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Sechszehntes Kapitel.

Lady Eveline blieb beinahe vier Monate bei ihrer Tante, der Aebtissin des Klosters der Benediktinerinnen, unter deren Auspicien der Konstabel von Chester seine Bewerbung so glücklich fortschreiten sah, als es wahrscheinlich unter dem Schutz ihres verstorbenen Bruders, Raymund Berengar's, geschehen seyn würde. Vermuthlich würde, wenn der Glaube an die Erscheinung der heiligen Jungfrau und das damit verbundene Gelübde der Dankbarkeit nicht in Evelinen lebendig gewesen wäre, bei der natürlichen Abneigung einer so jungen Person gegen eine, ihren Jahren durchaus nicht angemessene Verbindung, diese keinen günstigen Erfolg gehabt haben. Auch konnte Eveline, so sehr sie auch des Konstabels Tugenden verehrte und seinem hochsinnigen Charakter Gerechtigkeit widerfahren ließ, doch eine gewisse Scheu vor ihm nicht überwinden, vor der sie, während sie seine Bewerbung nicht entschieden ablehnen mochte, zuweilen unwillkührlich, ohne zu wissen weshalb, erbebte, sobald sie den Gedanken, seine Gattin zu werden, fest im Auge behielt.

Die ahnungsvollen Worte: Verrätherin und selbst verrathen, traten dann vor ihre Seele; und als ihre Tante, nachdem die Zeit der tiefen Trauer verstrichen war, die Zeit ihrer Verlobung bestimmte, sah sie diesem Tage mit einer Furcht und Bangigkeit entgegen, von der sie sich selbst keine Rechenschaft geben konnte, obgleich sie dies Gefühl sowohl, als den Traum zu Baldringham dem Pater Aldrovand selbst in der Beichte verhehlte. Es war keine entschiedene Abneigung gegen den Konstabel dabei im Spiel, noch weniger ein irgend einem andern Bewerber eingeräumter Vorzug, sondern eine jener instinktmäßigen Regungen und Empfindungen, durch welche die Natur uns vor herannahender Gefahr zu warnen scheint, ohne uns gleichwohl ihre Beschaffenheit, noch die Mittel, ihr zu entgehen, genau anzugeben.

Diese von Zeit zu Zeit sich einstellenden Besorgnisse hatten eine solche Stärke, daß, wären sie wie ehemals durch Rose Flammocks Warnungen unterstützt worden, Eveline vielleicht noch jetzt einen Entschluß gefaßt haben möchte, der den Bewerbungen des Konstabels nicht günstig gewesen wäre. Aber noch eifriger besorgt für die Ehre ihres Fräuleins, als selbst für ihr eigenes Glück, hatte Rose sich jeden Versuch streng untersagt, Evelinens Vorsatz zu erschüttern, sobald sie ihre Beistimmung zu Hugo von Lacy's Bewerbung gegeben hatte. Was sie daher auch von dieser Heirath denken oder fürchten mochte, sie schien dieselbe von diesem Augenblicke an als ein unvermeidliches Ereigniß zu betrachten.

Hugo von Lacy selbst, als er den hohen Werth des Preises, nach welchem er strebte, genauer kennen lernte, sah dieser Verbindung mit andern Gefühlen entgegen, als damals, wo er sie zuerst Raymund Berengar vorschlug. Damals war es nur eine Heirath aus Interesse und Konvenienz, die einem stolzen und klugen Lehnsherrn als das beste Mittel erschien, den Glanz seines Hauses zu befestigen und seinen Stamm fortzupflanzen. Selbst der Glanz von Evelinens Schönheit machte auf ihn nicht den Eindruck, den er auf den feurigen, leidenschaftlichen Geist der Ritter ihrer Zeit zu machen berechnet war. Er war hinaus über jene Lebensperiode, wo auch der Weisere sich von äußern Reizen bestechen läßt, und würde mit Wahrheit sowohl, als mit Bescheidenheit den Wunsch eingestanden haben, daß seine schöne Braut mehrere Jahre älter und von minder blendender Schönheit seyn möchte, damit diese Verbindung sich für sein Alter und seine Neigungen besser schicke. Dieser Stoicismus verschwand aber, als er bei wiederholten Zusammenkünften mit seiner Braut sah, daß sie zwar noch unerfahren im Leben, aber sehr begierig sey, weiserem Rathe zu folgen, und daß sie, obwohl mit hohem Verstande und einem Gemüth begabt, das allmälig seine rege und natürliche Fröhlichkeit wieder annahm, zugleich Anmuth und Nachgiebigkeit damit vereinte. Vor Allem aber entzückte ihn die Festigkeit ihrer Grundsätze, die ihm Bürge zu seyn schien, sie werde den schlüpfrigen Pfad, den Jugend, Rang und Schönheit ihr anwiesen, mit Würde und fleckenlos wandeln.

