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Fünfzehntes Kapitel.

– – So stirb, Prophet! in deiner Rede;
Dazu war ich bestimmt vor allen Andern.

Heinrich VI. Theil III.

Der Fortgang des Pächters, der, wie wir sagten, der letzte von der Gesellschaft war, ward schrecklich durch eine Hand gehemmt, welche sein Bein ergriff, während er seine Glieder in Schweigen und Unruhe hinter sich drein schleppte, in diesem niedern und schmalen Eingange zu dem unterirdischen Orte. Das stählerne Herz des kühnen Landmanns wäre beinah' gesunken, und nur mit Mühe unterdrückte er einen Schrei, welcher, bei der schutzlosen Lage, in der man sich jetzt befand, leicht Allen das Leben hätte kosten können. Er begnügte sich indeß damit, seinen Fuß von dem Griffe des unerwarteten Nachfolgers loszumachen. »Seid still,« sagte hinter ihm eine beruhigende Stimme; »ich bin ein Freund – Charles Hazlewood.«

Diese Worte wurden äußerst leise gesprochen, aber sie erzeugten doch Schall genug, um Meg Merrilies bestürzt zu machen, welche den Zug führte, und die, bereits an dem Ort angelangt, wo sich die Höhle erweiterte, schon auf den Füßen stand. Sie begann, als wollte sie ein lauschendes Ohr betäuben, zu murmeln und laut zu singen, und machte zugleich Geräusch unter dem Reisholz, welches jetzt in der Höhle angehäuft war.

»Hier, tolles Teufelskind,« rief Dirk Hatteraick's rauhe Stimme aus dem Innern seiner Höhle; »was machst du dort?«

»Lege das Reisig zurecht, daß es den kalten Wind von Euch abhält, Ihr verzweifelter Taugenichts – Ihr befindet Euch allzu wohl; es wird bald anders sein.«

»Habt Ihr mir den Branntwein gebracht, und was Neues von meinen Leuten?« sagte Dirk Hatteraick.

»Da ist die Flasche für Euch. Eure Leute – zerstreut – entlaufen – oder zusammengehauen von den Rothröcken.«

»Der Teufel! – das ist mir eine heillose Küste.«

»Ihr könnt noch mehr Grund haben, so zu sagen.«

Während dieses Gesprächs hatten Bertram und Dinmont das Innere der Höhle gewonnen und sich aufrecht gestellt. Das einzige Licht, welches die rauhen und düstern Wände erhellte, kam von einem zu Kohle verbrannten Holzhaufen auf einem eisernen Roste, wie man ihn Nachts beim Lachsfange anwendete. Auf diese rothe Gluth warf Hatteraick von Zeit zu Zeit eine Handvoll Zweige oder gespaltenes Holz; aber selbst dies gewährte beim Aufflackern nicht genug Licht für die weite Höhle; und da deren Hauptbewohner zu der Seite des Rostes lag, die am weitesten vom Eingange entfernt war, so war es nicht leicht für ihn, die in jener Richtung befindlichen Gegenstände genau zu unterscheiden. Die Eindringenden, deren Zahl nun unverhofft auf drei gestiegen war, standen daher hinter den locker gehäuften Reisern ohne große Gefahr, entdeckt zu werden. Dinmont hatte Verstand genug, Hazlewood mit einer Hand so lange zurückzuhalten, bis er Bertram zugeflüstert hatte: »ein Freund – Junker Hazlewood.«

Es war nicht die Zeit, sie einander vorzustellen, und alle standen so still, wie die Felsen umher, aber im Dunkeln hinter dem Holzhaufen, den man wahrscheinlich an dieser Stelle hatte, um den kalten Seewind abzuhalten, ohne doch der Luft den Zutritt gänzlich zu versperren. Die Zweige waren so locker über einander gelegt, daß man, gegen den glühenden Rost hindurchblickend, sehen konnte, was in der Nähe vorging, obwohl eine weit stärkere Beleuchtung die Personen im Hintergrunde der Höhle nicht fähig gemacht haben würde, die Stellung der Lauschenden zu entdecken.

Die Scene gewährte, auch abgesehn von dem besondern moralischen Interesse und der persönlichen Gefahr, die damit verbunden, schon durch die Wirkung des Lichtes und Schattens auf die ungewöhnlichen Gegenstände, einen vorzüglich schauerlichen Anblick. Die dunkelrothe Gluth auf dem Roste erhob sich von Zeit zu Zeit zu einer mehr oder minder düster leuchtenden Flamme, je nachdem das Holz, womit Dirk Hatteraick sein Feuer nährte, sich besser oder schlechter dazu eignete. Jetzt erhob sich eine düstere Rauchwolke zu der Decke der Höhle, jetzt wieder fuhr eine unsichere und matte Flamme dazwischen empor, die flackernd durch die Rauchsäule wirbelte, und plötzlich durch etwas dürres Reisig heller und lebhafter gemacht wurde, oder auch durch einige Kienspähne, die dann alsbald den Rauch in Gluth verwandelten. Bei solch' unbestimmter Beleuchtung vermochten sie mehr oder minder deutlich Hatteraick's Gestalt zu sehen, dessen wildes und roh gebildetes Gesicht, jetzt noch wilder gemacht durch die Umstände seiner Lage und seinen düstern Gemüthszustand, recht wohl zu dem rauhen und unebenen Gewölbe paßte, welches sich in einem rohen Bogen um und über ihm hob. Die Gestalt der Meg Merrilies, die sich bei ihm zu schaffen machte und bald im Lichte stand, bald von Rauch oder Finsterniß theilweise versteckt war, bildete einen seltsamen Kontrast zu der sitzenden Figur Hatteraick's, wenn er sich über die Gluth beugte und, seiner bestimmten Situation wegen, dem Zuschauer stets sichtbar blieb, während die weibliche Figur immer in Bewegung war, und, gleich einem Gespenst, verschwand und wieder erschien.

