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Siebentes Kapitel.

Schottische Krieger hatten sich in beträchtlicher Zahl dem Heere der Kreuzfahrer angeschlossen, natürlich unter dem Befehl des englischen Monarchen, da sie, wie seine einheimischen Truppen vom sächsischen und normannischen Stamme, die gleiche Sprache redeten, einige unter ihnen sowohl in Schottland als England Güter besaßen, ja mitunter durch Bande des Mutes mit Engländern verwandt waren. Es war eben noch die Zeit vor Eduard dem Ersten, dessen unersättlicher Ehrgeiz den Haß zwischen diesen beiden Völkern ein und derselben Insel säen sollte. Zudem war König Richard jederzeit redlich bemüht, zwischen den ihm unterstellten Truppen eine versöhnliche Stimmung zu erhalten. Aber während seiner Krankheit und infolge der ungünstigen Lage, in welcher sich die Kreuzfahrer befanden, wuchs Zwietracht unter den verschiedenen Völkern empor, die sich zu dem Kreuzzuge zusammengeschart hatten. Schotten und Engländer, gleich eifersüchtig und gleich stolz, wie gleich empfindlich gegen Beleidigungen, nützten den Waffenstillstand, der ihnen Rache an den Sarazenen zu nehmen wehrte, zu Fehden und Streitigkeiten unter sich. Und wie unter ihnen, verhielt es sich zwischen Franzosen und Engländern, Italienern und Deutschen, selbst zwischen Dänen und Schweden. Unter den englischen Rittern, die ihrem Könige nach Palästina gefolgt waren, wollte Thomas von Vaux am wenigsten von den Schotten, wissen. Als ihr Nachbar war er von jeher mit ihnen in Fehden verwickelt gewesen, hatte manches Unheil über sie gebracht, auch nicht wenig von ihnen erlitten. Soviel es anging, mied er allen Umgang mit seinen schottischen Waffenbrüdern, verhielt sich ihnen gegenüber mürrisch und maß sie, wenn er sie auf dem Marsche oder im Lager traf, in der Regel mit verächtlichen Blicken. Die schottischen Barone und Ritter mochten sich das nicht gefallen lassen, und es kam so weit, daß er als der erklärte Feind ihres Volkes galt.

Thomas von Vaux stand nur wenige Schritte vom Eingang zum königlichen Zelte, als er die Musik vernahm, die von den Pfeifen, Schallmeien und Trommeln der Sarazenen herrührte, und die das schärfere Öhr des englischen Königs schon minutenlang früher vernommen hatte. Bald nachher sah er im Hintergrunde einer Reine von Zelten, die einen breiten Weg zu Richards Pavillon bildeten einen Haufen müßiger Landsknechte um den fast im Mittelpunkte, des Lagers befindlichen Platz versammelt, woher die Töne drangen. Erstaunt sah er unter den Helmen von mancherlei Form, welche die Kreuzfahrer der verschiedenen Völker trugen, weiße Turbane und lange Spieße: sichre Anzeichen für die Anwesenheit bewaffneter Sarazenen, sowie mit ihren langen Hälsen über die Menge hinwegragend, große, ungestalte Köpfe von Kamelen und Dromedaren. Betroffen von einem so unerwarteten und seltsamen Anblick – denn es war Brauch, während der Dauer des Waffenstillstandes alle Waffen und Merkzeichen an einem bestimmten Orte, fern vom Feinde, außerhalb der Schranken zu lassen – sah sich der Baron ängstlich nach Aufklärung um. Der Ritter, der zuerst auf ihn zukam, war an seinem gravitätischen, stolzen Gange als Spanier oder Schotte auf den ersten Blick kenntlich... »Es ist doch ein Schotte,« murmelte Thomas von Vaux, als der Rittet näher herankam, »und zwar der Ritter vom Leoparden. Für einen Schotten sah ich ihn die Lanze gar nicht übel führen.« Aber er fühlte sich nicht gestimmt, das Wort an den schottischen Ritter zu richten und war schon im Begriff, ihn mürrisch vorübergehen zu lassen, als der Schotte auf ihn zuritt und ihn anredete: »Mein Herr Baron von Gilsland,« sagte er, »ich soll mit Euch sprechen.« – »Mit mir?« entgegnete der englische Baron. »Nun, so sagt, was Euch beliebt, so kurz wie möglich, ich bin hier im Auftrag des Königs.« – »Meine Botschaft geht König Richard noch näher an,« versetzte Ritter Kenneth... »ich bringe ihm hoffentlich Gesundheit.«

Lord Gilsland maß den Schotten mit ungläubigem Blicke und antwortete: »Ihr seid doch kaum Arzt, Herr Schotte – eher hätte ich geglaubt, Ihr brächtet dem König von England Schätze?«

