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Zweites Kapitel.

Heim kam der Wirth am Abend,
Und er kam heim,
Und fand da einen Mann,
Wo keiner sollte sein.
»Wie ist denn das, Gevattern?
Und was ist das?« so sprach er.
»Wie kömmt ohn' meinen Willen
Denn dieser Mann hierher?«

Altes Lied.

 

Der Beamte nahm das Licht aus der Hand seiner Magd, und begann seine Untersuchung, wie Diogenes in den Straßen von Athen, mit der Laterne in der Hand, und vermuthlich mit eben so wenig Erwartung, wie der Cyniker, bei seiner Nachforschung irgend einen besonderen Schatz zu finden. Der Erste, dem er sich näherte, war mein geheimnißvoller Führer, welcher noch auf dem Tische saß, die Augen starr an die Wand heftend, wobei er seinen Zügen den unbeugsamsten Ausdruck, wie zwischen Sorglosigkeit und Trotz, gab, die Hände auf der Brust faltete, und mit den Absätzen an dem Tischbeine zu der Melodie, die er noch immer pfiff, den Takt schlug. Er unterwarf sich Jarvie's Untersuchung mit einer so entschiedenen Zuversicht und Kühnheit, daß des besorgten Forschers Gedächtniß und Scharfsinn auf einen Augenblick irre wurden.

»Ah! – Ei! – O!« rief der Stadtvoigt. »Wahrlich! 's ist unmöglich! – und doch – nein! – Wahrhaftig, es kann nicht sein! – Und doch – Ihr Räuber, Ihr eingefleischter Teufel, der Ihr seid, zu allen bösen Dingen geschickt, aber zu nichts Gutem – seid Ihr's wirklich?«

»Wie Ihr seht, Mr. Jarvie,« war die trockne Antwort.

»Wahrhaftig! Wenn ich nicht ganz verdutzt bin – Ihr – Ihr Erzschelm – Ihr wagt Euch in's Gefängniß von Glasgow? Was meint Ihr wohl, daß Euer Kopf werth ist?«

»Hm! gut gewogen, und nach holländischem Gewicht mag er wohl die Köpfe von vier Stadtvoigten, einem Profos, einem Stadtschreiber und sechs Vorstehern aufwiegen.« –

»O Ihr Hauptschurke!« rief Mr. Jarvie. »Aber beichtet Eure Sünden, und bereitet Euch auf Euer Ende vor, denn wenn ich nur ein Wort sage« –

»Freilich, Stadtvoigt,« sagte Der, den er so anredete, und legte die Hände nachlässig auf den Rücken; »aber Ihr werdet dieses Wort nie sprechen.«

»Und warum sollt' ich nicht, Sir?« rief der Beamte. »Warum sollt' ich nicht? Antwortet mir – warum nicht?«

»Aus drei hinreichenden Gründen, Mr. Jarvie. Erstlich wegen alter Geschichten, zweitens wegen des alten Weibes in Stuckavrallachan, durch das wir etwas verwandt sind, zu meiner Schande sei's gesagt, daß ich einen Vetter mit Rechnungen und Garnwinden, und Webestühlen und Weberschiffchen, wie ein gewöhnlicher Handwerksmann, habe – und letztens, Voigt, weil ich, wenn ich nur das geringste Zeichen sähe, daß Ihr mich verrathen wolltet, diese Wand mit Eurem Hirn bestreichen würde, eh' eine Menschenhand Euch retten könnte.«

»Ihr seid ein kühner, verzweifelter Schurke!« erwiederte der Stadtvoigt unerschrocken, »und Ihr wißt, daß ich Euch als einen solchen kenne, und nicht einen Augenblick auf meine eigene Gefahr so dastehen würde.«

»Ich weiß wohl,« sagte der Andere, »daß gutes Blut in Euren Adern fließt, und es sollte mir Leid thun, meinen eigenen Vetter zu verletzen. Aber ich will so frei von hier weggehen, als ich gekommen bin, oder die Mauern des Gefängnisses sollen zehn Jahre davon zu reden wissen.«

