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Achtes Kapitel.

Als, um dem Lehnseid zu genügen,
Ihr muthig ließt das Banner fliegen
     Für die Gebieterin
Lieh sie, die Schönste unter allen,
Auch dem Geringsten der Vasallen
     Kraft und beherzten Sinn.

William Stuart Rose.

Die Morgensonne hatte kaum den Horizont erleuchtet, als Eveline Berengar, dem Rathe ihres Beichtvaters zufolge, ihre Runde begann auf den Mauern und Zinnen der belagerten Burg, um durch ihre persönliche Aufmunterung die Tapfern zu begeistern und auch die Zaghaften durch Hoffnung zu beleben. Sie trug ein kostbares Halsband und Armbänder, Zierden, welche ihren Rang und ihre hohe Abkunft verkündeten, und ihr Unterkleid war nach damaliger Sitte um ihren schlanken Leib durch einen Gürtel befestigt, der mit Edelsteinen besetzt und mit einer großen goldnen Schnalle geschmückt war. An der rechten Seite des Gürtels hing eine Tasche oder Börse, aufs Kostbarste gestickt, und auf der linken befand sich ein kleiner, sehr schön gearbeiteter Dolch. Ein dunkelfarbiger Mantel, als Sinnbild ihres umwölkten Schicksale gewählt, flatterte leicht um sie her und die daran befestigte Kappe umschattete ihre reizenden Züge, ohne sie ganz zu verhüllen. In ihren Blicken lag zwar nicht mehr der erhabene, begeisterte Ausdruck, den die angebliche göttliche Offenbarung ihnen mitgetheilt hatte, allein es sprach sich in ihnen noch immer ein sanft trauriger, doch zugleich entschlossener Charakter aus; und als sie die Krieger anredete, geschah es halb bittend, halb befehlend, so daß sie sich bald ihrem Schutze ganz hingab, bald ihren Beistand als gebührenden Tribut ihrer Unterthanenpflicht forderte.

Die Besatzung war, der Kriegstaktik gemäß, in einzelne Haufen auf den Punkten vertheilt, die sich am besten zum Angriffe eigneten oder von denen aus dem Feinde der größte Nachtheil zugefügt werden konnte, und eben diese unvermeidliche Trennung der Macht zeigte sich bei dem weiten Umfang der Wälle im Vergleich mit der so großen Anzahl der Belagerer höchst nachtheilig für die Besatzung. Wilkin Flammock hatte zwar mehrere Mittel angewendet, diesen Mangel an Macht dem Feinde zu verbergen; allein er konnte doch nicht die Vertheidiger der Burg darüber täuschen, welche die zahlreichen, nur von einzelnen Schildwachen besetzten Zinnen mit trübem Blicke betrachteten und dann ihren Blick nach dem unglücklichen Schlachtfelde wandten. Hier lagen die Leichen derjenigen, welche in dieser Stunde der Gefahr treue Kameraden hätten abgeben sollen.

Die Gegenwart Evelinens trug viel dazu bei, die Niedergeschlagenheit der Besatzung zu mildern. Sie eilte von Posten zu Posten, von Thurm zu Thurm der alten Veste, wie ein Lichtstrahl über eine umwölkte Landschaft, der, an ihren einzelnen Gegenden vorüberstreifend, sie schön und wirksam hervortreten läßt. Kummer und Besorgniß machen zuweilen den Leidenden beredt. Sie redete die aus verschiedenen Völkern bestehende Garnison, jeden in seiner eigenen Muttersprache an. Zu den Engländern sprach sie als Landeskindern, zu den Flamändern als Leuten, die durch Gastfreiheit das Bürgerrecht erlangt haben, zu den Normännern als Abkömmlingen jenes siegreichen Geschlechts, dessen Schwert sie zu den Oberherren und Edeln jedes Landes machte, das seine Klinge gefühlt hatte. Bei ihnen bediente sie sich der Sprache des Ritterthums, dessen Gesetze selbst den Niedrigsten jener Nation als Norm galten, nach«der sie ihre Handlungen regelten, oder sich wenigstens den Schein gaben, als ob dies der Fall sey. Die Engländer erinnerte sie an ihre oft bewährte Treue und Redlichkeit, und mit den Flamändern sprach sie über die Zerstörung ihrer Besitzungen, der Früchte ihrer ehrenvollen Betriebsamkeit.

