Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel.

Montserrat und der Großmeister des Tempelritter-Ordens sahen, als sie vor dem königlichen Zelt standen, in dem sich der im letzten Kapitel geschilderte Auftritt abgespielt hatte, daß eine starke Wache mit Streitäxten und Bogen davor aufzog. Die Krieger blickten so trübe, als folgten sie einem Leichenzuge, und schritten so behutsam, daß man kein Schild, kein Schwert klirren hörte. Vor den beiden hohen Herren senkten sie mit tiefer Ehrerbietung, doch unter demselben tiefen Schweigen die Waffen.

»Die Laune dieser insularen Köter hat sich recht geändert,« sagte der Großmeister zu Konrad von Montserrat, als sie an Richards Leibwache vorbei waren. »War hier sonst ein Lärmen und Toben! immer, als ob sie bloß Jahrmarkt und Kirmes zu feiern hätten.«

»Kettenhunde sind treu,« entgegnete Kunrad, »und der König, ihr Herr, hat ihre Anhänglichkeit dadurch gewonnen, daß er immer mit jubiliert hat, sobald ihm der Sinn danach stand.« – »Er ist aus lauter Launen zusammengesetzt,« erwiderte der Großmeister. »Habt Ihr wohl gehört, wie er uns, statt ein Gebet zu sprechen, beim Becher hochleben ließ?«

»Er hätte die Wirkung dieses Bechers schon empfunden,« antwortete der Marquis, »wäre Saladin ein Türke, wie jeder andere; er gibt sich aber den Anschein von Treue, Redlichkeit und Rittersinn, als ob solch ungetaufter Hund, wie er, das Recht dazu hätte... Es heißt ja sogar, er habe dem Könige von England das Ansinnen gestellt, ihn in den Schoß des Rittertums aufzunehmen.« – »Beim heiligen Bernhard,« rief der Großmeister, »da wäre es Zeit, Wehrgehenk und Sporen wegzuwerfen.«

Sie waren jetzt zu ihren Pferden gelangt, die in einigem Abstande vom königlichen Zelt, umringt von einer stattlichen Schar von Knappen und Pagen, auf einem Rasenflecke ästen. Konrad schlug nach einer kleinen Pause vor, Rosse und Gefolge zu entlassen und sich durch das ausgedehnte Christenlager zu Fuß nach ihrer Wohnung zu begeben. Der Großmeister war damit einverstanden. Sie machten sich auf den Weg durch die breite Esplanade zwischen den Zelten und den äußeren Festungswerken. Auf diesem verhältnismäßig einsamen Wege konnten sie sich heimlich und unbemerkt, ausgenommen von den Schildwachen, an denen sie vorbeikamen, unterhalten. Vom Lager und Kreuzzuge ging ihr Gespräch auf ein interessanteres Thema über... »Wenn es sich mit Eurer Tapferkeit und Frömmigkeit vertrüge, ehrwürdiger Ritter Giles Amaury,« sagte nach ziemlich langer Pause der Marquis mit einem Blick auf das düstere starre Angesicht des Templers, »so möchte ich Euch bitten, das dunkle Visier, das Ihr tragt, zu lüften und Euch Auge in Auge mit einem Freunde zu unterhalten.« – Der Templer lächelte. »Es gibt auch helle Masken,« sagte er, »die das Gesicht so gut wie dunkle Visiere verbergen.« – »Das will ich nicht bestreiten,« antwortete der Marquis, die Hand ans Kinn legend mit einer Bewegung, als ob er seine Maske abnehme; »sie ist gefallen, die helle Maske, die Euch störte... was haltet Ihr von den Aussichten dieses Kreuzzuges?« – »Ich will Euch,« sagte der Großmeister, »mit einer Parabel antworten, die mir ein Heiliger der Wüste erzählte: Ein Landwirt betete zum Himmel um Regen und murrte, als keiner fiel, über seine Not. Zur Strafe für seine Ungeduld sandte ihm Allah den Euphrat über Haus und Hof. Da hatte er Wasser genug, aber weder Haus mehr noch Hof, es zu brauchen, das war der Lohn für seine Ungeduld.«