»Gut, gut,« sagte Mr. Jarvie; »Blut ist dicker als Wasser, und Freunde und Verwandte brauchen nicht den Splitter in ihrem Auge zu sehen, wenn Anderer Augen ihn nicht sehen. Es würde für die alte Frau in Stuckavrallachan eine traurige Nachricht sein, wenn sie hörte, daß Ihr, Ihr hochländlicher Bastard, mir den Schädel eingeschlagen hättet, oder daß ich Euch zu einem Stricke verhalf. Aber Ihr müßt gestehen, Ihr toller Teufel, daß, wenn Ihr's nicht selbst wäret, ich keinen bessern Mann aus dem Hochlande hätte fangen können.«

»Ihr würdet gefunden haben, Vetter,« antwortete mein Führer, »daß ich es wohl weiß; aber ich zweifle, ob Ihr wohlfeilen Kaufs davon gekommen wäret; denn wir Hochländer sind ein ungeberdig Volk, wenn man mit uns von Fesseln spricht. Wir wollen von einem guten Stück Tuch um unsere Lenden nichts wissen, und noch weniger von eisernen Strumpfbändern.«

»Und werdet sie doch finden, die eisernen Strumpfbänder, und eine hänfene Halsbinde dazu,« erwiderte Jarvie. »Nie hat Jemand in einem wohleingerichteten Lande solche Streiche verübt, als Ihr. Aber seht Euch nun vor; ich hab' Euch gewarnt.«

»Gut, Vetter,« sagte der Andere; »Ihr würdet doch bei meinem Begräbniß Schwarz tragen?«

»Nichts Schwarzes wird dabei sein, als Raben und Krähen, darauf geb' ich Euch meine Hand. Aber wo sind meine tausend Pfund Schottisch, die ich Euch geliehen habe, und wann werd' ich sie wiedersehen?«

»Wo die sind?« antwortete mein Führer, nachdem er gethan hatte, als sinne er einen Augenblick nach; »das kann ich so genau nicht sagen, vermuthlich wo der letzte Schnee ist.«

»Und der liegt auf dem Gipfel des Schiehallion, du Hochlands-Hund!« sagte Mr. Jarvie; »aber ich verlange auf der Stelle Bezahlung.«

»Ei, ich trage weder Schnee, noch Geld bei mir,« erwiderte der Hochländer. »Und wann Ihr's wiedersehen sollt? – I nun, grade wenn der König sein Ei wiederbekömmt, wie's im alten Liede heißt.«

»Das Schlimmste von Allem, Robin,« entgegnete der Glasgower; »ja, Ihr treuloser Verräther, das Schlimmste von Allem! Wollt Ihr das Papstthum wiederbringen und die willkürliche Gewalt? Und die bestimmten Formen und die Seelsorger, und die alten Greuel von Chorhemden und Zierrathen? Bleibt lieber bei Eurem alten Diebs- und Hehlerhandwerk – besser stehlen, als Völker zu Grunde richten.«

»Laßt's mit Euren Whiggrundsätzen gut sein,« erwiderte Robin. »Wir kennen uns ja schon lange. Ich werde Sorge tragen, daß Euer Comptoir nicht ausgeleert wird, wenn's einmal über das Ausräumen der andern Buden in Glasgow hergehen sollte. Und wenn's nicht grade Eurer Pflicht ganz nahe liegt, so müßt Ihr mich nicht öfter sehen, Nicol, als ich gesehen sein will.«

»Ihr seid ein verwegener Schelm, Rob,« antwortete Jarvie, »und Ihr werdet an den Galgen kommen, das wird man sehen und hören; aber ich will nicht der Unglücksvogel sein, und mein Nest verunreinigen, außer im Falle der Noth und bei dem Rufe der Pflicht, den Niemand hören sollte, ohne ihm zu gehorchen. – Und wer, zum Henker, ist das?« fuhr er, sich zu mir wendend, fort. »Vermuthlich Einer, den Ihr angeworben habt? Er sieht aus, als wenn er einen kühnen Muth für die Landstraße, und einen langen Hals für den Galgen hätte.«

