Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Das Bild der Jungfrau sank – doch kniete wohl
Nie unerhört der Flehende vor ihr.
Sie war ein sichtbar Bild der Macht und Güte,
Verbunden war in ihr und zart vereint
Die Mutterliebe mit der Jungfrau Reinheit,
Das Hohe, Niedrige, und Erd' und Himmel.

Wordsworth.

Lady Evelinens Haushalt, wiewohl ihrem jetzigen und zukünftigen Range gemäß, glänzend eingerichtet, hatte ein düsteres, feierliches Gepräge, das ihrem Aufenthaltsorte, so wie der Eingezogenheit, welche ihre Lage heischte, entsprach, da sie nicht mehr zu der Klasse der noch freien Mädchen gezählt werden konnte, und doch auch nicht zu den Frauen gehörte, die den unmittelbaren Schutz des verheiratheten Standes genießen. Ihre weiblichen Dienerinnen, mit denen der Leser bereits bekannt ist, machten beinahe ihre ganze Gesellschaft aus. Die Besatzung des Schlosses, außer ihren Hausbedienten, bestand aus Veteranen von geprüfter Treue, die in mancher blutigen Schlacht Berengars und Hugo von Lacy's Gefährten gewesen, und mit der Pflicht der Wachsamkeit völlig vertraut geworden waren, während ihr Muth, durch Alter und Erfahrung gemäßigt, sie nicht leicht in ein unbesonnenes Abenteuer, oder in einen zufälligen Streit verwickelte. Diese Leute unterhielten eine fortwährende sorgfältige Wache, durch den Haushofmeister befehligt; doch führte Pater Aldrovand die Oberaufsicht, da er sich mitunter darin gefiel, einige Spuren seiner frühern kriegerischen Erziehung blicken zu lassen.

Während diese Besatzung gegen jeden Angriff oder Versuch der Walliser, das Schloß zu überrumpeln, hinlängliche Sicherheit gewährte, stand einige Meilen von Garde Doloureuse eine starke Kriegsmacht bereit, bei der geringsten Veranlassung vorzurücken, um die Burg gegen jeden zahlreichern Ueberfall der Feinde zu decken, die vielleicht ungeschreckt durch den Fall Gwenwyns, die Kühnheit haben möchten, eine wirkliche Belagerung zu unternehmen. Zu diesen Truppen, die unter Damians eigenen Augen stets in Bereitschaft gehalten wurden, konnte sich im Nothfalle die kriegerische Mannschaft der Gränzen gesellen, so wie die zahlreichen Truppen der Flamänder und anderer Fremden, die für ihre Ländereien Kriegsdienste thun mußten.

Indeß die Festung auf diese Weise vor feindlichen Gewaltthätigkeiten gesichert war, floß das Leben ihrer Bewohner so einfach und gleichförmig dahin, daß Jugend und Schönheit Entschuldigung verdiente, wenn sie selbst mit einer gewissen Gefahr nach Veränderung strebte. Die Beschäftigung mit der Nadel wechselte höchstens mit einem Spaziergange um die Wälle des Schlosses ab, wo Eveline, Arm in Arm mit Rosen wandelnd, von jeder Schildwache einen militärischen Gruß erhielt; oder, auf dem Burghofe sich ergehend, von ihren Dienern durch das Schwenken der Mützen dieselbe Ehrenbezeigung erhielt, die sie oben von den Lanzen und Wurfspießen der Krieger empfangen hatte. Wünschte sie aber ihren Spaziergang über das Schloß hinaus auszudehnen, so war es nicht hinreichend, daß die Thore geöffnet, die Brücken niedergelassen wurden. Eine bewaffnete Eskorte war stets bereit, zu Fuß oder zu Pferde, wie es eben nöthig war, für Evelinens Sicherheit zu sorgen. Ohne diese kriegerische Begleitung konnte sie, nebst Rosen, sich nicht einmal bis zu den Mühlen begeben, wo der ehrliche Wilkin Flammock, seine Kriegsthaten vergessend, sich mit seinen mechanischen Arbeiten beschäftigte. Wenn man vielleicht gar eine weitere Ausflucht beabsichtigte, und die Gebieterin von Garde Doloureuse der Falkenjagd oder dem Waidwerk überhaupt einige Stunden widmen wollte, so ward ihre Sicherheit nicht einer so schwachen Bedeckung, als die Garnison des Schlosses gewähren konnte, anvertraut. Raoul mußte dann den Abend zuvor durch einen besondern Boten Damian mit ihrem Vorsatze bekannt machen, damit man Zeit gewann, vor Anbruch des Tages die Gegend, in welcher diese Ergötzlichkeit Statt finden sollte, durch eine leichte Reiterei erst gehörig zu säubern. Es wurden außerdem, so lange sie im Freien blieb, an allen verdächtigen Punkten Schildwachen ausgestellt. Zwar versuchte sie wirklich einige Male eine Ausflucht zu wagen, ohne diese förmliche Anzeige ihrer Absichten vorhergehen zu lassen; allein alle ihre Vorsätze schienen im Augenblicke des Entstehens Damian bekannt zu seyn; denn sie verließ kaum das Schloß, als man auch schon Trupps von Scharfschützen und Lanzenträgern aus seinem Lager die Thäler durchziehen und die Bergpässe besetzen sah; ja, Damians eigener Federbusch zeigte sich deutlich unter den fernen Kriegern

