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Sechzehntes Kapitel.

Kommt her, ihr meine sechs Söhne gut,
Denn tapfre Männer seid ihr;
Wie viele von euch, mein eigen Blut,
Woll'n stehen bei dem Grafen und mir?

Fünf gaben sodann die Antwort gleich,
Fünf sprachen gar hastig schier:
»O Vater, bis uns der Tod erreich',
»Woll'n wir steh'n bei dem Grafen und dir!«

Der Aufstand im Norden.

 

An dem Morgen, an welchem wir Glasgow verlassen wollten, stürzte Andrew wie ein Wahnsinniger in mein Zimmer, sprang auf und nieder, und sang mit Heftigkeit einige mißtönende Worte. Nicht ohne Mühe brachte ich ihn endlich dahin, seinem verwirrten Geschrei ein Ende zu machen, und zu sagen, was vorgefallen war. Es beliebte ihm, mir zu berichten, als ob er die allerangenehmste Nachricht brächte, daß die Hochländer losgebrochen wären, und daß Robin der Rothe mit seiner ganzen hosenlosen Schaar binnen vier und zwanzig Stunden in Glasgow sein würde.

»Schweigt!« rief ich, »Ihr Tropf! Ihr müßt betrunken oder toll sein. Und wenn an Eurer Nachricht etwas Wahres ist, paßt es sich, darüber zu singen?«

»Betrunken oder toll?« erwiderte Andrew gelassen. »Man soll gleich betrunken oder toll sein, wenn man etwas sagt, was die vornehmen Leute nicht hören mögen. – Singen? Die Clans werden uns auf der verkehrten Seite des Mundes singen lassen, wenn wir so betrunken oder toll sind, ihre Ankunft zu erwarten.«

Ich stand schnell auf, und fand meinen Vater und Owen gleichfalls auf den Füßen und in großer Unruhe.

Andrew's Nachricht war im Ganzen nur zu gegründet. Der große Aufstand, welcher Großbritannien im Jahre 1715 erschütterte, war ausgebrochen, indem der unglückliche Graf von Mar, in einer Stunde böser Vorbedeutung und zum Verderben vieler angesehenen Familien in Schottland und England, die Fahne der Stuarts erhob. Die Verrätherei einiger Jacobitischen Agenten, zu denen auch Rashleigh gehörte, und die Verhaftung einiger Andern, hatte Georgs I. Räthe mit den ausgebreiteten Verzweigungen einer lange vorbereiteten Verschwörung bekannt gemacht, welche endlich vor der Zeit und in einem zu entlegenen Königreiche ausbrach, als daß sie auf den Staat, der jedoch in großer Verwirrung war, einen wesentlichen Einfluß hätte üben können.

Dieses große öffentliche Ereigniß bestätigte und erläuterte die Winke, welche ich von Mac-Gregor erhalten hatte, und ich sah leicht, daß die westlichen Clans, die man gegen ihn aufbrachte, ihren besondern Zwist verglichen hatten, weil sie bald in der gemeinsamen Sache vereinigt sein sollten. Schmerzlicher ergriff mich der Gedanke, daß Diana Vernon die Gattin eines Mannes war, der mit am thätigsten zur allgemeinen Umwälzung beizutragen suchte, und daß sie sich allen Entbehrungen und Gefahren ausgesetzt sah, die mit ihres Mannes gewagtem Spiele verbunden sein mußten.

Wir beriethen uns über die Maßregeln, welche diese bedenkliche Lage erforderte, und stimmten meines Vaters Plan bei, uns sogleich Pässe zu verschaffen und gerades Weges nach London zu reisen. Ich äußerte den Wunsch, in einem der freiwilligen Corps, die gebildet wurden, dem Staate meine Dienste anzubieten. Mein Vater genehmigte bereitwillig meinen Vorschlag; denn obgleich er den Krieg als Gewerbe mißbilligte, würde doch Niemand sein Leben zur Vertheidigung der bürgerlichen und religiösen Freiheit williger dargebracht haben, als er.

