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Vierzehntes Kapitel.

Des Ritters erster Gedanke war, die Schuldigen zu ermitteln, die das Banner Englands geraubt hatten; allein nirgendswo zeigte sich eine Spur von ihnen. Als er die Nutzlosigkeit weiteren Nachforschens erkannte, wandte er sich zu seinem Hunde, dessen dumpfes Gewinsel auf ein baldiges Ende seines Todeskampfes deutete. Das kluge Tier, als fürchtete es, seinem Herrn weh zu tun durch die Schmerzenslaute, die es von sich gab, leckte dem Ritter die Hand, und die Art, wie es, dem Verenden nahe, seine Anhänglichkeit zum Ausdruck brachte, mehrte nicht bloß seine Niedergeschlagenheit, sondern mischte ihr einen hohen Grad von Bitterkeit bei. Laut hub er zu wehklagen an, als eine feierliche Stimme in seiner Nähe in der unter Christen und Sarazenen üblichen Frankensprache die Worte sprach: »Widerwärtigkeit gleicht der Zeit des frühen und späten Regens – kalt, unbehaglich und unfreundlich für Menschen und Tiere, bringt sie doch Blüte und Frucht, denn sie zeitigt die Dattel, die Rose und den Granatapfel.«

Ritter Kenneth vom Leoparden wandte sich um und erblickte den arabischen Arzt, der sich ihm unbemerkbar genaht hatte.

Beschämt, über einem weibischen Ausbruch von Kummer ertappt worden zu sein, beschäftigte sich Ritter Kenneth wieder mit seinem Hunde. – »Wäre nicht des Arztes Hand,« fragte der Araber, »geeigneter als die des Kriegers?« – »Dem Kranken hier ist nicht mehr zu helfen, Hakim,« versetzte Kenneth; »zudem ist er nach Deinem Ritus ein unreines Tier.« – »Wo Allah die Gabe des Lebens und das Gefühl der Freude und des Schmerzes verliehen,« sagte der Arzt, »da wäre es sündhafter Stolz, wollte der Weise, den er erleuchtete, sich weigern, ein Dasein zu verlängern oder einen Todeskampf zu mildern. Laßt mich das verwundete Tier untersuchen!«

Ritter Kenneth trat schweigend hinzu, während der Arzt Roswals Wunde besichtigte, ein Besteck hervorzog, den Lanzensplitter, der in der Wunde steckte, behutsam mit der Zange entfernte und durch einen geschickten Verband den Blutverlust zu hemmen suchte.

»Das Tier kann geheilt werden,« sagte El Hakim, »wenn Ihr mir erlauben wollt, es nach meinem Zelte zu schaffen.« – »Nehmt ihn mit!« versetzte der Ritter. »Ich schenke ihn Euch gern, wenn er gesund wird. Ich selbst werde wohl nie wieder ins Hifthorn stoßen oder Hunden Hallo zurufen. Und für die Kur meines Knappen stehe ich ja noch in Eurer Schuld!«

Der Araber klatschte in die Hände, worauf zwei schwarze Sklaven erschienen, denen er befahl, den Hund aufzuheben und in sein Zelt zu schaffen.

»Ich wollte,« rief Kenneth, als die Sklaven sich entfernt hatten, »ich könnte mit diesem verendenden Tiere tauschen!« – »Es steht geschrieben,« erwiderte der Araber, wiewohl der Ausruf des Ritters nicht an ihn gerichtet war, »daß alle Geschöpfe zum Dienste des Menschen geschaffen seien, und der Herr der Erde ist töricht, wenn er aus Ungeduld seine Hoffnungen mit dem Zustande eines ihm untergeordneten Wesens vertauschen will.«

