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Erstes Kapitel.

Blick um dich her, Astolph; das ist der Ort,
Wohin man Menschen, weil sie arm, zum Hungertode schickt;
Ein hartes Mittel, denk' ich, für so böses Leid.
Durch Dampf und Dunst erstickt in diesen Mauern,
Erlischt der Hoffnung schöne Fackel; und an der Kohle,
Eh' sie ganz erstorben, – rauh, und wild und zügellos
Von Wahnsinn-gleicher Lustigkeit ergriffen,
Entzündet d'ran Verzweifelung den Höllenbrand,
Zu Thaten leuchtend, die der Gefangene gescheut,
Mehr als den Tod, bis er zur Knechtschaft war gesunken.

Der Kerker, Act I. Scene 3.

 

Bei meinem ersten Eintritt warf ich einen scharfen Blick auf meinen Führer; allein die Lampe im Vorplatze brannte zu düster, als daß ich meine Neugier durch eine bestimmte Prüfung hätte befriedigen können. Da der Schließer das Licht in der Hand hielt, so fielen die Strahlen heller auf sein eigenes kaum weniger interessantes Gesicht. Es war ein wilder, krausköpfiger Mensch, dessen dicke, rothe Haare sein Gesicht bedeckten und verfinsterten, welches sich außerdem nur durch die unbändige Freude charakterisirte, die er bei dem Anblicke meines Führers zeigte. Nie habe ich Etwas gesehen, was meiner Vorstellung von einem rauhen, häßlichen Wilden, der den Götzen seines Stammes anbetet, so ganz gleich kam. Er fletschte die Zähne, zitterte, lachte, und war nahe daran, zu weinen, wenn er nicht wirklich weinte. Wohin soll ich gehen? Was soll ich thun? sprach aus seinem Gesichte; vollständige, ergebene und ängstliche Unterwürfigkeit aus jedem Zuge. Die Freude schien seine Stimme zu ersticken und er konnte sie nur durch »O! o! – Ei! ei – 's ist lange her, seit ich Euch sah,« und einige kurze Ausrufungen in jener mir unbekannten Sprache ausdrücken. Mein Führer nahm alle diese Ausbrüche der Freude ziemlich wie ein Fürst auf, der sich zu früh an die Huldigung seiner Umgebungen gewöhnt hat, als daß er dadurch sehr bewegt würde, der sie jedoch mit der gewöhnlichen königlichen Herablassung vergelten will. Er reichte dem Schließer mit einem freundlichen »Wie geht's Euch, Dougal?« huldreich die Hand.

»Ach! Ach!« rief Dougal und milderte die lauten Ausbrüche seiner Ueberraschung, indem er mit besorgter Wachsamkeit umherblickte. »Ach! Euch hier zu sehen, hier! O! was würde aus Euch werden, wenn die Gerichtsdiener Wind davon bekämen – die schmutzigen Hallunken!«

Mein Führer legte den Finger auf den Mund und sagte: »Fürchtet nichts, Dougal, Eure Hand soll mich nie einsperren.«

»Das soll sie nicht,« sagte Dougal, »sie sollte – sie würde – das heißt, ich würde sie mir eher bis zum Ellenbogen abhauen lassen. – Aber wann geht Ihr wieder hinunter? Ihr werdet's mich doch wissen lassen? Ich bin ja Euer armer Vetter, Gott weiß, wenn auch nur im siebenten Grade.«

»Ich will's Euch wissen lassen, Dougal, wenn meine Pläne in Richtigkeit sind.«

»Und, mein' Treu'! wenn Ihr's thut, und wenn's Sonnabend Nacht wäre, schmeiß' ich dem Aufseher die Schlüssel an den Kopf, oder wende sie anders an, und das, eh's Sabbath Morgen wird – so wird's geschehen; seht nur, ob's nicht so wird?«

Der geheimnißvolle Fremde unterbrach die Entzückungen seines Bekannten von Neuem, und redete ihn in der Sprache an, welche, wie ich nachher erfuhr, Gaelisch oder Earsisch war, vermuthlich, um ihm zu sagen, was er von ihm verlangte. »Von Herzen gern! Von ganzer Seele!« und noch manches unverständliche Gemurmel war die Antwort, durch welche der Schließer seine Bereitwilligkeit zu dem Verlangten zu erkennen gab. Er putzte dann seine verlöschende Lampe und gab mir ein Zeichen, ihm zu folgen.

