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Zwölftes Kapitel.

Ich rath' Euch, ihr lieblichen schottischen Frau'n,
   Ihr Schönen Englands, um glücklich zu seyn,
Auf Rang und auf Schätze nimmer zu bau'n,
   Und einzig nur aus Liebe zu frei'n.

Die Familienzwiste.

Als Fräulein Eveline sich in ihr geheimes Gemach zurückgezogen hatte, folgte ihr Rose Flammock unaufgefordert, um ihr behülflich zu seyn, den großen Schleier abzunehmen, den sie seit ihrer Entfernung aus der Burg getragen hatte. Allein das Fräulein wies sie zurück und sagte: »Du bist sehr schnell mit Dienstleistungen bei der Hand, die man nicht begehrt.«

»Ihr seyd unzufrieden mit mir, Lady?«,« versetzte Rose.

»Und wenn ich es bin, so habe ich Ursache dazu,« sagte Eveline. »Du kennst meine schwierige Lage, Du weißt, was meine Pflicht von mir fordert, und gleichwohl, statt mir behülflich zu seyn bei Darbringung meines Opfers, erschwerst Du es mir noch.«

»O, daß ich Macht hätte, Euren Pfad zu leiten,« erwiederte Rose. »Ihr solltet ihn gewiß sanft finden, ja, und gerad und rechtlich obendrein.«

»Wie meinst Du das, Mädchen?« fragte Eveline.

»Ich wollte, Ihr widerriefet die Aufmunterung – die Einwilligung möchte ich es fast nennen – die Ihr jenem stolzen Freiherrn gewährt habt. Er steht zu hoch, um geliebt zu werden, ist zu stolz, um Euch zu lieben, wie Ihr es verdient. Wenn Ihr ihn heirathet, so erwartet Euch ein glänzendes Elend, und vielleicht nicht allein Mißvergnügen, sondern auch Schmach.«

»Erinnere Dich, Mädchen, seiner uns geleisteten Dienste!«

»Seiner Dienste?« entgegnete Rose. »Er wagte allerdings sein Leben für uns, allein das that ein jeder Krieger in seinem Heer. Und bin ich verbunden, jeden alten Haudegen zu heirathen, blos weil er focht, als die Trompeten schmetterten? Ich möchte nur wissen, was eigentlich der Sinn von ihrem sogenannten devoir ist, wenn sie sich nicht entblöden, den höchsten Lohn, den eine Frau gewähren kann, zu verlangen; blos weil sie die Pflicht eines Edelmannes gegen ein bedrängtes Geschöpf erfüllten? Eines Edelmannes, sagte ich! Der größte Bauer in Flandern würde kaum einen Dank verlangen, wenn er auf diese Weise die Pflicht eines Mannes gegen weibliche Wesen in solcher Lage erfüllt hätte.«

»Aber die Wünsche meines Vaters?«

»Würden sich ohne Zweifel nach der Neigung seiner Tochter richten,« sagte Rose. »Ich will nicht so ungerecht seyn gegen meinen verewigten edlen Gebieter – Gott sey seiner Seele gnädig! – um anzunehmen, er hätte irgend etwas in dieser Angelegenheit verlangt, das nicht Eure freie Wahl gewesen wäre.«

»Aber mein Gelübde, mein unseliges Gelübde, wie ich es jetzt fast nennen kann!« rief Eveline. »Der Himmel möge mir die Undankbarkeit gegen meine Schutzheilige verzeihen.«

»Auch das macht mich nicht irre,« versetzte Rose. »Nie kann ich glauben, daß unsere gnadenvolle Heilige für ihren Schutz mir die Buße auferlegen sollte, einen Mann zu heirathen, den ich nicht lieben könnte. Sie lächelte, sagt Ihr bei Eurem Gebet. Geht, legt zu ihren Füßen die Last nieder, die Euch bedrückt, und seht, ob sie wieder lächeln wird. Oder sucht Erlassung Eures Gelübdes – sucht sie auf Kosten Eures halben Vermögens – auf Kosten Eures ganzen Besitzthums. Pilgert barfuß nach Rom; kurz, thut alles, was es auch sey, nur gebt nicht Eure Hand weg ohne Euer Herz.«

»Du sprichst mit vieler Wärme, Rose,« entgegnete Eveline mit einem tiefen Seufzer.

»Ach, mein süßes Fräulein, ich habe Ursache dazu. Habe ich doch einen Haushalt gesehen, wo keine Liebe herrschte, wo bei allem Werth und gutem Willen, bei allen Gemächlichkeiten des Lebens, das Daseyn verbittert ward durch Reue, die nicht nur vergeblich, sondern selbst strafbar war!«

»Gleichwohl scheint es mir, Rose, ein Gefühl dessen, was wir uns und Anderen schuldig sind, könne uns, wenn wir nur darauf achten, auch bei den Empfindungen leiten und trösten, die Du so eben geschildert.«

»Es wird uns vor der Sünde bewahren, aber nicht vor dem Gram,« antwortete Rose; »und warum sollten wir mit offenen Augen uns in Lagen stürzen, wo Pflicht und Neigung mit einander streiten? Warum gegen Wind und Wellen rudern, wenn ein günstiger Lufthauch uns eben so weit bringt?«

»Weil meine Lebensreise mich dahin führt, wo Wind und Wellen mir entgegen sind. Das ist mein Schicksal, Rose.«

»Nur, wenn Ihr es durch eigene Wahl dazu macht,« versetzte Rose. »O, daß Ihr sie sehen könntet, die blassen Wangen, die eingefallenen Augen, das niedergeschlagene Wesen meiner armen Mutter! – Ich habe zu viel gesagt.«

»So war es Deine Mutter, von deren unglücklicher Ehe Du sprachst?« fragte ihre junge Gebieterin.

