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Dreizehntes Kapitel.

Zu viele Ruh' macht rosten,
   Der Wechsel nur erfreut;
Ihn laßt uns fröhlich kosten
   Mit steter Heiterkeit.

Altes Lied.

Früh am andern Morgen verließ ein stattlicher Trupp, dem freilich die Trauerkleider der Hauptpersonen einen trüben Anschein gaben, die wohlvertheidigte Burg Garde Doloureuse, die vor Kurzem der Schauplatz so merkwürdiger Ereignisse gewesen war.

Die Sonne fing eben an den schweren Thau einzusaugen, der in der Nacht gefallen war, und den dünnen grauen Nebel zu zerstreuen, der noch um Thürme und Zinnen schwebte, als Wilkin Flammock, mit sechs Bogenschützen zu Pferde, und eben so vielen Lanzenknechten zu Fuß, zu dem gothischen Thore hinaus über die Zugbrücke eilte. Diesem Vortrab folgten vier wohlberittene Diener des Hauses; dann kamen vier weibliche Begleiterinnen in Trauerkleidern. Ihnen folgte die junge Lady Eveline, den Mittelpunkt des Zuges bildend. Ihre lang herabwallenden schwarzen Gewänder standen mit ihrem milchweißen Rosse in dem auffallendsten Kontrast. Neben ihr, auf einem spanischen Zelter – einem Geschenk ihres Vaters, der dies Pferd um einen hohen Preis gekauft, und die Hälfte seines Vermögens darum gegeben hätte, seiner Tochter eine Freude zu machen – saß die kindlich mädchenhafte Rose Flammock, die so viel jugendliche Schüchternheit in ihrem Benehmen, und in ihren Gedanken und Handlungen so viel Einsicht und Beurtheilungskraft verrieth. Frau Margarethe folgte in Begleitung des Pater Aldrovand, dessen Gesellschaft sie öfters suchte; denn Margarethe gab sich den Schein einer gewissen Frömmigkeit, und ihr Einfluß in der Familie, als Amme Evelinen's, war groß genug, sie zu keiner unpassenden Gefährtin des Kapellans zu machen, wenn nicht das Fräulein selbst sie zur Begleiterin wünschte. Dann folgte der alte Jäger Raoul nebst seinem Weibe, und noch einige, zu dem Haushalt Raymund Berengars gehörige Personen. Der Haushofmeister mit seiner goldenen Kette, seinem sammtenen Leibrock und weißen Amtsstabe, führte den Nachtrab an, der von einem kleinen Trupp Armbrustschützen und vier Reisigen beschlossen ward. Die Garben und der bei weitem größere Theil ihres Gefolgs waren nur bestimmt zur ehrenvollen Begleitung ihrer jungen Gebieterin auf eine kurze Strecke außerhalb des Schlosses. Hier trafen sie den Konstabel von Chester, der mit einer Schaar von dreißig Lanzenknechten Eveline bis Glocester, dem gegenwärtigen Ziel ihrer Reise, begleiten wollte. Unter seinem Schutz war keine Gefahr zu befürchten, wenn auch selbst die vor Kurzem erlittene harte Niederlage der Walliser die feindlichen Bergbewohner nicht von jedem Versuch, die Gränzen zu beunruhigen, vor der Hand zurückgeschreckt hätte.

Dieser Anordnung gemäß, welche den bewaffneten Begleitern Evelinens vergönnte, wieder heimzukehren zum Schutz des Schlosses und zur Wiederherstellung der Ruhe in der umliegenden Gegend, harrte der Konstabel des Fräuleins an der unseligen Brücke, eine tapfere Schaar auserlesener Reiter anführend, die er zu seiner Begleitung gewählt hatte. Die Züge machten Halt, als wolle man sich gegenseitig begrüßen; allein der Konstabel, bemerkend, daß Eveline sich tiefer in ihren Schleier verhüllte, erinnerte sich des Verlustes, den sie kürzlich an diesem unglücklichen Orte erlitten, und stattete nach kurzer Ueberlegung seinen Gruß blos durch eine stumme Verbeugung ab, die aber so tief war, daß sich die wallenden Federn seines Helms (denn er war jetzt völlig gerüstet) mit den Mähnen seines edlen Streitrosses vermischten. Wilkin Flammock näherte sich jetzt der Lady, und fragte, ob sie noch weitere Befehle zu ertheilen habe.

»Keinen, guter Wilkin, als daß Ihr, wie immer, treu und wachsam seyd.«

»Das sind die Eigenschaften eines guten Kettenhundes,« sagte Flammock; »etwas roher Scharfsinn und eine kräftige Hand statt eines scharfen Gebisses, sind alles, worauf ich außerdem noch Ansprüche mache. – Ich will mein Bestes thun. – Lebe wohl, Röschen! Du gehst unter Fremde – vergiß nicht die Eigenschaften, die Dir daheim Liebe erwarben – die Heiligen mögen Dich behüten! Lebe wohl!«

