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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Der Leser kann nun schwerlich noch im Zweifel sein darüber, wer der nubische Mann war, zu welchem Zweck er König Richards Lager aufgesucht hatte, und weshalb er dicht zu der Person des Königs herantrat, als dieser, von seinen heldenmütigen Pairs von England und der Normandie umgeben, auf dem Gipfel des Georgenberges stand, neben dem Banner Englands, das der trefflichste Mann im Heere trug, sein eigner natürlicher Bruder, Wilhelm Longsword, der »Ritter mit dem langen Schwert«, der edle Graf von Salisbury, der Königssohn Heinrichs des Zweiten mit der berühmten Rosamunde von Woodstock.

Infolge verschiedener Aeußerungen, die in der Unterredung des Königs mit Neville am vorhergehenden Tage gefallen waren, war der Nubier in großer Sorge, daß seine Verkleidung entdeckt worden sei, besonders da der König zu wissen schien, daß der Hund zur Entdeckung des Bannerdiebes herangezogen werden sollte, trotzdem in Richards Gegenwart von seiner Verwundung kaum die Rede gewesen war. Da aber der König ihn nach wie vor als Nubier behandelte, gelang es ihm nicht, seine Zweifel zu heben, und er hielt es für richtiger, seine Verkleidung beizubehalten.

Inzwischen stellten sich die Truppen der verschiedenen Kreuzfahrerfürsten unter ihren Heerführern, in langen Reihen am kleinen Walle auf, mit fliegenden Fahnen, blinkenden Speeren, wallenden Federbüschen: ein Heer, formiert aus verschiedenen Völkerschaften, verschiedener Farbe, verschiedener Sprache, von allerhand Waffen und Trachten, aber alle getragen von frommer Begeisterung, die bedrängte Tochter Zions aus dem Joch der Ungläubigen zu erlösen.

König Richard saß mittwegs zwischen Lager und Georgenberg zu Pferde, einen von einer Krone überragten Helm auf dem Haupte, mit kaltem, bedächtigem Blick jede Reihe musternd und den Gruß der Heerführer erwidernd. An seiner Seite stand der vermeintliche äthiopische Sklave mit dem edlen Hund an einer Leine. Verwundern konnte dies nicht weiter, denn viele Fürsten unter den Kreuzfahrern ahmten den Sarazenen nach und hielten schwarze Sklaven in ihrem Hofstaat. Ueber dem Haupte des Königs wallten die breiten Falten des britischen Banners. Im Hintergrunde, auf dem eigentlichen Gipfel der Anhöhe, in einem für den Anlaß besonders errichteten kleinen Turm befand sich die Königin Berengaria nebst den vornehmsten Hofdamen. Dorthin warf der König von Zeit zu Zeit einen Blick, der aber schnell wieder zu dem Nubier und dem Hunde zurückkehrte, wenn Heerführer vorbeizogen, die er der Entwendung des Banners für fähig hielt.

Als Philipp August von Frankreich an der Spitze seiner gallischen Ritterschaft nahte, ging er den Berg hinunter ihm entgegen, so daß sie sich mittwegs trafen und freundlich begrüßten, wie ein paar Brüder; als die Ritter und Knappen der Tempelherren in dunkler Rüstung, mit den durch Palästinas Sonne schwarzgebräunten Gesichtern, auf Rossen nahten, deren treffliche Beschaffenheit und Abrichtung selbst die besten Frankreichs und Englands weit übertraf, da warf der König einen schnellen Seitenblick; allein der Nubier stand ruhig, und sein treuer Hund ihm zu Füßen musterte mit scharfem Blick die vorbeireitenden Reihen. Der Großmeister des ritterlichen Ordens nahm seinen doppelten Charakter als Priester und Krieger wahr und vermied es, dem König als Heerführer seine Ehrfurcht zu bezeigen, indem er ihm als Priester seinen Segen erteilte.