Alle munterte sie auf, den Tod ihres Anführers und seiner Getreuen zu rächen; allen empfahl sie Vertrauen auf Gott und auf Unsere liebe Frau von Garde Doloureuse, und suchte zugleich einen Jeden zu überzeugen, daß eine beträchtliche Zahl siegreicher Truppen bereits zu ihrem Entsatze herbeirücke.

»Werden die tapfern Kreuzfahrer,« sagte sie, »wohl ihr Vaterland verlassen, während die Wehklage der Weiber und Waisen zu ihren Ohren dringt? Das hieße ihren frommen Vorsatz in Todsünde verwandeln, und ihren so ehrenvoll errungenen Ruf verunglimpfen. Nein! fechtet nur tapfer, und ehe vielleicht noch diese Sonne, die sich langsam erhebt, in's Meer hinabsenkt, umleuchten ihre Strahlen die Reihen der Kämpfer von Shrewsbury und Chester. Wann wartete der Walliser es jemals ab, den Klang ihrer Trommeten, das Rauschen ihrer seidnen Banner zu vernehmen? Nur auf eine kurze Zeit fechtet tapfer und kühn – unsere Burg ist fest – wir haben hinlängliche Vorräthe – Euer Herz ist redlich – Euer Arm mächtig – Gott ist uns nah und unsere Freunde sind nicht fern. So kämpft denn in dem Namen dessen, was gut und heilig ist – fechtet um Eurer selbst willen, für Eure Weiber, Eure Kinder, Euer Eigenthum! Ach! und fechtet für ein verwaistes Mädchen, das keine andern Vertheidiger hat, als diejenigen, welche das Mitgefühl für sie und die Erinnerung an ihren Vater unter Euch ihr erwecken kann!«

Anreden dieser Art machten einen ergreifenden Eindruck auf die Krieger, an die sie gerichtet wurden, und welche durch Gewohnheit und Neigung längst gegen das Gefühl der Gefahr abgehärtet waren. Die ritterlichen Normannen schwuren auf das Kreuz ihrer Schwerter, bis auf den letzten Mann zu sterben, ehe sie von ihrem Posten wichen. Die plumpern Angelsachsen schrieen: »Schande über ihn, der ein solches Lamm wie Eveline einem Walliser Wolf überläßt, während er sie selbst mit seinem eigenen Körper wie mit einem Bollwerke schützen kann!« Selbst die kalten Flamänder traf ein Funke der Begeisterung, welche die Uebrigen belebte. Sich wechselweise zuflüsternd priesen sie die Schönheit der jungen Dame und waren rasch entschlossen, zu ihrer Vertheidigung alles aufzubieten, was sie irgend vermöchten.

Rose Flammock, welche nebst einigen Dienerinnen ihre Gebieterin auf der Runde um das Schloß begleitete, schien aus dem leidenschaftlichen Zustande, in welchen sie am vorigen Abend der Verdacht gegen ihres Vaters Charakter versetzt hatte, wieder zu dem ihr natürlichen Wesen eines furchtsamen schüchternen Mädchens zurückgekehrt zu seyn. Dicht, aber ehrfurchtsvoll, trippelte sie hinter Evelinen einher, auf jedes Wort von ihr mit der Achtung und Bewunderung horchend, womit ein Kind seinem Lehrer zuhört. Nur ihr feuchtes Auge drückte aus, in wiefern sie die Größe der Gefahr oder die Stärke der Ermahnungen fühlte.