Wir reisten schnell und von Gefahren begleitet durch Dumfriesshire und die angrenzenden Grafschaften von England. In dieser Gegend waren bereits die Tories in Bewegung, Soldaten und Pferde musternd, während die Whigs sich in den Hauptstädten versammelten, die Einwohner bewaffneten und sich zum Bürgerkriege vorbereiteten. Mehrmals waren wir in Gefahr, angehalten zu werden, und oft genöthigt, Umwege zu machen, um den zusammengezogenen Truppen auszuweichen.

Nach unserer Ankunft in London vereinigten wir uns sogleich mit den Wechslern und angesehenen Kaufleuten, welche beschlossen, die Regierung zu unterstützen, und dem Andrange auf die Bank zu begegnen, worauf die Verschworenen hauptsächlich die Hoffnung eines glücklichen Erfolges gegründet hatten, indem sie den Staat gewissermaßen banquerot zu machen dachten. Mein Vater wurde zum Mitgliede des Ausschusses der Kaufleute gewählt, da Alle auf seinen Eifer, seine Geschicklichkeit und Thätigkeit vertrauten. Er war auch das Organ, durch welches sie sich mit der Regierung verständigten, und es gelang ihm, Käufer für eine Anzahl öffentlicher Staatspapiere zu finden, die bei dem Ausbruche des Aufstandes plötzlich gefallen waren. Ich war ebenfalls nicht müssig, sondern wurde Offizier, und warb auf meines Vaters Kosten gegen 200 Mann, mit denen ich zu der Armee des General Carpenter stieß.

Inzwischen war der Aufstand auch in England ausgebrochen. Der unglückliche Graf Derwentwater ergriff die Waffen mit dem General Foster. Mein armer Oheim, dessen Vermögen durch seine eigene Sorglosigkeit und die Verschwendung seiner Söhne und seines Haushaltes fast bis auf Nichts herabgesunken war, ließ sich leicht bewegen, der unglücklichen Fahne zu folgen. Ehe er aber diesen Schritt that, traf er eine Vorsichtsmaßregel, die man ihm nicht zugetraut haben sollte – er machte sein Testament.

Nach dieser Verordnung sollten seine Besitzungen auf seine Söhne von einem zum andern, und auf deren männliche Nachkommenschaft forterben, bis auf Rashleigh, den er wegen der Abtrünnigkeit von seiner Partei haßte – er fertigte ihn mit einem Schilling ab, und setzte mich zum nächsten Erben ein. Ich war immer eine Art Liebling des alten Herrn gewesen; dennoch ist es wahrscheinlich, daß er, im Vertrauen auf die Zahl der riesenhaften Jünglinge, die sich jetzt mit ihm bewaffneten, jene Verfügung mehr für ein todtes Wort hielt, welches er namentlich deßhalb hinzufügte, um sowohl öffentlich als häuslich seinen Unwillen über Rashleighs Verrätherei zu bekunden. Auch vermachte er der Nichte seiner verstorbenen Gemahlin, Diana Vernon, jetzt Lady Diana Vernon-Beauchamp, einige Diamanten, die ihrer Tante gehört hatten, und ein großes silbernes Becken, auf dem die Wappen der Familien Vernon und Osbaldistone eingegraben waren.

Nach dem Rathschlusse des Himmels sollte aber sein zahlreicher und rüstiger Stamm schneller untergehen, als die Wahrscheinlichkeit vermuthen ließ. Bei der ersten Musterung der Verschworenen zu Green-Rigg, gerieth Thorncliff mit einem Edelmanne aus Northumberland, der eben so heftig und unbeugsam war, wie er, über den Vorrang in Streit. Ungeachtet aller Vorstellungen gaben sie ihrem Befehlshaber nun Proben, wie er sich auf ihre Mannszucht verlassen könnte; sie machten ihren Streit mit dem Schwerte aus, und mein Vetter blieb auf dem Platze. Sein Tod war ein empfindlicher Verlust für Ritter Hildebrand, da Thorncliff, trotz seiner rohen Gemüthsart, ein paar Gran mehr Verstand hatte, als die übrigen Brüder, Rashleigh freilich ausgenommen.