Als in Hugo von Lacy's Busen sich wärmere und leidenschaftlichere Gefühle für Evelinen zu regen anfingen, fühlte er immer drückender seine Verpflichtung zum Kreuzzuge. Die Benediktiner-Aebtissin, für Evelinens Glück besorgt, steigerte diese Empfindungen durch ihre nachdrücklichen Vorstellungen. Obgleich sie eine Nonne und sehr fromm war, hielt sie dennoch den heiligen Ehestand sehr in Ehren, und begriff leicht, daß der wichtige Zweck desselben nicht erfüllt werden konnte zu einer Zeit, wo das ganze feste Land Europa's die Verheiratheten trennte; denn bei einem Wink des Konstabels, daß seine junge Gattin ihn vielleicht in dem gefahrvollen und sittenlosen Lager der Kreuzfahrer begleiten könne, schlug die gute Dame mit Abscheu ein Kreuz, und verbat sich, in ihrer Gegenwart nie wieder einen solchen Vorschlag zu erwähnen.

Es war indeß nicht ungewöhnlich, daß Könige, Fürsten und andere angesehene Personen, welche das Gelübde einer Wallfahrt nach Jerusalem gethan hatten, Aufschub, ja öfters eine gänzliche Entbindung ihrer Verpflichtungen erhielten, falls sie sich gebührend an den römischen Stuhl wandten. Der Konstabel konnte sich der eifrigsten und bereitwilligsten Unterstützung seines Monarchen versichert halten, wenn er um die Erlaubniß bat, in England zurückbleiben zu dürfen; denn Hugo von Lacy war es, dessen Tapferkeit und Einsicht Heinrich die Vertheidigung der Gränzen gegen die unruhigen Walliser hauptsächlich übertragen hatte, und es war ganz gegen seine Wünsche, daß ein so brauchbarer Lehensträger das Kreuz nahm.

Es ward daher insgeheim zwischen der Aebtissin und dem Konstabel beschlossen, daß der Letztere in Rom und bei dem päbstlichen Legaten in England um einen Aufschub seines Gelübdes auf mindestens zwei Jahre nachsuchen sollte. Daß diese Gunst einem Manne von seinem Reichthum und Einfluß verweigert würde, ließ sich kaum denken, um so mehr, da Hugo die freigebigsten Anerbietungen machte, die Befreiung des heiligen Landes thätig zu unterstützen. Seine Versprechungen waren in der That glänzend. Er versprach, falls man ihm seine persönliche Begleitung erließe, hundert Lanzen auf seine eigenen Kosten zu senden, eine jede Lanze von zwei Knappen, drei Bogenschützen und einem Troßbuben begleitet – ein Gefolge, das zwiefach so groß war, als er selbst bei sich gehabt hätte. Er machte sich außerdem zu einer Summe von zweitausend Byzantinen Im englischen Original: »bezants«; unter diesem Namen, einer Verballhornung des Originalbegriffs »Byzantium«, war der byzantinische »Solidus« auch in Westeuropa im Umlauf. Da die Geschehnisse des Romans 1187-92 spielen, hat jedoch die Münzreform von 1092 durch Alexios I. noch nicht stattgefunden, und der Solidus war bis dahin in seinem Goldgehalt auf 0 bis höchstens 8 Karat von seinem ursprünglichen Wert (23 bis 23,5 Karat) gesunken. anheischig, und erklärte, dem christlichen Heere jene wohlausgerüsteten Schiffe zu überlassen, welche bereit lagen, um ihn und sein Gefolge aufzunehmen.