Dem Haushofmeister, der sich jetzt näherte, um sich zu beurlauben, wäre es bald sehr schlimm dabei ergangen. Es hatte Raoul beliebt, der ein störrisches Gemüth besaß, und dabei an der Gicht litt, ein altes arabisches Roß zu besteigen, welches man zur Zucht hielt, und das eben so mager und beinahe eben so lahm war, als er selbst, dabei aber wild wie der Satan. Zwischen dem Reiter und seinem Roß herrschte ein fortwährendes Mißverständniß, das Raoul durch Flüche, kräftige Peitschenhiebe und heftige Sporenstöße zu erkennen gab, Mahound – dies war des Pferdes Name – aber theils durch Bäumen, Springen und mehrfache Versuche, seinen Reiter aus dem Sattel zu heben, theils durch wildes Ausschlagen gegen Jeden, der ihm zu nahe kam. Mehrere aus der Dienerschaft glaubten, Raoul gäbe diesem wilden und störrigen Thiere auf allen Reisen, die er in Gesellschaft seines Weibes machte, den Vorzug, damit bei Mahounds tollen Sätzen und Luftsprüngen seine Hufe vielleicht in unsanfte Berührung mit Frau Gillian's Rippen kommen möchten. Jetzt aber, als der eingebildete Haushofmeister seinen Klepper spornte, um seiner Gebieterin die Hand zu küssen und sich zu beurlauben, schien es den Umstehenden, als brauche Raoul jetzt absichtlich Zügel und Sporen auf so ungestüme Weise, damit Mahound ausschlagen möchte. Wirklich traf das eine Huf des Pferdes so nachtheilig mit dem Schenkel des Haushofmeisters zusammen, daß, wenn sie nur um einige Zoll einander näher gewesen wären, der Knochen wie ein vermodertes Schilfrohr hätte zusammenbrechen müssen. Auch jetzt erlitt der Haushofmeister beträchtlichen Schaden, und diejenigen, welche das Grinsen auf Raouls essigsaurem Gesicht bemerken konnten, zweifelten kaum, daß Mahounds Huf gewisse Winke und manch verstecktes Lächeln und Nicken vergelten sollte, das zwischen dem Beamten mit der goldenen Kette und der koketten Kammerfrau, seit sie das Schloß verlassen, Statt gefunden hatte.

Dies Ereigniß kürzte die peinliche Feierlichkeit des Abschiedes zwischen Evelinen und ihrer Dienerschaft ab, und verminderte zugleich die Förmlichkeit ihres Zusammentreffens mit dem Konstabel, dessen Schutz sie sich jetzt anvertrauen mußte.

Hugo von Lacy, der sechs von seinen Bewaffneten als Vortrab vorausgeschickt, wartete so lange, bis man den Haushofmeister gemächlich in eine Sänfte gelegt hatte, und folgte dann mit seinen übrigen Begleitern, etwa hundert Schritt entfernt, Evelinen und ihrem Gefolge. Er enthielt sich sorgsam, sich ihrer Gesellschaft aufzubringen in einem Augenblicke, wo sie versunken war in traurige Erinnerungen, die der Ort ihrer Zusammenkunft sehr natürlich in ihr wecken mußte. Vielmehr harrte er geduldig, bis die Beweglichkeit des jugendlichen Gemüths irgend eine Zerstreuung der trüben Bilder, die ihre Seele umschwebten, verlangen würde.

Von dieser Klugheit geleitet, nahte sich der Konstabel den Damen nicht eher, als bis er bei dem vorgerückten Morgen für nöthig fand, ihnen anzuzeigen, daß sich in der Nähe ein anmuthiger Ort darböte, wo er einige Vorkehrungen getroffen habe, um auszuruhen und ein Frühstück einzunehmen. Eveline hatte so eben eingewilligt, von dieser Artigkeit Gebrauch zu machen, als man auch schon den von ihm verheißenen Ruheplatz erblickte. Ihn bezeichnete eine alte Eiche, die ihre Zweige weit umher verbreitete, und an die Eiche zu Mamre erinnerte, unter der himmlische Wesen die Gastfreundschaft der Patriarchen empfingen Nach der Bibel (1. Mose 18,1-15) ist dieser Ort der Wohnsitz Abrahams, des Stammvaters des Volkes Israel; Gott erscheint hier in Gestalt von drei "Männern", denen Abraham Gastfreundschaft gewährt.. Ueber zwei der weit vorragenden Aeste des großen Baums wölbte sich eine breite Decke von rosenfarbigem Taffent zu einem Baldachin, um die Strahlen der bereits hoch gestiegenen Sonne abzuhalten. Kissen von Seide, so wie andere mit Thierfellen bezogen, befanden sich um die zum Mahl bereitete Tafel; auf der ein normännischer Koch sein Möglichstes gethan hatte, die groben Gerichte der Angelsachsen und die ärmlichen Speisen der Walliser auszustechen. Ein Quell, unter einem großen bemoosten Stein in einiger Entfernung hervorrieselnd, erquickte das Ohr durch sein Rauschen, die Zunge durch den flüssigen Krystall, während er zugleich eine Cisterne darbot, um einige Flaschen Gascogner und Hippocras Ein mit Zucker, Zimmt und Gewürznelken angemachter Wein, der angeblich von Hippokrates seinen Namen hat, daher das Geräth, wodurch er geseiht wird, manica Hippocratis heißt. Anm. d. Uebers. frisch zu erhalten, die zu jener Zeit bei einem Morgenimbiß nicht fehlen durften.

Als Eveline mit Rosen und dem Beichtvater, in einiger Entfernung ihre treue Amme, bei diesem ländlichen Mahle saß, und die Blätter, von einem leichten Hauch bewegt, rauschten, die Quelle im Hintergrund rieselte, und die Vögel zwitscherten, während halb laute Töne das Gespräch und Gelächter der in der Nähe befindlichen Bewaffneten verkündeten, konnte sie nicht umhin, gegen den Konstabel einige verbindliche Worte über die glückliche Wahl dieses Ruheplatzes zu äußern.