Bertram fühlte beim Anblicke Hatteraick's sein Blut kochen. Er erinnerte sich seiner recht gut unter dem Namen Jansen, den der Schmuggler nach dem Tode Kennedy's angenommen hatte; desgleichen erinnerte er sich, daß dieser Jansen und sein Unterschiffer Brown, derselbe, der bei Woodbourne erschossen ward, die härtesten Tyrannen seiner Kindheit gewesen waren. Bertram erkannte ferner, indem er seine eigenen unvollkommenen Erinnerungen durch die Erzählungen Mannering's und Pleydell's ergänzte, daß dieser Mann der Rädelsführer bei jener Gewaltthat gewesen war, die ihn von Familie und Heimath fortriß und so vielem Mißgeschick und Gefahren aussetzte. Tausend aufregende Gedanken erhoben sich in seinem Busen; kaum konnte er sich enthalten, auf Hatteraick loszustürzen und ihm die Hirnschale einzuschlagen.

Dies würde für jetzt ein unsicheres Unternehmen gewesen sein. Die Flamme, während sie stieg und sank und den starken, muskulösen und breitschulterigen Bau des Schurken darstellte, beleuchtete auch zugleich zwei Paar Pistolen in seinem Gürtel, so wie den Griff seines Säbels; es war kein Zweifel, daß seine Verzweiflung seine Stärke und seine Widerstandsmittel bedeutend erhöhen werde. Beides war in der That nicht hinreichend, der Macht zweier solchen Männer die Spitze zu bieten, wie Bertram und sein Freund Dinmont waren, nicht zu rechnen ihren unerwarteten Helfer Hazlewood, welcher ohne Waffen und überhaupt minder stark war; aber Bertram fühlte nach kurzer Ueberlegung, daß es ihm weder zur Ehre noch zum Ruhme gereichen werde, wenn er dem Henker im Amte vorgreifen wolle, und zugleich erwog er, wie wichtig es sei, Hatteraick lebendig zu fangen. Er unterdrückte daher seinen Zorn, und erwartete, was zwischen dem Schurken und der Zigeunerin vorgehen würde. –

»Und wie steht's nun um Euch?« sagte die rauhe und unmelodische Stimme seiner Pflegerin; »Sagt' ich nicht, es werde über Euch kommen – und zwar in der nämlichen Höhle, wo Ihr nach der That herbergtet?«

»Wetter und Sturm, Ihr Hexe!« erwiederte Hatteraick, »behaltet Eure Teufelsreden, bis man sie verlangt. Habt Ihr Glossin gesehn?«

»Nein,« erwiederte Meg Merrilies: »Ihr habt Euren Schlag verfehlt, Ihr Blutvergießer! und Ihr habt nichts vom Versucher zu erwarten.«

»Hagel!« rief der Schurke, »hätt' ich ihn nur bei der Gurgel! – und was hab' ich nun zu thun?«

»Thun?« antwortete die Zigeunerin; »sterben wie ein Mann, oder gehängt werden, wie ein Hund!«

»Gehängt, Ihr Satanshexe! – der Hanf ist nicht gesäet, woran ich hangen soll.«

»Ist gesät, und ist gewachsen, und ist gehechelt, und ist gesponnen. Sagt' ich Euch nicht, als Ihr den Knaben Harry Bertram, trotz meiner Bitten, wegnahmet, – sagt' ich Euch nicht, er würde kommen, wenn er bis zum einundzwanzigsten Jahre sein Schicksal in fremden Landen erduldet hätte? – Sagt' ich nicht, das alte Feuer würde bis auf einen Funken niederbrennen, aber wieder auflodern?«

»Freilich, Mutter, so sagtet Ihr,« sagte Hatteraick mit einer Stimme, die etwas nach Verzweiflung klang; »und, Donner und Blitz! ich glaube, Ihr habt wahr gesprochen – dieser Junker von Ellangowan ist mir mein Lebenlang ein Stein des Anstoßes gewesen! Und nun ist durch Glossin's verfluchte Ränke meine Mannschaft zusammengehauen, meine Boote zerstört, und das Schiff wahrscheinlich genommen – es waren nicht Männer genug am Bord geblieben, um es zu regieren, viel weniger, um zu fechten – ein Boot hätt' es nehmen können. Und was soll ich den Eigenthümern sagen? – Hagel und Sturm! Ich werde mich nie wieder nach Vliessingen zurück wagen.«

»Ihr werdet's nicht nöthig haben,« sagte die Zigeunerin.