Ritter Kenneth, so wenig ihm auch die Antwort des Barons gefiel, entgegnete ruhig und fest: »Richards Gesundheit ist Ruhm und Reichtum für die Christenheit... Doch die Zeit drängt; ich bitte Euch, kann ich den König sprechen?« – »Durchaus nicht eher, werter Herr,« sagte der Baron, »als bis Ihr Eure Botschaft deutlicher erklärt habt. Die Krankenzimmer der Fürsten öffnen sich nicht für jeden, wie eine nordische Schenke.« – »Mylord,« entgegnete Kenneth, »das Kreuz, das ich mit Euch gemeinsam trage, und die Wichtigkeit meiner Botschaft sind Ursache, weshalb ich mich über ein Benehmen hinwegsetze, das ich mir sonst nicht bieten ließe. Mit einem Worte: ich bringe einen maurischen Arzt mit, der König Richard in die Kur nehmen will.« – »Einen maurischen Arzt!« rief Thomas von Vaux. »Wer ist dafür Bürge, daß er nicht statt der Arzenei Gifte reicht?« – »Sein Kopf, Mylord, den er zum Unterpfande bietet!« – »Ich habe manchen verwegenen Räuber gekannt,« sagte Thomas von Vaux, »der sein eigenes Leben gering schätzte und fröhlich nach dem Galgen hüpfte, als wollte er mit dem Henker ein Tänzchen machen.« – »Aber die Sache verhält sich folgendermaßen: Saladin, dem niemand den Ruhm eines großmütigen, tapferen Feindes streitig machen wird, hat den Arzt mit ehrenvollem Geleit hierher gesandt, wie dies der hohen Achtung geziemt, in der El Hakim bei dem Sultan, steht. Er wünscht Richard von seinem Fieber hergestellt zu sehen, um ihm mit dem Säbel in der Faust und hundert Reitern im Gefolge seinen Besuch zu machen. Beliebts Euch als geheimem Rat des Königs, diese Kamele abladen zu lassen?«

»Sonderbar!« sagte Thomas von Vaux für sich. »Aber, wer bürgt uns für Saladins Ehre, wenn Treulosigkeit ihn auf einmal von seinem mächtigsten Gegner befreien könnte?« – »Ich selbst will dafür bürgen mit meiner Ehre, meinem Leben und Hab und Gut.« – »Sonderbar!« sagte Thomas von Vaux abermals zu sich selbst. »Der Norden verbürgt sich für den Süden, der Schotte für den Türken! – Darf ich fragen, Herr Ritter, auf welche Weise Ihr in diese Angelegenheit verwickelt wurdet?« – »Ich war auf einer Pilgerfahrt,« erwiderte Ritter Kenneth, »mit Botschaft an den heiligen Eremiten von Engaddi.« – »Darf ich den Inhalt der Botschaft und die Antwort des frommen Mannes erfahren, Herr Ritter?« – »Leider nicht,« erwiderte der Schotte. – »Ich gehöre zum geheimen Rate Englands,« sagte der Engländer stolz.

»Gegen England habe ich keine Untertanenpflicht,« versetzte Kenneth. »Zwar bin ich dem Rufe des englischen Monarchen freiwillig in diesen Krieg gefolgt, doch ward ich abgesandt von der Ratsversammlung der Könige, Fürsten und Oberfeldherren der Armee des heiligen Kreuzes, und an sie allein habe ich meine Botschaft auszurichten.« – »Was Du sagst!« erwiderte der stolze Baron. »So wisse denn: magst Du immerhin Botschafter von Königen und Fürsten sein, so soll doch kein Arzt sich dem Krankenbette Richards von England nahen, ohne Einwilligung des Lords von Gilsland; und der wird übel ankommen mit seiner Botschaft, der es wagt, sich ohne dieselbe einzudrängen.«

Er war im Begriff, sich stolz hinwegzuwenden, als der Schotte, sich nähernd, ihm gegenüber trat und in ruhigem Tone, doch nicht ohne einen gewissen Ausdruck von Stolz, die Frage an ihn stellte, ob der Herr von Gilsland ihn für einen Edelmann und wackeren Ritter halte. – »Alle Schotten sind durch das Recht ihrer Geburt geadelt,« antwortete Thomas von Vaux etwas ironisch; doch seine eigene Unbilligkeit fühlend und Kenneths Erröten bemerkend, fügte er hinzu: »Daran zu zweifeln, daß Ihr ein wackerer Ritter seid, wäre Sünde, wenigstens für den, der Euch so brav und redlich Eure Pflicht erfüllen sah. Doch sagt mir, Herr Ritter vom Leoparden, tue ich recht, in einem Lande, wo Gift solche Rolle spielt, einen unbekannten Arzt zu einem Monarchen zu lassen, dessen Gesundheit der Christenheit so unschätzbar ist?« – »Mylord,« entgegnete der Schotte, »ich kann darauf nur antworten: Mein Knappe, der einzige, den Krieg und Krankheit mir von meinem Gefolge übrig gelassen haben, hat vor kurzem gefährlich an demselben Fieber gelitten, das König Richard befallen hat. Dieser Arzt, dieser El Hakim, hatte ihn noch keine zwei Stunden behandelt, als er schon in einen erquickenden Schlaf fiel. Daß er die Krankheit; die sich so verderblich gezeigt, heilen kann, weiß ich; daß er den Vorsatz hat, es zu tun, dafür bürgt uns, dünkt mich, seine Sendung von dem königlichen Sultan.«

