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Dreizehntes Kapitel

Ein Paar Augenblicke blieb Ritter Kenneth allein und im Dunkel. Jetzt reute es ihn, daß er von seinem Posten gewichen War. Aber an eine Rückkehr, ohne Lady Edith gesehen zu haben, war nicht zu denken. Die Disziplin war nun einmal verletzt, und so war er entschlossen, wenigstens die Dame seines Herrschers zu sehen, die ihn zu solchem Verstoß verleitet hatte. Seine Lage war jedoch nicht die angenehmste. Kein Licht brannte in dem Raume, worin er sich befand. Lady Edith gehörte zum Gefolge der Königin von England, und wenn er hier entdeckt wurde, wenn er bekennen mußte, sich heimlich hier eingeschlichen zu haben, so konnte leicht gefährlicher Verdacht wach werden. Da fing sich der Wunsch in ihm zu regen an, sich wieder unbemerkt zu entfernen, als er auf einmal weibliche Stimmen vernahm. In einem anstoßenden Raume, von ihm nur durch eine Leinwand geschieden, schienen Damen zu lachen und flüstern. Wie er durch den Vorhang sah, brannten dort Lampen, und in ihrem Scheine konnte er einzelne Gestalten erkennen.

»Ruft sie – ruft sie, um unserer lieben Frau willen!« hörte er jetzt eine dieser unsichtbaren Lacherinnen rufen, »Nectabanus, Du müßtest Gesandter bei Hofe werden, denn Du weißt Botschaften auszurichten.«

Die gellende Stimme des Zwerges erklang jetzt, doch so gedämpft, daß Kenneth seine Worte nicht verstand. Er hörte nur einiges von Bier und Wein, womit sich die Wache belustigen solle. »Aber, wie werden wir den Geist wieder los, Mädchen, den Nectabanus zitiert hat?« – »Hört mich, königliche Frau,« sagte eine andere Stimme, »wenn der weise fürstliche Nectabanus nicht gar zu eifersüchtig ist auf seine erhabene Braut, so wollen wir uns ihrer bedienen, dem fahrenden Ritter begreiflich zu machen, daß edelgeborene Damen seine anmaßende, übermütige Tapferkeit nicht vonnöten haben.« – »Es wäre nicht mehr als billig,« entgegnete eine andere Stimme, »wenn Prinzessin Genievra dem Ritter, den die Weisheit ihres Mannes hergelockt hat, wieder zeigte, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat.«

Tief beschämt und zornentbrannt über diese Worte, war Kenneth im Begriff, zu fliehen, als ihn folgende Worte hinderten.

»Nein, wahrlich,« sagte die, die zuerst gesprochen hatte, erst soll Muhme Edith erfahren, wie sich dieser prahlerische Wicht benommen, und wie er gegen seine Pflicht gefehlt hat. Das wird eine gute Lehre für sie sein, denn mir ist schon manchmal der Gedanke gekommen, Calista, daß sie den nordischen Abenteurer gegen alle Vernunft wirklich ins Herz geschlossen hat.«

Eine andere Stimme murmelte etwas von Klugheit und Einsicht. »Klugheit?« lautete die Antwort. »Eitler Stolz ists, und das Verlangen, für strenger zu gelten als wir andern. Ihr wißt doch, wenn sie an uns einen Fehler bemerkt, weiß niemand so höflich darauf hinzuweisen wie Lady Edith. – Aber da kommt sie schon.« Ein Schatten glitt langsam an der Wand hin und verlor sich unter den übrigen Personen.

Trotz der bitteren Täuschung, die er durch eine übermütige Laune der Königin Berengaria erlitten hatte – denn er schloß, daß die mit dem lauten gebieterischen Tone Richards Gemahlin sei, – beruhigte es doch den Ritter einigermaßen, zu wissen, daß Edith keinen Teil an dem Streiche hatte, der ihm mit solcher Hinterlist gespielt worden war. Seine Neugier wurde so lebhaft, daß er seinen Fluchtgedanken aufgab und unruhig durch eine kleine Spalte blickte, um Augen- und Ohrenzeuge dessen zu sein, was sich nun ereignen würde.