»Der zweideutige Schurke!« sagte Richard zum Grafen Salisbury; »er fertigt mich als Pfaffe ab; aber wir wollen es hingehen lassen. Der Dienst dieser erfahrenen so übermütig gewordenen Lanzenträger soll der Christenheit nicht um kleinlicher Empfindlichkeit willen geraubt werden! Doch sieh! der Erzherzog von Oesterreich, gib acht auf sein Benehmen, und Du, Nubier, halt den Hund richtig! Beim Himmel! seine Possenreißer bringt er auch mit.«

Von seinem Spruchmeister und Hofnarren begleitet, kam Leopold herangeritten und fing, um seine Gleichgültigkeit zu zeigen, zu pfeifen an; als er aber mit mürrischer Miene vor dem englischen Banner die dekretierte Verbeugung machte, schüttelte der Spruchmeister seinen Stab und verkündete wie ein Herold: »Der Erzherzog wolle um deswillen, was er jetzt getan, nicht dafür angesehen sein, als ob er dem Range und den Vorrechten, eines souveränen Fürsten etwas vergebe,« worauf der Hofnarr zum großen Gelächter der Anwesenden mit einem helltönenden »Amen!« antwortete.

Wiederholt sah der König nach dem Nubier und dem Hunde; aber keiner von beiden rührte sich. »Ich fürchte, schwarzer Freund, unter die Zauberer gehörst Du nicht, und Deine Verdienste um unsere Person wirst du auch nicht mehren, trotz Deinem Hunde.«

Da zogen die Mannen des Marquis von Montserrat vorüber, um sie zahlreicher erscheinen zu lassen, in zwei Scharen geteilt. An der Spitze der ersten Schar, die aus Vasallen der syrischen Besitzungen bestand, ritt Enguerrand, der Bruder des Marquis, Während dieser selbst an der Spitze von zwölfhundert Stradioten, einer Art leichter Reiterei, von den Venetianern aus ihren Besitzungen in Dalmatien ausgehoben und dem Marquis anvertraut, daher kam. In überreicher Tracht, strotzend von Gold und Silber, den milchweißen Federbusch mit einer Demantschnalle auf seiner Mütze befestigt, so daß er bis zu den Wolken emporzuragen schien, auf dem edlen Rosse, das er mit kräftiger Faust in Räson hielt, näherte Marquis Konrad sich dem Könige, der ihn kaum erblickte, als er ihm ein paar Schritt weit entgegenging ... Eben wollte er das Wort an ihn richten, als Roswal mit wildem Geheul vorsprang. Der Nubier ließ die Leine locker, der Hund sprang an Konrads Rosse hinauf, packte den Marquis an der Kehle und riß ihn aus dem Sattel zu Boden. Während das Pferd durch das Lager raste, wälzte sich der Marquis mit seinem stolzen Federbusch im Sande.

»Dein Roswal hat die rechte Beute gepackt,« sagte der König zum Nubier, »ich schwör's beim heiligen Georg! Aber reiße den Hund weg, denn er erwürgt ihn noch!«

Der Aethiopier machte den Hund mühsam von Konrad los. Inzwischen drängten sich, besonders aus Konrads Gefolge und der Stradiotenschar, viele herbei, die, als sie ihren Anführer am Boden liegen sahen, wild durcheinander schrien: »Haut den Sklaven und seinen Hund in Stücke!«

Allein Richards Stimme erscholl hell über alles Geschrei: »Des Todes ist, wer sich an dem wackern Hunde vergreift! Tritt hervor, Konrad, Graf von Montserrat! Ich klage Dich der Treulosigkeit und des Verrats an!«

»Sind die Fürsten des Kreuzzuges Hasen oder Rehe in König Richards Augen geworden, daß er Jagdhunde auf sie losläßt?« fragte der Großmeister mit Grabesstimme. – »Es muß ein Zufall, ein Mißverständnis vorliegen,« sprach Philipp von Frankreich, herbeireitend. – »Eine List des bösen Feindes!« meinte der Erzbischof von Tyrus. – »Ein Kunstgriff der Sarazenen!« rief Heinrich von Champagne. »Den Hund sollte man aufhängen und den Sklaven foltern!«

»Niemand, dem sein Leben lieb ist, lege die Hand an ihn!« rief Richard; »Konrad, wenn Du es wagst, so leugne die Anklage, die dies stumme Tier in edlem Instinkt wider Dich erhoben hat, die Anklage der schmachvollen Beleidigung Englands und des ihm selbst zugefügten Unrechts.« – »Ich habe Dein Banner nie berührt,« rief Konrad schnell.