»Das, guter Mr. Jarvie,« sagte Owen, der eben so wie ich bei dieser seltsamen Erkennungsscene und nicht weniger seltsamen Unterhaltung der beiden sonderbaren Vettern verstummt war, »das ist der junge Frank Osbaldistone, das einzige Kind meines Prinzipals, der in das Comptoir kommen sollte, als sein Vetter, Rashleigh Osbaldistone, so glücklich war, darin aufgenommen zu werden« – Owen konnte hier einen Seufzer nicht unterdrücken – »aber dennoch« –

»O, ich habe von dem Burschen gehört,« fiel der schottische Kaufmann ein. »Euer Prinzipal wollte, wie ein alter eigensinniger Thor, einen Kaufmann aus ihm machen, er mochte wollen oder nicht, und der Junge wurde aus bloßer Abneigung gegen die Mühe, von der ein Mann leben muß, ein herumziehender Comödiant. Nun, Sir, was meint Ihr denn zu Eurem Handwerk? Wird Hamlet der Däne, oder Hamlets Geist Bürgschaft für Owen leisten?«

»Ich verdiene Euren Spott nicht,« entgegnete ich, »aber ich ehre Euren Beweggrund, und bin zu dankbar für den Beistand, den Ihr Mr. Owen geleistet habt, als daß ich unwillig werden sollte. Mein einziges Geschäft hier war, ihm in der Sorge für meines Vaters Angelegenheiten Beistand zu leisten, so wenig ich dieß auch vielleicht vermag. Meine Abneigung gegen den Handelsstand aber ist ein Gefühl, worüber ich am besten und allein urtheilen kann.«

»Wahrhaftig,« rief der Hochländer, »ich schätzte diesen jungen Mann, eh' ich wußte, was an ihm war; aber ich verehre ihn, weil er die Weber und Spinner und dergleichen Thun und Treiben verachtet.«

»Ihr seid toll, Robin!« rief sein Vetter. »Und dieser junge Mann hier, den Ihr den kürzesten Weg zum Galgen und zur Hölle führt, wird sich durch seine Theaterstücke und Verse eben so wenig befreien können, als Ihr durch Eure Flüche und blanken Dolche. Wird ihm Tityre tu patul, wie sie's nennen, sagen, wo Rashleigh Osbaldistone ist? Oder kann Macbeth sammt aller seiner Mannschaft und der Eurigen dazu, Robin, ihm fünftausend Pfund verschaffen, um die Wechsel zu bezahlen, die in zehn Tagen verfallen sind?«

»In zehn Tagen?« fragte ich, und zog unwillkürlich Diana's Brief hervor. Die Zeit war verflossen, während der ich das Siegel heilig halten sollte, und ich erbrach es schnell. Ein versiegelter Brief fiel aus dem unbeschriebenen Umschlage, als ich ihn mit zitternder Hand öffnete. Ein Windzug, der durch eine zerbrochene Scheibe drang, wehte den Brief zu Jarvie's Füßen, der ihn aufhob, mit rücksichtsloser Neugier die Aufschrift las, und ihn zu meinem Erstaunen seinem hochländischen Vetter übergab. »Der Wind hat hier dem rechten Manne einen Brief zugeweht,« sagte er, »obgleich zehntausend Zufälle dagegen waren, daß er in Eure Hände kam.«

Der Hochländer las die Aufschrift, und erbrach den Brief ohne Umstände. Ich wollte ihn abhalten. »Ihr müßt mich erst überzeugen, Sir, daß der Brief an Euch gerichtet ist, eh' ich's Euch gestatten kann, ihn zu lesen,« rief ich.