Es schien, als warte Edith auf die Befehle der Königin und als wolle diese nicht recht mit der Sprache heraus, aus Furcht vielleicht, daß weder sie noch ihre Gesellschafterinnen imstande sein möchten, ihr Lachen zu unterdrücken; denn Ritter Kenneth konnte halb unterdrücktes Kichern unterscheiden.

»Eure Majestät scheinen in recht fröhlicher Stimmung zu sein,« sagte Edith endlich. »Ich dagegen war schon willens, mich zu Bett zu begeben, als ich Befehl erhielt, Eurer Majestät aufzuwarten.« – »Ich will Dich nicht lange von Deiner Ruhe abhalten, Muhme,« erwiderte die Königin, »doch fürchte ich, Du wirst nicht gut schlafen, wenn ich Dir sage, daß Du Deine Wette verloren hast.« – »Meine Königin,« sagte Edith, »ich bin keine Wette eingegangen.«

»Nun, holde Muhme, der Böse spielt doch, unserer Wallfahrt gar nicht achtend, ein recht böses Spiel mit Dir! Kannst Du leugnen, daß Du Deinen Rubinring gegen mein goldenes Armband setztest, der Ritter vom Leoparden sei nicht von seinem Posten wegzubringen?«

»Eure Majestät,« entgegnete Edith; »diese Damen sind Zeuge, daß Königliche Hoheit mir den Ring vom Finger zog, als ich es nicht für sittsam hielt, auf so etwas zu wetten.«

»Aber, Lady Edith,« sagte eine andere Stimme, »mit Verlaub, Ihr müßt doch zugeben, daß Ihr großes Vertrauen in diesen Ritter setztet?« – »Und wenn das der Fall war,« entgegnete Edith unwillig, »ist das ein Grund für Dich, der Laune Ihrer Majestät das Wort zu reden? Ich habe kein Wort mehr von ihm gesprochen, als Ihr und alle, die ihn im Felde gesehen, und hatte kein höheres Interesse, ihn zu verteidigen, als Ihr, ihn herabzusehen.« – »Fräulein Edith,« sagte eine dritte Stimme, »hat es Calista und mir nie verzeihen können, daß wir Eurer Majestät erzählten, sie habe zwei Rosenknospen in der Kapelle fallen lassen.« – »Wenn Eure Majestät,« antwortete Edith, »mich nur zu dem Zwecke herbeschieden, daß ich mir die Sticheleien der Kammerfrauen anhören soll, so möchte ich bitten, mich wieder zu entlassen.« – »Still, Florisa!« sagte die Königin, »laßt Euch nicht durch unsere Güte verleiten, den Abstand zwischen Euch und einer Verwandten des Königs außer acht zu setzen. Du aber, liebe Muhme,« fuhr sie fort, wieder in ihren spöttischen Ton zurückfallend, »solltest uns Armen doch ein bißchen Lachen nicht mißgönnen, nachdem wir so viele Tage in Sack und Asche gebüßt haben.« – »Ich gönne Euch alle Freude, meine Königin,« erwiderte Edith, »doch werde ich wohl mein ganzes Leben lang nicht wieder lachen, ehe ich nicht – «

Sie brach ab, wahrscheinlich aus Ehrerbietung gegen die Königin, doch hörte Kenneth ihren Worten die starke Erregung an, die ihr Gemüt beherrschte.