»Deine Worte verraten Dich!« entgegnete Richard. »Warum redest Du von meinem Banner, wenn Du Dich der Missetat nicht schuldig fühltest?« – »Hast Du das Kreuzfahrerheer aus diesem und keinem anderen Grunde alarmiert?« fragte Konrad: »sinnst Du einem Fürsten und Bundesgenossen ein Verbrechen an, das irgend ein Spitzbube wegen der Goldfäden an der Fahne begangen haben mag? oder willst Du einen Hund als Ankläger gegen einen Bundesgenossen gelten lassen?«

Der Lärm wurde so heftig, daß sich der König Philipp von Frankreich ins Mittel legte ... »Fürsten und Edle,« sprach er, »halten wir unsere Mannen im Zaume! führe ein jeder seine Truppen in ihre Quartiere zurück! und treffen wir uns nach Ablauf einer Stunde im Zelte des hohen Rats. Dort wollen wir über diesen neuen Fall verhandeln.« – »Ich bin es zufrieden,« sprach König Richard, »obgleich ich diesen Elenden am liebsten auf der Stelle verhört hätte. Aber Frankreichs Wille soll der unsrige sein.«

Der Fürstenrat traf zur bestimmten Stunde zusammen. Konrad von Montserrat, wie ein Fürst gekleidet, trat, von dem Erzherzog von Österreich, den Großmeistern der Tempelherren und Johannitern begleitet, in das Ratszelt. Mit dem beschimpften Staatsgewand hatte er auch die Scham und Verwirrung abgestreift, die sich bei solch unvermuteter Anklage seines Geistes bemächtigt hatten.

Auf den König von England aber machte es nicht den geringsten Eindruck, auch nicht, daß sich die drei hervorragenden Kreuzfahrer ihm, gleichsam zur Verteidigung, angeschlossen hatten. Mit seinem gewöhnlichen Wesen und in der gleichen Kleidung, in der er vom Pferde gestiegen war, trat er ein, warf einen flüchtigen, halb verächtlichen Blick um sich und beschuldigte hierauf den Marquis rundheraus, das Banner Englands gestohlen und den treuen Hund, der dasselbe bewacht, gefährlich verwundet zu haben.

Konrad erklärte keck, dem Menschen und dem Tiere zum Trotze, seine Unschuld.

»Bruder von England,« sprach Philipp, der gern die Rolle eines Vermittlers übernahm. »Wir stehen vor einer ungewöhnlichen Beschuldigung; aber Euer Glaube stützt sich bloß auf diesen Jagdhund. Ich sollte doch meinen, das Wort eines Ritters gelte mehr als ein Hundegebell.« – »Königlicher Bruder!« nahm Richard das Wort, »Ihr laßt außer acht, daß der Allmächtige den Hund mit einer Natur begabte, die jedes Betruges unfähig ist. Er vergißt weder Freund noch Feind und merkt sich genau Wohltat und Beleidigung. Ihr könnt einen Soldaten bestechen, mit dem Schwert zu töten, einen Zeugen, durch falsche Anklage ein Leben zu rauben, nie aber einen Hund bewegen, seinen Wohltäter zu zerreißen. Er ist der Freund des Menschen, ausgenommen, wenn der Mensch sich seine Feindschaft zuzieht. Putzt diesen Marquis von Montserrat mit den prunkendsten Pfauenfedern, verkleidet ihn, schminkt ihn, versteckt ihn unter Hunderten, und mein Szepter setze ich zum Pfande, daß der Jagdhund ihn herausfinden, ihm an die Kehle springen wird wie vorhin! Der Vorfall mag seltsam erscheinen, aber neu ist er nicht! In Deinem Lande, mein königlicher Bruder, wurde in einem ähnlichen Falle durch feierlichen Zweikampf zwischen Mensch und Hund der Mord entschieden, und das Verbrechen bekannt.« – »Solcher Zweikampf hat allerdings stattgefunden, mein königlicher Bruder,« sagte Philipp, »unter der Regierung eines unserer Vorfahren, dem Gott gnädig sein möge, aber da sich der Fall in der alten Zeit ereignet hat, läßt er sich nicht anwenden auf den unsrigen ... zudem war der Angeklagte ein Mann von geringem Range; seine Waffe bloß eine Keule, sein Schutz bloß ein ledernes Wams. Zu so rohen Waffen, zu solch gemeinsamem Kampfe können wir keinen Fürsten erniedrigen.« – »Das ist auch nicht meine Absicht,« versetzte Richard; »es wäre ein schlimmes Spiel, das Leben des guten Hundes gegen das eines doppelzüngigen Verräters zu wagen! – Aber da liegt unser eigener Handschuh! Wir fordern Konrad von Montserrat zum Kampfe heraus wegen der gegen ihn erhobenen Anklage. Ein König steht wohl über dem Kameraden eines Marquis.«