»Geht Ihr nicht mit uns?« fragte ich den Fremden.

»Es ist unnöthig,« erwiderte er; »meine Gesellschaft könnte Euch ungelegen sein, und es ist besser, ich bleibe und decke den Rückzug.«

»Ich denke nicht, daß Ihr mich in Gefahr verlocken wollt,« sagte ich.

»In keine, die ich nicht selbst doppelt theile,« antwortete der Fremde mit einem Tone der Zuversicht, dem man unmöglich mißtrauen konnte.

Ich folgte dem Schließer. Er ließ das innere Pförtchen hinter sich offen, führte mich eine Wendeltreppe hinauf, dann durch einen schmalen Gang, und nachdem er von mehreren Thüren, die auf diesen Gang führten, eine geöffnet hatte, trat er in ein enges Gemach. Indem er die Lampe auf den kleinen hölzernen Tisch setzte, sah er auf das Strohlager in einer Ecke und sagte mit leiser Stimme: »Sie schläft.«

»Sie! – wer? – kann Diana Vernon in dieser Wohnung des Elends sein?«

Ich wendete meine Blicke auf das Lager, und mit einem Gefühle, in welchem sich getäuschte Erwartung seltsam mit Freude mischte, sah ich, daß ich mich in meiner ersten Vermuthung geirrt hatte. Ich erblickte einen Kopf, der weder jung, noch reizend war, mit einem starken grauen Barte und einer rothen Nachtmütze. Der erste Blick beruhigte mich in Bezug auf Diana Vernon; der zweite, als der Schlummernde aus einem tiefen Schlafe erwachte, gähnte, und sich die Augen rieb, zeigte mir fürwahr ganz andere Züge – die meines armen Freundes Owen. Ich zog mich etwas zurück, damit er Zeit habe, sich zu erholen, da ich mich zum Glück erinnerte, daß ich nur ein Fremder in diesem Aufenthaltsorte des Kummers war, und jedes Geräusch üble Folgen haben könnte.

Der unglückliche Formalist richtete sich indeß von dem Strohlager auf, und indem er sich auf die eine Hand stützte und mit der andern seine Nachtmütze rückte, sagte er mit einem Tone, worin so viel Unmuth, als er empfinden konnte, mit Schläfrigkeit stritt: »Laßt Euch sagen, Herr Dugwell, oder wie Ihr sonst heißen mögt, die Totalsumme von der Sache ist, daß ich mich bei dem Lordmajor beklagen muß, wenn Ihr mich so in meiner natürlichen Ruhe stört.«

»Ein Herr will mit Euch sprechen,« erwiderte Dougal mit dem ächten mürrischen Tone eines Schließers, statt der hellen Klänge hochländischer Begrüßung, mit denen er meinen geheimnißvollen Führer empfangen hatte; dann entfernte er sich.

Es verging einige Zeit, ehe ich den unglücklichen Schläfer ermuntern konnte, so daß er mich erkannte, und als er dieß that, ging nichts über den Schmerz des würdigen Mannes, der natürlich vermuthete, daß ich seine Gefangenschaft theilen sollte.

»O, Mr. Frank; wohin habt Ihr Euch und unser Haus gebracht! An mich selbst denke ich gar nicht; denn ich bin nur eine Ziffer, daß ich mich so ausdrücke; aber Ihr waret Eures Vaters Hauptsumme – Ihr hättet der erste Mann im ersten Hause der Stadt sein können, und nun in einem schmutzigen, schottischen Kerker eingeschlossen zu sein, in dem man nicht einmal den Staub von den Kleidern bürsten kann!«

Er rieb, mit einem Ausdrucke grämlicher Empfindlichkeit, den einst fleckenlosen braunen Rock, welchen jetzt die Unreinlichkeit des Fußbodens beschmutzt hatte, – so trug die Gewohnheit pünktlicher Sauberkeit zur Vermehrung seines Kummers bei.