»Beruhigt Euch, Mr. Osbaldistone,« erwiderte der Hochländer sehr gelassen. »Denkt an den Richter Inglewood, an den Schreiber Jobson, an Morris – und vor Allem an Euern gehorsamen Diener, Robert Campbell, und an die schöne Diana Vernon. Erinnert Euch an das Alles, und zweifelt nicht länger, daß der Brief für mich bestimmt ist.«

Ich erstaunte über meine Einfalt. Die Stimme, selbst die Züge dieses Mannes, so undeutlich ich sie auch sah, hatten während der ganzen Nacht in mir dunkle Erinnerungen erregt, denen ich jedoch keine nähern örtlichen oder persönlichen Beziehungen zu geben wußte. Jetzt aber wurde es mir auf einmal klar – dieser Mann war Campbell selbst. Seine ganze Eigenthümlichkeit stellte sich mir dar, die tiefe, starke Stimme, die unbiegsamen, strengen, doch klugen Züge, die schottische Aussprache, mit ihrer Mundart und ihren Bildern, die er zwar zuweilen verläugnen konnte, die aber in jedem Augenblicke heftiger Erregung zurückkehrte, und seinem Spotte Kraft, seinen Vorstellungen Lebhaftigkeit gab. Sein Wuchs war mehr unter als über Mittelgröße, und sein Gliederbau so kräftig, als dieß möglich war, ohne der Behendigkeit Abbruch zu thun, die er, nach der besondern Leichtigkeit und Freiheit seiner Bewegungen zu urtheilen, in hohem Grade besaß. Durch Zweierlei wurde indeß das Ebenmaaß seiner Gestalt gestört – seine Schultern waren zu breit im Verhältniß zu seiner Größe, und seine Arme, obwohl rund, nervig und stark, so lang, daß sie ihn beinahe entstellten. Ich erfuhr hernach, daß er sich auf diese Länge der Arme etwas einbildete; er konnte, wenn er sein hochländisches Gewand trug, ohne sich zu bücken, die Strumpfbänder binden, und bei dem Gebrauche des Schwertes, das er sehr geschickt zu führen wußte, gewann er durch diese Mißgestalt einen großen Vortheil. Ohne diesen Mangel an Ebenmaaß hätte er für einen sehr schönen Mann gelten können, aber er erhielt dadurch etwas Wildes, Unregelmäßiges und gleichsam Unirdisches, und erinnerte mich unwillkürlich an die Mährchen meiner Wärterin von den alten Pikten, welche in der Vorzeit Northumberland verwüsteten, nach ihren Sagen halb Poltergeist, halb Menschen waren, und sich, wie dieser Hochländer, durch Muth, List, Wildheit, lange Arme und breite Schultern auszeichneten.

Als ich mir indeß die Umstände zurückrief, unter welchen wir uns früher gesehen hatten, konnte ich nicht zweifeln, daß der Brief an ihn gerichtet war. Er hatte sich unter den geheimnißvollen Wesen hervorgethan, auf welche Diana einzuwirken schien, und die wieder auf sie Einfluß hatten. Schmerzlich war mir der Gedanke, daß das Schicksal eines so liebenswürdigen Wesens mit dem Loose so tollkühner Männer in Verbindung stand, und dennoch schien sich das nicht bezweifeln zu lassen. Was konnte aber dieser Mann meines Vaters Angelegenheiten nützen? Ich sah nur einen Fall. Gewiß hatte Rashleigh auf Diana's Antrieb Mittel gefunden, Campbell herbeizuschaffen, als seine Gegenwart nöthig war, mich gegen Morris' Beschuldigungen zu vertheidigen. Konnte nicht ihr Einfluß Campbell auf gleiche Weise bewegen, Rashleigh herbeizuschaffen? In dieser Voraussetzung fragte ich, wo mein gefährlicher Vetter sei, und wann Campbell ihn zuletzt gesehen hätte? Die Antwort lautete unbestimmt.

