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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Der Ritter vom Leoparden erwachte aus seinem langen, tiefen Schlaf in einem Zustande, der gänzlich verschieden war von demjenigen, in welchem er sich zur Ruhe begeben hatte. Er wußte nicht, ob er nicht noch träume, oder ob sich das ganze Bild durch Zauberei verändert habe. Statt auf feuchtem Grase, lag er jetzt in einem üppigen Bett. Eine freundliche Hand hatte ihm während des Schlafs sein Wams von Gemsleder, das er unter dem Panzer trug, ausgezogen, und ihm ein Nachtgewand vom feinsten Linnen und ein seidenes Oberkleid angelegt. An Stelle der Palmenbäume der Wüste ragten jetzt die Stangen eines buntseidenen Zeltes über seinem Haupte, und ein leichter Gazevorhang breitete sich um sein Lager, dessen Aufgabe es war, ihn vor Insekten zu schützen, die ihm seit seiner Ankunft unter diesem Himmelsstriche stark zugesetzt hatten.

Er sah sich um, wie um sich zu überzeugen, ob er auch wirklich wache, ob auch, was ihm in die Augen fiel, ebenso prächtig sei, wie sein Lager. Eine Wanne aus Cedernholz, mit Silber ausgelegt, duftend von lieblichen Wohlgerüchen, lud ihn zum Bade ein. Auf dem Tischchen aus Ebenholz stand neben seinem Lager eine silberne Vase voll köstlichsten Scherbets, kalt wie Schnee, der nach dem starken Schlaftrunk köstlich durstlöschend wirkte. Das Bad nahm ihm die letzten Spuren des Rausches, in den ihn der Schlaftrunk versetzt hatte. Statt der rauhen Rittertracht, die er gern wieder angelegt hätte, lag für ihn ein türkisches Gewand aus reichem Stoffe bereit, nebst Säbel, Dolch und allem, was sich für einen Emir schickt. Er konnte zwar keinen Grund dieser Fürsorge auffinden; indessen wurde in ihm der Argwohn rege, ob man nicht durch diese Aufmerksamkeit vielleicht beabsichtige, ihn in seinem Glaubensbekenntnis wankend zu machen. Es war allgemein bekannt, daß der Sultan, bei seiner hohen Achtung für europäische Kenntnisse und Tapferkeit, grenzenlose Freigebigkeit gegen diejenigen bewies, die sich, nachdem sie in seine Gefangenschaft geraten waren, bestimmen ließen, den Turban zu nehmen. Aber fest gewillt, solchen Fallstricken zu widerstehen, schlug der Ritter das Kreuz und nahm sich vor, von allem, womit man ihn so freigebig überhäufte, den mäßigsten Gebrauch zu machen. Indes fühlte er doch noch immer eine eigentümliche Schwere und Schläfrigkeit. Seine Ruhe blieb nicht ungestört. Hakim, der Arzt, trat an den Zelteingang und erkundigte sich nach seinem Befinden. Dann fragte er, ob er eintreten dürfe.

Gewillt zu zeigen, daß er seiner Lage nicht eingedenk sei, versetzte Kenneth: »Der Herr braucht nicht erst um Erlaubnis zu bitten, wenn er das Zelt seines Sklaven betreten will.« – »Wenn ich nun aber nicht als Herr komme?« fragte noch immer zögernd El Hakim. – »So hat der Arzt freien Zutritt zu seinem Kranken,« versetzte Kenneth. – »Aber auch als Arzt komme ich nicht!« sagte Hakim, »und deshalb bitte ich noch immer um Erlaubnis, unter das Nach Deines Zeltes zu treten.« – »Wer als Freund kommt,« sagte Kenneth, »und als solcher hast Du Dich bis jetzt gegen mich gezeigt, dem steht die Wohnung des Freundes immer offen.« – »Aber gesetzt,« sagte der morgenländische Weise, in dem umständlichen Zeremoniell seiner Landsleute – »ich käme auch nicht als Freund?« – »So komm, als was Du willst!« rief der schottische Ritter ungeduldig,»Du weißt, daß ich Deinen Eintritt weder abwehren kann noch werde.«

»So komme ich,« sagte El Hakim, »als Dein alter, doch ehrlicher, aufrichtiger Feind.«

Mit diesen Worten trat er ein und war nun zwar, der Sprache nach, noch immer der arabische Arzt Adonebec El Hakim; allein Gestalt, Kleidung und Gesichtszüge zeigten Ilderim von Kurdistan, genannt Scharfhaupt. Voll Staunen betrachtete ihn Ritter Kenneth, als warte er darauf, daß die Erscheinung wie ein Gebild seiner Phantasie vor seinen Augen schwinden solle.