»O, der Himmel sei uns gnädig!« fuhr er fort. »Was für eine Neuigkeit wird das auf der Börse sein! Dergleichen hat man nicht gehört seit der Schlacht von Almanza, wo das Ganze des brittischen Verlustes auf 5000 Todte und Verwundete und eine unbestimmte Zahl von Vermißten angegeben wurde – aber was ist das gegen die Nachricht, daß Osbaldistone und Tresham aufgehört haben, zu zahlen?«

Ich unterbrach seine Klagen, um ihm zu sagen, daß ich kein Gefangener sei, obwohl ich kaum zu erklären vermöchte, wie ich zu einer solchen Zeit an diesen Ort gekommen sei. Ich konnte seine Fragen nur dadurch zum Schweigen bringen, daß ich auf denen über seine eigene Lage beharrte, und so erhielt ich von ihm alle Nachrichten, die er mir zu geben vermochte. Sie gehörten nicht zu den deutlichsten, denn so hell Owen in seinen kaufmännischen Geschäften sah, so wenig scharfsinnig war er in all' dem, was außerhalb dieses Kreises lag.

Die Summe seiner Mittheilungen war: Unter den beiden Handelsfreunden meines Vaters in Glasgow, wo er wegen seines Verkehrs mit Schottland bedeutende Geschäfte machte, hatte sich das Haus Mac-Vittie u. Comp. am gefälligsten und willfährigsten gezeigt, bei jeder Gelegenheit dem großen englischen Hause nachgegeben, und bei allen Verhandlungen ohne Murren die Rolle des Schakals übernommen, der sich mit dem begnügt, was der Löwe ihm zu lassen für gut befindet. Wie gering auch der Vortheil sein mochte, den man ihnen zugestand, so war er, nach ihrem eigenen Ausdrucke, immer hinreichend für ihres Gleichen, und wie viele Mühe auch auf ihren Antheil kam, äußerten sie stets, daß sie nicht zu viel thun könnten, um ferner die Gönnerschaft und gute Meinung ihrer verehrten Freunde in Crane Alley zu verdienen.

Meines Vaters Vorschriften waren für Mac-Vittie u. Comp., wie die Gesetze der Meder und Perser, nicht zu ändern, zu erneuern, oder auch nur zu erörtern, und die Spitzfindigkeiten, deren sich Owen im Geschäftsgange befleißigte, denn er war ein strenger Beobachter der Form, besonders wenn er sie ex cathedra vorschreiben konnte, schienen ihnen kaum weniger heilig zu sein. Dieser Ton tiefer Ehrerbietung galt bei Owen für baare Münze; aber mein Vater, der etwas tiefere Blicke in's menschliche Herz that, und entweder gegen diese übermäßige Unterwürfigkeit Argwohn faßte, oder als ein Freund der Kürze und Einfachheit im Geschäfte, der Weitschweifigkeiten dieser Herren müde war, hatte ihre Forderung, seine einzigen Geschäftsführer in Schottland zu werden, hartnäckig verweigert. Er ließ im Gegentheil viele Sachen durch einen Handelsfreund von ganz entgegengesetztem Charakter besorgen, einen Mann, dessen gute Meinung von sich selbst bis zum Dünkel stieg, der den Engländern im Allgemeinen eben so abgeneigt war, wie mein Vater den Schotten, nur auf dem Fuße völliger Gleichheit verkehren wollte, und überdieß eifersüchtig, bei Gelegenheit streitsüchtig war, und eben so hartnäckig an seinen Meinungen in Bezug auf die Form hing, als es bei Owen nur immer der Fall sein konnte, und den es ganz gleichgültig ließ, wenn auch die Meinung von ganz Lombard-Street gegen ihn war.