Auch Percival, der Trunkenbold, starb in seinem Berufe. Als Jacob III. von den Insurgenten zum Könige ausgerufen wurde, ging er mit einem andern Edelmanne eine Wette ein, wer den größten Becher starken Branntweins austrinken könnte. Die Aufgabe ging in's Ungeheure. Ich habe das eigentliche Maaß vergessen; allein es hatte ein Fieber zur Folge, an dem er unter dem Ruf: »Wasser! Wasser!« nach drei Tagen starb.

Dick brach bei der Warrington-Brücke den Hals, indem er mit einem abgerittenen Pferde, das er einem zu den Insurgenten übergetretenen Kaufmanne aus Manchester aufschwatzen wollte, über einen Zaun zu setzen versuchte; das Thier stürzte und der unglückliche Reitknecht verlor das Leben.

Wilfried, der Dummkopf, hatte, wie sich das zuweilen bei seines Gleichen zuträgt, das meiste Glück in der Familie. Er fiel in der Schlacht bei Preston, wo er mit großer Tapferkeit focht, obwohl er nie recht begriffen haben soll, was der Gegenstand des Kampfes war, und sich nicht immer besinnen konnte, auf welches Königs Seite er die Waffen führte. Auch John benahm sich in jenem Gefechte sehr tapfer und empfing mehrere Wunden, war aber nicht so glücklich, auf dem Wahlplatze zu sterben.

Der alte Sir Hildebrand, dem alle diese auf einander folgenden Unfälle das Herz gebrochen hatten, wurde an dem folgenden Tage, als sich seine Partei ergeben mußte, einer der unglücklichen Gefangenen, und mit seinem verwundeten Sohne John nach Newgate gebracht.

Ich war jetzt von meiner Dienstpflicht befreit, und verlor daher keine Zeit, das Mißgeschick dieser nahen Verwandten zu lindern. Meines Vaters Einfluß bei der Regierung und die allgemeine Theilnahme, welche ein Vater erregte, der in so kurzer Zeit so viele Söhne verloren hatte, würden die Anklage meines Oheims und meines Vetters als Hochverräther wahrscheinlich verhindert haben; allein ihr Urtheil wurde von einem höheren Richterstuhle gefällt. John starb im Gefängnisse an seinen Wunden, und empfahl mir mit seinem letzten Athemzuge einige Falken, die er in Osbaldistone-Hall zurückgelassen hatte, und eine schwarze Hündin, Lucie.

Mein armer Oheim war durch die Unfälle seiner Familie und die Lage, in die er sich unerwartet versetzt sah, bis zur Erde gebeugt. Er sprach wenig, schien aber dankbar für die Aufmerksamkeiten, die ich ihm zu erweisen bemüht war. Ich war nicht Zeuge seiner Zusammenkunft mit meinem Vater, der ersten nach einem so langen Zeitraume und unter so traurigen Verhältnissen; aber nach meines Vaters Niedergeschlagenheit zu urtheilen, mußte sie höchst schmerzlich gewesen sein. Sir Hildebrand äußerte sich mit großer Bitterkeit über Rashleigh, legte ihm den Untergang seines Hauses und den Tod seiner Brüder zur Last, und erklärte, daß weder er, noch seine Söhne sich in politische Ränke gestürzt haben würden, wenn dieses Mitglied der Familie nicht gewesen wäre, das dann doch zum Verräther wurde. Er erwähnte einige Male seine Nichte Diana mit dem Ausdrucke inniger Zuneigung, und eines Tages, als ich neben seinem Lager saß, sagte er zu mir: »Neffe, da Thorncliff und sie Alle todt sind, thut mir's leid, daß Ihr sie nicht haben könnt.«

Dieser Ausdruck rührte mich damals gar sehr; denn der gute, alte Baronet zeichnete gewöhnlich, wenn er des Morgens fröhlich zur Jagd auszog, seinen Liebling Thorncliff dadurch aus, daß er ihn einzeln und die Uebrigen nur im Allgemeinen nannte. Aber der laute, freudige Ton, womit er zu sagen pflegte: »Ruft Thorncliff – ruft sie Alle!« – bildete einen schmerzlichen Contrast zu dem wehmüthigen, sich selbst aufgebenden, womit er jetzt jene trostlosen Worte aussprach. Er gab mir Nachricht von dem Inhalte seines letzten Willens, und theilte mir eine beglaubigte Abschrift davon mit. Das Original hatte er bei dem Richter Inglewood niedergelegt, der, von Niemand gefürchtet, als eine Art neutraler Person das Vertrauen Aller besaß, und so der Bewahrer einer Menge Dokumente geworden war.