»Ihr erzeigt mir zu viel Ehre,« versetzte der Freiherr. »Der Platz ward von meinem Neffen erwählt, der an Phantasie einem Minstrel gleich kömmt. Ich selbst bin zu schwerfällig zu solchen Erfindungen.«

Rose blickte starr auf ihre Gebieterin, als wolle sie ihr Innerstes durchschauen; aber Eveline versetzte mit der größten Unbefangenheit: »Und weshalb hat der edle Damian unserer nicht geharrt, um dem Feste, das er angeordnet, beizuwohnen?«

»Er zog es vor, mit einigen Bewaffneten voraus zu reiten,« antwortete der Freiherr; »denn sind auch jetzt keine Walliser Buben in Bewegung, so findet man doch die Gränzen selten ganz frei von Räubern und Geächteten, und wenn auch eine Schaar, wie die unsrige, nichts zu befürchten hat, so soll Euch auch nicht einmal eine scheinbare Gefahr schrecken.«

»Ich bin allerdings in der letzten Zeit nur zu sehr mit ihr vertraut worden,« sagte Eveline, wieder in die schwermüthigen Gefühle versinkend, aus denen die Neuheit der Scene sie augenblicklich geweckt hatte.

Der Konstabel hatte unterdessen, mit Hülfe seines Knappen, den stählernen Helm, Brustharnisch und Handschuh abgelegt, und blieb nun in seinem biegsamen Panzerhemd, das ganz aus stählernen, künstlich in einander gefügten Ringen bestand. Seine Hände waren unbedeckt, und auf dem Kopfe trug er einen sogenannten Mortier, oder eine Sammetmütze von eigenthümlicher Form. Diese damals übliche Tracht der Ritter vergönnte ihm gemächlicher zu essen und zu plaudern, als es in der völligen Rüstung möglich gewesen wäre. Sein Gespräch war einfach, verständig und männlich; es betraf den Zustand des Landes und die nothwendigen Vorsichtsmaßregeln zur Beherrschung und Vertheidigung einer so unruhigen Gränze. Diese Unterhaltung ward allmälig anziehend für Evelinen, zu deren wärmsten Wünschen es gehörte, die Beschützerin von ihres Vaters Vasallen zu seyn. Hugo von Lacy seinerseits schien sehr zufrieden: denn so jung Eveline war, so zeigten ihre Fragen von Einsicht, und ihre Antworten Beurtheilungskraft und Nachgiebigkeit. Kurz, ihre gegenseitige Vertraulichkeit nahm in dem Grade zu, daß auf der nächsten Reisestation der Konstabel zu glauben schien, ihm gebühre der Platz neben Evelinens Zelter; und wenn sie auch offenbar seine Bewerbung nicht aufmunterte, so schien sie auch nicht geneigt zu seyn, ihm allen Muth zu rauben. Selbst kein feuriger Liebhaber, wiewohl gefesselt durch die Schönheit und das liebenswürdige Benehmen der reizenden Waise, begnügte sich Hugo von Lacy damit, daß er als Begleiter geduldet ward, und machte keinen Versuch, die Gelegenheit, die ihm diese größere Annäherung darbot, dazu zu benutzen, daß er das Gespräch auf die Unterredung des vorigen Tags lenkte.

Gegen Mittag ward in einem kleinen Dorfe Halt gemacht, wo Damian wiederum einige Vorkehrungen zu ihrer und besonders Evelinens Bequemlichkeit getroffen hatte. Doch wunderte sie sich einigermaßen, daß er auch hier nicht erschien. Das Gespräch des Konstabels von Chester war ohne Zweifel im höchsten Grade unterrichtend, aber ein Mädchen in Evelinens Jahren verdient wohl Entschuldigung, wenn es sich nach der Gesellschaft eines jüngern, minder ernsten Begleiters sehnt; und wenn sie sich an die Pünktlichkeit erinnerte, womit Damian von Lacy ihr bisher seine Aufwartung gemacht hatte, so wunderte sie sich in der That über seine fortwährende Abwesenheit. Doch war es nur ein flüchtiger Gedanke, wie er in Jemand aufsteigt, der sich in seiner Gesellschaft nicht so wohl befindet, um sie nicht einer Verbesserung fähig zu glauben. Sie hörte geduldig dem umständlichen Bericht zu, den der Konstabel ihr von der Abkunft und dem Stammbaum eines Ritters aus dem ausgezeichneten Hause der Herberts gab, in dessen Burg er sein Nachtlager nehmen wolle. Dieser Bericht ward durch Einen aus dem Gefolge unterbrochen, der einen Boten der Lady von Baldringham anmeldete.