Da diese Eigenheiten es schwierig machten, mit Nicol Jarvie zu verhandeln, da sie gelegentlich Anlaß zu Streitigkeiten und Kälte zwischen ihm und dem englischen Handelshause gaben, und dieß nur durch die Erkenntniß des beiderseitigen Vortheils unterdrückt wurde; – da übrigens Owens persönliche Eitelkeit bei den Erörterungen, die sie veranlaßten, zuweilen ein wenig gekränkt wurde, kann man sich nicht wundern, daß unser alter Freund immer seinen Einfluß zu Gunsten der höflichen, bescheidenen, willfährigen Herren, Mac-Vittie und Mac-Fin geltend machte, und Jarvie einen trotzigen, eingebildeten schottischen Krämer nannte, mit welchem sich kein Geschäft machen ließ.

Unter diesen Umständen, die ich erst später genauer erfuhr, war es nicht überraschend, daß sich Owen in der Verlegenheit, in der sich das Haus durch meines Vaters Abwesenheit und Rashleighs Verschwinden befand, bei seiner Ankunft in Schottland, welche zwei Tage vor der meinigen stattfand, an die Freundschaft jener Handelsherren wendete, die sich immer gefällig, dankbar und dem Dienste seines Gebieters ergeben gezeigt hatten. Man empfing ihn in dem Comptoir der Herren Mac-Vittie und Mac-Fin beinahe wie man einen Schutzheiligen empfangen haben würde; aber ach, dieser Sonnenschein verdunkelte sich bald, als er, dadurch zu freudigen Hoffnungen aufgemuntert, den gefälligen Handelsfreunden die Bedrängnisse des Hauses eröffnete und sie um Rath und Beistand bat. Mac-Vittie war durch die Nachricht beinahe betäubt, und ehe sie noch ganz ausgesprochen war, stand Mac-Fin schon bei dem Hauptbuche und den zahlreichen Rechnungen zwischen den beiden Häusern, um zu sehen, auf welcher Seite der Vortheil sei. Leider neigte sich die Schale bedeutend gegen die englische Firma, und die Gesichter der Handelsfreunde, die bisher nur bleich und zweifelnd ausgesehen hatten, wurden nun unheilverkündend, mürrisch und finster. Sie beantworteten Owens Bitte um Beistand mit dem Gegenverlangen schneller Sicherstellung wegen des drohenden Verlustes, und forderten endlich mit deutlichen Worten, daß zu diesem Zweck gewisse Zahlungsmittel, welche eine andere Bestimmung hatten, in ihre Hände gegeben werden sollten. Owen verweigerte diese Forderung mit großem Unwillen, als entehrend für sein Haus, ungerecht gegen die andern Gläubiger, und sehr undankbar von Seiten derjenigen, welche sie machten.

Die schottischen Compagnons gewannen durch diesen Streit, was für Personen, welche Unrecht haben, sehr angenehm ist, nämlich Gelegenheit, heftig zu werden, und unter dem Vorwande, daß man sie gereizt habe, Maßregeln zu ergreifen, von welchen sie sonst, wo nicht Gewissenhaftigkeit, doch Sinn für Anstand, abgehalten haben würde.

Owen hatte, wie es, glaube ich, üblich ist, einen kleinen Antheil an dem Geschäfte des Hauses, dessen erster Buchhalter er war, und war daher für die Verbindlichkeiten desselben persönlich verpflichtet. Die schottischen Handelsherren wußten dieß, und um ihn ihre Macht fühlen zu lassen, oder vielmehr, um ihn dadurch zu den für sie vortheilhaften Maßregeln zu drängen, ließen sie ihn einstweilen verhaften, was die schottischen Gesetze dem Gläubiger gestatten, der einen Eid ablegt, daß der Schuldner darauf denke, das Land zu verlassen. Kraft einer solchen Gewährschaft war der arme Owen, einen Tag früher, als ich so wunderbar in sein Gefängniß geführt wurde, in Verhaft gekommen.