Durch die Förmlichkeit aller dieser Vorbereitungen wurde das erwartete Vergnügen so sehr verringert, daß Eveline selten eine mit so vielen Umständen verknüpfte Ausflucht unternahm, die eine solche Menge Personen in Bewegung setzte.

War der Tag, so gut es gehen wollte, hingebracht, so pflegte Pater Aldrovand aus irgend einer Legende, oder aus den Homilien Predigt, in der die vorgetragenen biblischen Lesungen ausgelegt werden. eines verstorbenen Heiligen, Einiges vorzulesen, was er für seine kleine Gemeinde vorzüglich passend fand. Mitunter las er, und erklärte ihnen Stellen der heiligen Schrift. Allein in solchen Fällen war die Aufmerksamkeit des guten Mannes so ausschließlich auf den kriegerischen Theil der jüdischen Geschichte gerichtet, daß er sich von dem Buche der Richter und der Könige, und von den Triumphen des Judas Maccabäus nicht leicht trennen konnte, wiewohl seine Verherrlichung der Siege der Kinder Israels ihm selbst bei weitem mehr Vergnügen machte, als daß seine Zuhörer dadurch sonderlich erbaut wurden.

Mitunter, wiewohl selten, erhielt Rose Erlaubniß, einen wandernden Minstrel einzuführen, damit er durch seine Liebeslieder und Rittergesänge eine Stunde ausfüllte. Zuweilen belohnte ein von einem fernen Gnadenbilde heimkehrender Pilger durch eine lange Schilderung der Wunder, die er in fremden Landen gesehen, die Gastfreundschaft, welche ihm in Garde Doloureuse zu Theil ward. Auch geschah es zuweilen, daß, durch Verwendung der Kammerfrau, reisende Kaufleute oder Hausirer Zutritt erhielten, deren Interesse sie, mit Gefahr ihres Lebens, von Schloß zu Schloß reiche Stoffe und weiblichen Schmuck umhertragen ließ.

Die gewöhnlichen Besuche von Bettlern, Possenreißern und Gauklern dürfen auf diesem Verzeichnisse der Zerstreuungen nicht übersehen werden. Ja, selbst der Walliser Barde, obgleich von seiner Nation einer strengeren Aufsicht und Bewachung unterworfen, erhielt zuweilen Zutritt, um durch seine mächtige, mit Pferdehaaren bezogene Harfe die Gleichförmigkeit des einsamen Lebens der Burgbewohner zu unterbrechen. Doch außer diesen Ergötzlichkeiten und der pünktlichen Beobachtung der religiösen Pflichten in der Kapelle, konnte nicht leicht das Leben irgendwo langweiliger und einförmiger dahinfließen, als auf dem Schlosse Garde Doloureuse. Seit dem Tode seines tapfern Besitzers, dem Feste und Gastfreiheit eben so natürlich schienen, als Ritterthaten und Begriffe der Ehre, hätte man glauben können, die düstere Stille eines Klosters herrsche in dem alten Stammschlosse Raymund Berengars, falls nicht die Anwesenheit so vieler bewaffneter Reisigen, die mit feierlichen Schritten die Mauern umkreisten, ihm mehr den Anschein eines Staatsgefängnisses ertheilt hätte. Selbst der Charakter der Einwohner nahm allmälig den Charakter ihrer Behausung an.