»Sie war es – sie war es!« rief Rose in Thränen ausbrechend. »Ich habe Euch meine eigene Schmach mitgetheilt, um Euch vor Gram zu retten. Ja, unglücklich war sie, wiewohl meist schuldlos, so unglücklich, daß, als die Fluth den Damm durchbrach, die Ueberschwemmung, bei der sie ihren Tod fand, ihr so willkommen war, als die Nacht dem ermüdeten Arbeiter. Sie hatte ein Herz wie das Eure –geschaffen zu lieben und geliebt zu werden; und es hieße jenem stolzen Freiherrn eine große Ehre anthun, wenn ich sagte: sein Herz käme dem meines Vaters gleich. Dennoch war sie sehr unglücklich. – O, mein süßes Fräulein, laßt Euch warnen und brecht sie ab, diese Unheil drohende Verbindung.«

Eveline erwiederte den Händedruck, womit das leidenschaftliche Mädchen ihren wohlgemeinten Rath zu bekräftigen suchte, und murmelte dann mit einem tiefen Seufzer:

»Rose, es ist zu spät!«

»Nimmermehr – nimmermehr!« entgegnete Rose, in dem Zimmer ängstlich umherblickend. »Wo sind die Schreibmaterialien? – Ich will schnell den Pater Aldrovand holen und ihn von Eurem Willen in Kenntniß setzen – doch nein! der gute Pater hat selbst noch Wohlgefallen an dem Glanze dieser Welt, der er entsagt zu haben glaubt. Er ist kein sicherer Bevollmächtigter. Ich will mich selbst zum Herrn Konstabel begeben – mich kann sein Rang nicht blenden, sein Reichthum nicht locken, seine Macht einschüchtern. Sagen will ich ihm, daß er an Euch nicht ritterlich handelt, wenn er auf die Erfüllung der mit Eurem Vater abgemachten Uebereinkunft in dieser Zeit des unmächtigen Kummers dringt; daß es nicht von Frömmigkeit zeugt, wenn er die Erfüllung seines Gelübdes aufschiebt, um zu heirathen, oder zu verheirathen; daß er nicht rechtlich handelt, einem Mädchen sich aufzudringen, dessen Herz nicht zu seinen Gunsten entschieden hat; daß es keine Klugheit beweist, wenn er eine Gattin wählt, die er in diesem Augenblick verlassen, und sie entweder der Einsamkeit, oder den Gefahren eines ausschweifenden Hofes preisgeben muß.«

»Du hast den Muth nicht zu einer solchen Gesandtschaft,« versetzte ihre Gebieterin, indem sich bei dem jugendlichen Eifer ihrer Dienerin ein trauriges Lächeln durch ihre Thränen stahl.

»Nicht den Muth dazu? Weshalb nicht? Stellt mich auf die Probe!« rief das flandrische Mädchen; »ich bin weder ein Saracen, noch ein Walliser, und frage nichts nach seinem Schwert und seiner Lanze. Ich folge nicht seinem Banner – seine gebietende Stimme hat keinen Einfluß auf mich. Wenn Ihr es mir erlaubtet, so wollte ich's ihm schon in's Gesicht sagen, daß er ein selbstsüchtiger Mann ist, der unter schönen und ehrenvollen Vorwänden sein Streben nach einem Gegenstande verschleiert, der seinem Stolz, seiner Eitelkeit schmeichelt, und hohe Ansprüche auf die Dienste gründet, welche die bloße Menschlichkeit verlangt. – Und warum dies Alles? Weil der edle Hugo von Lacy einen Erben seines hohen Hauses begehrt, und seinen schönen Neffen nicht für gut genug hält zum Repräsentanten seiner Familie, da seine Mutter nur angelsächsischer Abkunft war, und der ächte Erbe aus reinem normännischem Blute stammen muß. Und aus diesem Grunde soll nun Fräulein Eveline Berengar in der Blüthe ihrer Jahre sich mit einem Manne vermählen, der ihr Vater seyn könnte, und nachdem er sie Jahre lang unbeschützt gelassen, heimkehren wird mit einem Antlitz, wie es für ihren Großvater passen möchte.«

»Da er hinsichtlich der reinen Abstammung so gewissenhaft ist,« versetzte Eveline, »so erinnert er sich vielleicht – was einem so erfahrenen Heraldiker nicht unbekannt seyn kann – daß ich durch meine Großmutter väterlicher Seite sächsischer Abkunft bin.«