»Wunderts einen so bewährten Krieger, daß ein Soldat auch etwas von Heilkunde versteht?« fragte Ilderim. »Nazarener, ich sage Dir, ein tüchtiger Ritter muß sich auf sein Handwerk verstehen, das Wunden reißt, aber auch darauf, Wunden zu heilen.«

Der Christ hielt noch immer die Augen geschlossen, noch immer schwebte Hakims Bild mit seinem langen, dunklen Gewande, der hohen Tatarenmütze und den ernsten Gebärden vor seiner Phantasie. Kaum aber öffnete er die Augen, so verrieten der schöne, reich mit Edelsteinen besetzte Turban, der glänzende Schuppenpanzer, das nicht mehr von der Fülle von Haaren beschattete Antlitz den Krieger und nicht den Gelehrten.

»Kommst Du aus den Wundern noch immer nicht heraus?« fragte der Emir; »hast Du die Welt so flüchtig durcheilt, daß es Dich befremdet, die Menschen nicht immer als das zu finden, was sie scheinen? – Bist Du selbst, was Du scheinst?« – »Nein, beim heiligen Andreas,« rief der Ritter. »Im ganzen Christenlager gelte ich als Verräter, und doch kenne ich mich selbst als redlichen, wenn, auch Irrtümern unterworfenen Menschen.« – »Dafür halte auch ich Dich,« sagte Ilderim, »und da wir Salz miteinander gegessen haben, hielt ich mich für verpflichtet, Dich von Tod und Schmach zu retten. – Aber was liegst Du noch auf Deinem Bett, da die Sonne schon hoch am Himmel steht? Oder dünken die Kleider, die meine Saumtiere geliefert haben, Dir des Tragens nicht wert?«

»Des Tragens schon wert,« antwortete Kenneth, »doch nicht für mich. Gib mir den Sklaventitel, edler Ilderim, den will ich gern tragen; allein das Gewand des freien morgenländischen Kriegers mit dem Turban des Muselmanen zu tragen, das kann ich nicht über mich gewinnen.« – »Nazarener,« sagte der Emir, »Deine Nation nährt zu leicht Argwohn. Habe ich Dir nicht gesagt, Saladin mag niemand bekehren, den nicht der heilige Prophet selbst fähig macht, sich seinem Gesetz zu unterwerfen? Drum trage ohne Bedenken die Kleidung, die für Dich hergebracht worden ist; denn wolltest Du Dich in Saladins Lager in Deiner Rittertracht begeben, so könntest Du leicht Kränkungen, wenn nicht gar ernsteren Gefahren ausgesetzt sein.« – »Wenn ich mich in Saladins Lager begebe?« wiederholte der Ritter. »Bin ich denn freier Handlung fähig? Muß ich nicht gehen, wohin es Euch beliebt?« – »Du, bist und bleibst Herr Meines Willens,« erwiderte der Emir, »denn der edle Feind, mit dem ich zusammentraf, und der um ein Haar Herr meines Schwertes wurde, kann nicht mein Sklave werden.« – »Setzt Eurer Großmut die Krone auf, edler Emir,« entgegnete Ritter Kenneth, »indem Ihr Euch enthaltet, wider mein Gewissen zu sprechen; doch erlaubt mir, meinen Dank für diese echt ritterliche Güte auszusprechen, die ich nicht verdient habe.«

»Sage das nicht,« erwiderte Ilderim; »habe ich mich nicht auf Deine Schilderung der Schönheiten, die den Hof des Melech Rik zieren, verkleidet dorthin gewagt, so daß mir einer der holdseligsten Anblicke wurde, die ich jemals genossen habe, die ich jemals genießen werde, bis die Herrlichkeiten des Paradieses meinen Augen entgegenstrahlen?« – »Ich verstehe Eure Worte nicht,« sagte Kenneth, die Farbe wechselnd. – »Du verstehst mich nicht?« rief der Emir. »Es kann Dir doch nicht verborgen geblieben sein, welcher Anblick mir in König Richards Zelt wurde? freilich war das Todesurteil damals über Dich gesprochen; aber mir könnte man schier den Kopf vom Rumpfe hauen, so würde doch mein letzter Blick auf dieser lieblichsten aller Houris ruhen, die das Auge eines Mannes sehen kann.« – »Sarazene!« sprach Ritter Kenneth ernst; »Du sprichst von der Gemahlin Richards von England! sprich nicht anders von ihr als von einer Königin!«