»Meines verehrten Vaters Tante!« rief Eveline, indem sie aufstand, um die Ehrfurcht für das Alter und die Verwandtschaft, welche die Sitten jener Zeit heischten, an den Tag zu legen.«

»Ich wußte nicht,« sagte der Konstabel, »daß mein tapferer Freund ein solche Verwandte hatte.«

»Sie ist die Schwester meiner Großmutter,« entgegnete Eveline, »eine edle sächsische Dame; allein sie verabscheute die Verbindung mit einem Normannen, und wollte seit ihrer Verheirathung ihre Schwester nie wieder sehen.«

Sie ward durch den eintretenden Boten unterbrochen, der Haushofmeister oder sonst ein bedeutender Beamter zu seyn schien und ehrfurchtsvoll sich auf ein Knie niederlassend, einen Brief übergab, der, nach Pater Aldrovands Untersuchung, die nachfolgende Einladung enthielt, zwar nicht französisch, wie es damals unter dem Adel allgemein üblich war, sondern in altsächsischem Dialekt geschrieben, doch mit einigen französischen Worten vermischt. Er lautete folgendermaßen:

»Wenn die Enkelin Alfreds von Baldringham dem altsächsischen Stamme so hold ist, daß sie eine alte Verwandte zu sehen wünscht, die noch in dem Hause ihrer Vorfahren wohnt, so ist sie eingeladen, ihr Nachtlager aufzuschlagen in der Wohnung von

Irmgard von Baldringham.«

»Hoffentlich werdet Ihr diese gastfreundliche Einladung ablehnen,« sagte der Konstabel; »der edle Herbert erwartet uns und hat große Vorkehrungen zu unserem Empfange getroffen.«

»Eure Gegenwart, Mylord,« antwortete Eveline, »wird ihn schon trösten über meine Abwesenheit. Es ist geziemend und anständig, die Annäherung meiner Tante zur Versöhnung zu erwiedern, da sie sich dazu herabgelassen hat.«

Hugo von Lacy's Stirn umwölkte sich; denn selten war er auf einen Gegenstand gestoßen, der mit seinen Neigungen im Widerspruch zu stehen schien. »Ich bitt' Euch, Lady Eveline,« sagte er, »bedenkt es wohl, daß Eurer Tante Haus wahrscheinlich unbeschützt oder mindestens sehr unvollkommen bewacht ist. Ist es nicht Euer Wille, daß ich noch fernerhin Euren Beschützer abgebe?«

»Darüber, Mylord, kann in ihrem eigenen Hause nur meine Tante entscheiden, und mich dünkt, da sie es nicht für nöthig hält, sich die Ehre von Ew. Herrlichkeit Gesellschaft auszubitten, so würde es mir nicht geziemen, Euch die Mühe meiner Begleitung zu verursachen. Nur zu viel Mühe habt Ihr schon meinetwegen gehabt.«

»Aber um Eurer eigenen Sicherheit willen,« fuhr Hugo von Lacy fort, der ungern sein Amt aufzugeben schien.

»Meine Sicherheit,« versetzte Eveline, »kann in dem Hause einer so nahen Verwandten nicht gefährdet seyn. Was sie auch zu ihrer eigenen für Maßregeln ergreifen wird, sie werden unstreitig auch hinreichend seyn für die meinige.«

»Ich will hoffen, daß dies der Fall seyn möge,« sagte Hugo von Lacy; »und will wenigstens eine Patrouille um das Schloß wandern lassen, während der Nacht, die ihr darin zubringt.« Er hielt inne und fuhr dann mit einigem Zagen fort, seine Hoffnungen auszudrücken, daß Eveline bei dem Besuch einer Verwandten, deren Vorurtheile gegen den normännischen Stamm allgemein bekannt wären, bei dem, was sie darüber höre, ein wenig auf ihrer Hut seyn möge.

Eveline antwortete mit Würde, daß es der Tochter Raymund Berengars nicht gefallen werde, irgend eine Ansicht zu beachten, die sich mit der Würde der Nation und Abkunft des tapfern Ritters nicht vertrüge. Der Konstabel mußte sich mit dieser Versicherung begnügen, da es ihm unmöglich war, eine andere zu erlangen, die ihm selbst oder seiner Bewerbung günstiger gewesen wäre. Auch erinnerte er sich, daß Herberts Burg nur zwei Meilen von der Wohnung der Lady Baldringham entfernt sey und daß seine Trennung von Evelinen nur eine Nacht dauern sollte. Gleichwohl machten das Gefühl des Unterschieds ihrer Jahre und vielleicht die ihm fehlenden glänzendern Eigenschaften, durch welche das weibliche Herz so oft gewonnen wird, ihn selbst bei dieser kurzen Abwesenheit ängstlich besorgt, so daß er den Nachmittag über beinahe immer schweigend Evelinen zur Seite ritt, mehr in Gedanken darüber, was sich morgen ereignen könne, als sich bestrebend, den jetzigen Augenblick zu nutzen. Auf diese ungesellige Weise ward die Reise fortgesetzt, bis man den Ort erreichte, wo man sich für diesen Abend trennen mußte.

Es war eine Anhöhe, von der man rechts Amelot Herbert's Burg erblicken konnte, die sich mit ihren gothischen Zinnen und Thürmen auf einem Hügel erhob. Links in der Tiefe, von düstern Eichen umschattet, lag die einsame Wohnung der Lady Baldringham, welche noch immer den Sitten der Angelsachsen treu blieb und mit Haß und Verachtung auf alle Neuerungen herabblickte, die seit der Schlacht von Hastings stattgefunden hatten Schlacht bei Hastings 1066: Das normannische Heer unter Herzog Wilhelm dem Eroberer besiegt die Angelsachsen unter ihrem König Harald II. und erobert damit England. In demselben Jahr wird der Sieger als Wilhelm I. zum König von England gekrönt; seine Herrschaft sichert er durch den Bau zahlreicher Zwingburgen. Die meisten angelsächsischen Adligen werden enteignet und durch Normannen ersetzt. Eine normannische Zentralverwaltung wird errichtet sowie ein englisches Lehnswesen. Das normannische Französisch wird zur Sprache der englischen Oberschicht, Verwaltung und Justiz; allerdings spricht die große Mehrheit der Bevölkerung vorerst weiterhin Angelsächsisch..