»Ein Hund, der im Dienste krepiert,« sagte der Ritter ernst, »ist besser, als ein Mensch, der seine Pflicht im Dienste versäumt. Hakim, Du besitzest die wundersamste Wissenschaft, die je ein Mensch besaß; aber die Wunden des Geistes zu heilen, liegt außer Deiner Macht.« – »Keineswegs, sobald der Kranke sein Leiden offenbart und sich der Leitung des Arztes vertrauen will,« antwortete El Hakim. – »So höre,« sagte Kenneth, »da Du so in mich dringst: Gestern nacht ist Englands Banner auf diesem Wall aufgepflanzt worden; ich wurde zu seinem Wächter bestellt; und dort liegt der Fahnenstab zerbrochen, die Fahne selbst ist fort, und hier sitze ich und – lebe noch!« – »Wie?« rief El Hakim, ihn schärfer betrachtend. »Deine Rüstung ist unversehrt, kein Blut klebt an Deinen Waffen? So kommt kein Schotte aus einem Gefecht: Man hat Dich weggelockt von Deinem Posten, oder hast Du Dich weglocken lassen durch die Rosenwangen und schwarzen Augen einer der Houris, die Ihr Nazarener lieber anbetet als Allah, statt sie nur so zu lieben, wie sie es, als aus demselben Stoffe, wie wir, verlangen können. So ist es seit Adam immer gewesen!« – »Und wenn es so wäre, Arzt?« entgegnete Kenneth finster. »Was läßt sich tun?« »Erkenntnis ist die Mutter der Kraft,« versetzte El Hakim, »und Tapferkeit ersetzt Stärke ... Höre mich an! Der Mensch ist nicht gleich dem Baume an den Ort gebunden, auch nicht geschaffen, wie das kaum beseelte Schaltier, an einem nackten Felsen zu hängen. Deine christlichen Bücher befehlen Dir, wenn Du in einer Stadt verfolgt wirst, in eine andere zu fliehen, und auch wir Muselmänner wissen, daß Mohammed, Allahs Prophet, als er vertrieben wurde aus der heiligen Stadt Mekka, Zuflucht und Anhänger zu Medina fand.« – »Was soll das?« rief der Schotte. – »Viel,« antwortete der Arzt; »der Weise flieht vor dem Sturme, den er nicht bändigen kann. Also flüchte Dich vor Richards Rache in den Schatten von Saladins siegreicher Fahne.«

»Ich sollte meine Schmach im Lager ungläubiger Heiden verbergen,« sagte Kenneth ironisch, »wohl gar einer der ihrigen zu werden?« – »Lästere nicht, Nazarener!« rief der Arzt ernst. »Saladin bekehrt niemand zu dem Gesetz des Propheten, außer solchen, die sich von seinen Lehren überzeugen. Oeffne Deine Augen dem Licht! der große Sultan, dessen Freigebigkeit so unbegrenzt ist wie seine Macht, kann Dir ein Königreich schenken.« – »Eher wünschte ich,« versetzte der Ritter, »mein abgehärmtes Antlitz würde schwarz, wie es abends, beim Untergange der Sonne, zu werden scheint.« – »Du handelst nicht weise,« fuhr El Hakim fort, »dies Anerbieten auszuschlagen, denn ich habe Einfluß auf Saladin und kann Dich hoch erheben in seiner Gunst. Mein Sohn, der Kreuzzug, wie Ihr Euer tolles Unternehmen nennt, gleich einem Schiffe, das in den Wogen zerschellt. Du selbst hast die Punkte des Waffenstillstandes Eurer Fürsten dem mächtigen Sultan überbracht, und kennst wohl kaum den vollen Inhalt Deiner Botschaft?« – »Ich kenne ihn nicht und kümmere mich nicht darum,« antwortete der Ritter, »denn, was nützt es mir, unlängst ein Abgesandter von Fürsten gewesen zu sein, wenn ich noch vor Einbruch der Nacht, ein beschimpfter Leichnam, am Galgen hänge?« – »Das wird nicht geschehen,« versetzte der Arzt. »Saladin wird von allen Seiten umschmeichelt; die Fürsten des gegen ihn errichteten Bundes haben ihm Friedensvorschläge unterbreitet, auf die er unter anderen Umständen eingehen müßte. Andere sind ihm auf eigne Rechnung mit Angeboten genaht, daß sie nicht bloß ihre Streitkräfte aus dem Lager der Kreuzfahrer entfernen, sondern sogar die Fahne des Propheten verteidigen wollen. Aber Saladin will aus derlei verräterischem Abfall keinen Vorteil ziehen; der König der Könige will nur mit dem Löwenkönig unterhandeln, nur mit ihm Vergleich schließen oder mit ihm fechten, wie mit einem Helden. Solche Bedingungen wird er dem König aus freien Stücken zubilligen ... auch wird er die Wallfahrt nach Jerusalem und allen Orten, die den Nazarenern heilig sind, freigeben, will sogar in den sechs festesten Städten Palästinas und in Jerusalem christliche Besatzungen zulassen unter dem Vorbehalt, daß sie unter dem unmittelbaren Befehle Richards stehen. König Richard soll den Titel eines königlichen Schirmvogts von Jerusalem führen, und so unglaublich es Euch vorkommen mag, Saladin will auf diesen Bund zwischen den tapfersten und edelsten Männern von Frangistan und Asien ein heiliges Siegel drücken, indem er eine christliche Prinzessin, König Richards Blutsverwandte, Lady Edith von Plantagenet, zu seiner königlichen Gemahlin erhebt.«