Den größten Theil seiner letzten Stunden widmete mein Oheim, unter Leitung des Caplans der sardinischen Gesandtschaft, dem wir mit einiger Schwierigkeit die Erlaubniß verschafften, ihn zu besuchen, den Andachtsübungen, welche sein Glaube vorschreibt. Man konnte nicht bemerken, daß er an einer Krankheit starb, die in der Medizin einen Namen führt. Er schien durch körperliche Anstrengungen und Gemüths-Kummer aufgerieben, und hörte mehr auf zu sein, als daß er einen wirklichen Todeskampf erlitt; einem Schiffe gleich, das, von Stürmen herumgeworfen, in seinen Fugen aus einander geht, und zuweilen leck wird und untersinkt, obgleich keine augenscheinliche Ursache seiner Zerstörung vorhanden ist.

Es war ein merkwürdiger Umstand, daß mein Vater, nachdem er seinem Bruder die letzten Pflichten erwiesen hatte, plötzlich ein lebhaftes Verlangen äußerte, daß ich dem Testamente gemäß handeln und die Familienrechte vertreten sollte, die für ihn bis dahin nicht den geringsten Reiz zu haben schienen. Er hatte aber, gleich dem Fuchse in der Fabel, nur verachtet, was er nicht erreichen konnte, und seine heftige Abneigung gegen Rashleigh, der laut drohte, seines Vaters Verfügung anzugreifen, verstärkte ohne Zweifel sein Verlangen, dieselbe aufrecht zu erhalten. Er sei von seinem eigenen Vater höchst ungerechter Weise enterbt worden, behauptete mein Vater; – das Testament seines Bruders hätte die Kränkung, sogar das Unrecht, vergütet, und den Ueberrest des Stammgutes dem rechtmäßigen Erben hinterlassen; er sei daher entschlossen, das Vermächtniß zu behaupten.

Rashleigh war indeß als Gegner keineswegs gering zu schätzen. Die Nachrichten, welche er der Regierung ertheilt hatte, waren so zur rechten Zeit gekommen; der Umfang seiner Berichte und die Verschlagenheit, womit er sich Verdienst und Einfluß zu verschaffen wußte, hatten ihm Gönner unter den Ministern erworben. Wir waren bereits wegen seiner Entwendung im vollen Streite mit ihm; und nach dem Gange dieses einfachen Rechtshandels zu urtheilen, ließ sich erwarten, daß dieser neue Proceß über unsere ganze Lebenszeit hinaus verlängert werden könnte.

Um diese Zögerung so viel als möglich zu verhüten, befolgte mein Vater den Rath seines Rechtsbeistandes, bedeutende Hypotheken, die auf dem Schlosse Osbaldistone lasteten, einzulösen, und mir die Rechte davon zu übertragen. Die günstige Gelegenheit, einen großen Theil des bedeutenden Gewinns, den er durch das schnelle Steigen der Staatspapiere bei der Unterdrückung des Aufstandes gemacht hatte, und die neuesten Beweise von den Gefahren des Handels, bewogen ihn vielleicht, auf diese Art einen beträchtlichen Theil seines Vermögens anzulegen. Sei dem aber, wie ihm wolle, statt mir die Schreibstube zu empfehlen, wie ich gewiß erwartete, da ich meine Bereitwilligkeit erklärt hatte, seine Wünsche zu erfüllen, zu was sie mich auch bestimmen möchten, erhielt ich seine Weisung, nach Osbaldistone zu reisen, und es als Erbe und Repräsentant der Familie in Besitz zu nehmen. Von dem Richter Inglewood sollte ich die Urschrift von meines Oheims Testament erhalten, und zur Sicherung des Besitzes alle die Maßregeln treffen, die, wie kluge Leute sagen, neun Theile des Gesetzes ausmachen.