»Wahr gesprochen!« antwortete der Marquis. »Hätte doch das Meer neun Zehntel von der Seemacht dieser christlichen Fürsten verschlungen! Das letzte Zehntel hätte den Plänen der Edlen Palästinas mehr genützt als das ganze lateinische Königreich Jerusalem.« – »Allerdings,« erklärte der Templer; »aber es kann den Kreuzfahrern doch gelingen, auf den Mauern Zions das Kreuz wieder aufzupflanzen.« – »Was wird das dem Templer oder Montserrat helfen?« meinte der Marquis. – »Euch könnte es schon helfen,« entgegnete der Großmeister, »Ihr könnt doch König von Jerusalem werden.« – »Das klingt ja sehr schön,« sagte der Marquis, »aber recht hohl. Gottfried von Bouillon wählte am besten die Dornenkrone als Wappenbild. Ich muß wohl sagen, Großmeister, die morgenländische Regierungsform ist mir durchaus sympathisch. Eine Monarchie sollte nur aus König und Untertanen bestehen, entsprechend dem Urbegriffe: ein Hirt und seine Herde. Ein König soll frei auftreten, Großmeister, nicht hier durch einen Graben, dort durch ein Festungswerk, hier durch ein Lehnsvorrecht, dort durch eine Baronie gehemmt werden. Um mich kurz zu fassen, so sehe ich wohl, daß die Ansprüche Guidos von Lusignan auf den Thron den meinigen vorgehen müßten, wenn Richard wieder genäse.« – »Genug,« erwiderte der Großmeister, »Du hast mich von Deiner Aufrichtigkeit überzeugt.« – »Du wirst doch nichts verraten?« fragte Montserrat, ihn argwöhnisch musternd. »Verlaß Dich drauf, ich trete in die Schranken gleich dem besten Templer, der je eine Lanze einlegte.« – »Dennoch wirst Du scheu vor einem mutigen Rosse,« erwiderte der Großmeister: »immerhin schwöre ich Dir bei dem heiligen Tempel, dessen Verteidigung unser Orden gelobt hat, daß ich Dir als treuem Waffenbruder Verschwiegenheit bewahren werde.« – »Bei welchem Tempel?« sagte Montserrat, dessen Spottliebe seiner Klugheit oft ein Schnippchen schlug. »Schwörst Du bei jenem Tempel auf Zion, von König Salomo erbaut, oder bei dem symbolischen Gebäude, von welchem im Rate Deines mächtigen Ordens unter den Gewölben Eurer Pfründen die Rede gewesen sein soll?«

Der Templer warf ihm einen giftigen Blick zu, antwortete jedoch ruhig und gelassen: »Bei welchem Tempel ich auch schwören mag, Marquis, so halte Dich überzeugt, daß mein Eid mir heilig ist. Ich möchte wohl wissen, wie ich Dich durch einen Eid von gleicher Kraft binden könnte.«

»Ich will die Wahrheit schwören,« sagte der Marquis lachend, »bei meiner kleinen Krone, die ich vor Ausgang dieses Krieges in etwas Besseres zu verwandeln hoffe. Ein Herzogshut böte ihr wärmeren Schutz gegen die Nachtluft, noch besser freilich wäre eine Königskrone, mit Hermelin und Sammet abgefüttert. Mit einem Worte, wir sind durch unser Interesse aneinander geknüpft, denn wähne nicht, Großmeister, daß diese verbündeten Fürsten, falls sie Jerusalem wieder erobern und einen König aus eigener Wahl einsetzen sollten, Deinem Orden oder meinem armen Marquisat die Unabhängigkeit ließen, deren sich beide jetzt erfreuen. Nein! Bei der heiligen Jungfrau! Dann müssen die stolzen Johanniterritter wieder in den Hospitälern Pflaster streichen, und Ihr hochmächtigen und ehrwürdigen Templer müßt wieder stramme Krieger werden, zu dritt auf einer Streu schlafen und zu zweit auf einem Pferde reiten, wie es noch jetzt auf Eurem Siegel zu lesen steht.« – »Rang, Vorrechte und Schätze unseres Ordens würden solcher Erniedrigung vorbeugen,« entgegnete der Templer stolz. – »Das ist eben Euer Verderben!« sagte Konrad von Montserrat! »Ihr wißt so gut wie ich, daß die erste Maßregel der christlichen Herrscher in Palästina, wenn es ihnen gut hier ginge, die Verkümmerung Eurer Ordensrechte wäre!« – »Es mag richtig sein, was Ihr sagt,« versetzte der Templer mit düsterem Lächeln. »Aber wie stände es mit unsern Hoffnungen, wenn die Verbündeten ihre Truppen zurückzögen und Palästina in der Gewalt Saladins zurückließen?« – »Der Sultan,« antwortete der Marquis, »würde große Provinzen hergeben, um eine geübte Schar fränkischer Lanzenträger in seinen Diensten zu halten. In Aegypten, in Persien würden Hunderte solcher Truppen zusammen mit seiner eigenen leichten Reiterei eine unüberwindliche Macht darstellen. Allerdings würde dieses Abhängigkeitsverhältnis nur eine gewisse Zeit dauern, vielleicht nur so lange, wie dieser Sultan lebte... aber im Orient wachsen Reiche wie Pilze. Seinen Tod angenommen, was dürften wir nicht, bei dem ständigen Nachwuchse kühner Geister in Europa, zu erreichen hoffen, wenn wir diese Macht von Fürsten nicht über uns hatten?«