So von den beunruhigenden Umrissen der Sachlage unterrichtet, blieb mir die Frage übrig, was nun zu thun sei? Und das war nicht leicht zu entscheiden. Ich sah deutlich die Gefahren, mit denen wir umringt waren, aber desto schwerer war es, Hülfsmittel zu finden. Die Warnung, die ich erhalten hatte, schien anzudeuten, daß meine persönliche Freiheit gefährdet werden könnte, wenn ich offen für Owen auftreten wollte. Owen hegte dieselbe Besorgniß und versicherte mir in der Uebertreibung seines Schreckens, daß ein Schotte, ehe er in Gefahr käme, einen Pence durch einen Engländer zu verlieren, Recht finden würde, um dessen Weib, Kinder, Knechte, Mägde und Freunde in seinem Hause zu verhaften. Die Gesetze gegen Schuldner sind in den meisten Ländern so unbarmherzig strenge, daß ich seiner Behauptung nicht ganz mißtrauen konnte, und meine Verhaftung würde unter den gegenwärtigen Umständen den Angelegenheiten meines Vaters den Todesstoß gegeben haben. In dieser Bedrängniß fragte ich Owen, ob er sich nicht auch an meines Vaters andern Handelsfreund, Nicol Jarvie, gewendet hätte?

Er hätte ihm heute Morgen einen Brief geschickt, erwiderte Owen; aber wenn das glattzüngige Haus in Gallowgate ihn so behandelt hätte, was ließe sich dann von dem mürrischen Grobian auf dem Salzmarkte erwarten? »Ihr könntet eben so leicht,« sagte Owen, »von einem Mäkler verlangen, daß er seine Procente aufgäbe, als von ihm eine Gefälligkeit erwarten, ohne das per contra. Selbst den Brief hat er nicht beantwortet, der ihm doch übergeben wurde, als er früh in die Kirche ging.« – Und hier warf sich der trostlose Mann auf sein Strohlager und rief: »Mein armer, lieber Herr! – O Frank, Frank, das kommt Alles von Eurer Hartnäckigkeit her! Gott verzeih' mir, daß ich Euch das in Eurer Bedrängniß sage! Es ist Gottes Schickung, und der muß der Mensch sich unterwerfen.«

Meine Philosophie, Tresham, konnte mich nicht abhalten, den Kummer des armen Mannes zu theilen, und wir vereinigten unsere Thränen, die auf meiner Seite um so bitterer waren, da mein Gewissen mir meine störrige Widersetzlichkeit gegen meines Vaters Willen, über die mir der gute Owen keine Vorwürfe machen wollte, als die Ursache aller dieser Drangsale zeigte.

Mitten in unserm gemeinschaftlichen Kummer wurden wir plötzlich durch ein lautes Pochen am äußern Thore des Gefängnisses gestört. Ich lief hinaus an die Treppe, um zu horchen, konnte aber nur die Stimme des Schließers vernehmen, der abwechselnd mit lautem Tone zu Jemand außer dem Gebäude, und leise mit dem Manne sprach, der mich hierher geführt hatte. »Er kommt! er kommt!« sagte er laut; dann mit gedämpfter Stimme: »O du meine Güte, was wollt Ihr nun machen? – Geht die Treppe hinauf und versteckt Euch hinter dem Bette des englischen Herrn!« ( laut): »Er kommt so schnell als möglich!« ( leise): »Ach, mein Gott! es ist der Profos mit den Gerichtsdienern und der Wache – und der Aufseher kommt auch die Treppe herunter. – Gott steh' Euch bei! – Geht hinauf, oder er trifft Euch!« ( laut): »Er kommt! er kommt! – Die Schlösser sind so verrostet!«

Während Dougal unwillig und so zögernd als möglich die Schlösser und Riegel öffnete, um die draußen Stehenden, deren Ungeduld laut wurde, einzulassen, kam mein Führer die Wendeltreppe herauf und sprang in Owens Gemach, wohin ich ihm wieder folgte. Er blickte schnell umher, als wenn er einen Ort suchte, wo er sich verstecken konnte, und sagte dann zu mir: »Leihet mir Eure Pistolen! – Doch es liegt nichts daran, ich kann's ohne sie vollbringen. Was Ihr auch sehen möget, bekümmert Euch nicht darum und mengt Euch nicht in andrer Leute Händel. Die Sache hier ist mein, und ich muß damit fertig werden, so gut ich kann; aber ich bin schon eben so arg in der Klemme gewesen, und wohl noch schlimmer, als jetzt.«