»Ha! Was sagst Du?« rief Kenneth, »welcher Christ würde solch unnatürliche Verbindung einer Christin mit einem Sarazenen billigen?«

»Du bist ein unwissender Nazarener!« rief Hakim. »Weißt Du nicht, daß sich mohammedanische Fürsten täglich mit edlen Nazarenerinnen in Spanien vermählen, ohne daß Mauren oder Christen daran Anstoß nehmen? Und Saladin, der edle Sultan, will der englischen Dame die freie Ausübung ihrer Religion gestatten; auch soll sie im Rang so hoch über allen Frauen seines Harems stehen, daß sie in jeder Hinsicht als die einzige und unumschränkte Königin gelten kann.« – »Wie?« rief Ritter Kenneth, »Du glaubst, Muselmann, daß Richard seine Blutsverwandte, eine edelgeborene, tugendsame Prinzessin, in den Harem eines Ungläubigen liefern werde? Der gemeinste Christ wiese solch glänzende Schande mit Verachtung von sich.« – »Du irrst!« sagte Hakim. »Philipp von Frankreich, Heinrich von Champagne und andere von Richards ersten Bundesgenossen haben versprochen, alles zu tun, was in ihren Kräften steht, einen Bund zu fördern, der diesen verheerenden Kriegen ein Ziel setzen kann. Der weise Erzbischof von Tyrus hat es übernommen, dem Könige Richard diesen Vorschlag zu eröffnen, und zweifelt nicht an der glücklichen Ausführung des Planes... Auf, Herr Ritter! zu Rosse! Nicht meinen mußt Du, daß Du Vaterland und Religion aufgibst! Du wirst Dir Saladin zu Dank verpflichten durch allerhand Rat; darum noch einmal: auf! zu Rosse! Du hast gebahnten Weg vor Dir!«

»Hakim,« sagte der schottische Ritter, »Du bist ein Mann des Friedens, hast Richard von England das Leben gerettet, hast meinem Waffenträger das Leben gerettet. Aber ich rate Dir, sage dem Sarazenen, der Richard solche Verbindung vorschlagen will, er möge sich durch einen Helm das Haupt sichern, der einen Hieb mit der Streitaxt aushalten könne wie den, womit das Tor von Acre zerschmettert wurde.« – »Du bist also hartnäckig entschlossen, Dich nicht ins Sarazenenheer zu flüchten?« fragte Hakim. »Bedenke, daß Du einem gewissen Tode entgegengehst! Und Deine wie unsere Gesetzbücher verbieten dem Menschen, die Hand selbst an sich zu legen!« – »Gott behüte mich davor!« erwiderte der Schotte, sich bekreuzend. »Es ist aber auch untersagt, der Strafe auszuweichen, die unsere Verbrechen verdienen. Hakim, mir tuts jetzt leid, daß ich Dir meinen treuen Hund geschenkt habe: denn sollte er am Leben bleiben, so bekommt er einen Herrn, der seinen Wert nicht kennt.« – Ein Geschenk, das einem leid wird, gilt als widerrufen,« sagte El Hakim. »Wir Aerzte aber müssen schwören, keinen Patienten ungeheilt zu entlassen. Kommt der Hund davon, so ist er wieder Dein.«


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