»Eine schwierige Sache gibt sie mir auf,« sagte der Hochländer; »aber 's ist ein ehrlich Spiel, und ich will's für sie thun. Mr. Osbaldistone, ich wohne nicht weit von hier, mein Vetter kann Euch den Weg zeigen. Mr. Owen mag in Glasgow sein Bestes thun, Ihr aber besucht mich in den Klüften, und ich kann Euch wahrscheinlich einen Gefallen thun, und Eurem Vater in seinen Nöthen helfen. Ich bin nur ein armer Mann, aber Geist ist besser als Gold – und, Vetter,« fuhr er fort, indem er sich zu Jarvie wendete, »wenn Ihr es wagen wollt, eine Schüssel schottische Fleischschnitten oder eine Wildpretskeule bei mir zu essen, so begleitet diesen jungen Herrn bis Drymen oder Bucklivie, oder bis zum Wirthshaus nach Aberfoil, da will ich Jemand auf Euch warten lassen, der Euch den Weg zu dem Orte zeigen soll, wo ich dann sein werde. – Was meint Ihr? – Da ist meine Hand, daß ich dich nie wieder betrügen werde.«

»Nein, nein, Robin,« sagte der vorsichtige Bürger; »ich wage mich selten weit hinaus; es steht mir nicht frei, in Eure wilden Berge zu gehen und unter Eure nackten, rothen Schenkel; das ziemt sich für mein Amt nicht, Mann!«

»Der Henker hole Euer Amt und Euch dazu!« entgegnete Campbell. »Der einzige gute Blutstropfen, den Ihr im Leibe habt, ist von unserem Urgroßoheim, der zu Dumbarton hingerichtet wurde, und Ihr könnt sagen, es entwürdigt Euer Amt, mich zu besuchen? Hört, Vetter – ich will Euch Eure tausend Pfund Schottisch bezahlen, bei Heller und Pfennig, wenn Ihr ein wackerer Mensch seid, und mit diesem Sachsenherrn kommt.«

»Bleibt mir mit Eurem Edelmanne vom Halse,« erwiderte Jarvie, »bringt Euer gutes Blut an den Galgen, und seht zu, was Ihr dabei gewinnt. – Aber wenn ich nun käme, wolltet Ihr mir wirklich und sogleich das Geld bezahlen?«

»Ich schwör' es Euch,« sagte der Hochländer, »ich schwöre es bei den heiligen Gebeinen Dessen, der unter dem grauen Steine zu Inch-Cailleach schläft!«

»Nichts weiter, nichts weiter, Robin! Wollen sehen, was sich thun läßt. Aber erwartet nicht, daß ich über die Gränze des Hochlandes gehe. Auf keinen Fall thue ich das. Ihr müßt mich in Bucklivie oder im Wirthshause zu Aberfoil treffen, und das Nöthige nicht vergessen.«

»Sorgt nicht, sorgt nicht,« sagte Campbell; »ich will so treu sein, wie die Stahlklinge, die ihrem Herrn nie versagte. – Aber ich muß fort, Vetter; denn die Kerkerluft von Glasgow ist nicht die heilsamste für einen Hochländer.«

»Meiner Treu'!« erwiderte der Kaufmann; »und wollt' ich meine Schuldigkeit thun, so würdet Ihr keine andere Luft mehr athmen. O, daß ich einem Menschen helfen und beistehen muß, der Gerechtigkeit zu entrinnen! Es wird Schimpf und Schande sein, für mich und die Meinigen und meines Vaters Andenken auf immer.«

»Still, still!« erwiderte sein Verwandter; »laßt diese Fliege nur an der Wand; wenn der Schmutz trocken ist, läßt er sich abreiben. Euer Vater, der wackere Mann, konnte eines Freundes Fehler so gut übersehen, als ein Anderer.«

»Ihr könnt recht haben, Robin,« antwortete Jarvie nach augenblicklichem Nachdenken. »Er war ein bedächtiger Mann, der Vorsteher, er wußte, daß wir unsere Schwächen haben, und liebte seine Freunde. Ihr habt ihn nicht vergessen, Robin?« – Er that diese Frage mit einem mildern Tone, der wenigstens eben so possirlich als rührend klang.

