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Achtes Kapitel.

– – – Es ist nicht Tollheit,
Was ich gesagt; stellt mich nur auf die Probe,
So wiederhol' ich's Wort für Wort; die Tollheit
Spräch' nicht genau dasselbe.

Hamlet.

Als Mr. Simson mit verstörtem Blicke durch das Vorhaus ging, eilte Mrs. Allan, die gute Haushälterin, die mit der ehrerbietigen Achtung, welche man in Schottland der Geistlichkeit zu zollen pflegt, seiner Rückkehr geharrt hatte, alsbald herbei, um ihn zu empfangen. »Was hat das zu bedeuten, Mr. Simson, das ist ja schlimmer als jemals! – Ihr werdet Euch mit so langem Fasten wirklich noch Schaden thun – nichts ist dem Magen so schädlich, Mr. Simson; wenn Ihr nur einige Tropfen Pfeffermünzwasser in die Tasche stecken wolltet, oder Barnes sollte Euch ein Butterbrod schneiden.«

»Weich' von mir!« sagte Simson, indem er noch immer sein Zusammentreffen mit Meg im Sinne hatte, und ging vorwärts nach dem Gesellschaftszimmer.

»Nein, geht nicht hinein, schon seit einer Stunde ist abgetragen und der Oberst sitzt beim Weine; aber kommt in meine Stube, ich habe noch einen guten Bissen für Euch, der gleich bereitet sein wird.«

» Exorciso te!« sagte Simson, – »das heißt, ich habe gegessen.«

»Gegessen! 's ist unmöglich; wo könnt Ihr gegessen haben, der Ihr nirgends einkehrt?«

»Mit Beelzebub aß ich, glaub' ich,« sagte der Geistliche.

»Nu, dann ist er gewiß behext,« sagte die Haushälterin, indem sie ihn gehen ließ; »er ist behext, oder taub, und der Oberst mag sehn, wie er mit ihm fertig wird – Lieber Gott! daß die Gelehrsamkeit einen Menschen so weit bringen kann! 's ist traurig!« Mit diesem Ausrufe zog sie sich in ihr eignes Revier zurück.

Der Gegenstand ihres Mitleids hatte unterdessen das Speisezimmer betreten, wo sein Erscheinen sehr überraschte. Er war schmutzig bis an die Schultern und die natürliche Blässe seines Gesichts war doppelt so leichenhaft, als gewöhnlich, durch Schrecken, Ermüdung und Geistesverwirrung. »Was, um des Himmels willen, soll das bedeuten, Mr. Simson?« sagte Mannering, welcher bemerkte, daß Miß Bertram sehr besorgt auf ihren einfältigen, aber treuen Freund blickte.

» Exorciso,« sagte der Gelehrte.

»Wie, Freund?« erwiederte der erstaunte Oberst.

»Bitt' um Verzeihung, verehrter Sir! aber mein Verstand« –

»Ist spazieren gegangen, scheint mir's – bitte, Mr. Simson, sammeln Sie sich und lassen Sie mich wissen, was das bedeuten soll.«

Simson war im Begriff zu antworten, da er aber fand, daß ihm seine lateinischen Beschwörungsformeln noch immer unwillkürlich auf die Zunge kamen, so ließ er weislich von dem Versuche ab, und legte den Brief, den er von der Zigeunerin empfangen, in Mannering's Hände, welcher das Sigel erbrach und mit Erstaunen las. »Dies scheint ein Scherz zu sein,« sagte er, »und zwar ein sehr dummer.«

»Es kam von gar keiner spaßhaften Person,« sagte Mr. Simson.

»Von wem kam es denn?« fragte Mannering.

Der Gelehrte, der oft viel Zartsinn in Fällen bewies, bei denen Miß Bertram betheiligt war, erinnerte sich der peinlichen Umstände, die mit Meg Merrilies verbunden waren, blickte auf die jungen Damen, und schwieg. »Wir werden sogleich beim Thee wieder bei Euch sein, Julie,« sagte der Oberst; »wie ich sehe, wünscht Mr. Simson mit mir allein zu sprechen. – Und nun, da sie fort sind, Mr. Simson, so erklärt mir, in des Himmels Namen, was dieß Alles soll?«

»Es kann wohl eine Botschaft vom Himmel sein,« sagte der Gelehrte, »aber Beelzebubs Postmeisterin hat sie gebracht. Es war nämlich die Hexe, Meg Merrilies, die schon seit zwanzig Jahren als Kupplerin, Diebin, Hexe und Zigeunerin in einer Theertonne hätte verbrannt werden sollen.«

»Wissen Sie gewiß, daß sie es war?« sagte der Oberst mit lebhafter Theilnahme.