»Diesen Worten, Herr Marquis,« sagte der Großmeister, »stimme ich von Herzen bei. Aber wir müssen auf unserer Hut sein, denn Philipp von Frankreich ist ebenso klug als tapfer.« – »Allerdings, aber um so leichter wird man ihn von einem Feldzuge ablenken, zu dem er sich in momentaner Begeisterung vorschnell verpflichtet hat. Er ist eifersüchtig auf König Richard, seinen natürlichen Feind, und sehnt sich wieder zurück nach Paris, das ihm für seine ehrgeizigen Plane weit näher liegt als Palästina. Er wird jeden Vorwand ergreifen, sich von einem Schauplatz zu entfernen, wo er nur die Kräfte seines Reiches vergeudet.« – »Und der Herzog von Oesterreich?« sagte der Templer. – »O, der gelangt durch seine Torheit und Selbsttäuschung zu denselben Schlüssen und sieht wohl lange schon ein, daß er undankbar behandelt wird. Keiner wohl fürchtet und haßt König Richard wie er, und keiner träte wohl mit Saladin in Friedensverhandlungen so gern wie er.«

»Ich gestehe« erwiderte der Templer, »man müßte blind sein, wenn man dies nicht bei ihren neulichen Beratungen gesehen hätte. Aber lüfte nun Deine Maske noch um einen Zoll höher und sage mir, weshalb Du jenen Schotten, oder was der Ritter vom Leoparden sonst sein mag, der Ratsversammlung zum Ueberbringer ihrer Vorschläge aufgedrungen hast?«

»Ich meinte,« antwortete der Italiener, »des Mannes Charakter als Brite müßte Saladin, der doch wußte, daß er zu Richards Truppen gehörte, genehm sein, während sein Charakter als Schotte es unwahrscheinlich machte, daß er bei seiner Rückkehr mit Richard in Berührung kam, denn Richard mochte von seiner Gegenwart nie viel wissen.« – »Eine fein gesponnene Politik!« entgegnete der Großmeister. »Doch laß Dir sagen, daß sich dieser ungeschorene Simson der britischen Insel nie durch italienische Spinnweben umgarnen lassen wird! Seht Ihr denn nicht, daß uns der so behutsam erwählte Gesandte in diesem Arzte das Medium gebracht hat, den löwenherzigen Engländer wiederherzustellen? und ist er erst wieder imstande, aufzubrechen, wer von diesen Fürsten soll ihn zurückhalten?« – »Beruhige Dich,« versetzte Konrad von Montserrat. »Ehe dieser Arzt Richards Kur vollendet, wird zwischen Frankreich oder wenigstens Österreich und seinen englischen Verbündeten der Bruch da sein, und zwar ein Bruch, bei dem von Versöhnung keine Rede sein kann! Richard wird, und wenn er zehnmal gesund wird, nie wieder das ganze Heer der Kreuzfahrer befehligen.« – »Du bist ein geschickter Bogenschütze,« sagte der Templer, »aber Dein Bogen ist zu schlaff, daß Dein Pfeil sein Ziel erreichen sollte.«

Hier brach er ab und warf einen argwöhnischen Blick umher, ob ihn jemand belausche. Dann nahm er die Hand des Marquis, drückte sie heftig, sah dem Italiener tief in die Augen und flüsterte: »Richard wieder gesund werden, sagst Du? Das darf nie sein, Konrad!« – Der Marquis stutzte. »Wie?« rief er, »sprecht Ihr von Richard von England? Von Richard Löwenherz, dem Helden der Christenheit?«