»O,« versetzte Rose, »der Erbin von Garde Doloureuse wird er diesen Makel verzeihen.«

»Schäme Dich, Rose»« sagte ihre Gebieterin, »Du thust ihm Unrecht, wenn Du ihn des Geizes beschuldigst.«

»Kann seyn,« entgegnete Rose; »aber ehrgeizig ist er offenbar, und der Geiz, habe ich stets gehört, ist ein Bastard-Bruder des Ehrgeizes, wiewohl der Ehrgeiz sich der Verwandtschaft schämt.«

»Du sprichst keck, Rose,« versetzte Eveline, »und wenn ich auch Deine Anhänglichkeit erkenne, so geziemt es mir, die Art Deines Ausdrucks zu verwerfen.«

»Wenn Ihr in diesem Tone zu mir sprecht, so habe ich nichts mehr zu sagen,« entgegnete Rose. »Zu Evelinen, die ich liebe und die mich wieder liebt, kann ich frei und offen sprechen – doch vor der Gebieterin von Garde Doloureuse, vor dem stolzen normännischen Fräulein (das Ihr sehr gut seyn könnt, wenn Ihr eben wollt), kann ich mich auch so tief verbeugen, als es meine Lage verlangt, und Euch so Fehlendes »so« ergänzt: »and speak as little truth as she cares to hear«. wenig Wahrheit vernehmen lassen, als Ihr es nur irgend wünschen mögt.«

»Du bist ein wildes, und gleichwohl ein liebes Mädchen!« sagte Eveline. »Wer Dich nicht besser kennt, würde kaum glauben, daß hinter diesem sanften, kindlichen Aeußern eine so feurige Seele verborgen sey. Deine Mutter muß in der That so ein gefühlvolles, leidenschaftliches Geschöpf gewesen seyn, wie Du es schilderst; denn Dein Vater – nun, waffne Dich nur nicht zu seiner Vertheidigung, ehe man ihn angreift – ich wollte nur sagen, daß seine Besonnenheit und sein gesundes Urtheil seine vorzüglichsten Eigenschaften wären.«

»Und ich wünschte nur, Ihr bedientet Euch dieser Eigenschaften,« versetzte Rose.

»Das werde ich da thun, wo es schicklich ist,« entgegnete Eveline; »aber bei dem Gegenstande, um den es sich jetzt handelt, möchte Dein Vater leicht ein unpassender Rathgeber seyn.«

»Ihr verkennt ihn und seinen Werth,« antwortete Rose Flammock. »Ein gesundes Urtheil gleicht der genau eingetheilten Meßruthe, die, wenn auch gewöhnlich bei gröberen Stoffen gebraucht, eben so richtig auch die Breite des indianischen Das englische »indian« meint hier natürlich »indisch«. Seidenzeuges oder Goldstoffes angibt.«

»Immerhin; aber augenblicklich drängt mich diese Sache wenigstens nicht. Verlaß mich jetzt, Rose, und sende meine Kammerfrau Gillian herauf. Ich habe ihr Befehle wegen des Einpackens und Anordnens meiner Garderobe zu ertheilen.«

»Diese Gillian, die Kammerfrau, ist seit Kurzem ein gewaltiger Liebling geworden,« sagte Rose: »es gab eine Zeit, wo es ganz anders war.«

»Ich liebe ihr Benehmen so wenig als Du,« erwiederte Eveline; »aber sie ist des alten Raouls Weib, und stand in einer Art von Gunst bei meinem theuren Vater, den sie, wie so viele Männer, vielleicht durch das freie Betragen gewann, welches wir bei unserem Geschlechte unschicklich finden. Außerdem gibt es aber auch im ganzen Schlosse Niemand, der eine solche Geschicklichkeit besäße, die Kleider gut einzupacken.«

»Schon der letzte Grund,« entgegnete Rose lächelnd, »gibt unwiderstehliche Ansprüche auf Gunst, und Frau Gillian soll Euch sogleich aufwarten. Aber laßt Euch rathen, Fräulein, und haltet sie an, bei den Packeten und Koffern zu bleiben, und erlaubt ihr nicht, mit Euch von Dingen zu schwatzen, die sie nichts angehen.«

So sprechend, verließ Rose das Zimmer. Ihre junge Gebieterin blickte ihr schweigend nach und murmelte dann vor sich hin: »Rose liebt mich wahrhaft, aber sie möchte lieber Herrin als Dienerin seyn, und ist argwöhnisch gegen Jeden, der sich mir nähert. – Es ist seltsam, daß ich Damian von Lacy seit meiner Unterredung mit dem Konstabel nicht wieder gesehen habe. Er hat am Ende schon eine Ahnung von der Möglichkeit, in mir eine strenge Tante zu erhalten.«

Die Diener, welche jetzt wegen der am andern Morgen festgesetzten Reise sich herbeidrängten zum Empfang der nöthigen Befehle, lenkten Evelinen's Gedanken von der Betrachtung ihrer sonderbaren Lage ab, die sie, da die nächste Aussicht nichts Erfreuliches hatte, mit dem leicht beweglichen Geiste der Jugend bis auf weitere Muße verschob.



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