Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunzehntes Kapitel.

König Richard, der von diesem gegen ihn im Werke befindlichen schwarzen Verrat nicht die geringste Ahnung hatte, hatte es zunächst erreicht, daß die Fürsten unter den Kreuzfahrern sich für die Weiterführung des Krieges erklärten. Was ihm nun zunächst am Herzen lag, war die Ermittelung der Umstände, die den Verlust seines Banners veranlaßt hatten und die Feststellung der zwischen seiner Frau und dem verbannten schottischen Abenteurer bestehenden Beziehungen.

Die Königin wurde durch einen Besuch Thomas von Vaux' in nicht geringen Schrecken gesetzt, zumal er Lady Caliste von Montgaillard, die erste Kammerfrau, augenblicklich zum König führen sollte.

»Was soll ich denn bloß sagen?« fragte Caliste zitternd die Königin. »Er bringt uns sicher alle um.« – »Habt keine Bange,« sagte Thomas von Vaux. »Der König hat dem schottischen Ritter das Leben gelassen, der ihn doch schwer beleidigt hatte; wie sollte er so strenge verfahren gegen ein weibliches Wesen, wenn es sich auch vergangen hat?« – »Erdenke Dir eine Mär, Caliste,« sagte Berengaria. »Mein Gemahl hat ja doch nicht Zeit, die Sache zu untersuchen.« – »Rede die Wahrheit,« mahnte Edith, »sonst tue ich's.« – »Mit gnädigster Erlaubnis,« sagte Thomas von Vaux, »dieser Rat ist gut; denn König Richard dürfte doch in diesem besonderen Fall sehr scharf erwägen und prüfen.« – »Lord Gilsland hat recht,« sagte Lady Caliste in großer Unruhe wegen des Verhörs, das ihr bevorstand, »und wenn ich auch Phantasie genug hätte, eine leidliche Mär zu ersinnen, würde es mir doch an Mut fehlen, sie zu erzählen.«

Lady Caliste wurde vom Ritter Vaux vor den König geführt. Ganz, wie sie sich vorgenommen hatte, gab sie eine genaue Schilderung, auf welche Weise es geschehen war, daß der unglückliche Leoparden-Ritter seinen Posten verlassen hatte. Lady Edith energisch in Schutz nehmend, wälzte sie die ganze Last auf die Königin, die ja auch die meiste Aussicht hatte, Verzeihung beim Könige zu finden, der viel zu verliebt war, seiner Gemahlin etwas abzuschlagen. Es war auch gar nicht seine Absicht, streng über Dinge zu richten, die sich nicht mehr ändern ließen, und Lady Caliste, von frühester Jugend mit Hofintriguen vertraut, wußte schnell, wie der König dachte, und flog schnell zur Königin zurück mit der Meldung, daß sie bald seinen Besuch zu erwarten habe.

»Kommt der Wind aus dieser Gegend, Caliste?« rief die Königin heiter. »Nun, aus dieser Sache als Sieger hervorzugehen, wird dem König nicht eben leicht sein.«

Berengaria machte aufs geschmackvollste Toilette und wartete nun auf Richards Erscheinen, das nicht lange auf sich warten ließ. Sie kannte die Macht ihrer Reize und die Größe von Richards Liebe. Statt den Vorwürfen, die ihr der König mit Recht machte, irgendwelches Gewicht beizulegen, nahm sie den ganzen Fall als Lappalie, redete ihm als losem Scherze obendrein das Wort und stellte durchaus nicht in Abrede, Nectabanus zu dem Ritter Kenneth auf den Georgsberg geschickt zu haben mit dem Befehle, ihn in ihr Zelt zu führen. Sie schluchzte und weinte, daß ein bloßer Scherz eine so ernste Wendung genommen habe, die sie ihr Leben lang unglücklich gemacht hätte, wenn sie sich als Urheberin solches Trauerspiels hätte ansehen müssen. König Richard nahm umsonst zu Vernunftgründen seine Zuflucht; die Eifersucht raubte der Königin alle Fähigkeit, darauf zu hören, und als er nun sagte, sie hätte zu Eifersucht ganz und gar keinen Grund, fing sie bitterlich zu weinen an. Vollständig aber verdarb er es bei ihr, als er sie erinnerte, daß sie gar keine Ursache habe, ihm böse zu sein, da Ritter Kenneth lebe und wohlbehalten dem berühmten arabischen Arzte übergeben worden, sei, denn es müsse sie, rief sie, doch kränken, daß ein Sarazene ein Geschenk habe erhalten können, um das sie ihren Gemahl knieend gebeten hätte, ohne ihn erweichen zu können. Damit fand die eheliche Zwietracht ihr Ende; König und Königin wälzten nun alle Schuld auf den Zwerg Nectabanus, dem mit seiner Gemahlin Genievra der Aufenthalt bei Hofe verboten wurde. König Richard beschloß außerdem, die beiden Zweige als Raritäten dem Sultan Saladin zum Geschenk zu machen, wenn demselben der Beschluß des Fürstenrats, den Krieg fortzusetzen, überbracht würde.