Besonders fühlte sich Evelinens Geist endlich so niedergedrückt, daß ihr sonst so lebhafter Charakter kaum diese trübe Stimmung ertragen konnte, und je ernster ihr Nachsinnen wurde, desto mehr näherte es sich einer stillen ruhigen Beschauung, die öfters mit einem feurigen, schwärmerischen Geiste verbunden ist. Sie dachte öfters nach über die frühern Ereignisse ihres Lebens, und man darf sich nicht wundern, wenn ihre Gedanken stets wieder zu den zwei verschiedenen Perioden zurückkehrten, wo sie eine übernatürliche Erscheinung gesehen oder zu sehen geglaubt hatte. In solchen Augenblicken schien es ihr oftmals, als stritte eine gute und böse Macht um die Herrschaft über ihr Geschick.

Einsamkeit nährt leicht das Gefühl eigener Wichtigkeit. Allein und nur ihren eigenen Gedanken nachhängend, erblickten Fanatiker Visionen und eingebildete Heilige verloren sich in schwärmerischen Träumen. Diese Begeisterung erreichte Evelinens Phantasie zwar nicht, doch glaubte sie zuweilen Nachts im Traume die Gestalt Unserer Frau von Garde Doloureuse zu erblicken, welche mit einem Blicke des Mitleids, Trosts und Schutzes auf sie herabsah. Zuweilen aber erblickte sie auch das unheimliche Gespenst aus dem sächsischen Schlosse Baldringham, welches die blutige Hand emporhielt, als Zeugen der Schmach, die Wanda im Leben erlitt, und dem Abkömmling ihres Mörders Rache drohte.

Erwachte sie aus solchen Träumen, so drang sich ihr der Gedanke auf, daß sie die Letzte ihres Hauses sey – eines Hauses, das seit langen Zeiten ebensowohl den Schutz des wunderthätigen Bildes genoß, als es von dem bösen, feindlichen Einflusse der rachsüchtigen Wanda verfolgt ward. Sie selbst schien der Preis zu seyn, um den die wohlwollende Heilige und das zürnende, böse Wesen jetzt den letzten und kühnsten Kampf bestehen sollten.

Voll von diesen Ideen, und wenig darin gestört durch äußere Zerstreuungen, ward sie nachdenkend, untheilnehmend, und verlor sich in Betrachtungen, die ihren Geist von dem, was sie umgab, ganz ablenkten, so daß sie in der wirklichen Welt wie eine Träumende umherwandelte. Dachte sie an ihr Verhältniß zu dem Konstabel, so geschah es mit Ergebung, doch ohne Wunsch, ja, fast ohne Erwartung, daß es sich jemals realisiren werde. Sie hatte ihr Gelübde erfüllt, indem sie den Treuschwur ihres Befreiers erwiederte, und wenn sie gleich bereit war, ihr Wort zu lösen – ja, kaum sich selbst den Widerwillen eingestand, mit welchem sie daran dachte – so nährte sie doch offenbar eine fast unbewußte Hoffnung, daß Unsere Frau von Garde Doloureuse kein strenger Gläubiger seyn und zufrieden mit der Bereitwilligkeit, welche sie zur Erfüllung ihres Gelübdes gezeigt, dieselbe nicht nach aller Strenge verlangen werde. Der schwärzeste Undank wäre es gewesen, zu wünschen, daß ihren tapfern Befreier, für den sie so viele Ursache hatte, zu beten, einer jener Unglücksfälle treffen möchte, die im heiligen Lande so oft den Lorbeer in Cypressen verwandelten. Doch bei so langer Abwesenheit konnten andere Umstände eintreten, welche die Vorsätze, mit denen Mancher die Heimath verließ, durchaus änderten.

