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Zwölftes Kapitel.

Zur Ritterzeit galt ein gefährlicher Posten oder ein gefahrvolles Abenteuer als eine Belohnung kriegerischer Tapferkeit; aber solcher Ritter glich dann dem Kletterer, der einen steilen Hang bezwungen hat und sich vor weiteren schwierigen Punkten sieht.

Es war Mitternacht. Der Mond stand hell am Himmel, als Kenneth von Schottland seine Wache am St. Georgenberg bezog, nahe dem Banner Englands. Ein stolzer Gedanke jagte den andern in der Seele des Kriegers. Das Feuer seiner ehrgeizigen Liebe entflammte seinen kriegerischen Mut. König Richard hatte ihm die Auszeichnung zuteil werden lassen, Englands königliches Banner zu hüten, und so war er kein fahrender Ritter mehr von geringer Bedeutung; er war der Aufmerksamkeit der Prinzessin näher gerückt, wenn er ihr auch örtlich noch immer so fern stand wie früher. Er hatte jetzt reichlich Muße, seinen hochstrebenden Gedanken nachzuhängen. Die Natur ringsumher ruhte im stillen Mondschein oder tiefen Schatten. Die langen Zeltreihen lagen still wie die Gassen einer verödeten Stadt. Neben dem Fahnenstabe lag ein großer Windhund, sein einziger Kamerad; das edle Tier schien seine Aufgabe zu begreifen, denn es hob die Augen von Zeit zu Zeit nach den reichen Falten der schweren Fahne empor; und wenn der Ruf der Schildwachen von anderen Posten herüberklang, antwortete der Hund mit seinem Gebell, zum Zeichen, daß er auch auf seinem Posten wach sei. Dann und wann senkte er den schmalen Kopf und wedelte mit dem Schwanze, wenn sein Herr an ihm vorüberschritt oder, in Gedanken verloren, auf die Lanze gelehnt, zum Himmel emporsah. Dann schob er wohl auch, gierig nach einer Liebkosung, die große rauhe Schnauze in den Panzerhandschuh des Ritters.

Plötzlich ließ er ein grimmiges Knurren hören und schien willens, nach der im Schatten liegenden Seite zu springen.

»Wer da?« rief Kenneth, der dort etwas kriechen sah. – »In Merlins und Maugis Namen,« erklang eine heisere, widerwärtige Stimme, »binde Deinen vierbeinigen Satan an, oder ich komme nicht zu Dir.« – »Wer bist Du?« sagte Kenneth, ohne die Gestalt unterscheiden zu können. »Nimm Dich in acht – ich stehe hier auf Tod und Leben!« – »Halte Dein langbeiniges Vieh fest!« rief die Stimme, »oder ich beschwöre ihn durch einen Bolzen meiner Armbrust.«

Kenneth hörte in diesem Augenblick einen Ton, als ob eine Armbrust gespannt würde. – »Laß Deine Armbrust und tritt ins Mondlicht,« sagte der Schotte, »oder, beim heiligen Andreas, ich spieße Dich an den Boden, was oder wer Du seist!«

Mit diesem Rufe faßte er seine Lanze in der Mitte und schwang sie, als wolle er sie schleudern, schämte sich aber alsbald dieser Absicht und stieß sie wieder in den Boden. Da sah er ein verkrüppeltes Wesen aus dem Schatten heraustreten, und er erkannte einen der beiden Zwerge, die er in der Kapelle von Engaddi erblickt hatte. Er gab seinem Hunde ein Zeichen, der sich knurrend neben der Fahnenstange niederlegte. Der Zwerg kroch keuchend die Höhe herauf. Als er den Gipfel erreicht hatte, nahm er, sich in wichtige Positur setzend, seine Armbrust in die linke Hand und reichte dem Ritter vornehm die Rechte, wie zum Kusse. Da sich der Ritter aber zu keinem Kusse bequemte, fragte er in scharfem, ärgerlichem Tone: »Krieger, warum zollst Du dem Nectabanus nicht die Huldigung, die seiner Würde gebührt? oder hättest Du ihn etwa vergessen?« – »Großer Nectabanus,« entgegnete der Ritter, von dem Wunsche beseelt, die üble Laune des Kleinen zu besänftigen, »das möchte wohl jedem schwer fallen, der Dich einmal gesehen hat. Verzeihe indes, daß ich als Soldat auf Posten keinem erlauben kann, in den Bezirk meiner Wache zu treten.« – »Schon gut,« sagte Nectabanus. »Doch müßt Ihr mir sogleich zu denen folgen, die mich hergesandt haben, Euch zu rufen.« – »Auch darin kann ich Dir nicht willens sein,« erwiderte der Ritter, »denn bis zum Tagesanbruch muß ich bei diesem Banner bleiben.« Darauf schritt er wieder auf und ab, entging aber der Zudringlichkeit des Zwerges dadurch nicht ... »Ihr müßt mir gehorchen, Herr Ritter,« sagte er, ihm den Weg versperrend, »wie es Eure Pflicht ist, oder ich befehle es Euch im Namen einer Person, deren Hoheit den Unsterblichen gebieten könnte, wenn sie auf die Erde niederstiegen.«