»Verzeiht mir!« sprach der Sarazene; »mir kam Eure abergläubische Verehrung des anderen Geschlechts, das Ihr betrachtet, als müsse es bloß bewundert und verehrt, doch nicht gefreit und besessen werden, auf einen Augenblick aus den Gedanken. Da Du mit so tiefer Ehrerbietung auf dieses zarte weibliche Wesen blickst, wirst Du der anderen, der mit den dunklen Locken und den edlen, sprechenden Augen, wohl nur Anbetung widmen? In ihrer edlen Haltung und edlen Miene liegt freilich ein Ausdruck, der auf Reinheit und Festigkeit hinweist, doch auch sie würde dem feurigen Liebhaber, dafür stehe ich, dankbarer sein, wenn er sie als eine Sterbliche und nicht als eine Gottheit behandelte.« – »Laßt den Respekt nicht aus den Augen vor der Base des Löwenherz!« sagte Kenneth im Tone unverhaltenen Verdrusses. – »Respekt?« wiederholte der Emir spöttisch. »Bei der Kaaba! Doch erst dann, wenn sie Saladins Braut ist!« – »Der ungläubige Sultan ist nicht würdig, den Fleck zu küssen, den der Fuß einer Edith Plantagenet betrat!« rief der Christ, von seinem Lager aufspringend. – »Ha! Was spricht der Giaur?« schrie der Emir, die Hand an den Griff seines Dolches legend, während sein Antlitz wie Kupfer glühte. – »Was ich gesagt habe,« erwiderte er, mit verschränkten Armen und furchtlosem Blick, »würde ich, wenn meine Hände frei wären, zu Fuß oder zu Roß gegen jeden Sterblichen behaupten.«

Der Sarazene faßte sich, nahm die Hand von der Waffe und sagte: »Freilich sind jetzt Deine Hände gebunden, aber durch Dein eigenes zartes Gefühl für Rechtlichkeit, und die Bande zu lösen, würde sich jetzt nicht in meinen Plan schicken. Wir haben einander Beweise von Mut und Kraft genug gegeben, und können uns im offenen Felde bald wieder treffen. Jetzt aber sind wir Freunde, und Dein Beistand ist mir erwünschter als harte Ausdrücke oder Trotz.« – »Ja, wir sind Freunde,« wiederholte der Ritter. In der Pause, die nun eintrat, schritt der feurige Sarazene im Zelt auf und ab, dem Löwen gleich, der sein wallendes Blut abkühlt, ehe er sich in seiner Höhle zur Ruhe niederstreckt. Der kältere Europäer hingegen veränderte weder Stellung noch Blick; doch schien auch er bemüht, zornige Regungen zu bezwingen.

»Laß uns ruhig über diese Sache sprechen,« sagte der Sarazene. »Du weißt, ich bin ein Arzt, und es steht geschrieben: Wer seine Wunden geheilt haben will, der darf nicht zucken, wenn der Arzt sie sondiert. Sieh, ich stehe im Begriff, Deine Wunde zu sondieren. Du liebst diese Base des Melech Rik!« – »Ich habe sie geliebt,« antwortete der Ritter nach einer Pause, »wie der Mensch die himmlische Gnade liebt, und ihre Gunst gesucht, wie man vom Himmel Verzeihung sucht.« – »Und liebst Du sie nicht mehr?« sagte der Sarazene. – »Ich bin ihrer nicht mehr wert,« erwiderte Ritter Kenneth; »endige, bitte, dies Gespräch! Deine Worte sind Dolche für mich.« – »Verzeih! Nur noch einen Augenblick!« fuhr Ilderim fort. »Erhofftest Du, als Du ihr im Stande eines armen Kriegers Deine Liebe weihtest, gar keinen Erfolg?« – »Liebe ohne Hoffnung ist keine Liebe,« erwiderte der Ritter; »aber, mir winkte so geringe Aussicht, wie dem Schiffer, der sein Leben durch Schwimmen zu retten sucht. Er sieht wohl Land in der Ferne; aber sein sinkendes Herz und seine erschöpften Glieder sagen ihm, daß er es nie erreichen wird.« – »Mich dünkt,« sagte der Sarazene, »wenn Dir nichts anderes fehlt, als was in solch entferntem, täuschendem Schimmer von Glück steht, so kann das Feuer Deines Leuchtturms wieder flammen, und Du selbst, wackrer Ritter, wirst wieder zu der Freude gelangen, Deine Liebe mit einer so substanzlosen Kost wie Mondschein zu nähren; und die, die Du liebst, wird darum nicht minder Fürstentochter sein, und Saladins erwählte Braut werden.«