Bei diesen Worten warf der Fremde seinen schweren Mantel ab, stellte sich der Thüre gegenüber, auf welche er einen scharfen, entschlossenen Blick richtete, und legte sich etwas zurück, um seine Kraft zu sammeln, einem guten Pferde gleich, das über eine Barriere setzen will. Ich zweifelte keinen Augenblick, daß er die Absicht hätte, um sich aus seiner Verlegenheit zu ziehen, bei der Oeffnung der Thüre auf die Eintretenden loszuspringen und sich den Durchweg nach der Straße zu erzwingen. Und er sah so kräftig und gewandt aus, es lag so viel Entschlossenheit in seinem Blick und Wesen, daß ich nicht den geringsten Zweifel hegte, er werde seinen Gegnern entkommen, wenn sie sich seiner Absicht nicht mit den Waffen widersetzten.

Nach einem Augenblicke banger Erwartung öffnete sich die Thüre, und es erschien – nicht eine Wache mit Bajonetten, oder Wächter mit Keulen, Säbeln und Hellebarden, – sondern ein freundliches Mädchen, das bei der nächtlichen Wanderung durch die Straßen das Röckchen aufgeschürzt hatte und eine Laterne in der Hand trug. Dieses Mädchen führte einen starken, kleinen, ziemlich wohlbeleibten Mann herein, der Würde nach, wie sich bald zeigte, eine Magistratsperson, mit einer Stutzperücke, lärmend und athemlos vor mürrischer Ungeduld. Mein Führer wich bei dem Eintritte desselben zurück, als ob er sich der Beobachtung hätte entziehen wollen; allein er konnte dem durchdringenden Blicke nicht entgehen, mit dem dieser Beamte das ganze Gemach übersah.

»Eine schöne Sache, und sehr geziemend, Cap'tain Stanchells,« sagte er zu dem Oberaufseher, der sich jetzt mit vieler Ehrerbietung gegen den großen Mann an der Thüre zeigte, »mich eine halbe Stunde vor dem Thore warten zu lassen, wo ich so arg anpoche, um in das Gefängniß zu kommen, wie Manche es thun möchten, um heraus zu kommen! – Und was soll das heißen? – Fremde im Kerker nach der Schließzeit und am Sabbath Abend? Ich werde es untersuchen, Stanchells, darauf könnt Ihr Euch verlassen. Haltet die Thüre verschlossen, und ich werde mit diesen Herren ein Wörtchen reden. – Aber erst muß ich mit dem alten Bekannten hier schwatzen. – Mr. Owen! Mr. Owen! wie steht's mit Euch, Mann?«

»Körperlich wohl, ich danke Euch, Mr. Jarvie,« erwiderte langsam der arme Owen; »aber sehr bekümmert im Geiste.«

»Ohne Zweifel, ohne Zweifel. – Ja, ja, 's ist eine böse Sache – und dazu für Einen, der den Kopf so hoch trug. – Das ist die menschliche Natur, menschliche Natur. – Ja, ja, wir Alle sind dem Falle unterworfen. Mr. Osbaldistone ist ein guter, ehrlicher Mann, aber ich hab's immer gesagt, er gehört zu den Leuten, die mit den Hörnern anrennen, wie mein Vater, der würdige Voigt, zu sagen pflegte: Nicol, junger Nicol, pflegte er zu sagen, (denn er hieß Nicol, wie ich, und die Leute nannten uns nur den alten und den jungen Nicol,) Nicol, sagte er, strecke deinen Arm nie weiter aus, als wo du ihn leicht wieder zurückziehen kannst. Das hab' ich dem Mr. Osbaldistone gesagt, und er schien's nicht so ganz freundlich aufzunehmen, wie ich's meinte; aber es war gut gemeint, gut gemeint.«

