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Zwanzigstes Kapitel.

Noch eine Viertelstunde lang blieb alles vor dem königlichen Zelte ruhig. Hinter dem Könige, der vor dem Zelteingang saß und las, mit dem Rücken ihm zugekehrt, putzte der nubische Sklave nach wie vor die Waffen. Ganz im Vordergrunde, hundert Schritt entfernt, saßen oder lagen die Wachen auf dem Grase, während auf dem Platze zwischen ihnen und dem Zelte der Marabut lag, noch immer kein Glied rührend und von einem Haufen Lumpen kaum zu unterscheiden.

Der Nubier aber sah auf der glänzenden Politur wie in einem Spiegel und gewahrte nun, nicht ohne Unruhe und Erstaunen, wie der Marabut leise den Kopf von der Erde emporhob, sich vorsichtig umblickte, dann den Kopf wieder sinken ließ, mit einer Miene, die deutlich seine Freude verriet, daß ihn niemand beobachtete, dann dem König immer näher zu rücken suchte, einer Schlange oder vielmehr Schnecke gleich, bis er kaum noch zehn Schritt von dessen Person entfernt war. Da stellte er sich auf die Füße, sprang vorwärts mit dem Satz eines Tigers, und stand in weniger als einem Augenblicke hinter dem König, den Dolch über ihm schwingend, den er unter seinem Gewände verborgen hatte. Nicht sein ganzes Heer hätte den heldenmütigen Monarchen gerettet, die Bewegungen des Nubiers waren aber genau so berechnet, wie die des Mörders, und mit ungemeiner Gewandtheit hatte er den Arm des Mörders gepackt, bevor derselbe auf sein Opfer niederfallen konnte. Aber der Charegite – denn dies war der angebliche Marabut – zückte nun den Dolch gegen den Nubier und ritzte ihm den Arm, jedoch nur leicht, während dieser ihn mit überlegener Stärke zu Boden warf.

König Richard hatte inzwischen wahrgenommen, was sich zutrug, und war, ohne indessen sonderliche Ueberraschung zu zeigen, aufgesprungen, packte den Stuhl, auf dem er gesessen hatte, und zerschmetterte mit dem Rufe: »Ha, Du Hund!« dem Mörder den Schädel.

»Ihr könnt Euch schon sehen lassen als Wächter!« sagte Richard höhnisch zu seinen Bogenschützen, als sie erschreckt in sein Zelt stürzten. »Laßt mich mit eigenen Händen solch Handwerk verrichten? Ruhig alle, und kein solch unvernünftiges Geschrei! Habt Ihr noch nie einen toten Türken gesehen? Fort mit der Leiche aus dem Lager! Schlagt den Kopf vom Rumpfe, steckt ihn auf seine Lanze, mit dem Gesicht nach Mekka, damit er dem schändlichen Betrüger, auf dessen Geheiß er herkam, melde, wie schlecht ihm die Botschaft bekommen sei. Du aber, mein schwärzer, stummer Freund,« wandte er sich zu dem Aethiopier, »bist Du verwundet? Doch sicher mit einer vergifteten Waffe? ... Saug ihm einer von Euch Faulpelzen das Gift aus der Wunde, auf den Lippen ist es unschädlich und tödlich nur, wenn es sich mit dem Blute vermischt.«