»Sofern ich nicht – « rief der Ritter, brach aber plötzlich ab, wie jemand, der erschrickt, daß er sich etwas vornimmt unter Umständen, die es ihm verwehren. Der Sarazene lächelte.

»Du hattest im Sinne, den Sultan zum Zweikampf zu fordern?« fragte er; »mich dünkt nur, er möchte sich doch besinnen, die Hoffnung auf eine königliche Braut und den Erfolg eines Krieges aufs Spiel zu setzen!« – »Aber im Kampfe, in der Schlacht werde ich ihn treffen,« rief der Ritter, dessen Augen bei dem Gedanken funkelten, mit dem ihn seine Idee erfüllte. – »In der Schlacht,« entgegnete Ilderim, »ist er immer zu finden; aber von dem Sultan zu sprechen, lag nicht gerade in meinem Plane. Mit einem Wort, wenn Dir daran liegt, Deinen ritterlichen Ruf wiederherzustellen durch Entdeckung jenes Diebes, der sich an König Richards Banner vergriffen hat, so dürfte ich Dir einen Weg dazu zeigen können, vorausgesetzt, daß Du Dich leiten lassen willst,« – »Du bist weise, Ilderim,« sagte der Schotte, »obgleich ein Sarazene, und edelmütig, obgleich ein Ungläubiger. Leite mich also! und verlangst Du nichts von mir, was meiner Lehnpflicht und meinem Christenglauben widerspricht, so will ich Dir pünktlich Gehorsam leisten.« – »So höre,« sprach der Sarazene; »Dein edler Hund ist wieder gesund, und seine Spürkraft wird den, der ihn überfiel, entdecken.« – »Ha!« rief der Ritter, »ich verstehe! Wie war ich doch verblendet, daß mir das nicht einfiel!« – »Hast Du Leute im Lager, denen das Tier bekannt ist?« fragte der Emir. – »Meinen alten Waffenträger,« antwortete Ritter Kenneth, »Deinen Patienten, entließ ich mit einem Diener, der ihn pflegte, damals als die Todesstrafe meiner wartete, und gab ihm Briefe an Freunde in Schottland mit. Sonst kennt niemand den Hund. Aber, meine eigene Person ist ja bekannt genug, und meine Sprache wird mir zur Verräterin werden in einem Lager, wo ich monatelang keine unbedeutende Rolle gespielt habe.«! – »Ihr sollt beide gut verkleidet werden, so daß Dein leiblicher Bruder Dich nicht erkennen sollte; nur mußt Du meiner Leitung folgen. Bedingung hierbei ist, daß Du der Nichte des Melech Rik, deren Name für morgenländische Zungen so schwer auszusprechen, wie ihre Schönheit zu fassen ist, ein Schreiben Sultan Saladins überbringst.«

Der Ritter schwieg einen Augenblick, ehe er Antwort gab, und der Sarazene, ungeduldig über dieses Zaudern, fragte ihn, ob er sich vor solcher Botschaft fürchte... »Nein!« rief Kenneth. »Und wenn der Tod damit verbunden wäre! – Ich habe nur geschwiegen, weil ich mich fragte, ob es sich mit meiner Ehre vertrüge, vom Sultan ein Schreiben zu überbringen, oder mit der Ehre der Lady, einen Brief von einem heidnischen Fürsten entgegenzunehmen.« – »Bei Mohammed!« sagte der Emir, »der Brief ist in allen Ehren geschrieben.«

»Dann will ich des Sultans Brief so ehrlich besorgen, als wenn ich sein Leibvasall wäre.«


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