Nachdem der Konstabel von Lacy einem Theil seiner Leute befohlen hatte, Evelinen nach dem Hause ihrer Verwandten zu begleiten und es sorgsam In bewachen, wiewohl in gehöriger Entfernung, um den Bewohnern weder Unkosten noch Unannehmlichkeiten zu verursachen, küßte er Evelinens Hand, einen unfreiwilligen Abschied nehmend.

Eveline ritt auf einem wenig betretenen Pfade fort, der die Einsamkeit der Wohnung, zu welcher er führte, noch mehr in's Auge fallen ließ. Große Kühe, von einer ungewöhnlichen, seltenen Gattung weideten auf dem fetten Wiesengrunde. Hie und da sah man Dammhirsche, die ihre eigenthümliche Scheu verloren zu haben schienen, in den waldigen Triften grasend oder in kleinen Haufen unter einer großen Eiche stehen oder ruhen. Das vorübergehende Vergnügen, welches diese Scene ländlicher Ruhe darbieten sollte, verwandelte sich in eine ernstere Stimmung, als Evelinens Pfad, sich plötzlich um eine Ecke biegend, sie vor die Fronte des Herrschaftshauses führte, das sie, seitdem sie es zuerst auf dem Platze erblickt, wo sie sich von dem Konstabel trennte, nicht wieder gesehen hatte, und es nun aus mehr als einem Grunde mit einer gewissen Scheu betrachtete.

Das Haus – denn ein Schloß konnte man es nicht nennen – war nur zwei Stockwerk hoch, plump und niedrig gebaut und mit Thüren und Fenster versehen, welche die schwerfälligen, runden Bogen bildeten, die man gewöhnlich sächsische zu nennen pflegt. Die Mauern waren bedeckt mit Schlingkraut, das sich ungestört daran emporgerankt hatte. Gras wuchs selbst auf der Schwelle, und über der Thür hing das Horn eines Ur's, an einer Kette von Erz befestigt. Ein schweres Thor von schwarzem Eichenholz verschloß die Halle, die dem Eingange zu einem verwitterten Grabgewölbe glich, und Niemand zeigte sich, um ihre Ankunft zu verkünden oder sie zu begrüßen.

»Wär' ich an Eurer Stelle, mein Fräulein,« sagte die zudringliche Frau Gillian, »so dreht' ich um; denn der alte Kerker da scheint eben nicht geeignet, christlichen Leuten Obdach und Unterhalt zu gewähren.«

.Eveline hieß ihre unbescheidene Dienerin schweigen, wiewohl sie selbst Rosen einen Blick zuwarf, in dem sich Zaghaftigkeit aussprach, und Raoul gebot, vor dem Thore ins Horn zu stoßen.

»Wie ich gehört habe,« sagte sie, »liebt meine Tante die alten Sitten so sehr, daß sie nicht gern Jemand in ihre Hallen aufnimmt, der nicht wenigstens aus den Zeiten Eduard des Bekenners Er war von 1042 bis 1066 der vorletzte angelsächsische König von England und wird als Heiliger verehrt. Er hatte die meiste Zeit seiner Jugend am Hof seiner Onkel, der Herzöge der Normandie, verbracht und empfand Bewunderung für das straff organisierte Herzogtum Normandie in Frankreich. Durch den 25-jährigen Auslandsaufenthalt war er den heimischen Verhältnissen entfremdet. Unter Eduard nahmen Veränderungen in der Herrschaftsstruktur ihren Anfang, die sich erst unter den Normannenkönigen vollständig entfalteten. Die normannische Prägung Eduards und seine Bevorzugung normannischer Adliger waren Voraussetzungen für die Eroberung Englands durch Wilhelm I. Der Eroberer berief sich sogar ausdrücklich darauf, dass der kinderlose Eduard ihn selbst zum Nachfolger bestimmt habe. herstammt.«

Raoul indeß, das schlechte Instrument verwünschend, an dem seine ganze Kunst scheiterte, indem statt eines ordentlichen Schalls nur ein zitterndes, unharmonisches Gebrüll ertönte, das die alten Mauern, so dick sie waren, zu erschüttern schien, wiederholte dreimal seine Aufforderung, ehe man ihnen Einlaß gewährte. Beim dritten Klange öffnete sich das Thor und es erschien eine zahlreiche Dienerschaft in der finstern, engen Halle, an deren obern Ende ein großes Holzfeuer seinen Dampf zu einem alterthümlichen Kamin emporsandte, dessen Fronte so breit wie die einer heutigen Küche mit Zierrathen von massivem Stein versehen war. Ueber diesen war eine lange Reihe von Nischen angebracht, und aus einer jeden blickte finster das Bild irgend eines angelsächsischen Heiligen, dessen barbarischer Name kaum in dem römischen Kalender stehen mochte.

Derselbe Beamte, der die Einladung seiner Lady Evelinen überbracht hatte, näherte sich jetzt, um wie es schien, ihr beim Absteigen vom Pferde behülflich zu seyn. Allein es geschah im Grunde nur, um das Roß an dem Zaum in die gepflasterte Halle und bis zu dem erhabenen Ende derselben, dem sogenannten Dais oder Baldachin zu führen, wo es ihr endlich vergönnt war, abzusteigen. Zwei bejahrte Matronen und vier junge Mädchen von adelicher Abkunft, die ihre Erziehung der Güte Irmgards verdankten, erwarteten ehrfurchtsvoll die Ankunft ihrer Verwandten. Eveline wollte sich nach ihrer Großtante erkundigen, allein die Matronen legten sehr feierlich den Finger auf den Mund, als wollten sie ihr Schweigen gebieten – eine Bewegung, die, mit dem übrigen sonderbaren Empfange vereint, nur noch die Neugier verstärkte, ihre ehrwürdige Verwandte zu sehen.