Diese Anrede, welche mit wundersamer Geläufigkeit, und bei der Erinnerung an seine Rathschläge und Vorhersagungen mit sichtbarer Selbstgefälligkeit vorgetragen wurde, flößte uns wenig Hoffnung ein, von Jarvie Beistand zu erhalten. Dennoch zeigte es sich bald, daß sie mehr durch einen gänzlichen Mangel an Zartgefühl, als an wohlwollender Gesinnung erzeugt war; denn als Owen sich etwas verletzt darüber äußerte, daß man ihn in seiner jetzigen Lage an solche Dinge erinnere, faßte ihn Jarvie bei der Hand und sagte: »Habt guten Muth! Meint Ihr, ich wäre um Mitternacht hergekommen und hätte den Sabbath beinahe verletzt, nur, um einem gefallenen Manne seine Fehltritte vorzuhalten? Nein, nein, das thut der Stadtvoigt Jarvie nicht, und sein würdiger Vater, der Oberälteste, that es auch nicht. – Hört, Mann! es ist meine Regel, am Sabbath nie an weltliche Geschäfte zu denken, und ob ich mir gleich alle Mühe gab, Euern Brief, den ich heut Morgen erhielt, aus dem Sinne zu bringen, so hab' ich doch den ganzen Tag mehr daran gedacht, als an die Predigt. – Und es ist meine Regel, mit dem Schlag zehn Uhr in mein Bett mit den gelben Vorhängen zu gehen, wenn ich nicht einen Kabeljau mit einem Nachbar esse, oder ein Nachbar mit mir. – Fragt nur das Mädchen hier, ob's nicht eine Grundregel in meinem Hause ist. Und heute hab' ich gegessen und in guten Büchern gelesen, als ob ich die St. Enox-Kirche verschlingen wollte, bis es zwölf schlug. Da war's erlaubte Zeit, in mein Hauptbuch zu blicken und zu sehen, wie die Sachen zwischen uns stehen; und da Zeit und Flut auf Niemand warten, so mußte das Mädchen die Laterne anbrennen, und ich ging herüber, um zu überlegen, was in Eurer Sache gethan werden kann. Stadtvoigt Jarvie hat zu jeder Stunde Eintritt in's Gefängniß, bei Tag und bei Nacht, und so konnt' es auch mein Vater, der Vorsteher zu seiner Zeit – der redliche Mann! Ehre seinem Andenken!«

Obwohl der tiefe Seufzer, den Owen bei Erwähnung des Hauptbuches ausstieß, mich fürchten ließ, daß auch hier die Rechnung nicht vortheilhaft stehe, und obwohl die Worte des würdigen Beamten viel Selbstgefälligkeit und einigen Stolz auf sein überlegenes Urtheil ausdrückten, so lag doch zugleich auch eine gewisse offene und derbe Gutmüthigkeit darin, die mir wieder Hoffnung einflößte. Er verlangte einige Schriften zu sehen, deren er erwähnte, nahm sie hastig aus Owens Hand, und indem er sich auf das Strohlager setzte, ließ er sich von dem Mädchen leuchten, während er unter Ausrufungen, Murmeln und Sprudeln, bald über das matte Licht, bald über den Inhalt der Schriften, diese durchsah.

Als mein Führer ihn so beschäftigt sah, schien er geneigt, sich ohne Umstände fortzumachen. Er gab mir ein Zeichen, nichts zu sagen, und verrieth durch seine veränderte Stellung die Absicht, sich so unbemerkt wie möglich nach der Thüre zu schleichen. Allein der wachsame Beamte, sehr verschieden von meinem alten Bekannten, Richter Inglewood, entdeckte und verhinderte sogleich seinen Vorsatz und rief: »Ich sag' Euch, seht nach der Thüre, Stanchells! – verschließt sie und haltet draußen Wache.«

Des Fremden Stirn verfinsterte sich, und er schien einen Augenblick darauf zu sinnen, sich gewaltsam zu entfernen; doch ehe er einen Entschluß gefaßt hatte, wurde die Thüre verschlossen und der schwere Riegel vorgeschoben. Er murmelte einige heftige gaelische Worte, schritt durch das Gemach, und mit der Miene finsterer Entschlossenheit, als wenn er das Ende der Sache erwarten wolle, setzte er sich auf den eichenen Tisch und pfiff ein Liedchen.

