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Zwanzigstes Kapitel.

Der König rief seine Mannen all',
   Zu Einem, zu Zwei'n und zu Drei'n.
Graf Marschall blieb diesmal am weitsten zurück –
   Sonst pflegt' er der Erste zu seyn.

Alte Ballade.

Wenn Lady Eveline nach der geheimen Unterredung mit Hugo von Lacy sich zufrieden und vergnügt fühlte, so erreichte die Freude des Konstabels einen höhern Grad des Entzückens, als er ihn je zuvor empfand oder aussprechen konnte. Es ward noch vermehrt durch einen Besuch der Aerzte seines Neffen, die ihm einen genauen, umständlichen Bericht von seiner Krankheit und die kräftigste Versicherung seiner baldigen Genesung ertheilten.

Der Konstabel ließ Almosen vertheilen an die Klöster und unter die Armen, ließ Messen lesen und zahlreiche Weihkerzen anzünden. Er besuchte den Erzbischof, welcher die von ihm entworfenen Pläne völlig billigte und ihm versprach, der unbegränzten Vollmacht gemäß, die er vom Pabst erhalten, hinsichtlich seines schnellen Gehorsams, die Zeit seiner Abwesenheit, von dem Augenblick seiner Abreise aus Britannien, auf drei Jahre zu beschränken, die zu seiner Rückkehr nöthige Zeit mitgerechnet. Kurz, in dem Hauptpunkte Sieger, hielt es der Erzbischof für räthlich, in jeder geringern Rücksicht einem Manne von solchem Rang und Charakter, wie der Konstabel, nachzugeben, da der ernste, gute Wille des Letztern der bevorstehenden Unternehmung fast eben so nützlich seyn konnte, als seine persönliche Gegenwart.

Der Konstabel kehrte bald darauf nach seinem Zelt zurück, sehr zufrieden mit der Art und Weise, wie es ihm gelungen war, die Hindernisse zu umgehen, die ihm noch diesen Morgen beinahe unüberwindlich schienen. Als seine Diener sich um ihn versammelten, um ihn auszukleiden (denn die großen Lehnsherren hatten ihre Levers und Couchers, Das »Lever« bezeichnete einen im Schlafzimmer stattfindenden Morgenempfang in Kreisen des Hochadels. Das abendliche Gegenteil, ein Empfang vor der Bettruhe, wurde als »Coucher« bezeichnet. Der Zugang zu der jeweils ersten und letzten Audienz des Tages war zumeist nur einem ausgewählten Personenkreis gewährt. wie regierende Fürsten), vertheilte er mehrere Geschenke unter sie, und scherzte in einer so heitern Laune, wie sie dieselbe noch nie an ihm bemerkt hatten.

»Was Dich anlangt,« sagte er, sich zu dem Minstrel Vidal wendend, der prachtvoll gekleidet unter dem übrigen Gefolge stand, um ihm seine Ehrerbietung zu bezeigen, »so will ich Dir vor der Hand nichts geben, aber verweile neben meinem Lager, bis ich eingeschlafen bin, und am nächsten Morgen will ich Deine Kunst so belohnen, wie es mir gut dünkt.«

»Mylord,« versetzte Vidal, »ich bin bereits belohnt, theils durch Euren ehrenvollen Schutz, theils durch meine Kleidung, die mehr einem königlichen Minstrel, als einem Manne von so geringem Ruhm gebührt. Aber gebt mir irgend einen Stoff und ich will mein Bestes thun, nicht aus Begier nach reichlichen Spenden, sondern aus Erkenntlichkeit für bereits empfangene Gunst.«

»Großen Dank, guter Freund!« sagte der Konstabel. »Guarine,« fügte er hinzu, »laß die Wachen ausstellen; Du selbst aber bleibe hier im Zelt. Strecke Dich auf die Bärenhaut und schlafe oder horche dem Gesang des Minstrels, wie es Dir am besten gefällt. Wie ich höre, hältst Du Dich für einen Richter über dergleichen Tand.«

Es war in jenen unsicheren Zeiten nicht ungewöhnlich, daß irgend ein treuer Diener die Nacht in dem Zelte eines jeden Freiherrn oder sonstigen Großen zubrachte, damit derselbe im Augenblick der Gefahr nicht ohne Beistand und unbeschützt sey. Guarine zog demzufolge sein Schwert, und es in der Hand haltend, streckte er sich auf das Lager hin, doch in solcher Stellung, daß er bei dem kleinsten Geräusch, das Schwert in der Hand, sogleich aufspringen konnte.

Sein großes schwarzes Auge, in welchem der Schlaf mit dem Wunsch, den Minstrel zu hören, kämpfte, war auf Vidal geheftet, der es im Widerschein der silbernen Lampe, wie ein Drachen oder Basiliskenauge funkeln sah.