Sie ward bald befriedigt; denn durch ein Paar Flügelthüren, welche nicht weit von dem erhöhten Platze, auf welchem Eveline stand, sich öffneten, ward sie in ein großes, doch niedriges Gemach geführt, dessen Wände mit gewirkten Tapeten verziert waren. Hier saß unter einer Art von Thronhimmel die alte Lady von Baldringham. In einem Raume von viermal zwanzig Jahren Im englischen Original schlicht »fourscore years had not …«. war der Glanz ihrer Augen nicht erloschen, noch ihre erhabene Gestalt nur um einen Zoll gebeugt worden. Ihr graues Haar hatte noch immer eine solche Fülle, daß es von einem Kranz von Epheublättern umwunden, einen starken Knoten bildete. Das lange, dunkelfarbige Gewand fiel in weiten Falten herab, und der gestickte Gürtel, der ihren Leib umschlang, war durch eine goldene Schnalle befestigt und geschmückt mit so kostbaren Steinen, daß sie den Werth eines gräflichen Lösegeldes betrugen. Ihre Züge, weiland schön oder vielmehr majestätisch, trugen noch jetzt, wenn auch welk und veraltet, das Gepräge einer schwermüthigen ernsten Größe, die sich zu ihrem Anzug und ihrer Haltung wohl paßte. Sie hielt in der Hand einen Stab von Ebenholz und zu ihren Füßen ruhte ein großer betagter Wolfshund, der die Ohren spitzte und mit sträubendem Haar den Hals emporhob, als der Schritt eines Fremden – ein Ton, der in diesen Hallen so selten gehört ward – sich dem Sessel nahte, auf dem seine bejahrte Herrin bewegungslos saß.

»Ruhig, Thryme!« sagte die ehrwürdige Dame; »und Du, Tochter des Hauses Baldringham, nahe Dich und fürchte nicht seinen alten Diener.«

Während dieser Worte sank der Hund wieder in seine liegende Stellung zurück, und ohne den rothen Glanz seines Auges hätte man ihn für ein hieroglyphisches Symbol halten können, das zu den Füßen irgend einer alten Priesterin des Wodan oder der Freya ruhte. So völlig entsprach die Erscheinung Irmgards mit ihrem Stab und Epheukranz den Vorstellungen des Heidenthums. Aber wer sie dieser Ideen fähig geglaubt hätte, würde ihr sehr Unrecht gethan haben, da sie als eine ehrwürdige christliche Matrone zu Ehren Gottes und St. Dunstan's manche Hufe Landes der heiligen Kirche geschenkt hatte.

Die Art, wie Irmgard Evelinen empfing, war eben so alterthümlich und feierlich, als ihre Wohnung und ihr Aeußeres. Sie erhob sich nicht sogleich von ihrem Sitze, als das edle Fräulein ihr nahte, ja sie gestattete nicht einmal Evelinens Kuß, sondern hielt die Nahende auf, während sie die Hand auf ihren Arm legend, ihre Züge mit ernst prüfendem Blick und mit der größten Aufmerksamkeit musterte.

»Berwine,« sagte sie, indem sie sich zu einer der Matronen, ihrer Lieblingsdienerin, wandte, »unsere Nichte hat die Augen und Gesichtsfarbe unseres sächsischen Geschlechts; aber die Farbe der Augenbrauen und des Haars gehört den Fremden an – ist ausländisch. Demungeachtet, bist Du willkommen in meinem Hause, Mädchen,« fügte sie hinzu, Evelinen anredend, »besonders wenn Du es ertragen kannst zu hören, daß Du nicht durchaus ein so vollkommenes Geschöpf bist, als die Dich umringenden Schmeichler es Dir ohne Zweifel eingebildet haben.«

So sprechend stand sie endlich auf und begrüßte ihre Nichte mit einem Kuß auf die Stirn. Demungeachtet ließ sie ihren Arm noch nicht los, sondern fuhr fort, die bisher ihren Zügen gewidmete Aufmerksamkeit jetzt auf ihre Kleidung zu richten.

»Der heilige Dunstan bewahr' uns vor Eitelkeit!« rief sie; »das ist also die neue Mode! Und sittsame Mädchen tragen solche Tunika's, wie diese, die ihre ganze Gestalt so genau zeigen, als ob sie – schütz' uns, heilige Maria! ganz unbedeckt wären. Und sieh nur, Berwine, den Flitterstaat auf dem Nacken, und den Nacken selbst entblößt bis zur Schulter – das sind die Sitten, welche die Fremden nach dem harmlosen England gebracht haben! Und die Tasche da, dem Beutel eines Possenreißers ähnlich, hat wohl wenig mit der Hauswirthschaft zu schaffen, darauf will ich wetten. Und der Dolch da erinnert mich an das Weib eines lustigen Spielmanns, der in männlicher Kleidung zu einer Mummerei reitet. – Pflegst Du immer in den Krieg zu ziehen, Mädchen, daß Du einen Stahl in Deinem Gürtel trägst?«