Konrad beeilte sich keineswegs, das von dem englischen König in die ritterliche Versammlung geschleuderte Pfand aufzuheben, und König Philipp gewann Zeit zu dem Einspruche: »Ein König ist um soviel mehr als Gegner des Marquis, als ein Hund weniger sein würde. Richard von England, solcher Zweikampf kann nicht gestattet werden. Ihr seid der Anführer unseres Feldzuges, das Schild und Schwert der Christenheit.« – »Ich protestiere gegen solche Gefährdung meines königlichen Bruders deshalb, weil sein Leben Eigentum des englischen Volkes ist. Mein Handschuh soll an Stelle des seinigen treten,« sagte der Graf von Salisbury.

»Fürsten und Edle,« nahm Konrad von Montserrat das Wort, »ich nehme König Richards Herausforderung nicht an. Er ist zu unserm Anführer gegen die Sarazenen erwählt worden, und wenn ers vor seinem Gewissen verantworten kann, einen Bundesgenossen wegen eines so nichtswürdigen Streites zum Kampf zu fordern, so kann ichs doch nicht vor dem meinigen, mich auf solchen Kampf einzulassen. Was aber seinen Bastardbruder Wilhelm von Woodstock betrifft, so will ich gegen ihn, wie gegen jeden anderen, der diese Beschuldigung auszusprechen oder zu bekräftigen wagt, meine Ehre in den Schranken verteidigen.« – »Der Marquis von Montserrat,« sprach der Erzbischof von Tyrus, »hat wie ein weiser, billig denkender Edelmann gesprochen. Mich dünkt, der Streit könnte, unbeschadet der Ehre beider Parteien, hiermit sein Ende haben.« – »Meiner Ansicht nach auch,« pflichtete Philipp von Frankreich bei, »vorausgesetzt, daß König Richard seine Anklage, als auf schwachen Füßen stehend, widerrufen wird.« – »Philipp von Frankreich,« sagte Richard Löwenherz, »meine Worte stehen mit meinen Gedanken niemals in Widerspruch! Ich habe Konrad von Montserrat als Dieb angeklagt, der bei Nacht das Sinnbild von Englands Würde von seinem Platze stahl. Ich halte ihn noch dafür und beschuldige ihn dieser Missetat, und ist erst ein Tag zum Kampf anberaumt, so zweifelt nicht, daß mir, weil Konrad mit uns selbst zu kämpfen ablehnt, ein Kämpfer fehlen werde; denn Du, Wilhelm, darfst Dein langes Schwert ohne unsere besondere Erlaubnis in diesem Streite nicht ziehen.«

»Da mich mein Rang zum Schiedsrichter in dieser höchst unglücklichen Sache Macht,« entgegnete Philipp von Frankreich, »so bestimme ich den fünften Tag von heute an, zur Entscheidung derselben mittels Kampfes nach Rittersitte, so daß Richard, König von England, durch seinen Kämpfer als Ankläger, und Konrad, Marquis von Montserrat, in eigener Person als der Angeklagte erscheine. Doch gestehe ich, daß ich keinen neutralen Grund und Boden ausfindig zu machen weiß, wo ein solcher Kampf stattfinden kann: denn hier in der Nähe des Lagers darf es nicht geschehen, weil die Krieger von beiden Seiten Partei bilden würden.« – »Es wäre gut,« sagte Richard, »zum Edelmut des königlichen Saladin unsere Zuflucht zu nehmen. Denn ist er gleich ein Heide, so habe ich doch nie einen Ritter reicher an wahrem Adel oder von solcher Treue und Aufrichtigkeit gefunden, dem wir uns so unbedingt anvertrauen können.«

»So sei es,« stimmte Philipp bei; »und so entlasse ich jetzt diesen Fürstenrat!« – »Amen! Amen!« erscholl es von allen Seiten.


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