Es gab indeß einen Augenblick, wo ihr jugendliches Auge glühte, ihr Schritt zuverläßiger, ihr Blick stolzer ward. Dies geschah, als sie sich dem Orte näherten, wo ihr Vater, nachdem er die Pflichten des Befehlshabers der Besatzung erfüllt, jetzt denen eines Ingenieurs oblag, und sowohl große Gewandtheit als erstaunenswerthe Körperkraft bewies, indem er mit der Richtung und Aufstellung einer großen Steinschleuder auf den Zinnen eines weitvorspringenden Thors beschäftigt war, welches von der westlichen Seite des Schlosses zur Ebene hinabführte, und wo sich natürlich ein heftiger Angriff erwarten ließ. Der größere Theil seiner Rüstung lag hinter ihm, doch von seinem Leibrock bedeckt, um sie vor dem Morgenthau zu bewahren. Er stand da in seinem ledernen Wamms, die Arme bis zur Schulter entblößt, mit einem mächtigen Schmiedehammer in der Hand, den Handwerksleuten, die unter seiner Leitung arbeiteten, mit gutem Beispiele vorangehend.

Träge und schwerfällige Naturen besitzen gewöhnlich einen Anstrich von Blödigkeit und ein peinliches Wesen bei Verletzung kleinlicher Rücksichten. Wilkin Flammock war unerschüttert geblieben, beinahe bis zur Fühllosigkeit, als er vor Kurzem des Verraths angeklagt wurde; aber er ward roth vor Verlegenheit, als er schnell seinen Leibrock überwerfend die nachläßige Kleidung, worin ihn Eveline überraschte, zu verbergen suchte.

Nicht so seine Tochter. Stolz auf ihres Vaters Diensteifer flog ihr Auge von ihm zu ihrer Gebieterin mit einem triumphirenden Blick, als wolle sie sagen: »Und diesen treuen Diener hier hielt man für einen Verräther?«

Evelinens eigenes Herz machte ihr diesen Vorwurf, und ängstlich bemüht, den augenblicklichen Zweifel an seiner Treue ihm zu vergüten, reichte sie ihm einen kostbaren Ring als eine kleine Abbuße eines momentanen Mißverständnisses, wie sie sich ausdrückte.

»Dessen bedarf's nicht!« sagte Flammock mit seiner gewöhnlichen Derbheit. »Es müßte mir denn anders freistehen, das Geschenk an Rose zu geben; denn mich dünkt, die hat sich genug gekränkt über dasjenige, was mich wenig kümmerte – und warum sollt' es mich auch kümmern?«

»Gebiete darüber nach Belieben,« versetzte Eveline, »der Stein dieses Rings ist so ächt, als Deine Treue!«

Sie schwieg, und in die weite Ebene zwischen der Burg und dem Strome hinausblickend, machte sie die Bemerkung, wie still und ruhig der Morgen über dem kurz vorher von so wildem Morde befleckten Schauplatze anbreche.

»Es wird nicht lange dauern,« antwortete Flammock, »so wird's hier Lärm genug geben, der uns noch näher in die Ohren tönen wird, als gestern.«

»Wo steht der Feind?« fragte Eveline. »Kann ich doch weder Zelt noch Papillon erspähen.«

»Dergleichen haben sie nicht,« versetzte Wilkin Flammock. »Der Himmel hat ihnen die Gnade und den Verstand versagt, genug Linnen zu solch einem Zweck zu weben. – Dort liegen sie zu beiden Seiten des Flusses, nur mit ihren weißen Mänteln bedeckt. Sollte man's denken, daß eine Schaar von Dieben und Mördern dem schönsten Dinge in der Natur so ähnlich sehen könnte – einer schön ausgebreiteten Bleiche! Horch! horch! die Wespen fangen bereits an zu summen; bald werden sie ihre Stacheln gebrauchen!«

Wirklich hörte man in dem Walliser Heere ein leises, unverständliches Gemurmel, wie:

»Bienen, die bedroht im Stock sich waffnen.«

Erschrocken über den dumpfen, drohenden Ton, der mit jeder Sekunde lauter ward, schmiegte sich Rose, welche die höchste Reizbarkeit eines gefühlvollen Charakters besaß, dicht an den Arm ihres Vaters und flüsterte ängstlich:

»Es klingt wie das Brausen des Meeres in der Nacht vor der großen Ueberschwemmung.«

»Und es deutet auf böses Wetter, dem sich Frauen nicht aussetzen sollten,« sagte Flammock. »Geht gefälligst in Euer Zimmer zurück, Lady Eveline, und Du ebenfalls, Röschen! Gott segne Dich! Ihr verleitet uns hier nur zum Müßiggange.«

In der Ueberzeugung, daß sie alles gethan, was ihr oblag, und fürchtend, der Schauer, der ihr eigenes Herz umschlich, möchte sich auch Andern mittheilen, befolgte Eveline den Rath ihres Vasallen und zog sich langsam in ihr Gemach zurück, öfters nach der Gegend zurückblickend, wo die Walliser jetzt, erwacht und gerüstet, ihre keilförmigen Truppenabtheilungen gleich den Wellen einer herannahenden Fluth vorrücken ließen.