»Gewiß, verehrter Sir? – in der That, ihresgleichen ist nicht zu vergessen – man sieht dieselbe nirgends ein zweites Mal.«

Der Oberst schritt hastig im Zimmer auf und ab, indem er im Stillen nachsann. »Leute ausschicken und sie ergreifen lassen – aber es ist zu weit, um zu Mac-Morlan zu schicken, und Sir Robert Hazlewood ist ein hochtrabender Narr; überdies fände man sie vielleicht nicht an jenem Orte, und dann könnte sie auch ebenso hartnäckig schweigen, wie schon früher. – Nein, und sollt' ich auch deßwegen ein Narr heißen, ich will den Schritt nicht versäumen, den sie mir räth. Viele ihrer Art fangen als Betrüger an, und enden als Schwärmer, oder sie schweben auch wohl zwischen beiden unbestimmt in der Mitte, ohne genau zu wissen, wenn sie sich selber täuschen, oder wenn sie andre betrügen – Wohlan, was ich zu thun habe, ist wenigstens einfach; und wenn meine Bemühungen fruchtlos sind, so soll nicht zu großes Vertrauen auf meine eigene Weisheit daran schuld sein.«

Mit diesem Entschluß klingelte er, und ließ Barnes nach seinem Studierzimmer kommen. Er ertheilte ihm hier Befehle, mit deren Erfolg der Leser später bekannt gemacht werden soll. Wir müssen jetzt ein andres Abenteuer berichten, welches gleichfalls in die Geschichte dieses merkwürdigen Tages verwebt ist.

Charles Hazlewood hatte während des Obersten Abwesenheit in Woodbourne keinen Besuch zu machen gewagt. Mannering's ganzes Benehmen hatte ihm allerdings die Meinung eingeflößt, daß diesem dergleichen Besuche unangenehm sein würden; und die Ueberlegenheit, die der glückliche Krieger und gebildete Mann über des jungen Mannes Betragen erlangt hatte, war so groß, daß es letzterer in keiner Hinsicht gewagt haben würde, jenen zu beleidigen. In des Oberst Mannering's Betragen sah er, oder glaubte er eine Billigung seiner Neigung zu Miß Bertram zu sehen. Aber noch deutlicher sah er dann auch das Unschickliche eines jeden Versuchs zu einem geheimen, vertrauten Verständniß ein, welches seine Eltern schwerlich gebilligt haben würden, und er achtete diese Schranke zwischen ihm und ihr sowohl um Mannering's willen selbst, als auch weil derselbe der edle und eifrige Beschützer Miß Bertram's war. »Nein,« sagte er zu sich selbst, »ich will Lucy's gegenwärtiges Asyl nicht gefährden, so lange ich ihr keine eigne Heimath bieten kann.«

Mit diesem männlichen Entschlusse, dem er treu blieb, obwohl sein Pferd, aus Gewohnheit, den Kopf immer nach dem Wege gen Woodbourne wandte und obwohl er selbst täglich zweimal nahe vorüber ritt, widerstand Charles Hazlewood einer starken Neigung, hinabzureiten, nur um zu fragen, wie sich die Damen befänden und ob er ihnen während Oberst Mannering's Abwesenheit irgend einen Dienst leisten könne. Bei der zweiten Gelegenheit fühlte er indeß die Versuchung so stark, daß er beschloß, sich derselben nicht ein drittes Mal auszusetzen; und indem er sich begnügte, Hoffnungen gen Woodbourne zu senden und Erkundigungen über dasselbe einzuziehen, beschloß er, einer fern wohnenden Familie einen lang versprochenen Besuch zu machen, und zu rechter Zeit zurückzukehren, um einer der ersten Besucher Mannering's sein zu können, die diesem zu seiner glücklichen Rückkunft von der fernen und gefährlichen Reise nach Edinburg gratuliren würden. Er stattete daher seinen Besuch ab, und da er alles so eingerichtet hatte, daß er wenige Stunden nach des Obersten Ankunft von derselben benachrichtigt sein konnte, entschloß er sich endlich, von seinen Freunden, bei denen er die Zwischenzeit zugebracht hatte, Abschied zu nehmen, in der Absicht, zum Mittagessen in Woodbourne zu sein, wo er sich immer so heimisch befand; und dies, (denn er dachte an die Sache mit weit mehr Wichtigkeit, als nothwendig war) dies mußte, wie er sich schmeichelte, seine Lebensart als sehr einfach, natürlich und gefällig erscheinen lassen.