»Verzeih mir,« sagte Berengaria, »verzeih der leichtsinnigen, aber lustigen Prinzessin aus dem Hause Navarra. Worauf läuft denn im Grunde der ganze Jux hinaus? Ein junger Ritter ist durch List hierher gelockt worden, hat sich von seinem Posten entfernt oder locken lassen, aber um Deinem Helden Gerechtigkeit zu lassen, meine Liebe, Nectabanus hat ihn nicht anders bestimmen können, als indem er ihn beschwor in Deinem Namen!« – »Gerechter Himmel, Majestät!« rief Edith bewegt, »das vertrüge sich weder mit Eurer noch meiner Ehre! Sagt, daß Ihr nur scherzet, und verzeiht, daß ich Eure Aeußerung auch nur einen Augenblick ernst nehmen konnte!« – »Lady Edith ists leid um den Ring, den wir ihr abgenommen haben,« sagte die Königin unmutig. »Wir wollen Dir das Pfand wiedergeben, liebe Muhme, das ihn bestimmte, herzukommen; es liegt uns wenig am Köder, nachdem der Fisch angebissen.« – »Eure Majestät wissen nur zu gut,« erwiderte Edith, »daß Sie nichts wünschen können, was Ihnen augenblicklich zu Gebote stände. Aber einen ganzen Scheffel Rubine opferte ich lieber als meinen Ring oder Namen, um einen wackeren Menschen zu einem Fehltritte zu verleiten, der ihm Ungnade und Strafe zuziehen muß.« – »O, also um das Wohl unseres treuen Ritters sind wir in Besorgnis?« sagte die Königin. »Du schätzest Unsere Macht zu gering, liebe Muhme, wenn Du von Strafe sprichst gegen jemand, mit dem Wir, Englands Königin, Unsern Scherz getrieben haben! auch für andere Damen schlagen Kriegerherzen,, nicht bloß für Dich! glaube mir, ich gelte genug bei Richard, um diesen Ritter, an dessen Schicksal Lady Edith so großen Anteil nimmt, vor Strafe zu schützen.«

»Königliche Gebieterin,« rief Edith, und Ritter Kenneth hörte tief ergriffen, daß sie sich der Königin zu Füßen warf – »um der heiligen Jungfrau willen, seid vorsichtig! Ihr kennt König Richard nicht, seid erst seit kurzem mit ihm vermählt! Eher könnte Euer Atem den wildesten Sturm hemmen, als Eure Zunge meinen königlichen Verwandten bewegen, einen Fehltritt im Dienste nachzusehen. Um Gottes willen, entlaßt den Ritter, wenn Ihr ihn wirklich hergelockt habt. Lieber litte ich die Schande, ihn gerufen zu haben, als die Unruhe, daß er noch nicht an den Ort zurückgekehrt, wohin ihn seine Pflicht ruft.« – »Steh auf, Muhme, steh auf!« sagte die Königin: »sei überzeugt, es wird alles besser gehen, als Du glaubst. Es tut mir leid, mit einem Ritter, an dem Du so lebhaften Anteil nimmst, Scherz getrieben zu haben. – Aber ringe doch nicht die Hände! Nectabanus soll den Ritter zu seinem Posten zurückführen: Wir aber wollen ihn künftig mit unserer Gnade beehren und bei unserm Gemahl alle Schuld auf uns nehmen... Ich wette, er wartet in irgend einem Nachbarzelt.« – »Bei meiner Lilienkrone und meinem Rohrszepter!« sagte Nectabanus, »Eure Majestät irren sich, er ist näher bei der Hand, als Ihr wißt. Er liegt hinter jener Scheidewand verborgen.« – »Und hätte jedes Wort mit angehört, das wir gesprochen haben?« rief die Königin zornig. »Hinaus, mit Dir, Du Ungeheuer von Narrheit und Bosheit!«

Nectabanus entfloh mit einem so gellenden Geschrei, daß es dem Ritter zweifelhaft blieb, ob Berengaria ihren Vorwürfen nicht noch einen Denkzettel angehängt hätte.

»Was ist nun zu tun?« sagte die Königin leise zu Edith, mit nicht verhehltem Unmut. – »Was geschehen muß,« antwortete Edith fest und bestimmt; »wir müssen den Ritter vorlassen und uns seiner Ehre überantworten.«

Schnell zog sie einen Vorhang weg, der an einer Stelle einen Eingang verdeckte. – »Um des Himmels willen!« rief die Königin, »bedenke doch, mein Zimmer, unsere Kleidung, die Zeit und Stunde, und meine Ehre!«