»Ihn vergessen?« erwiderte sein Vetter. »Was könnt' es mir helfen, ihn zu vergessen? Er war ein tüchtiger Weber, und wirkte mir die ersten Strümpfe. Doch laßt uns gehen, Vetter,

Kommt, füllt mir die Becher, kommt, füllt mir die Kannen;
Kommt, sattelt die Pferde, und ruft meine Mannen;
Kommt, öffnet die Thore, daß frei ich fortzieh',
Darf länger nicht weilen im schönen Dundee.

»Still, Sir!« rief der Beamte gebieterisch. »Jubeln und singen so nahe am Ende des Sabbaths? Dieß Haus könnte Euch noch in einem andern Tone singen hören. – I nun, wir haben ja wohl Alle Fehltritte zu bereuen – Stanchells, mach' die Thür auf!«

Der Kerkermeister gehorchte, und wir gingen Alle hinaus. Mit einer Ueberraschung sah er auf die beiden Fremden, und wunderte sich ohne Zweifel, wie sie ohne sein Vorwissen hierher gekommen waren. Aber Jarvie's: »Freunde von mir, Stanchells, Freunde von mir!« legte allen Nachfragen Schweigen auf. Wir stiegen nun in das Vorhaus herab, und riefen mehrmals Dougals Namen; aber es erfolgte keine Antwort, und Campbell bemerkte mit höhnischem Lächeln, wenn er Dougal recht kenne, so würde der schwerlich gewartet haben, den Dank für seinen Antheil an dem Werke dieser Nacht zu empfangen, sondern wahrscheinlich in diesem Augenblicke mit starken Schritten der Gränze zueilen.

»Und ließ uns, und vor allem mich im Gefängnisse eingeschlossen!« rief Jarvie zornig und bestürzt. »Schafft Hämmer, Brecheisen und Zangen! Schickt nach dem Schlosser, und laßt ihn wissen, daß Stadtvoigt Jarvie im Gefängnisse sei, von einem hochländischen Spitzbuben eingeschlossen, den er hängen lassen will, so hoch als Haman« –

»Wenn Ihr ihn fangt,« fiel ihm Campbell ernst in das Wort. »Aber wartet, die Thür ist gewiß nicht verschlossen.«

In der That fanden wir bei der Untersuchung nicht allein die Thür offen, sondern Dougal hatte auch die Schlüssel mitgenommen, damit ihm im Schließeramte nicht sogleich Jemand folgen könnte.

»Er hat jetzt einen Schimmer von gesundem Menschenverstande, dieser Dougal,« lachte Campbell. »Er wußte, daß mir in der Klemme eine offene Thür nützlich sein könnte.«

Wir waren indeß auf die Straße getreten. »Ich sag' Euch, Robin,« rief Jarvie, »wenn Ihr das Leben so fortführt, solltet Ihr nach meiner Meinung in jedem Gefängnisse Schottlands einen von Euern Anhängern für den schlimmsten Fall als Thürsteher haben.«

»Einer von meinen Verwandten als Stadtvoigt in jedem Orte wird eben so gut sein, Nicol. – Und damit gute Nacht, oder guten Morgen! Und vergeßt nicht das Wirthshaus von Aberfoil.«

Ohne die Antwort abzuwarten, sprang Campbell auf die andere Seite der Straße, und verschwand in der Dunkelheit. Gleich darauf hörten wir leise auf eine besondere Art pfeifen, was sogleich erwidert wurde.

»Da hört Ihr die hochländischen Teufel!« rief Jarvie. »Sie meinen, sie wären bereits am Fuße des Benlomond, wo sie singen und pfeifen können, ohne sich um den Sonntag oder Samstag zu kümmern.« – Indem er so sprach, fiel Etwas mit großem Gerassel vor uns auf die Straße nieder. – »Gott steh' uns bei! Was ist das? Mathilde, leuchte her! – Meiner Treu'! Wenn's nicht die Schlüssel sind. Nun, das ist eben so gut; sie kosten der Stadt Geld, und es würde einiges Gerede über ihren Verlust gegeben haben. – O, wenn Mancher etwas von dem Streiche dieser Nacht erführe, so könnte ich mir wohl ein graues Haar darüber wachsen lassen!«

Da wir nur erst wenige Schritte von dem Gefängnisse entfernt waren, so trugen wir die Schlüssel zurück, und übergaben sie dem Oberaufseher, der im Vorhause Wache hielt, bis der Beistand ankam, den er verlangt hatte, um den entflohenen Dougal zu verfolgen.