»Kann ich Euren kranken Schildknappen sehen, edler Ritter?« fragte der Engländer nach einer Weile.

Der schottische Ritter verfärbte sich; endlich antwortete er: »Gern, Mylord; doch muß ich Euch bitten, bei dem Anblick meines armseligen Quartiers nicht zu vergessen, daß die Ritter und Edlen Schottlands nicht so köstlich speisen, nicht so weich schlafen, und nicht so glänzend wohnen, wie ihre südlichen Nachbarn.«

Sie hatten bald den Platz erreicht, wo die aus Aesten gezimmerte, mit Palmblättern gedeckte Hütte des Ritters vom Leoparden stand, vor den andern kenntlich durch die wie ein Schwalbenschwanz geformte Fahne, die, an einer Speerspitze befestigt, schlaff herabhing, beinahe verbrannt von den Strahlen der asiatischen Sonne.

Ritter Kenneth sah sich schwermütig um, aber er bezwang sich und trat ein, dem Lord winkend, ihm zu folgen.

Das Innere der niedrigen Hütte wurde durch zwei Betten fast ausgefüllt. Das eine leere bestand aus einem Holzgestell, das mit gesammeltem Laube gefüllt und mit einem Antilopenfelle bedeckt war. In dem andern lag ein starker Mann von rauhen Gesichtszügen, dem äußeren Anschein nach über das mittlere Alter hinaus. Sein Lager war weicher als das seines Herrn eingerichtet, und dessen feine Gewänder, der lange Wappenrock, den die Ritter in Friedenszeit trugen, sowie die anderen zur Rittertracht gehörigen Kleidungsstücke dienten jetzt dazu, das Lager des kranken Knappen bequemer zu machen.

Neben dem Bett saß auf einem von Tierhäuten verfertigten Kissen der maurische Arzt nach orientalischer Sitte mit übereinandergeschlagenen Füßen. Außer seinem schwarzen Bart, der bis über die Brust reichte, seiner hohen Tatarentmütze aus schwarzer Astrachanwolle und seinem ebenfalls dunklen weiten Kaftan war bei dem unvollkommenen Lichte nichts von ihm zu sehen, außer den durchdringenden Augen von fast magischem Glanze.

Der Lord stand schweigend da; und eine, Zeitlang hörte man nichts, als das schwere und regelmäßige Atmen des Kranken, der von tiefem Schlummer umfangen schien.

»Er hat sechs Nächte nicht geschlafen,« sagte Kenneth. – »Edler Schotte,« versetzte Thomas von Vaux, die Hand des Ritters herzlicher drückend, als er durch Worte verraten wollte, »Euer Knappe wird zu, schlecht gepflegt.«

Bei den letzten Worten verstärkte er die Stimme, so daß der Kranke sich unruhig hin und her warf... Da erhob sich der Arzt, hob die Hand des Kranken auf, um seinen Puls zu befühlen, und trat dann zu den beiden Rittern... »Ich beschwöre Euch,« sagte er, »stört nicht die Wirkung der gesegneten Arzenei, die er genossen hat. Ihn jetzt zu wecken, hätte Tod oder geistige Umnachtung zur Folge. Kehrt aber zu der Stunde zurück, wo der Muezzin vom Minaret zum Abendgebet in die Moschee ruft; und bleibt der fränkische Krieger bis dahin ungestört, so verspreche ich Euch, daß er, ohne seiner Gesundheit zu schaden, ein kurzes Gespräch mit Euch führen und Euch antworten soll auf alles, worüber Ihr ihn fragt.«

Darauf zogen die beiden Ritter sich zurück. Am Eingang zur Hütte blieben sie stehen, und Lord Gilsland verabschiedete sich mit dem Versprechen, zur Vesperzeit zurückzukehren, um dann mit dem maurischen Arzte zu sprechen, zuvor sich aber Instruktionen vom König Richard einzuholen.


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