Ein herumziehender Minstrel, welcher Garde Doloureuse besuchte, hatte zur Unterhaltung der Lady und ihrer Umgebung die berühmte Ballade von dem Grafen von Gleichen vorgetragen, der, bereits daheim vermählt, einer Saracenin, welcher er seine Freiheit verdankte, so viele Verpflichtungen schuldig ward, daß er sie ebenfalls heirathete. Der Pabst und sein Conclave waren in diesem außerordentlichen Falle geneigt, die Doppelheirath zu billigen, und der gute Graf von Gleichen theilte nun sein Ehebett mit zwei Weibern gleichen Ranges, und ruht jetzt zwischen beiden unter einem Grabsteine. Der Haken an dieser Episode: Graf Gleichen zieht erst 1227 auf einen Kreuzzug; die Ballade ist zum Zeitpunkt des Romangeschehens also anachronistisch, etwas, das ja bereits im Falle des Geoffrey Rudel zu beobachten war - so viel dichterische Freiheit muss schon sein.

Der Kommentar der Schloßbewohner über diese Legende fiel sehr verschiedenartig und widersprechend aus. Pater Aldrovand hielt sie für durchaus ungegründet, und nannte es eine unwürdige Verläumdung des Oberhaupts der Kirche, wenn man zu behaupten wage, daß Se. Heiligkeit eine solche Unregelmäßigkeit billigen könne. Die alte Margarethe weinte, mit dem zärtlichen Herzen einer Amme, bitterlich während der Erzählung, und war hocherfreut, diese, wie es schien, endlosen Liebesqualen so glücklich beendet zu sehen. Frau Gillian erklärte es für unbillig, daß, da einer Frau nur Ein Ehemann erlaubt sey, es einem Manne unter irgend einer Beziehung gestattet seyn sollte, zwei Frauen zu besitzen. Raoul aber warf ihr einen giftigen Blick zu, und spottete über die jämmerliche Einfalt eines Mannes, der ein solches Vorrecht benutzen könne.

»Schweigt jetzt all' ihr Uebrigen!« sagte Lady Eveline; »Du aber, meine theure Rose, sage mir, was Du über diesen Grafen von Gleichen und seine beiden Weiber denkst.«

Rose entgegnete erröthend: ›Sie sey nicht sehr gewohnt, an dergleichen Gegenstände zu denken; aber, ihrer Ansicht nach, verdiene die Frau, die sich mit der halben Neigung ihres Gatten begnügen könne, nie den kleinsten Theil derselben besessen zu haben.‹

»Du hast großentheils Recht, Rose,« versetzte Eveline. »Mich dünkt, die europäische Dame, da sie sich durch die junge und schöne Prinzessin aus der Fremde verdunkelt sah, würde ihre eigene Würde am besten bewahrt haben, wenn sie ihre Rechte aufgegeben und dem heiligen Vater nicht noch größere Mühe gemacht hätte, als schon in gewöhnlichern Fällen mit der Auflösung einer Ehe verbunden ist.«

Sie sagte dies mit einem so gleichgültigen Benehmen, ja, mit so vieler Lustigkeit, daß ihre treue Dienerin daraus schloß, wie leicht es ihr werden würde, ein solches Opfer zu bringen, was die Beschaffenheit ihrer Neigung zu dem Konstabel aufs Deutlichste verrieth. Aber es ab noch einen andern Gegenstand, als den Konstabel, auf welchen ihre Gedanken unwillkürlich öfter, als sie vielleicht gesollt hätten, zurückkehrten.

Die Erinnerung an Damian von Lacy war in Evelinens Herzen nicht ganz erloschen. Sein Andenken wurde natürlich erneut durch das öftere Nennen seines Namens, und das Bewußtseyn, er befinde sich fast unausgesetzt in ihrer Nähe, und richte seine ganze Aufmerksamkeit auf ihre Bequemlichkeit, ihren Vortheil und ihre Sicherheit. Doch schien er dagegen weit entfernt, ihr selbst persönlich aufzuwarten, nie mit ihr in nähere Berührung kommen zu wollen, mochte der Gegenstand seiner Bemühungen sie auch noch so nahe angehen. Während durch die Botschaften, welche Pater Aldrovand oder Rose dem Pagen Damians, Amelot, überbrachten, ihr Verhältniß eine Art von Feierlichkeit erhielt, welche Eveline unnöthig, ja, selbst unfreundlich fand, dienten sie gleichwohl dazu, ihre Aufmerksamkeit auf das unter ihnen bestehende Verhältniß zu richten, und sein Bild immer in ihrem Gedächtnisse lebendig zu erhalten.