Es war nun der vierte Tag, seit Ritter Kenneth aus dem Lager entfernt worden war, als König Richard in seinem Zelte saß und sich an der kühlen Abendluft labte. Niemand war bei ihm. Thomas von Vaux war nach Askalon gesandt worden, die Kriegsmunition zu ergänzen. Sein übriges Gefolge war mit Maßregeln zur Heeresmusterung befaßt, die am nächsten Tage stattfinden sollte. Da meldete ein Stallmeister, daß draußen ein Abgesandter Saladins warte.

»Laß ihn augenblicklich herein, Just,« sagte der König. Der Stallmeister führte nun eine Person herein, die dem Anschein nach keinen höheren Rang bekleidete, als den eines nubischen Sklaven, dessen Aeußeres aber nichtsdestoweniger höchst interessant war. Sein Wuchs war prächtig, seine Gestalt edel, und die gebietenden Züge, wiewohl von gelblich schwarzer Farbe, verrieten keine Abkunft von Negern. Sein krauses, kohlschwarzes Haar schmückte ein milchweißer Turban, die Schultern bedeckte ein ebensolcher Mantel, der vorn und an den Aermeln offen war. Darunter saß ein Unterkleid aus gegerbten Leopardenfellen, das, eine Handarbeit, übers Knie reichte. Arme und Beine waren nackt, an den Füßen trug er Sandalen; auch schmückten ihn silbere Armspangen und ein silbernes Halsband. Bewaffnet war er mit einem breiten Schwert, das am Gürtel hing, einem kurzen Speer, den er in der Rechten hielt, und mit der linken Hand führte er an einer aus Seide und Gold gedrehten Leine einen großen, edlen Jagdhund.

Zum Zeichen der Demut einen Teil seiner Schulter entblößend, warf er sich nieder und berührte die Erde mit der Stirn. Knieend überreichte er dem König ein seidenes Tuch, in welchem ein anderes von Goldstoff lag, und in dem letzteren lag ein Schreiben Saladins in arabischer Sprache, nebst einer Uebersetzung in das Normannisch-Englische, die in unserer Sprache etwa so lautete:

Saladin, König der Könige, an Melech Rik, den Löwen von England. Die letzte Botschaft aus Eurem Lager hat uns gekündet, daß Du den Krieg dem Frieden vorziehst, und lieber Unsere Feindschaft als Unsere Freundschaft suchst. Daraus erkennen Wir, daß Du verblendet bist, und daß es Uns obliegen muß, Dich von Deinem Irrtum durch Unsere unüberwindliche Macht der tausend Stämme zu überzeugen. Nichtsdestoweniger gedenken Wir Deiner in allen Ehren, nicht minder der Geschenke, die Du Uns gesandt hast, von denen Uns am meisten die zwei Zwerge in ihrer an Aesop gemahnenden Häßlichkeit und ihrer Unsere Bajaderen übertreffenden Lustigkeit gefallen Haben. In Erwiderung dieser Geschenke senden Wir Dir den nubischen Sklaven, Zohauk mit Namen, den Du aber nicht, gleich vielen Toren auf dieser Erde, nach seiner Farbe beurteilen sollst. Denke vielmehr, daß den ausgesuchtesten Geschmack die schwarzschaligen Früchte haben. Wisse, daß er den Willen seines Herrn prompt erfüllt, auch ist er weise genug, Dir zu raten, falls Du mit ihm verkehren willst, denn der Herr der Sprache hat ihn in seinem Palaste dem Stillschweigen unterworfen. Wir empfehlen ihn Dir und Deiner Fürsorge und rechnen, daß die Stunde nicht fern sein werde, in der er Dir einen guten Dienst leisten kann. Im Vertrauen, daß unser hochheiliger Prophet Dich noch zur Erkenntnis der Wahrheit bringen werde, sagen Wir Dir Lebewohl. Falls dieser Segen Dir aber nicht zuteil wird, so wünschen Wir schnelle Wiederherstellung Deiner Gesundheit, auf daß Allah zwischen Dir und Uns in offener Schlacht entscheiden möge.«