Der Fürst von Powys hatte mit nicht geringer Kriegserfahrung einen Angriffsplan entworfen, der dem feurigen Geiste seiner Krieger angemessen war, und sann jetzt darauf, die Besatzung auf allen schwachen Punkten zu beunruhigen.

Die drei Seiten des Schlosses, welche der Strom schützte, wurden von einer zahlreichen Schaar Britten besetzt, welche Befehl erhalten hatten, sich blos auf den Gebrauch ihres Bogens zu beschränken, bis sich eine günstige Gelegenheit zum engern Angriff zeigen würde. Allein der bei weitem größere Theil von Gwenwyns Macht, die aus drei Kolonnen bestand, rückte auf der Ebene von der westlichen Seite der Burg heran, mit einem verzweifelten Sturme die Mauern bedrohend, welche hier nicht durch den Strom gedeckt waren.

Die erste dieser furchtbaren Heeresmassen bestand zugleich aus Bogenschützen, welche sich dem belagerten Platz gegenüber zerstreuten, jedes Gebüsch und jede Anhöhe benutzend, die ihnen Schutz gewähren konnte. Sie richteten nun ihre Bogen und Pfeile auf die Zinnen und Schießscharten der Burg, erlitten indeß mehr Schaden, als sie anrichten konnten, da die Besatzung ihre Schüsse mit größerer Sicherheit und ruhigerer Ueberlegung erwiederte.

Durch ihren Pfeilregen gedeckt bemühten sich indeß zwei andere starke Corps der Walliser, die Außenwerke der Burg mit Sturm zu nehmen. Sie hatten Aexte, um die Pallisaden, damals Barrieren genannt, zu vernichten; Reisbündel, um die äußern Gräben auszufüllen; Fackeln, um alles, was Feuer fangen konnte, anzuzünden, und ganz vorzüglich Sturmleitern zur Ersteigung der Mauern.

Diese Truppen stürzten jetzt mit unglaublicher Wuth dem Angriffspunkte entgegen, und ungeachtet der tapfersten Gegenwehr und des großen Verlustes, der ihnen durch Wurfgeschütz aller Art zugefügt ward, setzten sie den Sturm beinahe eine Stunde fort, unterstützt durch Verstärkungen, die ihre verminderte Zahl zwiefach ersetzten. Endlich zum Rückzuge gezwungen, schienen sie eine neue und noch ermüdendere Art des Angriffs zu wählen. Ein starkes Corps stürmte irgend einen besonders ausgesetzten Punkt der Festung mit einer solchen Wuth, daß man alle Streiter, die an andern Posten nur irgend entbehrlich waren, zur Vertheidigung dieses Orts vereinigen mußte. Allein, wo sich nur irgend ein schwächer besetzter Punkt zeigte, ward derselbe durch einen neuen Trupp der Feinde angegriffen.

So glichen die Vertheidiger von Garde Doloureuse dem bedrängten Wanderer, der einen Schwarm von Hornissen zu verjagen strebt. Während er ihn von einem Flecke hinwegscheucht, hängt er sich fest an einen andern, durch seine Zahl, Keckheit und verdoppelte Angriffe den Geplagten bis zur Verzweiflung treibend.

Da die Außenpforte natürlich einer der Hauptangriffspunkte und der Gefahr am dringendsten ausgesetzt war, so begab sich Pater Aldrovand dahin, dessen ängstliche Besorgniß ihm nicht gestattete, die Mauer zu verlassen, und der in der That, wo es irgend schicklich war, an der Vertheidigung selbst thätigen Antheil nahm. Er fand hier den Flamänder, wie einen zweiten Ajax, gräßlich bedeckt mit Blut und Staub, mit eigener Hand die große Steinschleuder regierend, die er früherhin aufrichten half, und zugleich auf alle bedrängte Punkte ein wachsames Auge habend.