Seine Wange ward bleich, seine Knie zitterten, als er sprach; der Templer sah ihn an und verzog sein starres Gesicht zu einem höhnischen Lächeln . . . »Weißt Du, wem Du diesen Augenblick ähnelst, Konrad?« sagte er. »Nicht dem weltklugen, tapferen Marquis von Montserrat, der den Rat der Fürsten leiten, das Schicksal der Reiche bestimmen wollte, nein! einem Lehrbuben, der im Buche seines Meisters wider alles Erwarten eine Beschwörungsformel gefunden hat und sich vor Angst nicht zu raten weiß, als er nun den Teufel vor Augen hat.«

»Ich gebe zu,« versetzte Konrad, der seine Fassung wiederzufinden anfing, »daß Du, wenn nicht auf den sichersten, doch auf den Weg hingedeutet hast, der am geradesten zum Ziele führt. Aber, heilige Maria! wir werden den Fluch von ganz Europa auf uns laden, vom Papst auf seinem heiligen Stuhl an bis zum Bettler an der Kirchentür.« – »Nimmst Du es so,« sagte der Großmeister mit der Ruhe, die ihn wahrend dieses ganzen Gesprächs auszeichnete, »so laß uns tun, als wäre nichts zwischen uns vorgefallen, als hätten wir nur im Schlafe gesprochen, wären erwacht, und das Traumgesicht wäre verschwunden.« – »Es kann doch nicht verschwinden,« entgegnete Konrad. – »Bilder von Herzogskronen und Diademen behaupten sich allerdings in der Einbildungkraft mit einiger Hartnäckigkeit,« versetzte der Großmeister. – »Wohlan,« entgegnete Konrad, »laß mich nur erst versuchen, den Frieden zwischen Oesterreich und England zu brechen.«

Sie trennten sich. Konrad blieb noch auf dem Platze stehen und sah dem wallenden weißen Mantel des Templers nach, bis er in dem schnell herabsinkenden Dunkel der orientalischen Nacht verschwand. »Ich habe, weiß Gott! den Teufel in Person herbeigerufen,« sagte er. »Wer hätte gedacht, daß dieser finstere, asketische Großmeister, dessen ganzes Sein mit seinem Orden verwachsen ist, bereit wäre, diesen wilden Kreuzzug zu hemmen? an die schnelle Art, die dieser Priester vorschlägt, habe ich freilich nie gedacht; und doch ist es der sicherste, vielleicht auch der gefahrloseste Weg.« Aus diesen Betrachtungen wurde der Marquis durch eine Stimme gerissen, die in geringer Entfernung von ihm im Heroldstone rief: »Gedenke des heiligen Grabes!«

Von Posten zu Posten hallte diese Mahnung wider, denn die Schildwachen mußten bei der Ablösung das Heer der Kreuzfahrer durch diesen Ruf an den Zweck seines Hierseins erinnern. Konrad kannte freilich diese Vorschrift, und doch traf diese mahnende Stimme jetzt mit seinen Gedanken so seltsam zusammen, daß sie ihm wie ein Ruf des Himmels vorkam, wie eine Warnung vor der Ungerechtigkeit, die er im Sinne hatte. Aengstlich blickte er sich um, und sein Auge fiel auf die breiten Falten der Fahne Englands, die auf einem künstlichen Wall fast in der Mitte des Lagers, den vielleicht weiland irgend ein hebräischer Heerführer sich als Ruhestätte erkoren hatte, schwerfällig in der dünnen Nachtluft flatterte. St. Georgenberg war der Wall von den Kreuzfahrern getauft worden. Ein lebhafter Verstand, wie der Konrads von Montserrat, faßt den Gedanken im Nu. Ein einziger Blick auf die Standarte, und alle Ungewißheit aus seinem Gemüte schien verschwunden. Mit dem raschen, festen Schritt eines Mannes, der einen einmal entworfenen Plan auszuführen gewillt ist, begab er sich nach seinem Zelte und entließ das beinahe fürstliche Gefolge, das zu seiner Aufwartung bereit stand.

»Morgen,« sagte er, »sitze ich an der Tafel des Erzherzogs von Oesterreich. Da wollen wir sehen, wie unser Ziel sich erreichen läßt, ehe wir den finsteren Eingebungen dieses Templers folgen.«


 << zurück weiter >>