Eine kühne Vermutung stieg in Kenneths Seele auf; er unterdrückte sie jedoch. Daß ihm die Dame seines Herzens solche Botschaft durch solchen Boten sende, hielt er für unmöglich und doch zitterte seine Stimme, als er antwortete: »Nectabanus, sage mir offen und ehrlich, ist die Dame, von der Du sprichst, auch nicht etwa die Houri, mit der ich Dich in die Kapelle kehren sah?« – »Anmaßender,« entgegnete der Zwerg, »wähnst Du, die Dame unserer Neigung, die unsere Größe und Ehren teilt, werde sich herablassen, solchem Vasallen, wie Dir, solchen Befehl zu senden? Nein, so hoch Dich die Menschen auch ehren mögen, so hast Du doch die Aufmerksamkeit der Königin Genievra, der Braut Arthurs, noch nicht auf Dich lenken können ... Doch sieh hier das Zeichen! Gehorche also derjenigen von Englands Damen, die es in Deine Hand legt.«

Er gab nun dem Ritter einen Rubinring, den dieser auf der Stelle als jener hohen Dame gehörig erkannte, deren Dienst er sich geweiht hatte. Stumm vor Erstaunen, dies Zeichen in solchen Händen zu erblicken, rief er: »Im Namen aller Heiligen, von wem empfingst Du diesen Ring?« – »Verliebter, törichter Ritter,« erwiderte der Zwerg, »was willst Du mehr wissen, als daß Dich eine Prinzessin beehrt mit Befehlen eines Königs? Zu weiterer Verhandlung mit Dir gelüstets uns nicht, aber wir befehlen Dir kraft dieses Ringes, uns zu der Dame zu folgen, der er gehört. Zögere nicht, denn Du versündigst Dich am Herzen derselben!« – »Guter Nectabanus,« sagte der Ritter, »weiß meine Dame, wo ich mich heute nacht befinde? Weiß sie, daß mein Leben und meine Ehre davon abhängen, daß ich dies Banner bis zu Tagesanbruch bewache? Kann es ihr Wunsch sein, daß ich es verlasse, um ihr meine Huldigung zu zollen? – Nein! nein! die Prinzessin beliebt mit ihrem Diener zu scherzen, und um so mehr muß ich das glauben, als sie solchen Boten gewählt hat.« – »Bleibt bei diesem Glauben!« entgegnete Nectabanus, sich umwendend, als ob er sich entfernen wollte. »Mich kümmerts wenig, ob Ihr gegen das königliche Fräulein als Verräter handelt oder nicht. Lebt wohl!« – »Bleib – bleib – ich bitte Dich, bleib!« rief Kenneth. »Beantworte mir nur eine einzige Frage! Befindet sich die Dame, die Dich schickt, hier in der Nähe?« – »Was liegt daran?« entgegnete der Zwerg. »Rechnet die Treue nach Entfernung? Demungeachtet, argwöhnische Seele, will ich Dir sagen, daß Deine Dame sich nicht weiter von hier befindet, als ein von meiner Armbrust abgeschossener Bolzen reicht.« – »Sage mir, Nectabanus,« fragte der Ritter, den Ring nochmals betrachtend, um sich zu überzeugen, daß keine Täuschung vorliege, »wird mein Besuch verlangt zu einer bestimmten Zeit und Stunde?« – »Zeit und Stunde?« entgegnete Nectabanus; »was nennt Ihr Zeit? was nennt Ihr Stunde? Könnt Ihr eins von beiden fassen? Wird Zeit und Stunde des Ritters anders als nach den Taten gemessen, die er für Gott und seine Dame verrichtet?« – »Nectabanus!« rief der Ritter; »fordert meine Dame wirklich eine Tat von mir in ihrem Namen, um ihrer selbst willen? und laßt sie sich nicht bis zum Tagesanbruch aufschieben?« – »Du sollst auf der Stelle kommen,« versetzte der Zwerg, »und darfst nicht so viel Zeit verlieren, als zehn Körner brauchen, durch die Sanduhr zu laufen. Vernimm, argwöhnischer, fischblütiger Ritter, ihre eigenen Worte: »Sag ihm, die Hand, die Rosen fallen ließ, kann Lorbeeren verleihen.««