Zu einer andern Zeit würde ich über die Veränderung meiner Lage erfreut gewesen sein, allein jetzt konnte das Schloß Osbaldistone nur schmerzliche Erinnerungen in mir erwecken. Dennoch glaubte ich, nur in jener Gegend Nachrichten von Diana's Schicksal erhalten zu können. Ich hatte allen Grund, zu fürchten, daß es von dem, was ich wünschte, weit verschieden war. Ich konnte von ihr nichts erfahren. Vergebens bemühte ich mich, durch thätige Beweise freundlicher Theilnahme das Vertrauen einiger entfernten Verwandten zu gewinnen, die sich unter den Gefangenen in Newgate befanden. Ein Stolz, den ich nicht verdammen konnte, und ein natürlicher Argwohn gegen den Whig, Frank Osbaldistone, den Vetter des zweifachen Verräthers Rashleigh, verschlossen jedes Herz und jeden Mund vor mir, und ich erhielt nur kalten, erzwungenen Dank für die Wohlthaten, die ich ihnen erwies. Der Arm der Gesetze verringerte auch nach und nach die Zahl Derer, welchen ich zu dienen suchte, und die Herzen der Ueberlebenden wurden nun noch verschlossener gegen Alle, welche sie mit der bestehenden Regierung in Verbindung glaubten. In ganzen Abteilungen zum Tode geführt, verloren die noch Lebenden alles Interesse an den Menschen und das Verlangen sich ihnen mitzutheilen. Ich werde nicht leicht vergessen, was Mac Shafton mir antwortete, als ich bekümmert fragte, ob ich ihm irgend eine Erquickung verschaffen könnte? »Mr. Osbaldistone,« sagte er, »ich muß glauben, daß Ihr es gut meint, und ich danke Euch dafür; – aber, bei Gott, man kann sich nicht mästen lassen, wie das Hühnervieh, wenn man Tag für Tag seine Nachbarn zum Richtplatz führen sieht, und weiß, das der eigene Hals ebenfalls zugeschnürt wird, wenn er an die Reihe kommt.«

Im Ganzen war ich daher froh, London und Newgate und die Scenen, die ich hier sah, zu verlassen, um die freie Luft von Northumberland zu athmen. Andrew war in meinem Dienste geblieben, mehr nach meines Vaters Wunsche, als nach meinem eigenen. Für den Augenblick indeß konnte seine örtliche Kenntniß des Schlosses und der Gegend von Nutzen sein, und er begleitete mich daher, indem ich die Aussicht hatte, ihn los zu werden, wenn ich ihm seine alte Stelle wieder einräumte. Ich wußte nicht, wodurch er sich meines Vaters Gunst erworben hatte, es müßte denn durch die Verschlagenheit gewesen sein, mit der er sich den Schein großer Anhänglichkeit an seinen Herrn zu geben wußte, welche theoretische Anhänglichkeit er in der Praxis ohne Bedenken mit allen Arten von Streichen verträglich machte, nur mit der Bedingung, daß Niemand seinen Herrn betrog, als er allein.

Wir legten unsere Reise ohne irgend ein besonderes Abenteuer zurück, und fanden das Land, welches vor Kurzem durch Aufruhr erschüttert wurde, jetzt schon wieder in Frieden und Ordnung. Je mehr wir uns dem Schlosse Osbaldistone näherten, desto mehr fühlte ich mein Herz bei dem Gedanken zusammengepreßt, in diese verödete Wohnung zu treten; und um den gefürchteten Augenblick aufzuschieben, beschloß ich, zuerst dem Richter Inglewood einen Besuch zu machen.

Dieser achtbare Mann war durch den Gedanken an seine früheren und seine jetzigen Verhältnisse sehr beunruhigt worden, und natürliche Erinnerungen an die Vergangenheit hatten mit den Pflichten seines jetzigen Amtes nicht wenig in Widerspruch gestanden. Er war jedoch so glücklich gewesen, seinen Schreiber Jobson los zu werden, welcher ihn endlich im Groll über seine Trägheit verlassen hatte, und der Gehülfe eines gewissen Squire Standish geworden war, der seit Kurzem als Friedensrichter fungirte, und einen solchen Eifer für König Georg und die protestantische Erbfolge zeigte, daß Jobson mehr Gelegenheit fand, in die Schranken der Gesetze zu verweisen, als zur Thätigkeit anzuspornen.