Allein der Konstabel mußte, während er diese glänzenden Anerbietungen that, sich gleichwohl eingestehen, daß sie den Erwartungen des strengen Prälaten Balduin dennoch nicht entsprechen würden. Er, der selbst den Kreuzzug gepredigt, und den Konstabel nebst vielen Andern daran Theil zu nehmen vermocht hatte, sah jetzt offenbar mit Mißmuth den Erfolg seiner glänzenden Beredsamkeit gefährdet, wenn sich ein so wichtiger Bundesgenosse von seinem Lieblingsunternehmen ausschloß. Um daher seinen Unmuth so viel als möglich zu mildern, machte der Konstabel dem Erzbischof das Anerbieten, daß, falls er Erlaubniß erhielte, in Brittannien bleiben zu dürfen, seine Truppen durch seinen Neffen Damian Lacy angeführt werden sollten, der durch manche ritterliche That berühmt, die Hoffnung seines Hauses, und falls er selbst ohne Erben, das künftige Haupt und die Stütze desselben sey.

Der Konstabel schlug den klügsten Weg ein, um dem Erzbischof Balduin diesen Vorschlag mitzutheilen. Er erwählte dazu einen gemeinschaftlichen Freund, auf den er sich verlassen konnte, und der vielen Einfluß auf den Prälaten hatte. Allein dieser vernahm das Anerbieten, so glänzend es war, mit hartnäckigem, mürrischem Schweigen und verschob die Antwort bis zu einer persönlichen Zusammenkunft mit dem Konstabel an einem bestimmten Tage, wo kirchliche Angelegenheiten den Erzbischof nach Glocester riefen. Der Bericht des Vermittlers ließ den Konstabel allerdings einen harten Stand mit dem stolzen und mächtigen Geistlichen befürchten; allein selbst stolz und mächtig, und unterstützt durch die Gunst seines Monarchen glaubte er nicht, in diesem Streite zu unterliegen.

Die Nothwendigkeit, erst über diesen Punkt im Reinen zu seyn, so wie der neuerlich erfolgte Tod von Evelinens Vater gaben Hugo von Lacy's Bewerbung den Anschein einer gewissen Heimlichkeit. Turniere und kriegerische Feste wurden dadurch verhindert, bei denen er gern seine Gewandtheit vor den Augen seiner Gebieterin gezeigt hätte. Die klösterlichen Regeln untersagten die Unterhaltung durch Tanz, Musik oder andere stillere Lustbarkeiten. Wenn daher der Konstabel auch seine Liebe durch die freigebigsten Geschenke an seine Braut und ihre Umgebungen bewies, so hatte die ganze Sache nach der Meinung der einsichtsvollen Frau Gillian mehr das Ansehen eines feierlichen Begräbnisses, als den fröhlichen Schein einer herannahenden Hochzeit.

Die Braut selbst empfand etwas Aehnliches und dachte zuweilen, diese Zeit hätte wohl durch die Besuche des jungen Damian erheitert werden können, der ihr an Alter so gleich war, daß sie in seiner Gesellschaft auf einige Erholung von der steifen Bewerbung seines ernstern Oheims rechnen konnte. Allein jener kam nicht, und nach dem zu schließen, was der Konstabel in Betreff seines Neffen erwähnte, schienen die beiden Verwandten, auf einige Zeit wenigstens, Beschäftigung und Charakter umgetauscht zu haben. Der ältere Lacy fuhr in der That fort, sein Gelübde buchstäblich zu erfüllen, indem er in einem vor den Thoren von Glocester errichteten Zelte wohnte. Doch trug er jetzt selten seine Rüstung und sein abgetragenes Wams von Gemsenleder machte einem Anzug von Damast und Seide Platz. So zeigte er im vorgerücktem Lebensalter mehr Sorgfalt in seiner Kleidung, als seine Zeitgenossen bei ihm als Jüngling bemerkt hatten.

Sein Neffe verweilte dagegen fortwährend an den Walliser Gränzen und war beschäftigt, die mannigfachen Unruhen, welche in dieser Gegend herrschten, theils mit Klugheit zu unterdrücken, theils ihnen mit gewaffneter Hand Einhalt zu thun. Mit Erstaunen hörte Eveline, daß sein Oheim ihn nur mit Mühe bewegt habe, bei ihrer feierlichen Verlobung zugegen zu seyn. Diese Ceremonie, welche stets der wirklichen Vermählung in einem nach Umständen kürzern oder längern Raume voranging, ward gewöhnlich mit einer Feierlichkeit vollzogen, die dem Range der Verlobten angemessen war.