Richard richtete den Blick auf den nubischen Sklaven, der mit gesenktem Blick und über der Brust verschränkten Armen wie eine Bildsäule von schwarzem Marmor vor ihm stand. Muskeln, Nerven und Ebenmaß des Nubiers fanden sein Wohlgefallen, und mit freundlichem Lächeln fragte er ihn in fränkischer Sprache: »Bist Du ein Heide?« Der Sklave schüttelte den Kopf, hob den Finger zur Stirn empor und bekreuzte sich zum Zeichen seines Christentums. Dann nahm er wieder seine unterwürfige Stellung an. – »Ein nubischer Christ gewiß?« sagte Richard, »und durch heidnische Hunde der Sprache beraubt?« Wieder schüttelte der Sklave den Kopf, wies mit dem Zeigefinger gen Himmel und legte ihn dann an die Lippen.

»Ich verstehe,« sagte Richard; »Gottes Strafgericht, nicht menschliche Grausamkeit hat Dich getroffen. Kannst Du eine Rüstung polieren?«

Der Stumme nickte, nahm den Panzer, der mit Helm und Schild des Monarchen an einer Zeltstange hing, und putzte ihn so gewandt, daß sich in seine Eignung zum Waffenträger kein Zweifel setzen ließ.

»Du bist, wie ich sehe, ein geschickter, brauchbarer Knappe,« sagte der König, »sollst in meinem Zelte und um meine Person sein. Fehlt Dir die Zunge, so kannst Du weder Geschichten weiter tragen, noch mich durch unschickliche Rede zum Zorn reizen.« Der Nubier berührte wieder mit der Stirn den Boden; dann blieb er ein paar Schritt vom Könige entfernt stehen, der Befehle seines neuen Herrn gegenwärtig.

In diesem Augenblick erklang draußen ein Horn, und gleich darauf trat Sir Henry Neville mit einem Bündel Briefe ein .. »Aus England, mein König!« sprach er, es Richard behändigend. – »Aus England? aus unserm England?« wiederholte Richard, schwermütig blickend. »Ach! dort denkt wohl kaum jemand, wie hart sein Fürst durch Krankheit und Leiden geprüft, durch lässige Freunde und kühne Feinde geplagt wird!« Dann riß er die Briefe auf und sagte: »Ha! das kommt aus keinem Land des Friedens. Auch dort wilde Fehde? – Verlaß mich, Neville! ich muß das allein lesen.«

Neville entfernte sich, und Richard las nun die traurigen Berichte von dem zwischen seinen Brüdern ausgebrochenen Zwiste, von dem Aufstande der Bauern gegen den Adel, von den Schrecken des Bürgerkriegs, den Frankreich und Schottland zu ihrem Vorteil nützen würden. Richard las die Briefe, die ihm so üble Kunde brachten, aber- und abermals, und verglich die darin enthaltenen Nachrichten mit den Tatsachen, die in anderen Berichten abweichend angegeben waren. Bald gegen alles, was um ihn her vorging, unempfindlich, obgleich er der Kühlung wegen dicht am Eingange des Zeltes saß, schlug er die Vorhänge zurück, so daß er von den außerhalb befindlichen Wachen und Kriegern gesehen werden konnte.

Tiefer im Schatten des Zeltes saß der nubische Sklave, mit dem Rücken beinahe dem König zugewandt, bei seiner Arbeit. Neben ihm von außen kaum sichtbar, lag der große Hund, gewissermaßen sein Mitsklave, lang ausgestreckt, in scheinbar festem Schlafe. Da trat eine neue Person auf den Schauplatz, sich unter die englischen Krieger mischend, deren etwa zwanzig dem Zelt gegenüber Wache hielten, teils beim Glücksspiel, teils in heimlicher Zusammensprache über den herannahenden Tag der Schlacht. Es war ein alter Türke, von kleiner Figur und in ärmlicher Kleidung, an jene Marabuts der Wüste erinnernd, die sich zuweilen in religiöser Schwärmerei in Kreuzfahrerlager wagten, wo sie aber immer sehr schlimmer Behandlung gewärtig sein mußten. In die Nähe der Wachtposten gelangt, riß sich der Marabut den grünen Turban vom Kopfe, und nun sah man, daß er sich Bart und Augenbrauen geschoren hatte, wie ein Possenreißer von Beruf, und daß der verzerrte Ausdruck seiner Züge sowohl als seiner kleinen schwarzen Augen, die wie Achaten funkelten, auf zerrütteten Verstand deuteten.