Das Schicksal aber, worüber die Liebenden so viele Klagen hören lassen, war Charles Hazlewood in diesem Falle ungünstig. Der Beschlag seines Pferdes mußte geschärft werden, dies verlangte das frostige Wetter ausdrücklich. Die Dame vom Hause, wo er zu Besuch war, blieb gern sehr lang in ihrem Zimmer, so daß es spät zum Frühstücken kam. Deßgleichen bestand sein Freund darauf, ihm die Jungen zu zeigen, die sein Lieblingswachtelhund diesen Morgen geworfen hatte. Die Farben hatten einige Zweifel, wer der Vater sei, rege gemacht; und diese Frage über rechtmäßige Abstammung war von Wichtigkeit, so daß Hazlewood's Meinung zwischen seinem Freund und dessen Stallknecht entscheiden sollte; denn diese Entscheidung mußte bestimmen, welche von den Jungen ersäuft und welche aufgezogen werden sollten. Ueberdies verzögerte der Laird selbst unsers jungen Liebenden Abschied um eine beträchtliche Zeit, indem er sich mit weitschweifiger Beredtsamkeit bemühte, dem Sir Robert Hazlewood durch dessen Sohn seine eignen besondern Ideen über eine Straße mitzutheilen, welche durch das beiderseitige Gebiet angelegt werden sollte. Es spricht nicht sehr für die Fassungskraft unsers jungen Liebenden, daß er, nachdem die Sache zehnmal wiederholt worden war, noch immer den Vortheil nicht einsehen konnte, der durch die vorgeschlagene Straße über Langhirst, Windy-knowe, Goodhousepark, Hailziecroft und bei Simon's Pool über den Fluß nach Kippletringan erlangt werden würde; ebenso wenig vermochte er die noch minder rathsame Linie zu beurtheilen, die der englische Feldmesser angedeutet hatte, und die mitten durch die Anlagen bei Hazlewood gehen sollte, die dann vom Hause selbst getrennt wurden, während zugleich das Abgesonderte und Angenehme des ganzen Grundstücks vernichtet werden mußte.

Kurz, der Rathgeber, (dem sehr viel daran lag, daß der Weg einem seiner eignen Pachthöfe möglichst nahe gebaut werde) konnte es durchaus nicht dahin bringen, des jungen Hazlewood's Aufmerksamkeit zu fesseln, bis er endlich zufällig erwähnte, die vorgeschlagene Richtung werde durch den »Menschen, den Glossin,« begünstigt, welcher sich gern ein Uebergewicht in der Grafschaft anmaßen wolle. Plötzlich ward der junge Hazlewood aufmerksam und theilnehmend, und nachdem er sich zur Genüge unterrichtet hatte, welche die von Glossin unterstützte Richtung sei, versprach er seinem Freunde, es solle seine Schuld nicht sein, wenn sein Vater nicht eine andere begünstigen werde. Aber diese manchfachen Unterbrechungen nahmen den ganzen Morgen in Anspruch. Hazlewood kam erst drei Stunden später, als er beabsichtigt hatte, zu Pferde, und während er Damen, Hunde, Junge und dergleichen sammt und sonders verwünschte, sah er die Zeit bereits verstrichen, wo er schicklicher Weise die Familie in Woodbourne noch besuchen konnte.

Er war daher bereits an dem Seitenwege, der dorthin führte, vorübergeritten, mit Interesse nur die blaue Rauchsäule betrachtend, die an dem bleichen, winterlichen Abendhimmel von jenem Hause emporwirbelte, als er plötzlich Simson zu erblicken glaubte, der auf einem Fußpfade durch den Wald ging. Hazlewood rief ihm nach, aber vergebens; denn der wackere Mann, der für äußere Eindrücke überhaupt nicht besonders empfänglich war, hatte sich eben erst von Meg Merrilies getrennt, und war viel zu tief in Gedanken über ihre Weissagungen versunken, als daß er auf Hazlewood's Ruf hätte antworten sollen. Dieser war daher genöthigt, ihn gehen zu lassen, ohne nach der Gesundheit der jungen Damen zu forschen oder eine andere Frage vorzulegen, worauf dann vielleicht eine Antwort ertheilt worden wäre, die auch der Miß Bertram Namen enthalten hätte. Aller Grund zur Eile war nun verschwunden, er legte dem Pferde die Zügel auf den Hals und ließ das Thier langsam einen sandigen Weg hinan steigen, der zwischen zwei hohen Erdwänden emporging und endlich auf der beträchtlichen Höhe eine ausgedehnte Aussicht über das benachbarte Land darbot.