Der Konstabel äußerte mit Besorgniß, Damian gönne sich in Betracht seiner großen Jugend zu wenig Ruhe, schlafe zu wenig und sey zu rastlos angestrengt. Darunter leide nun seine Gesundheit, und um ihr ihre natürliche Stärke wieder zu geben, habe ein gelehrter jüdischer Arzt, den man deshalb zu Rath gezogen, die Wärme eines südlichen Klimas dringend empfohlen.

Eveline hörte dies mit großem Bedauern: denn sie dachte an Damian, wie an einen heilverkündenden Engel, da er es war, der ihr die erste Nachricht brachte von ihrer Errettung aus der Macht der Walliser. Die Gelegenheiten, wo sie sich später getroffen, gewährten ihr noch immer eine, wenn auch trübe, doch süße Erinnerung, da des Jünglings Benehmen so angenehm, der Ausdruck seiner Theilnahme so tröstend gewesen war. Sie wünschte ihn zu sehen, um selbst seine Krankheit beurtheilen zu können; denn wie andere Frauen jener Zeit, war sie nicht gänzlich unerfahren in der Heilkunde; und Pater Aldrovand, der selbst kein unbedeutender Arzt war, hatte sie gelehrt, wie man die heilende Kraft von Pflanzen und Kräutern benutzen könne, die zu einer bestimmten Zeit beim Schein der Planeten gepflückt würden. Sie glaubte daher, daß, so gering auch ihre Kenntnisse von dieser Wissenschaft wären, sie vielleicht doch demjenigen gute Dienste leisten könnten, der ihr Freund und Retter war und bald ihr naher Verwandter werden sollte.

Nicht ohne ein Gefühl von Freude, in welches sich einige Verwirrung mischte (ohne Zweifel bei dem Gedanken, einem so jungen Kranken ärztlichen Rath ertheilen zu wollen), vernahm Eveline daher eines Abends, als die Klosterfrauen einiger geistlichen Angelegenheiten halber im Kapitel versammelt waren, von Frau Gillian die Nachricht, daß der Neffe des Herrn Konstabel sie zu sprechen wünsche. Sie ergriff schnell ihren Schleier, den sie der klösterlichen Sitte gemäß trug und stieg in das Sprachzimmer hinab, Frau Gillian gebietend, ihr zu folgen, die indeß für gut fand, diesen Wink nicht zu beachten.

Als sie in das Gemach trat, nahte sich ihr ein Mann, den sie noch nie gesehen, und indem er sich auf ein Knie vor ihr niederließ, ergriff er den Saum ihres Schleiers, ihn mit der tiefsten Ehrfurcht küssend. Erstaunt und erschrocken trat sie zurück, wiewohl in dem Aeußern des Fremden nichts lag, was ihre Furcht rechtfertigte. Er schien über dreißig Jahre alt, war schlank von Gestalt und hatte edle Züge, die aber durch Krankheit oder jugendliche Leidenschaften entstellt und vor der Zeit gealtert waren. Sein Benehmen war höflich und ehrerbietig, fast in übertriebenem Grade. Er bemerkte Evelinens Erstaunen und sagte mit stolzem Tone, der indeß zugleich eine innere Bewegung verrieth: »Ich fürchte, hier findet ein Irrthum statt, und man betrachtet meinen Besuch als eine unwillkommene Zudringlichkeit.«

»Steht auf, Sir,« entgegnete Eveline, »und laßt mich Euren Namen und Euer Geschäft wissen. Man hatte mir einen Neffen des Konstabel von Chester gemeldet –«

»Und Ihr erwartetet den jugendlichen Damian,« versetzte der Fremde. »Aber diese Vermählung, von der ganz England widerhallt, wird Euch noch mit andern Mitgliedern jenes Hauses bekannt machen, unter Andern mit dem unglücklichen Randal von Lacy. Vielleicht,« fuhr er fort, »hat die schöne Eveline Berengar selbst diesen Namen nicht einmal gehört von den Lippen seines glücklichern Verwandten – glücklicher in jeder Hinsicht – aber am glücklichsten durch seine jetzigen Aussichten.«

Dies Kompliment ward von einer tiefen Verbeugung begleitet und Eveline war sehr verlegen, was sie auf diese Höflichkeiten erwiedern sollte. Denn wenn sie sich auch erinnerte, daß der Konstabel diesen Randal in einem Gespräch über seine Familie flüchtig erwähnt hatte, so war es doch in Ausdrücken geschehen, die auf kein gutes Einverständniß zwischen Beiden schließen ließen. Sie erwiederte daher seine Artigkeit nur im Allgemeinen durch den Dank für die Ehre seines Besuchs, und erwartete, daß er sich entfernen würde, doch schien dies keineswegs seine Absicht zu seyn.