»Was thust du dort,« sagte jener, »und warum sagst du so?«

Während dieses Gesprächs häufte Meg einigen Flachs locker zusammen. Eh' sie jene Frage beantwortete, ließ sie einen Brand auf den Flachs fallen, den sie vorher mit etwas Branntwein getränkt hatte: – denn augenblicklich fing er Feuer und erhob sich in einer wallenden und blendend glänzenden Lichtpyramide bis zur höchsten Stelle des Gewölbes. Während sie emporstieg, beantwortete Meg des Schurken Frage mit fester und starker Stimme: – » Weil die Stunde gekommen ist und der Mann

Bei dem verabredeten Zeichen sprangen Bertram und Dinmont über das Reisholz und stürzten über Hatteraick her. Hazlewood, unbekannt mit ihrem Angriffsplane, that dies einen Augenblick später. Der Schurke, der sogleich sah, er sei verrathen, wandte zuerst seine Rache auf Meg Merrilies, nach welcher er ein Pistol abfeuerte. Sie fiel, mit einem durchdringenden und furchtbaren Schrei, halb der Wehruf des Schmerzes, halb der Schall des Lachens, wenn dies seine höchste und erstickendste Höhe erreicht. »Ich wußte, es würde so kommen,« sagte sie. –

Bertram glitt in der Eile auf dem unebenen Fels aus, welcher den Boden der Höhle bildete; ein glücklicher Fall, denn Hatteraick's zweite Kugel pfiff über ihm hin, und es war so gut gezielt worden, daß sie ihm, hätt' er aufrecht gestanden, nothwendig in's Gehirn hätte fliegen müssen. Ehe der Schmuggler ein anderes Pistol ziehen konnte, war Dinmont schon dicht bei ihm, und bemühte sich mit gewaltiger Anstrengung, ihm die Waffen zu entwinden. Aber so groß war des Bösewichts persönliche Stärke, welche noch durch die Verzweiflung vermehrt ward, daß er, trotz der Riesenstärke, womit der Pächter ihn gepackt hielt, dennoch Dinmont durch den brennenden Flachs schleppte, und auch beinah' ein andres Pistol gezogen haben würde, welches wahrscheinlich dem ehrlichen Landmanne übel bekommen wäre, hätten dem letztern nicht Bertram und Hazlewood Beistand geleistet. Sie warfen daher endlich mit gemeinsamer Kraft und großer Anstrengung Hatteraick zu Boden, entwaffneten und banden ihn. Dieser Kampf, obwohl er in der Erzählung einige Zeit kostet, geschah doch in weniger als einer Minute. Als er gehörig geknebelt war, lag der Schurke, nach einigen verzweifelten und fast krampfhaften Bewegungen, vollkommen still und schweigend. »Er hat sich gehörig gehalten,« sagte Dinmont; »nun, deßwegen gefällt er mir nicht schlechter.«

Diese Bemerkung machte der wackere Dandie, während er den brennenden Flachs von seinem groben Rock und zottigen schwarzen Haar schüttelte, welches in dem Kampfe ziemlich versengt worden war. »Er ist nun ruhig,« sagte Bertram; »bleibt bei ihm und erlaubt ihm nicht, sich zu rühren, bis ich gesehn habe, ob das arme Weib lebendig oder todt ist.« Mit Hazlewood's Beistand hob er Meg Merrilies auf.

»Ich wußte, es würde so kommen,« murmelte sie, »und gerade so sollt' es auch kommen.«

Die Kugel war unter der Kehle in die Brust gedrungen. Es blutete äußerlich nicht sehr; aber Bertram, gewöhnt, Schußwunden zu sehn, hielt dies für so schlimmer. »Guter Gott! was sollen wir für dies arme Weib thun?« sagte er zu Hazlewood, – denn natürlich konnten beide hier nicht an anderweitige Erklärungen denken.

»Ich habe mein Pferd oben im Wald angebunden,« sagte Hazlewood. »Ich habe Sie die zwei Stunden lang beobachtet – ich will fort reiten und einige zuverlässige Gehilfen suchen. Unterdessen wird das Beste sein, Sie vertheidigen den Eingang der Höhle gegen Jeden, bis ich zurückkehre.« Er eilte hinweg. Bertram, nachdem er Meg Merrilies' Wunde, so gut er konnte, verbunden hatte, nahm seinen Posten, mit einem gespannten Pistol in der Hand, nah' am Eingange der Höhle; Dinmont fuhr fort, Hatteraick zu bewachen. Eine Todtenstille herrschte in der Höhle, nur unterbrochen durch das leise und gedämpfte Stöhnen der verwundeten Frau, und durch die rauhen Athemzüge des Gefangenen.



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