»Tanze, Marabut!« riefen die Soldaten, denen die Manieren dieser Schwärmer bekannt geworden waren, »tanze, oder wir peitschen Dich mit unseren Sehnen, bis Du Dich wie ein Kreisel drehst.«

Der Marabut ließ sich nicht nötigen, sondern sprang empor und drehte sich, wie ein dürres Blatt, das vom Winde getrieben wird, sauste bald hierhin, bald dorthin, von einem Fleck zum andern, kaum den Boden mit der Fußspitze berührend, rückte jedoch, fast unmerklich, dem Eingange des königlichen Zeltes näher und näher, bis er nach ein paar Sprüngen, höher und weiter, als alle früheren, keine dreißig Schritt von der Person des Königs entfernt, erschöpft zu Boden sank.

»Gib ihm Wasser!« sagte ein Bogenschütze von der Leibwache; »sie betteln ja immer um einen Trunk, wenn sie ausgeruht haben.« – »Wasser, Long Allen?« fragte ein anderer. »Wie würde Dir Wasser schmecken nach solchem Mohrentanz?« – »Wasser gibts bei uns nicht!« rief ein dritter; »wir wollen den alten Heiden lehren, Cypernwein zu saufen.« – »Recht so!« sagte ein vierter; »und wenn er nicht trinken will, dann holt das Hifthorn her, damit wir ihn tränken!«

Bald hatte sich ein lustiger Kreis um den erschöpften Derwisch gebildet. Aber kaum reichte ihm einer der Krieger den Humpen, so flog derselbe auch im weiten Bogen über die Mannen hinweg ... »Das Horn! das Horn!« riefen alle. »Zwischen einem Türkenhund und einem Türkenrosse gibts keinen großen Unterschied. Tränken wir ihn, wie unsere Rosse!« – »Beim heiligen Georg! Ihr werdet ihn ersticken!« sagte Long Allen; »zudem ists doch Sünde, an einen heidnischen Hund so viel Wein zu verschwenden.« – »Halt Dein Maul, Long Allen!« sagte Heinrich Woodstall. »Ich prophezeie Dir, daß ich Dich noch bei dem Pater Franziskus in Ungnade bringe, wie weiland bei der schwarzäugigen syrischen Dirne. – Aber da kommt das Horn. Nun, Bursche, brich ihm mit dem Dolchheft die Zähne auf!« – »Halt! Halt!«

rief Tomalin. »Macht ihm Platz, Bursche! er winkt ja, daß er trinken wolle! Na, das geht ja hinunter wie süßes Bier!«

Der Derwisch trank oder schien die Flasche wirklich in einem Zug bis auf den Boden zu leeren; und als er sie von den Lippen setzte, sprach er nur mit tiefem Seufzer: »Allah, sei barmherzig!«

Darüber stimmte man unter der Leibwache ein so wildes Gelächter an, daß der König aufmerksam wurde. Zornig rief er: »Wie? Ihr Bursche! Keinen Respekt? Keine Ehrerbietung?«

Im Nu herrschte Stille, denn sie kannten des Königs Heftigkeit und zogen sich schleunigst zurück, indem sie den Marabut mit fortzuschleppen suchten. Allein dieser, anscheinend vom Tanze erschöpft oder vom Trunke betäubt, verfiel in Krämpfe und ließ sich nicht vom Flecke bringen ... »So laßt ihn doch, Ihr Narren!« flüsterte Long Allen seinen Kameraden zu. »In einer knappen Minute schläft er wie ein Hamster.« Da schoß der Monarch abermals einen ungeduldigen Blick nach dem Platze, und alle entfernten sich schnell, den Derwisch liegen lassend, der allem Anschein außer stande war, ein Glied zu rühren.


 << zurück weiter >>