Nach einigen kurzen Gängen auf seiner Harfe ersuchte der Minstrel den Konstabel, ihm den Stoff zu nennen, an dem er seine Kunst versuchen solle.

»Die Treue der Weiber,« antwortete Hugo von Lacy, sein Haupt auf das Kissen legend.

Nach einem kurzen Vorspiel gehorchte der Minstrel, die folgenden Strophen singend:

»Weibertreu' und Weiberwort
In den Sand nur schreibts sofort.
Drückts den schnellen Fluthen ein,

Prägt es auf des Mondes Schein:
Jeden Zug wird, im Entschwinden,

Man noch stärker, fester finden,
Als das Wesen, welches klar
In dem Wort enthalten war.

Jenes Spinngewebe dort
Wog ich gegen Mädchenwort;
Braucht' ein Sandkorn als Gewicht,

Ihre Treu' wog so viel nicht.
Da erzählt' ich ihr die Schmach,

Daß sie so ihr Wort mir brach,
Wieder gab sie Hand und Schwur,
Doch es war wo Täuschung nur.«

»Was heißt das, Schurke?« rief der Konstabel, sich auf seinem Ellbogen emporrichtend, »von welchem betrunkenen Reimschmied hast Du das halbwitzige Spottgedicht gehört.«

»Von der alten, mürrischen Freundin, Erfahrung genannt,« versetzte Vidal. »Wollte Gott, daß sie nie Ew. Herrlichkeit oder irgend einen andern würdigen Mann unter ihre Zucht nähme.«

»Geh, Bursche!« erwiederte der Konstabel; »Du bist am Ende einer von jenen Weisheitspredigern, die gern für witzig gelten wollen, weil sie mit dem, was von klügeren; Leuten in Ehren gehalten wird, ihren Scherz zu treiben« wissen – mit der Ehre der Männer, mit der Treue der Weiber. Du nennst Dich einen Minstrel und hast keine Mähr bei der Hand von weiblicher Treue?«

»O, ich hatte gar manche der Art, edler Herr, aber ich legte sie bei Seite, als ich dem scherzhaften Theile der heiteren Kunst entsagte. Nichtsdestoweniger kann ich, wenn es Ew. Herrlichkeit wünscht, Euch ein bekanntes Lied über einen solchen Gegenstand singen.«

Hugo gab ein Zeichen, daß er es zu hören wünsche, und lehnte sich dann wie zum Schlummer zurück, während Vidal die beinahe end- und zahllosen Abenteuer der schönen Yseulte, jenes Vorbildes aller Treuliebenden, begann. Er besang die dauernde, ununterbrochene Treue und Neigung, die sie in vielfachen schwierigen und gefahrvollen Lagen ihrem Geliebten, dem tapfern Sir Tristram, bewahrt, und zwar auf Kosten ihres minder begünstigten Gemahls, des Königs Marcus von Cornwallis, dessen Neffe bekanntlich Sir Tristram war.

Dies war nicht das Lied der Liebe und Treue, auf welches Hugo von Lacy's Wahl gefallen wäre. Allein ein gewisses Gefühl von Schaam hinderte ihn, es zu unterbrechen, vielleicht weil er nicht gern die unangenehmen Gefühle, die diese Erzählung in ihm rege gemacht hatte, anerkennen oder eingestehen wollte. Er schlief bald ein, oder that wenigstens so, und der Harfner, der noch einige Zeit lang seinen einförmigen Gesang fortsetzte, schien endlich selbst den Einfluß des Schlummers zu fühlen. Seine Worte, so wie die sie begleitenden Harfentöne, wurden immer abgebrochener und entschlüpften nur mühsam dem Instrument und der Stimme. Endlich schwiegen die Töne gänzlich und der Minstrel schien fest entschlummert zu seyn, da sein Haupt sich auf die Brust neigte, und der eine Arm langsam herabsank, während der andere auf der Harfe ruhte. Sein Schlummer dauerte indeß nicht lange, und als er erwachend umherblickte, um bei dem Licht der nächtlichen Lampe zu erspähen, was im Zelt vorgehe, fühlte er den leisen Druck einer schweren Hand auf seiner Schulter. Zugleich flüsterte die Stimme des wachsamen Guarine ihm zu: »Dein Amt ist für diese Nacht beendet – verfüge Dich so leise als möglich nach Deinem eigenen Ruheplatz!«

Der Minstrel hüllte sich, ohne etwas darauf zu erwiedern, in seinen Mantel, wahrscheinlich einen gewissen Unmuth über eine so gleichgültige Entlassung empfindend.



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