Eveline, eben so überrascht als gekränkt durch die verächtliche Musterung ihres Anzugs, beantwortete die letzte Frage mit einiger Empfindlichkeit: »Die Mode mag sich geändert haben, Madame; ich trage nur die Kleidung, welche von allen Frauen meines Ranges und Alters jetzt getragen wird. Was den Dolch betrifft, Madame, so sind nur wenige Tage entflohen, seit ich ihn noch als letzten Schutz gegen Entehrung betrachtete.«

»Das Mädchen spricht kühn und gut, Berwine,« sagte Frau Irmgard; »und in der That, abgesehen von einigem unnützen Flitterstaat, sie ist recht artig gekleidet. – Dein Vater fiel, wie ich höre, auf ritterliche Weise auf dem Schlachtfelde?«

»Er fiel!« entgegnete Eveline, indem sich bei der Erinnerung ihres Vaters ihr Auge mit Thränen füllte.

»Ich habe ihn nie gesehen,« fuhr Frau Irmgard fort. »Er hegte die alte Verachtung der Normannen gegen den sächsischen Stamm, mit dem sie sich blos ihres Vortheils wegen verbinden, wie sich der Brombeerstrauch um die Ulme schlingt. – Nein, versucht es nie, ihn zu rechtfertigen!« fügte sie hinzu, da sie sah, daß Eveline sprechen wollte; »ich habe den normännischen Geist schon manches Jahr gekannt, ehe Du noch geboren wurdest.«

In diesem Augenblicke trat der Haushofmeister in das Gemach, und erbat sich, nach einer tiefen Verbeugung, die Befehle seiner Herrin, in Betreff der normännischen Krieger, die vor dem Hause stehen geblieben waren.

»Normännische Krieger in dem Hause Baldringham?« fragte die alte Lady heftig; »wer bringt sie hieher, und zu welchem Zweck?«

»So viel ich weiß,« versetzte der Haushofmeister, »sind sie erschienen, um das gnädige Fräulein hier zu schützen und zu bewachen.«

»Wie, meine Tochter,« sagte Irmgard mit dem Tone eines kummervollen Vorwurfs, »wagst Du es nicht, eine Nacht in dem Schlosse Deiner Vorfahren unbewacht zuzubringen?«

»Behüte Gott!« erwiederte Eveline. »Diese Leute sind nicht die meinigen, und ich habe nicht über sie zu gebieten. Sie gehören zu dem Gefolge des Konstabels von Lacy, der sie zur Bewachung des Schlosses zurückließ, weil er glaubte, daß es vielleicht von Räubern bedroht werden möchte.«

»Räuber,« sagte Irmgard, »haben nie das Haus der Baldringhams beunruhigt; seit ein normännischer Räuber den höchsten Schatz, Deine Großmutter, daraus entführte. Und so bist auch Du, armes Vögelchen, schon gefangen – flatterst ängstlich im Netz umher – aber es ist Dein Loos – warum sollte ich mich darüber wundern, oder Dich beklagen? Wo gab es je ein schönes Mädchen mit einem reichen Erbe, das nicht schon vor ihrer Mannbarkeit bestimmt ward, die Sklavin eines jener kleinen Könige zu seyn, die uns nicht vergönnen, etwas unser Eigenthum zu nennen, welches ihre Leidenschaften reizt. Aber – ich kann Dir nicht helfen – ich bin nur ein armes verlassenes Weib, schwach durch Geschlecht und Alter. Welchem dieser Lacy's bist Du bestimmt, als sklavisches Weib zu dienen?«

Eine Frage dieser Art von einer Frau, deren Vorurtheile einen so entschiedenen Charakter hatten, eignete sich nicht, Evelinen zu einem offenen Geständniß ihrer Lage zu bewegen, da es nur zu klar war, daß ihre sächsische Verwandte ihr weder einen guten Rath, noch einen wirksamen Beistand anbieten konnte. Sie erwiederte daher nur kurz: Da die Lacy's und Normannen im Allgemeinen ihrer Großtante nicht willkommen seyen, so wolle sie den Befehlshaber der Patrouille ersuchen, sie aus der Nachbarschaft von Baldringham zu entfernen.

»Nicht so, meine Nichte!« versetzte die alte Dame. »Da wir uns der Nachbarschaft der Normannen nicht entziehen, oder dem Klange ihrer Abendglocke nicht ausweichen können, so ist es gleichviel, ob sie unserer Schwelle näher oder entfernter davon sind, wenn sie dieselbe nur nicht betreten. Berwine!« fuhr sie fort, »Hundwolf soll diese Normannen mit Getränken überhäufen, sie mit Speisen vollstopfen, und sie sollen die stärksten Getränke, die besten Speisen bekommen, damit sie nicht sagen, die Gastfreiheit der alten sächsischen Hexe sey filziger Art. Bohrt ein Weinfaß an: denn ich wette, daß ihr vornehmer Magen keine Ale verträgt.«

Berwine entfernte sich, mit einem ungeheuern Schlüsselbund an der Seite, um die nöthigen Befehle zu ertheilen, worauf sie schnell zurückkehrte. Indeß fuhr Irmgard fort, ihre Nichte noch näher auszuforschen.