Die Wachen sahen einander bestürzt an und zauderten. »Na, wirds bald, Kerle?« fuhr der König sie an. »Habt Ihr Angst vorm Krepieren?« – »Um des schwarzen Viehes willen, das man auf jedem Markte kaufen kann, wie einen Pfingstochsen, will ich nicht wie eine vergiftete Ratte krepieren,« sagte Long Allen, den der König fixierte. – »Nun, das wär das erste mal, daß ich jemand etwas zugemutet hätte, das ich nicht selbst tun könnte!« rief der König, und ohne der Vorstellungen ihn umgebender Krieger zu achten, legte er selbst die Lippen an die Wunde des schwarzen Sklaven. Aber der Nubier fuhr, kaum daß der König zu saugen begonnen, zurück, warf ein Tuch über die Wunde und gab durch ehrerbietige Zeichen zu verstehen, daß er sich solche Liebesdienste von einem Könige verbitte. Da trat Lord Neville mit anderen von des Königs Gefolge ein ... aber der König gebot ihm, als er ihm Vorhaltungen über die Gefahr, der er sich aussetzte, machen wollte, Stille... »Nimm den Nubier mit in Dein Quartier,« sagte er. »Laß ihn gut versorgen, aber – sieh wohl zu, daß er Dir nicht entwische! Es liegt mehr in ihm, als man denkt. Er soll alle Freiheit haben; doch das Lager darf er nicht verlassen. Und Ihr,« zu den Wachen gewendet, »begebt Euch wieder auf Eure Posten! Haltet Eure Augen offen, Euren Mund geschlossen, trinkt wenig und seht schärfer um Euch her, oder Ihr sollt bald spüren, wie ich Euch die Brotkörbe höher hänge!«

Beschämt traten die Krieger ab, Neville aber verlangte, er solle ein Beispiel statuieren in einem Falle, wo man einen so verdächtigen Menschen, wie den Marabut, auf Dolcheslänge an die Person des Königs habe herankommen lassen. – »Kein Wort weiter,« unterbrach ihn Richard, »soll ich die geringe Gefahr meiner Person schärfer ahnden, als den Verlust von Englands Banner? Es ist gestohlen, oder von einem Treulosen ausgeliefert worden, und darum floß kein Tropfen Blut! – Mein schwarzer Freund,« fuhr er fort, »Du bist, wie der glorreiche Sultan versichert, imstande, Geheimnisse zu deuten. Kannst Du mir sagen, wer der Dieb, war, der meiner Ehre diese Schmach zufügte ... He?« Der Stumme schien sprechen zu wollen, brachte aber nur den undeutlichen Ton hervor, der Stummen zu eigen ist. Dann kreuzte er die Arme, sah den König mit einem Blick an, der zu sagen schien, daß er ihn verstehe und nickte. »Wie?« rief Richard. »Du glaubst, es mir sagen zu können?« – Der nubische Sklave nickte wieder. »Aber wie sollen wir einander verstehen?« sagte der König. »Kannst Du schreiben?« Der Sklave nickte zum drittenmale.

»Erlaubt, mein König,« mischte hier Neville sich ein, »daß ich meine Meinung äußere. Der Mann muß ein Zauberer sein, und Zauberer halten's mit dem Satan, und...« »Schweig, Neville!« unterbrach ihn Richard, »suche nicht einen Plantagenet zu hemmen, wenn er Hoffnung hat, seine Ehre wiederzugewinnen.«

Der Sklave erhob sich jetzt, um dem Könige zu überreichen, was er inzwischen geschrieben hatte. Was dieser las, lautete in fränkischer Sprache wie folgt:

»An Richard, den siegreichen, unüberwindlichen König von England, der niedrigste seiner Sklaven. Geheimnisse sind versiegelte Himmelskästchen, nur Weisheit findet die Mittel, ihre Schlösser zu öffnen. Stellt Euren Sklaven so, daß Eure Heerführer der Reihe nach an ihm vorbei müssen, so wird er, falls sich der Böse unter ihnen befindet, ihn ermitteln, und wenn er mit siebenfachem Schleier verhüllt wäre.«

»Nun, beim heiligen Georg!« sagte Richard; »morgen bei der Heerschau werden, wie vereinbart, die Heerführer vor unserer neuen Standarte, wenn sie auf dem St. Georgenberge weht, vorbeiziehen. Glaube mir, Neville, der Verräter wird davon nicht fernbleiben, weil er ja dadurch Anlaß zum Verdacht gäbe. Da will ich nun unsern schwarzen Bosko hinstellen, und kann seine Kunst den Buben entdecken, so will ich ihn auf Abrechnung nicht warten lassen.«


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