Bei dieser Anspielung auf ihr Zusammentreffen in der Kapelle von Engaddi erwachten tausend Erinnerungen in der Seele des Ritters, und diese Worte des Zwerges überzeugten ihn von der Echtheit der Botschaft. Es fiel ihm schwer, eine Gelegenheit vorübergehen zu lassen, die ihm die Gunst der Dame seines Herzens verhieß. Der Zwerg trug das Seinige bei, seine Bedenken zu vernichten, denn er erklärte, daß er den Ring wiederhaben müsse, wenn ihn der Ritter nicht begleite ... »Halt, noch einen Augenblick!« rief dieser. Dann murmelte er vor sich hin: »Bin ich ein Untertan oder Sklave König Richards? Bin ich nicht ein freier Ritter, der geschworen hat, seine Dienste dem Kreuzzuge zu weihen? Zu wessen Ehren bin ich hier mit Lanze und Schwert? Allein um unserer heiligen Sache willen, und um meiner verehrten Dame willen.«

»Den Ring, den Ring!« rief der Zwerg ungeduldig, »gib ihn zurück, Du falscher, saumseliger Ritter! Du bist nicht wert, ihn zu berühren oder anzusehen.«

– »Einen Augenblick nur, Nectabanus,« sagte Kenneth, »Wenn nun die Sarazenen gerade jetzt einen Angriff machten? Ich beschwöre Dich noch einmal! sage mir, ist's weit von hier, wohin Du mich führen willst?« – »Nur nach jenem Zelt,« versetzte Nectabanus; »und wenn Ihr es einmal wissen müßt, der Mond glänzt auf der vergoldeten Kugel, die das Dach krönt und die ein königliches Vermögen wert ist.« – »Ich kann augenblicklich zurückkehren,« sagte der Ritter, sich alles Weitere aus dem Sinn schlagend. »Kann man dort das Bellen meines Hundes hören, wenn sich jemand dem Banner nähern sollte? Ich will der Dame zu Füßen fallen und sie bitten, daß sie mich auf meinen Posten zurückkehren lasse ... Roswal, hierher!« rief er dem Hunde zu, seinen Mantel neben das Banner werfend, »wache Du an meiner Statt und laß niemand heran.«

Der Hund sah seinen Herrn an, als wollte er ihm versichern, daß er den Befehl verstehe, setzte sich neben den Mantel, spitzte die Ohren und richtete den Kopf in die Höhe.

»Nun komm, Nectabanus,« sagte der Ritter, »laß uns eilen und den Befehlen, die Du überbringst, gehorchen.« – »Eile, wer will,« entgegnete der Zwerg mürrisch. »Du hast Dir Zeit genug gelassen, meiner Aufforderung zu folgen, ich kann mit Deinen langen Beinen nicht Schritt halten.«

Es gab nur ein Mittel, den Zwerg zu zwingen, der langsamer kroch als eine Schnecke. Der Ritter hob ihn vom Boden auf und trug ihn, ohne sich an seine Bitten zu kehren, bis zu hem Zelt mit dem vergoldeten Dache. Er sah eine kleine Schar von Kriegern dort auf der Erde lagern, die ihm durch die zwischenliegenden Zelte bisher verborgen geblieben war. Verwundert, daß das Klirren seiner Rüstung ihre Aufmerksamkeit nicht weckte, setzte er den Zwerg auf den Boden, um ihn Luft schöpfen zu lassen. So erschrocken und entrüstet derselbe auch über diese Behandlung war, so hütete er sich doch, den Ritter im geringsten aufzubringen, und führte ihn schweigend, ohne jede Klage, zur entgegengesetzten Seite des Zeltes, hob den unteren Teil der Leinwand hoch und winkte dem Ritter, darunter hinweg, und auf diese Weise in das Zelt hinein, zu kriechen.

Der Ritter war unschlüssig. Sich so heimlich in ein Zelt zu schleichen, das vermutlich edlen Damen als Behausung diente, erschien ihm ungehörig. Als er sich aber auf die untrüglichen Zeichen besann, die ihm der Zwerg überbracht hatte, meinte er, annehmen zu müssen, daß er nicht wider ihren Willen handle, und bückte sich. Da hörte er, wie der Zwerg ihm zuflüsterte: »Bleib da, bis ich Dich rufe!« – und dann sah er ihn verschwinden.


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