»Aus der Kälte,« sagte er, »womit Lady Eveline Berengar mich empfängt, muß ich schließen, daß das, was mein Verwandter über mich geäußert haben mag (falls er mich überhaupt würdig geachtet, meiner zu erwähnen), wenigstens nicht günstig für mich gewesen ist. Und gleichwohl stand mein Name einst eben so hoch im Feld und an den Höfen, als der des Konstabels. Auch drückt diesen Namen nichts als dasjenige, was öfters als das schlimmste Uebel betrachtet werden muß – die Armuth! Sie nimmt mir das Recht, mich um Ruhm und Ehrenstellen zu bewerben. Hab' ich eine Menge von jugendlichen Thorheiten begangen, so hab' ich dafür gebüßt mit dem Verlust meines Vermögens, mit der Herabwürdigung meines Standes. Mein glücklicherer Verwandter könnte mir, wenn er wollte, einigen Beistand gewähren. Ich meine damit nicht seine Börse oder sein Vermögen: denn so arm ich bin, ich möchte nicht von Almosen leben, die ich aus der Hand eines mir fremd gewordenen Freundes erbetteln müßte. Aber seine Verwendung kostete ihm nichts, und in dieser Hinsicht könnte ich einige Begünstigung erwarten.«

»Darüber muß der Konstabel selbst entscheiden,« antwortete Eveline. »Ich besitze – bis jetzt wenigstens – kein Recht, mich in seine Familienangelegenheiten zu mischen, und sollt' ich je ein solches Recht erlangen, so geziemt es mir, vorsichtig in dem Gebrauche desselben zu seyn.«

»Eine höchst verständige Antwort,« erwiederte Randal. »Allein was ich von Euch wünsche, ist bloß, daß ihr die Güte habt, meinem Vetter ein Gesuch vorzutragen, das meine rauhere Zunge nicht mit der gehörigen Demuth auszusprechen vermag. Die Wucherer, deren Forderungen mein Vermögen krebsartig verzehrt haben, bedrohen mich jetzt mit dem Kerker, was sie nicht wagen dürften, wenn sie nicht einen Geächteten in mir erblickten, den das natürliche Oberhaupt seiner Familie nicht schützt; wenn sie mich, den Abkömmling des mächtigen Hauses Lacy, nicht wie einen unbefreundeten Vagabunden behandelten.«

»Eure Lage ist traurig,« versetzte Eveline; »allein ich sehe nicht ein, wie ich Euch in dieser Noth helfen kann.«

»Sehr leicht,« erwiederte Randal von Lacy. »Der Tag Eurer Verlobung ist, wie ich höre, bestimmt; und Euch steht das Recht zu, die Zeugen einer Feierlichkeit zu wählen, die der Himmel segnen möge. Für einen jeden Andern, mich ausgenommen, ist die Gegenwart bei dieser Feierlichkeit eine bloße Ceremonie – mir bringt sie Leben oder Tod. Meine Lage ist von der Art, daß, falls ich von diesem Familienfeste ausgeschlossen würde, dieser auffallende Beweis von Gleichgültigkeit oder Geringschätzung für ein Zeichen meiner gänzlichen Verstoßung aus dem Hause Lacy gelten müßte. Tausend Bluthunde würden ohne Gnad' und Barmherzigkeit über mich herfallen, während, feige wie sie sind, die kleinste scheinbare Rücksicht für mich von Seiten meines mächtigen Vetters sie von weitern Verfolgungen abhalten würde. Aber warum soll ich Eure Zeit länger durch diese Reden in Anspruch nehmen? Lebt wohl! Seyd glücklich und denkt von mir nicht unfreundlicher, weil ich einige Augenblicke Eure angenehmern Gedanken durch die Mittheilung meines Unglücks störte.«

»Halt, Sir!« rief Eveline, gerührt von dem Ton und Benehmen des edlen Bittenden. »Ihr sollt nicht sagen, daß Ihr Evelinen Berengar Euren Kummer geklagt, ohne von ihr die Hilfe zu empfangen, die sie Euch zu gewähren vermag. – Ich will dem Konstabel von Chester Euer Gesuch vortragen.«