»Was denkst Du von dem heutigen Tage?« flüsterte ihm der Mönch zu.

»Was frommt es, darüber zu schwatzen, Herr Pater,« versetzte Wilkin. »Ihr seyd kein Krieger, und ich habe eben nicht Zeit, viele Worte zu machen.«

»Schöpfe einmal Athem!« sagte der Mönch, die Aermel seines Gewandes aufwickelnd. »Ich will versuchen, Dir ein wenig zu helfen, obgleich ich – Unsere Frau sey mir gnädig! nichts verstehe von den fremden Maschinen hier, ja, nicht einmal ihren Namen kenne. Aber unsere Ordensregel verlangt, daß wir arbeiten sollen, und es kann deshalb nichts Unrechtes seyn, wenn ich diese Schraube umdrehe, oder dies mit einer stählernen Spitze versehene Stück Holz auf den gespannten Strick lege (diesen Worten folgte die ihnen gemäße Handlung nach); auch wüßte ich nicht, daß es mit den Kirchengesetzen im Widerspruche stünde, wenn ich den Hebebaum richte, oder die Springfeder hier berühre.«

Während er so sprach, fuhr der schwere Bolzen zischend durch die Luft, und erreichte sein Ziel so erwünscht, daß er einen der ersten Walliser Häuptlinge zu Boden streckte, als er eben von Gwenwyn einen wichtigen Auftrag empfing.

»Gut geworfen, Trebuchet – gut geflogen, Quarrel!« rief der Mönch, außer sich vor Freude, und in seinem Triumphe die Steinschleuder und den Bolzen mit ihrem technischen Namen bezeichnend.

»Und wohl gezielt, Mönch!« fügte Wilkin Flammock hinzu. »Mich dünkt, Du kannst mehr, als in Deinem Brevier lesen.«

»Darum trage keine Sorge!« entgegnete der Vater; »da Du aber siehst, daß ich eine Steinschleuder zu lenken verstehe, und daß es den Schuften doch wohl ein wenig schlimm zu Muthe seyn mag, sage mir, was denkst Du von unserer Lage?«

»So schlecht sie ist, sie wäre gut genug, wenn wir nur auf baldigen Entsatz hoffen dürften. Denn der Mensch ist von Fleisch und nicht von Eisen, und endlich überwältigt uns doch die Mehrzahl der Feinde. Nur Ein Krieger zur Vertheidigung der Mauer in dem Raume von vier Ellen – das ist allerdings schlimm genug, und die Schufte wissen's wohl, und rücken uns hart auf den Leib.«

Der wieder erneute Sturm brach hier das Gespräch ab. Auch ließ ihnen der thätige Feind bis zu Sonnenuntergang wenig Ruhe; denn auf vielen Punkten durch drohende Angriffe beunruhigt, zwei bis drei furchtbare Stürme von verschiedenen Seiten nicht gerechnet, blieb ihnen kaum ein Augenblick übrig, sich zu erholen und wieder Athem zu schöpfen. Aber die Walliser bezahlten ihre Verwegenheit theuer; denn wenn auch die Tapferkeit beispiellos war, welche ihre Krieger bei den wiederholten Angriffen zeigten, so fehlte doch denen, welche später unternommen wurden, die verzweiflungsvolle Wuth der ersten Anfälle; und wahrscheinlich machte das Bewußtseyn bedeutender Verluste, und die Besorgniß, welchen Eindruck dies auf die Stimmung des Volks haben möchte, sowohl Gwenwyn, als der erschöpften Besatzung von Garde Doloureuse, die Unterbrechung des Kampfs mit herannahender Nacht höchst wünschenswerth.

Aber in dem Lager der Walliser herrschte gleichwohl Freude und Triumph; denn die Erinnerung des frühern glänzenden Sieges ließ den eben erlittenen Verlust vergessen, und die niedergeschlagene Besatzung konnte von ihren Mauern das Gelächter, den Gesang, die Harfen- und Freudenklänge vernehmen, welche im Voraus über ihre Niederlage triumphirten.