Nach Erledigung dieser Pflicht gegen die Stadt, und da ich dieselbe Richtung mit dem redlichen Beamten zu gehen hatte, benutzte ich dessen Laterne und er meinen Arm, um uns durch die Straßen zu finden, die, wenigstens damals, dunkel, uneben und schlecht gepflastert waren. Das Alter ist leicht durch die Aufmerksamkeit der Jugend versöhnt. Jarvie äußerte Theilnahme für mich, und setzte hinzu: Da ich nicht zu dem Schauspielervolke gehöre, das seine Seele hasse, so werde er sich freuen, wenn ich gerösteten Kabeljau oder einen neuen Häring mit ihm zum Frühstücke essen, und mit meinem Freunde Owen, den er bis zu dieser Zeit in Freiheit setzen würde, bei ihm zusammentreffen wollte.

»Mein theurer Sir,« sagte ich, indem ich dankbar die Einladung annahm, »wie konntet Ihr mich mit der Bühne in Verbindung bringen?«

»Ich wollt' es nicht,« antwortete er; »aber ein geschwätziger Bursche, den man Fairservice nennt, kam gestern Abend zu mir, um einen Befehl zu erhalten, heute früh den Ausrufer Euretwegen durch die Stadt gehen zu lassen. Er sagte mir, wer Ihr wäret, und wie man Euch aus Eures Vaters Hause fortgeschickt hätte, weil Ihr kein Kaufmann hättet werden wollen, und damit Ihr Eurer Familie nicht die Schande anthätet, auf das Theater zu gehen. Unser Vorsänger Hammorgaw brachte ihn zu mir, und sagte, er wäre ein alter Bekannter von ihm, allein ich schickte sie Beide heim, und setzte ihnen einen Floh in's Ohr, weil sie mir mit solchen Sachen an einem solchen Abende gekommen waren. Aber ich sehe, er ist ein thörichter Mensch, und was Euch betrifft, ganz im Irrthume. Ihr gefallt mir,« fuhr er fort, »ich liebe mir einen Burschen, der seinen Freunden in der Noth beisteht – ich that es immer selbst, und so that es auch mein Vater, der Vorsteher, Gott verleih' ihm Ruhe und Segen! Aber Ihr solltet Euch nicht so viel mit Hochländern und solchem wilden Vieh abgeben. Kann man Pech angreifen, ohne sich zu besudeln? – Bedenkt das. Ja, der Beste und Klügste kann irren. Ein – zwei – drei – Mal bin ich ausgeglitten, Sir, und habe diese Nacht drei Dinge gethan – mein Vater würde seinen Augen nicht getraut haben, wenn er's hätte mit ansehen können.«

Während dessen waren wir vor seiner Thüre angekommen. Er blieb auf der Schwelle stehen, und fuhr im feierlichen Tone tiefer Zerknirschung fort: »Erstlich hab' ich am Sabbath meinen eigenen Gedanken nachgehangen, zweitens hab' ich mich für einen Engländer verbürgt, und drittens und letztens hab' ich leider! einen Uebelthäter aus dem Gefängnisse entkommen lassen. – Allein, es gibt noch Balsam, Mr. Osbaldistone! – Mathilde, ich finde den Weg schon allein, leuchte Mr. Osbaldistone bis zu Luckie Flyters, dort an der nächsten Ecke. – Mr. Osbaldistone,« flüsterte er mir zu, »seid nicht unschicklich gegen die Mathilde, sie ist ehrbarer Leute Kind und eine nahe Verwandte des Laird von Limmerfield.«


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