Aber schon fiel der Vorhang und mit ihm die Scheidewand zwischen dem Ritter und den Damen. Mit lautem Schrei floh die Königin, die in der warmen Nacht leichter gekleidet war, als es die Rücksicht auf ihren Rang einem Ritter gegenüber erlaubte, aus dem Zelt. Der innige Wunsch, dem schottischen Ritter eine schnelle Erklärung zu geben, mochte Edith vergessen lassen, daß ihre Locken nachlässiger hingen, als es dem Anstande damaliger Zeit gemäß war, und daß bloß ein dünnes, loses Gewand aus blaßroter Seide den Hauptteil ihrer Bekleidung bildete. Zwar zog sie den Shawl, den sie von einem Stuhle gerissen hatte, dichter um Nacken und Busen, aber als Ritter Kenneth noch immer starr dort stehen blieb, wo sie ihn zuerst erblickt hatte, trat sie zu ihm und rief: »Eilt auf Euren Posten, Herr Ritter! Ihr seid hintergangen worden. Fragt nichts weiter!« – »Ich habe nichts zu fragen,« antwortete der Ritter, sich auf em Knie niederlassend, mit gesenktem Blick, damit nicht sein Auge die Verlegenheit der Dame merke. – »Habt Ihr alles gehört?« fragte Edith ungeduldig. »Mann! Warum säumt Ihr noch, da jede verlorene Minute Euch in Schaden bringt?« – »Ich habe vernommen, aus Eurem Munde, Lady, daß Schimpf auf mir lastet. – Was kümmerts mich, wie bald die Strafe erfolgt! Nur eine Bitte an Euch, dann will ich versuchen, unter den Säbeln der Ungläubigen, ob Schande sich mit Blut abwaschen läßt!« – »Nicht so!« bat Edith. »Seid klug und säumt nicht länger! Noch kann ja alles gut werden, sofern Ihr Euch eilig entfernt.« – »Ich warte nur auf Eure Verzeihung,« antwortete der Ritter, noch immer knieend, »für meine Anmaßung ...« – »Ich verzeih Euch – o, ich habe ja gar nichts zu verzeihen! Seid Ihr doch durch mich gekränkt worden. Aber geht – ich will Euch lieb und wert halten, wie jeden tapferen Kreuzfahrer, wenn Ihr nur geht!« – »Empfanget zuvor dies kostbare, wenn auch verhängnisvolle Unterpfand,« sagte der Ritter, ihr den Ring reichend, den sie aber ungeduldig ablehnte. – »Nicht doch,« sagte sie, »behaltet ihn! als Zeichen meiner Wertschätzung, meines Bedauerns wollte ich sagen. O entfernt Euch wenn nicht um Euret-, doch um meinetwillen!«

Belohnt durch die sichtliche Teilnahme an seiner Wohlfahrt, erhob sich der Ritter, verbeugte sich tief und schien im Begriff, sich zu entfernen. Da trug Ediths jugendliche Schüchternheit, über die ihre stärkeren Gefühle bisher triumphiert hatten, endlich den Sieg davon. Aus dem Zimmer eilend, löschte sie die Lampe aus und ließ Kenneth in geistiger und leiblicher Finsternis zurück.

Daß er ihr gehorchen müsse, war die erste deutliche Vorstellung, die ihn aus seinen Träumen weckte, und so eilte er zu der Zeltwand, durch die er hineingekommen war; aber den Ausweg zu finden, erforderte Zeit, und da sich Warten mit seiner Ungeduld nicht vertrug, nahm er den Dolch und schnitt die Zeltleinwand entzwei. In die frische Luft gelangt, kam er sich vor, wie betäubt, und um den Pfad wieder zu entdecken, den ihn der Zwerg geführt hatte, mußte er alle Kräfte zusammennehmen. Eine leichte Wolke war, als er das Zelt verließ, vor den Mond getreten. Plötzlich drangen vom St. Georgenberg Laute her, die ihn schnell wieder zu sich brachten: zuerst ein zorniges, wildes Bellen, dann ein Schrei, wie aus Todesangst. Kenneth rannte, selbst von Todesangst befallen, denn er hatte die Stimme seines treuen Hundes auf der Stelle erkannt, querfeldein nach der Anhöhe und hatte, trotzdem ihn der Panzer hinderte, in wenigen Minuten den Gipfel erreicht.

Da brach der Mond durch das Gewölk, und Kenneth sah, daß das englische Banner verschwunden war. Die Stange, an dem es geflattert hatte, lag zerbrochen auf der Erde, daneben sein Hund, mit dem Tode ringend.


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