Jarvie, der in Geschäften sehr schnell und gewandt zu sein schien, hatte die Lage der Dinge bald aufgefaßt und sagte zu Owen: »Gut, Owen, gut – Euer Haus ist an Mac-Vittie gewisse Summen schuldig. – Schämen sollten sich die Süßmäuler; sie haben das und mehr bei dem Handel mit dem Eichenholze von Glen-Cailziechal gewonnen, den sie mir aus den Zähnen rissen, mit Hülfe Eures Fürwortes, muß ich wohl sagen, Mr. Owen – aber das macht jetzt nichts aus. Gut, Euer Haus ist ihnen dieß schuldig, und dafür und für andere Verbindlichkeiten, die sie übernommen haben, hat man Euch hier unter Stanchells Schlüssel doppelt einschließen lassen. Ihr seid's schuldig, und möget auch noch sonst wem schuldig sein – vielleicht mir selbst, dem Stadtvoigt Nicol Jarvie.«

»Ich kann nicht läugnen, Mr. Jarvie,« sagte Owen, »daß die Bilanz gegen uns sein dürfte, aber Ihr wollet bedenken –«

»Ich habe jetzt keine Zeit, zu bedenken, – so nah am Sabbath, und zu dieser Zeit der Nacht außer dem warmen Bette, und überdieß der Luft ausgesetzt – da ist keine Zeit zu bedenken. Aber was ich sagen wollte, Ihr seid mir schuldig; das ist nicht zu läugnen, schuldig seid Ihr mir; mehr oder weniger, das wird sich zeigen. Aber dann seh' ich nicht ein, Mr. Owen, wie Ihr, ein thätiger Mann, der die Geschäfte versteht, die Sachen abmachen könnt, wegen welchen Ihr hier seid, und wie Ihr uns Alle befriedigen wollt, wie ich es Euch zutraue, wenn Ihr hier im Gefängnisse liegen müßt. Nun, Sir, wenn Ihr eine Bürgschaft finden könnt, daß Ihr nicht aus dem Lande gehen, sondern vor unsern Gerichten erscheinen und Euern Bürgen erledigen wollet, das ist judicio sisti, so könnt Ihr noch heut Morgen in Freiheit sein.«

»Wenn ein Freund solche Sicherheit für mich leisten wollte, Mr. Jarvie, so könnte ich ohne Zweifel meine Freiheit nützlich für die Firma anwenden und für Alle, die mit ihr in Verbindung stehen.«

»Ja wohl, und ein solcher Freund würde ohne Zweifel erwarten dürfen, daß Ihr bei der Vorladung erscheinet und ihn seiner Verpflichtung enthebt,« fuhr Jarvie fort.

»Und ich würde dieß so gewiß, wenn nicht Tod oder Krankheit es verhindern, als zweimal zwei vier ist.«

»Nun gut, Owen,« entgegnete der Bürger von Glasgow, »ich hege kein Mißtrauen gegen Euch, und will's beweisen – will's beweisen. Ich bin ein bedächtiger Mann, das ist bekannt, und arbeitsam, wie die ganze Stadt bezeugen kann, und ich weiß mein Geld zu gewinnen und mein Geld zu bewahren, und mein Geld zu zählen, wie irgend Jemand in Glasgow. Und ich bin ein verständiger Mann, wie mein Vater, der Aelteste, es auch war; aber eh' ein wackerer, höflicher Mann, der das Geschäft versteht, und Allen gerecht werden will, hier im Gefängnisse liegen soll, außer Stande, sich selbst oder sonst Jemand zu helfen – Nein! ich will selbst Euer Bürge sein. – Aber merkt's Euch, es ist eine Bürgschaft judicio sisti, wie unser Stadtschreiber sagt, judicatum solvi, das werdet Ihr Euch merken, denn das ist ein großer Unterschied.«

Owen versicherte, daß er unter gegenwärtigen Umständen nicht erwarten könne, eine Bürgschaft für die Zahlung zu finden, daß aber nicht im mindesten zu besorgen sei, er werde auf eine Ladung nicht erscheinen.

»Ich glaub' Euch, glaub' Euch. Genug gesagt, genug! Ihr seid morgen zum Frühstück auf freiem Fuß. Und nun laßt uns hören, was Eure Stubengenossen für sich zu sagen haben, und wie sie gegen alle Regel, zu dieser Zeit der Nacht hierher kamen.«


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