»Ihr müßt mehr thun, wenn Ihr mir wirklich beistehen wollt,« sagte Randal, »Ihr müßt meine Bitte zu der Eurigen machen. – Ihr wißt nicht,« fuhr er fort, einen festen, ausdrucksvollen Blick auf sie richtend, »wie schwer es ist, den festen Vorsatz eines Lacy zu ändern! Zwölf Monde später werdet Ihr wahrscheinlich besser bekannt seyn mit der unerschütterlichen Festigkeit unserer Entschlüsse. Aber jetzt – was vermag Euren Wünschen zu widerstehen, wenn Ihr Euch nur herablaßt, sie auszusprechen?«

»Euer Gesuch, Sir,« sagte Eveline, »soll Euch, was an mir und meinem guten Willen liegt, nicht fehlschlagen; aber Ihr müßt bedenken, daß die Gewährung allein von dem Konstabel selbst abhängt.«

Randal von Lacy beurlaubte sich mit eben dem Schein einer tiefen Ehrfurcht, den er bei seinem ersten Gruße gezeigt hatte. Doch statt, wie früherhin, den Saum von Evelinens Gewande zu küssen, berührten seine Lippen jetzt ihre Hand. Sie sah ihn mit gemischten Empfindungen, unter denen das Mitleid vorherrschte, sich entfernen, wenn gleich in seinen Klagen über des Konstabels Unfreundlichkeit etwas Beleidigendes und in dem Geständniß seiner Thorheiten mehr gekränkter Stolz, als wahre Reue lag.

Als Eveline den Konstabel wiedersah, theilte sie ihm sogleich den Besuch Randal's und seine Bitte mit, und einen aufmerksamen Blick auf Hugo's Züge heftend, bemerkte sie, daß bei der ersten Erwähnung von seines Vetters Namen sein Auge zornig funkelte. Doch bezwang er sich, und hörte mit zu Boden gesenktem Blick schweigend Evelinens ausführlichen Bericht und ihre Bitte an, daß Randal sich unter den zur Verlobung eingeladenen Gästen einfinden möchte.

Der Konstabel schwieg augenblicklich, als überlege er, wie er ihre Fürsprache ablehnen wolle. »Ihr wißt nicht,« entgegnete er endlich, »für wen Ihr Euch verwendet, und würdet vielleicht in diesem Falle Eure Fürsprache nicht zugesagt haben. Eben so wenig wißt Ihr, was die Gunst, die Ihr begehrt, auf sich hat, wiewohl es meinem verschmitzten Vetter wohl bekannt ist, daß, falls ich sie ihm gewähre, ich mich gleichsam in den Augen der Welt noch einmal – und zwar zum dritten Male – verpflichte, mich in seine Angelegenheiten zu mischen und sie auf einen solchen Fuß zu setzen, daß er Mittel erhält, sein gefallenes Ansehen wieder herzustellen und seine zahllosen Fehltritte auszugleichen.«

»Und warum wollt Ihr das nicht?« entgegnete die edelmüthige Eveline. »Wenn ihn nur Thorheiten ins Verderben stürzten, so ist er jetzt in dem Alter, wo er diesen Lockungen widerstehen kann. Ist daher Herz und Hand wacker und gut, so kann er noch immer dem Hause Lacy Ehre bringen.«

Der Konstabel schüttelte den Kopf. »Er besitzt allerdings,« sagte er, »Herz und Hand, zu thätigem Dienst geschickt; aber ob zum Guten oder Bösen, das mag Gott wissen. Doch, man soll nie sagen, Ihr, mein schöne Eveline, hättet von Hugo von Lacy irgend etwas begehrt, das er nicht nach Kräften zu erfüllen gesucht hätte – Randal sey ein Zeuge unserer Verlobung! Wir haben um so mehr Ursache, ihn herbeizurufen, da ich fürchte, daß wir die Gegenwart unseres theuren Neffen Damian werden entbehren müssen, dessen Krankheit, wie ich höre, sich eher vermehrt, als abnimmt, und seltsame Symptome von ungewöhnlicher Geisteszerrüttung und einer Reizbarkeit des Gemüths zeigt, der vielleicht kein Jüngling weniger unterworfen war, als er.«



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