Richter Inglewood empfing mich sehr freundlich und überlieferte mir bereitwillig meines Oheims Testament, das ohne alle Fehler zu sein schien. Er war Anfangs in sichtlicher Verlegenheit, wie er in meiner Gegenwart sprechen und handeln sollte; als er aber fand, daß ich zwar aus Grundsätzen ein Anhänger der gegenwärtigen Regierung, doch zum Mitleid gegen Die gestimmt war, welche sich ihr aus mißverstandenem Gefühl von Treue und Pflicht widersetzt hatten, wurde sein Gespräch ein unterhaltendes Gemisch von dem, was er gethan und unterlassen hatte, von seinen Bemühungen, einige Junker abzuhalten, und die Flucht Anderer, die unglücklicher Weise an dem Aufstande Theil nahmen, zu begünstigen.

Wir waren allein, und hatten auf des Richters besonderes Verlangen bereits einige Humpen geleert, als er mich plötzlich aufforderte, einen vollen Becher auf das Wohl der guten, lieben Diana Vernon, der Rose der Wildniß, der Glockenblume von den Cheviot-Bergen, die in ein verwünschtes Kloster verpflanzt würde, zu leeren.

»Ist denn Miß Vernon nicht verheirathet?« rief ich im höchsten Erstaunen. »Ich glaubte, Se. Excellenz« –

»Pahl Pah! Se. Excellenz und Se. Herrlichkeit ist Alles Schnickschnack jetzt, wißt Ihr – leere Titel von St. Germain, Graf von Beauchamp! Botschafter von Frankreich! – Während der Regent, Herzog von Orleans, wohl kaum weiß, daß solch' ein Mann lebt. Aber Ihr müßt den alten Sir Frederick Vernon im Schlosse gesehen haben, wo er die Rolle des Pater Vaughan spielte.«

»Gerechter Gott! Also Vaughan der Vater der Miß Vernon?«

»Ja freilich,« erwiderte der Richter gleichgültig. »Es ist jetzt ohne Nutzen, das Geheimniß zu bewahren, denn er muß nun aus dem Lande sein – sonst wär's freilich meine Pflicht, ihn gefangen zu nehmen. – Kommt, leert Euer Glas auf's Wohl meiner lieben, verlorenen Diana!

Ihre Gesundheit geh' rund, und rund, und rund;
Es gehe ihre Gesundheit rund und rund,
Denn ist von Seid' auch Euer Strumpf,
Küssen doch Eure Knie den Grund und Grund.«

Ich war, wie sich leicht denken läßt, nicht aufgelegt, in des Richters Fröhlichkeit einzustimmen. Mein Kopf schwindelte. »Ich habe nie gehört, daß Diana's Vater noch lebte,« sagte ich.

»An unserer Regierung lag's nicht, daß er noch lebt,« erwiderte Inglewood; »denn 's gibt Niemand, dessen Kopf mehr Geld eingebracht haben würde. Er wurde zu König Wilhelms Zeiten wegen seiner Theilnahme an einer Verschwörung zum Tode verurtheilt, und da er sich in Schottland mit einer Verwandten des Hauses Breadalbane verheirathet hatte, besaß er bei allen Häuptlingen großen Einfluß. Man sagt, er hätte bei dem Frieden zu Ryswick ausgeliefert werden sollen, allein er entzog sich durch List, und sein Tod wurde in den französischen Blättern öffentlich bekannt gemacht. Als er hierher zurückkehrte, kannten wir alten Leute ihn recht gut, – das will sagen, ich kannte ihn wohl, da aber keine Anklage gegen ihn erfolgte, und mein Gedächtniß durch öftere Gichtanfälle gelitten hat, so hätt' ich doch nicht darauf schwören mögen.«

»Kannte man ihn denn im Schlosse?« fragte ich.