Die Sonne war unlängst hinabgesunken, die Dämmerung nahm zu, und die Nacht rückte heran mit einem blauen, wolkenlosen Himmel, an welchem tausend flimmernde Sterne einen zwiefachen Glanz von einem leichten Frosthauche empfingen, während ihre Gebieterin, der bleichere Planet, nur im ersten Viertel stand.

Die Noth der Besatzung wurde sehr vermehrt durch die strenge und sorgfältige Wache, welche zu einer Zeit errichtet werden mußte, die sich für einen nächtlichen Ueberfall so sehr eignete, und zu ihrer schwachen Mannschaft wenig paßte. Dieser Dienst war so dringend, daß selbst diejenigen, die am Tage eine leichte Wunde empfangen hatten, trotz ihrer Verletzung nicht davon ausgeschlossen blieben.

Der Mönch und Wilkin Flammock, die sich jetzt vollkommen verstanden, machten um Mitternacht gemeinschaftlich die Runde, um die Wachthabenden zur Aufmerksamkeit zu ermuntern, und sich mit eigenen Augen von dem Zustande der Festung zu überzeugen. Bei dieser Gelegenheit eine hohe Zinne vermittelst einer schmalen und unebenen Treppe ersteigend, die dem Mönch etwas sauer ward, entdeckten sie auf der Höhe, die sie erklommen, statt des schwarzen Panzers der flamändischen Schildwache, die hier ihren Posten hatte, zwei weiße Gestalten, welche Wilkin Flammock mehr Schrecken einflößten, als er in den bedenklichsten Vorfällen des Gefechts am vorigen Tage gezeigt hatte.

»Pater!« rief er, »nehmt Eure geistliche Rüstung zur Hand – es spukt! Hier sind Gespenster!«

Der gute Pater hatte es als Priester nicht gelernt, den geistigen Erscheinungen Trotz zu bieten, die er einst als Krieger mehr, wie irgendeinen sterblichen Feind, gefürchtet hatte. Allein er fing eben an, die Geisterbeschwörung der Kirche herzustammeln; » Conjuro vos omnes, spiritus maligni, magni atque parvi – –« als ihn Evelinens Stimme mit den Worten unterbrach: »Seyd Ihr es, Pater Aldrovand?«

Mit sichtbarer Herzenserleichterung, da sie fanden, daß sie mit keinem Geiste zu schaffen hatten, traten Wilkin Flammock und der Mönch schnell auf die Zinnen, wo sie das Fräulein mit ihrer treuen Begleiterin Rose wie Schildwachen auf ihren Posten stehen fanden. Eveline trug eine Hellebarde in der Hand.

»Was bedeutet das, meine Tochter?« fragte der Mönch. »Wie kommt Ihr hieher und so bewaffnet? Wo ist die Schildwache – der träge, flämische Hund, der diesen Posten versehen sollte?«

»Könnte es nicht ein träger Hund seyn, ohne eben ein flamändischer zu seyn, Pater?« sagte Rose, die durch jedes Wort gereizt ward, das ein Spott gegen ihr Vaterland zu seyn schien. »Mich dünkt, es gäbe auch dergleichen Thiere von englischer Abkunft.«

»Still, Rose! Du bist zu vorlaut für ein junges Mädchen,« versetzte ihr Vater. »Noch einmal, wo ist Peter Vorst, der diesen Posten bewachen sollte?«

»Macht ihm meinetwegen keine Vorwürfe!« sagte Eveline, auf den Platz hindeutend, wo die flamändische Schildwache in dem Schatten der Balustrade fest eingeschlafen war. »Er war so sehr erschöpft – hatte mit Anstrengung den ganzen Tag gefochten. Und als ich, wie ein irrender Geist, der nicht Ruh' noch Rast findet, hieher kam, und ihn schlafend fand, wollte ich seinen beneidenswerthen Schlummer nicht stören. Hat er für mich gefochten, dachte ich, so kann ich wohl eine Stunde für ihn wachen. Da ergriff ich denn seine Waffe, mit dem Entschlusse, hier zu bleiben, bis Jemand ihn abzulösen käme.«

»Ich will den Schelm schon ablösen!« rief Wilkin Flammock, den auf der Erde ruhenden, tief schlummernden Wächter mit zwei Stößen erweckend, von denen sein Harnisch laut ertönte. Der Bursche fuhr mit keinem geringen Schrecken empor, und würde wahrscheinlich die nächsten Schildwachen und die ganze Besatzung durch das Geschrei: »Die Walliser befinden sich auf den Wällen!« in Unruhe versetzt haben, wenn nicht der Mönch seinen breiten Mund mit der Hand bedeckt hätte, in dem Augenblicke, wo er laut schreien wollte.