Die Bemerkung, womit Rose einst die Zurückgezogenheit Damians entschuldigte, trat zuweilen lebhaft vor ihrer Gebieterin Seele; aber während sie mit Verachtung den Argwohn zurückwies, daß Damians Gegenwart, möge sie nun dauernd oder vorübergehend seyn, in irgend einem Falle die Rechte des Oheims beeinträchtigen könne, fand sie dennoch manche Gründe, sein Andenken häufig zu erneuen. – War es nicht ihre Pflicht, Damians oft und freundlich zu gedenken, da er des Konstabels nächster, theuerster und zuverlässigster Verwandter war? – War er nicht früher ihr Retter, jetzt ihr Beschützer? Und ließ er sich nicht vielleicht als Hauptwerkzeug betrachten, dessen sich ihre himmlische Beschützerin bediente, um ihr den schon öfters in Drangsalen bewiesenen Beistand auf die wirksamste Weise angedeihen zu lassen? –

Evelinens Geist sträubte sich gegen den Zwang, der ihren Umgang beschränkte, als sey er die Folge eines herabwürdigenden Argwohns, wie jene gezwungene Abgeschiedenheit, der die Bewohner des Orients, wie sie gehört hatte, ihre Frauen zu unterwerfen pflegten. Warum sollte sie die Gegenwart ihres Beschützers nur in den Diensten, die er ihr leistete, nur in der Sorge für ihre Sicherheit erkennen? Warum seine Meinung nur aus einem andern Munde vernehmen, als wäre einer von ihnen mit der Pest, oder sonst einem ansteckenden Uebel behaftet, das ihr beiderseitiges Zusammentreffen gefährlich mache? Und wenn sie sich nun gelegentlich sähen, was würde dies zur Folge haben, als die Sorgfalt eines Bruders für seine Schwester – eines treuen, freundlichen Beschützers für die verlobte Braut seines nächsten Verwandten und verehrten Stammhauptes seiner Familie? Dieser unschuldige Umgang würde aber die melancholische Abgeschiedenheit einem so jungen Wesen erträglicher gemacht haben, das, wenn auch niedergedrückt durch seine jetzige Lage, doch eine angeborene Heiterkeit besitze.

Diese Gedankenfolge schien Evelinen, wenn sie allein darüber nachdachte, so klar und natürlich, daß sie mehrmals beschloß, ihre Ansicht der Sache Rosen mitzutheilen. Wenn sie indeß in die klaren, ruhigen, blauen Augen des flamändischen Mädchens blickte, und sich erinnerte, daß ihre untadelhafte Treue mit Aufrichtigkeit und einer Offenheit verbunden war, die jeden Rücksichten Trotz bot, so schien es ihr doch, als setze sie sich vielleicht bei einer Dienerin einem Argwohne aus, von welchem ihr eigenes Herz sie freisprach, und ihr stolzer, normännischer Sinn empörte sich bei dem Gedanken, daß sie sich vor einem Andern rechtfertigen sollte, wenn ihr eigenes Gewissen sie für schuldlos erklärte.

»Die Dinge mögen bleiben, wie sie sind,« sagte sie zu sich selbst. »Wir wollen ein langweiliges Leben ertragen, das freilich auf leichte Weise angenehmer gemacht werden könnte. Es ist besser, als wenn diese eifrige, doch zu peinliche Im englischen Original: »punctilious«, überaus genau, korrekt. Freundin, bei dem überspannten Zartgefühle, das sie für mich hegt, glauben könnte, ich wäre fähig, einen Umgang aufzumuntern, der selbst dem gewissenhafteren Theile der Männer und Frauen Anlaß geben könnte, auf irgend eine Weise unwürdig von mir zu denken.«

Aber eben dies Schwanken der Meinung und des Entschlusses diente nur dazu, das Bild des schönen jungen Damian Evelinens Phantasie öfterer vorzuzaubern, als sein Oheim, hätte er es gewußt, gerade gebilligt haben würde. Solchen Betrachtungen überließ sie sich indessen nie lange; die Erinnerung an das sonderbare Schicksal, das ihr bisher zu Theil geworden, führte sie zu jenen schwermüthigeren Gedanken zurück, die ihr durch die Lebhaftigkeit ihrer jugendlichen Phantasie auf kurze Zeit fremd geworden waren.



 << zurück weiter >>