alle wirkliche Bequemlichkeiten und Bedürfnisse nebst völliger Sicherheit fand Eveline überall um sich vereint; aber jener Anstrich zarter Galanterie und geschmackvoller Huldigung fehlte, welcher verrieth, daß diese Aufmerksamkeit seiner jungen schönen Dame galt. Die klarsten Silberquellen, der schattigste Hain wurden nicht mehr zum Ausruhen in der Mittagshitze gewählt; das Haus irgend eines Gutsbesitzers oder eine kleine Abtei gewährten ihnen die erforderliche Gastfreundschaft. Alles schien mit der strengsten Berücksichtigung des Anstands und Ranges geordnet; ja es hatte fast den Anschein, als ob nicht eine junge reiche Erbin, sondern die Nonne irgend eines strengen Ordens durch jene Gegend reise; und Eveline, so sehr ihr die zarte Ehrfurcht gefiel, mit der man sie in ihrer eigenthümlichen, schutzlosen Lage behandelte, fand es doch beinahe überflüssig, daß man sie durch manche indirekte Winke gleichsam unwillkürlich daran erinnerte.

Sonderbar schien es ihr auch, daß Damian, dessen Sorgfalt sie so feierlich übergeben war, ihr nicht einmal auf dem Wege seine Ehrfurcht bezeugte. Eine gewisse innere Ahnung flüsterte ihr zwar zu, daß ein naher, oft wiederholter Umgang ungeziemend, ja gar gefährlich seyn könne. Allein schon als Ritter und Edelmann lag es ihm ob, mit der seinem Schutz übergebenen Jungfrau in einiger Verbindung zu bleiben, wäre es auch nur geschehen, um sich zu erkundigen, ob die getroffenen Einrichtungen ihren Beifall hätten, oder ob noch irgend einer ihrer Wünsche unbefriedigt geblieben sey. Der einzige Berührungspunkt, der zwischen Beiden statt fand, war das Erscheinen Amelot's, des jungen Pagen Damian's, an jedem Morgen und Abend, um Evelinen's Befehle über den einzuschlagenden Weg und die ihr gefälligen Ruhestunden zu vernehmen.

Durch diese Förmlichkeiten ward Evelinen's Rückkehr noch trüber, und ohne Rosen's Gesellschaft würde sie sich einem ganz unleidlichen Zwange unterworfen geglaubt haben. Selbst gegen ihre Begleiterin wagte sie einige tadelnde Bemerkungen über Damian's Benehmen zu äußern, der, trotz der ihm verliehenen Autorität, so sehr ihre Gegenwart zu fürchten scheine, als ob sie ein Basilisk sey.

Rose ließ die erste Aeußerung dieser Art unbeachtet vorüberschlüpfen; als aber ihre Gebieterin eine zweite gleichlautende folgen ließ, antwortete sie mit ihrer gewöhnlichen Offenheit und Freimüthigkeit, doch vielleicht mit minderer Vorsicht als sonst: »Damian von Lacy urtheilt sehr richtig, edles Fräulein. Wem die sichere Bewahrung eines königlichen Schatzes anvertraut ward, der muß sich nicht zu oft erlauben, einen Blick darauf zu werfen.«

Eveline erröthete, und dichter in ihren Schleier sich verhüllend, nannte sie während der ganzen übrigen Reise den Namen Damian von Lacy nicht wieder.

Als sie am zweiten Abend die grauen Thürme von Garde Doloureuse wieder erblickte, und das Banner ihres Vetters sah, welches zu Ehren ihrer Ankunft von der höchsten Warte flatterte, mischte sich manches Schmerzliche in ihre Empfindungen; allein im Ganzen betrachtete sie doch die alterthümliche Veste als ein sicheres Asyl, wo sie den in ihrer Brust neu erwachten Gedanken und Gefühlen ungestört nachhängen konnte, unter den Umgebungen, welche ihre Kindheit und Jugend beschützt hatten.

Ihren Zelter spornend, um so schnell als möglich das alte Burgthor zu erreichen, verneigte sie sich schnell gegen die wohlbekannten Gestalten, die von allen Seiten herbeiströmten; doch sprach sie mit Niemand, sondern stieg an der Kapelle angelangt, vom Pferde, und eilte zu dem Heiligenschrein, in welchem das wunderthätige Bild aufbewahrt ward. Dort sich auf ihre Kniee niederwerfend, flehte sie die heilige Jungfrau um ihren Schutz an, und um sichere Leitung in ihrer verwickelten Lage, in die sie sich selbst durch die Erfüllung des Gelübdes gestürzt hatte, das sie einst in ihrer Angst vor eben diesem Altare abgelegt. Verfehlte das Gebet seine Wirkung, so war doch der Zweck tugendhaft und rein, und wir hegen keinen Zweifel, daß es den Himmel erreichte, an den es mit Ergebung gerichtet war.



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