»Schweig!« sagte er, »und begib Dich in die untere Wachtstube. Du hast nach allen Kriegsgesetzen den Tod verdient; aber sieh her, wer Deinen werthlosen Kopf gerettet hat, für Dich wachend, während Du von Schweinefleisch und Bierkrügen träumtest!«

Der Flamänder, zwar noch halb im Schlafe, fühlte gleichwohl sein Vergehen, und entfernte sich ohne Widerrede, nachdem er sich sowohl Evelinen, als denen, die ihn so ohne alle Umstände gestört, mit einigen linkischen Komplimenten empfohlen hatte.

»An Hals und Ferse verdient er aufgehangen zu werden, der Hundsfott!« rief Wilkin. »Aber was verlangt Ihr, Lady? Meine Landsleute können nicht ohne Ruhe und Schlaf leben.«

Bei diesen Worten gähnte er, und öffnete dabei den Mund so weit, als wolle er einen der kleinen Thürme verschlingen, welche an den Ecken der Zinne, auf der er stand; befindlich waren.

»Das ist wohl wahr, guter Wilkin,« entgegnete Eveline. »Gönne Dir daher einige Ruhe, und verlasse Dich auf meine Wachsamkeit, wenigstens bis die ausgestellten Posten abgelöst werden.«

»Ich danke Euch, Lady,« sagte Flammock, »und wahrlich, da wir uns hier im Centrum des Schlosses befinden, und spätestens in einer Stunde die Runden hier vorbei passiren, so will ich bis dahin meine Augen zuthun, denn meine Augenlieder sind mir so schwer, wie ein Schleusenthor.«

»O, Vater, Vater!« rief Rose, welche die unschickliche Vernachläßigung des Anstandes fühlte, »bedenkt, wo und in wessen Gegenwart Ihr Euch befindet!«

»Ja, ja, mein guter Flammock,« sagte der Mönch, »erwägt, daß es sich in Anwesenheit eines edlen normännischen Fräuleins nicht wohl schickt, sich in seinen Mantel zu hüllen und die Nachtmütze über's Ohr zu ziehen.«

»Laßt ihn doch, Pater!« entgegnete Eveline, die zu einer andern Zeit die Schnelligkeit belächelt haben würde, womit Wilkin Flammock sich in seinen weiten Mantel hüllte, mit seinem wohlbeleibten Körper sich auf der steinernen Bank ausstreckte, und die entschiedensten Zeichen eines tiefen Schlummers hören ließ, ehe noch der Mönch seine Rede beendet hatte.

»Ehrerbietige Formen und Gebräuche,« fuhr Eveline fort, »passen sich für ruhige, feierliche Zeiten. Der Krieger, wenn er in Gefahr ist, wählt sein Schlafgemach irgendwo, um nur eine Stunde auszuruhen, sein Speisezimmer da, wo er gerade Nahrung erhalten kann. Setzt Euch zu mir und Rosen nieder, guter Pater, und ertheilt uns irgend eine heilige Lehre, welche diese Stunde der Sorge und Ermüdung sanft verscheuchen mag.«

Der Pater gehorchte, allein so bereitwillig er auch war, ihnen Trost zu gewähren, so gab ihm doch sein Scharfsinn und seine theologische Kenntniß nichts Besseres ein, als die Wiederholung der Bußpsalmen. Er fuhr damit fort, bis auch er von Müdigkeit überwältigt ward, und sich eben der Sünde gegen den Anstand schuldig machte, die er vorhin Wilkin Flammock tadelnd vorwarf, indem er mitten in seinen Andachtsübungen fest entschlummerte.



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