»Willst Du oder kannst Du mir's nicht sagen, von welchem der Lacy's Du die Leibeigene werden willst? Ist's der übermüthige Konstabel, der, in seine undurchdringliche Rüstung gehüllt, auf einem schnellen, kräftigen Rosse, ebenso unverwundbar, als er selbst, daher sprengt, und stolz darauf ist, mit völliger Sicherheit die nackten, unberittenen Walliser nieder zu stoßen? Oder ist's sein Neffe, der unbärtige Damian? Oder soll Dein Erbe dazu dienen, den Bankerott jenes andern Vetters zu beseitigen, der, weil es ihm an Mitteln fehlt, nicht länger sein Haus und Gut unter den wüsten Kreuzfahrern verschleudern kann!«

»Meine verehrte Tante,« versetzte Eveline, die, sehr natürlich, höchst unzufrieden mit dieser Rede war: »von keinem dieser Lacy's, noch von irgend einem Andern, sey er Sachse oder Normann, wird Eure Verwandte jemals die sklavische Hausfrau werden. Es waren allerdings vor dem Tode meines geehrten Vaters einige Unterhandlungen angeknüpft worden, die mich nöthigen, des Konstabels Aufmerksamkeit für jetzt nicht ganz abzuweisen. Was indeß ihr Erfolg seyn wird, darüber muß das Schicksal entscheiden.«

»Ich aber, Nichte, kann Dir zeigen, wohin sich die Wage des Geschicks neigt,« versetzte Irmgard mit leiser geheimnißvoller Stimme. »Diejenigen, in deren Adern das Blut unseres Stammes fließt, besitzen in gewisser Hinsicht das Vorrecht, hinausschauen zu können über den gegenwärtigen Augenblick, und in der Knospe die Dornen oder Blüthen zu erblicken, die einst ihr Haupt umgeben sollen.«

»Was mich betrifft, meine edle Tante,« erwiederte Eveline, »so würde ich ein solches Vorauswissen ablehnen, wenn es auch nicht gegen die Gesetze der Religion stritte. Hätte ich voraussehen können, was mich in diesen letzten unglücklichen Tagen treffen sollte, so würde ich manchen schönen Genuß der Vergangenheit eingebüßt haben.«

»Demungeachtet, Tochter!« sagte die Lady von Baldringham, »mußt Du, wie andere Deines Geschlechts, in diesem Hause Dich dem Gesetz unterwerfen, eine Nacht in dem Zimmer des rothen Fingers zuzubringen. Berwine, sorge dafür, daß es zum Empfang meiner Nichte bereitet werde.«

»Ich – ich – hörte schon von diesem Zimmer sprechen, gnädige Tante,« entgegnete Eveline schüchtern; »aber wenn es Euch sonst genehm ist, so möchte ich nicht gern diese Nacht darin zubringen. Meine Gesundheit hat sehr gelitten in den letzten angst- und gefahrvollen Tagen, und mit Eurer Genehmigung will ich zu einer andern Zeit diesem Gebrauche sein Recht anthun, der, wie ich gehört, bei Töchtern des Hauses Baldringham vorzugsweise üblich ist.«

»Und dem Ihr Euch demungeachtet entziehen möchtet!« rief die alte Lady, unwillig die Stirn runzelnd. »Ist ein solcher Ungehorsam Eurem Hause nicht schon theuer genug zu stehen gekommen?«

»Verehrte gnädige Frau,« sagte Berwine, die, so sehr sie die Hartnäckigkeit ihrer Gebieterin kannte, sich dennoch gedrungen fühlte, das Wort zu nehmen: »jenes Zimmer kann nicht füglich zum Empfang des Fräuleins geordnet werden; auch sieht die edle Lady so bleich, und hat seit Kurzem so viel gelitten, daß, wenn mir ein Rath erlaubt ist, ich es für besser halte, jenes Vorhaben aufzugeben.«

»Du bist eine Thörin, Berwine!« entgegnete die alte Dame finster. »Willst Du, daß ich Unheil über mein Haus bringe, indem ich es gestatte, daß dieses Mädchen es verläßt, ohne dem rothen Finger die übliche Huldigung dargebracht zu haben? Geh', laß das Zimmer in Ordnung dringen! Dazu bedarf es geringer Mühe, wenn sie nicht durch die normännische Nettigkeit des Betts und der Wohnung verwöhnt ist. Keine Einwendung – thue, was ich Dir befehle. Und Du, Eveline, bist zu so ganz entartet von dem kühnen Geist Deiner Vorfahren, daß Du es nicht wagst, einige Stunden in einem alterthümlichen Gemache zuzubringen?«

»Ihr seyd meine Wirthin, gnädige Frau!« sagte Eveline. »Es steht Euch frei, mir da, wo Ihr es am passendsten findet, ein Zimmer anzuweisen. Mein Muth ist so stark, wie Unschuld, und einiger Stolz auf meine Geburt und auf das Blut, dem ich entsprossen, ihn mir einzuflößen vermögen. Er ist in der letzten Zeit schwer geprüft worden; da Ihr es indeß so wünscht, und es die Sitte Eures Hauses ist, so habe ich noch immer Muth genug, dem entgegen zu treten, welchem Ihr mich unterwerfen wollt.«

Sie schwieg mißvergnügt, denn sie konnte nicht umhin, das Benehmen ihrer Tante einigermaßen unfreundlich und ungastlich zu finden. Und gleichwohl, wenn sie über den Ursprung der Legende jenes Zimmers nachdachte, so mußte sie zugeben, daß Lady Baldringham allerdings gegründete Ursachen zu einem Benehmen hatte, welches die alten Sagen der Familie und der Glaube der Zeit, dem Eveline selbst anhing, ihr zur Pflicht machten.



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