»Nur seine Tochter kannte ihn, der alte Ritter und Rashleigh, der hinter das Geheimniß gekommen war, wie er hinter Alles kam, und der es der armen Diana wie eine Schnur um den Hals gelegt hatte. Ich habe hundert Mal gesehen, wie sie ihn angespuckt haben würde, wenn sie nicht für ihren Vater gefürchtet hätte, dessen Leben nicht das Geringste werth gewesen wäre, sobald man ihn der Regierung verrieth. – Aber mißversteht mich nicht, Mr. Osbaldistone; die Regierung ist gut und gnädig und gerecht, und wenn sie die Hälfte der Rebellen hängen ließ, die armen Seelen! so wird Jedermann eingestehen, daß man sie nicht angetastet haben würde, wenn sie zu Hause geblieben wären.«

Um diesen politischen Erörterungen auszuweichen, nahm ich den ersten Gegenstand des Gespräches wieder auf, und erfuhr, nachdem sich Diana bestimmt geweigert hätte, einen meiner Vettern zu heirathen, und besonders, nachdem sie ihren Abscheu gegen Rashleigh ausgesprochen, wäre dieser in dem Eifer für die Sache des Prätendenten erkaltet, die er, der jüngste seiner Brüder, kühn, verschlagen und gewandt, bis dahin als Mittel, sein Glück zu machen, angesehen. Wahrscheinlich bestimmte die durch Vernon und die schottischen Häuptlinge ihm abgenöthigte Zurückgabe seiner übel erworbenen Beute seinen Entschluß, sich durch Veränderung der Meinungen und Verrath an dem ihm bewiesenen Vertrauen emporzuschwingen. Da wenig Menschen besser zu beurtheilen verstanden, was den eigenen Vortheil betraf, so hielt er vielleicht auch die Hülfsmittel und Geisteskräfte dem großen Unternehmen, eine bestehende Regierung umzustürzen, nicht für angemessen, wie sich das später auch durch den Erfolg bestätigte; Sir Frederick Vernon, oder, wie er unter den Jacobiten hieß, Se. Excellenz, Viscount Beauchamp, war mit seiner Tochter nicht ohne Schwierigkeit den Folgen von Rashleighs Verrath entgangen. Hier war Mr. Inglewoods Nachricht mangelhaft; da man aber nicht gehört hatte, daß Vernon in der Gewalt der Regierung sei, zweifelte er nicht an seinem Entkommen in das Ausland, wo seine Tochter, nach der grausamen Uebereinkunft mit seinem Schwager, da sie keinen Osbaldistone heirathen wollte, in's Kloster gehen mußte. Die Ursache dieses seltsamen Vergleichs konnte Inglewood nicht genau angeben, doch war derselbe seines Wissens in der Absicht geschlossen worden, um Diana's Vater die Zinsen von dem Reste seines beträchtlichen Vermögens zu sichern, den man durch einige rechtsübliche Kunstgriffe auf das Haus Osbaldistone gebracht hatte.

Ich kann nicht sagen – so groß ist der Eigensinn des menschlichen Herzens – ob jene Nachricht mir Freude oder Kummer gewährte. Es schien mir, als ob mein Schmerz über Diana's Verlust eher erhöht als vermindert wäre, seitdem ich wußte, daß sie nicht durch ihre Heirath mit einem Andern, sondern durch die Mauern eines Klosters auf ewig von mir getrennt war. Ich wurde trübsinnig, niedergeschlagen, zerstreut, und unfähig, das Gespräch mit dem Richter fortzusetzen, der seinerseits zu gähnen anfing, und vorschlug, bald zur Ruhe zu gehen. Ich nahm von ihm unter dem Vorsatz Abschied, am folgenden Morgen nach dem Schlosse hinüber zu reiten.

Inglewood billigte dieß. Es würde gut sein, meinte er, wenn ich mich dort zeigte, bevor meine Ankunft in der Gegend bekannt geworden wäre, um so mehr, da sich Rashleigh, wie er vernehme, in Jobsons Hause aufhalte, ohne Zweifel, um Unheil zu stiften. »Sie passen gut zu einander,« fügte er hinzu, »da Mr. Rashleigh alles Recht verloren hat, sich unter ehrenwerthe Männer zu mischen; aber unmöglich können zwei solche verdammte Schelme ohne Schaden ehrlicher Leute freundlich mit einander sein.«

Er empfahl mir zuletzt noch, ehe ich am Morgen aufbräche, und mich der kalten Luft aussetzte, einen Becher zu leeren, und einen Angriff auf seine Wildpretpastete zu machen.


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