Hazlewood blieb indessen völlig theilnahmlos bei diesem Anblicke, obwohl dieser die Empfehlung für sich hatte, daß der größte Theil des überschauten Landes dem Vater des jungen Hazlewood gehörte, und daß letzterer einst nothwendig der Besitzer werden mußte; er wandte vielmehr das Haupt rückwärts nach den Schornsteinen von Woodbourne, obwohl bei jedem Schritte seines Pferdes, so wie die Entfernung größer ward, sich jener Anblick mehr und mehr seinem Auge entzog. Aus dem Sinnen, in welches er versunken war, ward er endlich plötzlich durch eine Stimme aufgestört, die zu rauh für eine weibliche, zu gellend für eine männliche war: – »Was hält Euch so lange auf der Straße zurück? – Sollen andre Euer Werk thun?«

Er blickte auf; die Sprecherin war sehr groß, hatte ein weites Tuch um den Kopf gewunden, unter welchem graues Haar herabflatterte, trug ein langes, rothes Gewand und in der Hand einen Stab, mit einer Art Lanzenspitze versehen – kurz, es war Meg Merrilies. Hazlewood hatte diese merkwürdige Gestalt früher noch nie gesehen; er zog bei ihrem Anblick erstaunt die Zügel seines Pferdes an und hielt still. »Ich denke,« fuhr sie fort, »alle, die am Schicksale des Hauses Ellangowan Theil genommen haben, sollten diese Nacht nicht schlafen; drei Menschen haben nach Euch gesucht, und Ihr geht heim, um in Eurem Bett zu schlafen – meint Ihr, wenn der Bruder gefallen, könne es der Schwester wohl gehen? Nein, nein!«

»Ich verstehe Euch nicht, gute Frau,« sagte Hazlewood; »sprecht Ihr von Miß – –, ich meine von irgend Jemand aus der ehemaligen Familie Ellangowan, so sagt mir, was ich für ihn thun kann.«

»Von der ehemaligen Familie Ellangowan?« antwortete sie mit großer Heftigkeit; »von der ehemaligen Familie Ellangowan! und wann war je, oder wann wird je eine Familie Ellangowan sein, die nicht den edeln Namen Bertram führt?«

»Aber was meint Ihr eigentlich, gute Frau?«

»Ich bin keine gute Frau – das ganze Land weiß, daß ich schlecht genug bin, und die Andern, wie ich selber, mögen traurig genug sein, daß ich nicht besser bin. Aber ich kann thun, was gute Weiber nicht können und nicht dürfen. Ich kann thun, was ihnen das Blut erstarren würde, die im Hause aufgewachsen sind und nichts weiter lernten, als ihren Kindern die Köpfe verbinden und sie in der Wiege schaukeln. Hört mich – man hat die Wache aus dem Zollhause bei Portanferry gezogen und sie ist auf Eures Vaters Befehl nach Schloß Hazlewood gelegt worden, weil er meint, sein Haus werde diese Nacht von den Schmugglern angegriffen werden; – kein Mensch denkt daran, sein Haus anzufallen; er hat gutes Blut und edles Blut – ich spreche wenig von ihm um seiner selbst willen, denn Niemand hat etwas Uebles gegen ihn im Sinne. Sendet die Reiter auf ihren Posten zurück, und zwar still und ruhig – dort werden sie diese Nacht vollauf Arbeit haben – ganz gewiß – die Flinten werden blitzen und die Schwerter werden glänzen im Mondenlicht.«

»Guter Gott! was meint Ihr?« sagte der junge Hazlewood; »Eure Worte und Euer Benehmen würden mich überreden, daß Ihr toll seid, wäre nicht eine so seltsame Uebereinstimmung in Allem was Ihr sagt.«

»Ich bin nicht toll!« rief die Zigeunerin; »man hat mich gefangen gesetzt als eine Tolle – gegeißelt als eine Tolle – verbannt als eine Tolle – aber ich bin nicht toll. Hört, Charles Hazlewood von Hazlewood: seid Ihr böse gegen den gesinnt, der Euch verwundete?«

»Nein, Frau, das verhüte Gott; mein Arm ist geheilt und ich habe stets gesagt, daß der Schuß nur zufällig geschah. Ich würde mich freuen, wenn ich das dem jungen Manne selbst sagen könnte.«

»Dann thut, was ich Euch heiße,« antwortete Meg Merrilies, »und Ihr werdet ihm mehr Gutes thun, als er Euch je Uebels that; denn wenn es nach seinen Widersachern ginge, so würde er vor'm Morgen eine Leiche, oder doch ein verbannter Mann sein – aber es ist Einer über uns Allen. – Thut, wie ich Euch heiße; sendet die Soldaten nach Portanferry zurück. Dem Schloß Hazlewood droht so wenig ein Unheil, als dem ärmsten Hause im Lande.« Mit diesen Worten verschwand sie so schnell wie gewöhnlich.

Stets machte das Aeußere dieses Weibes und die Mischung von Wahnsinn und Begeisterung in ihrem Benehmen den stärksten Eindruck auf diejenigen, die sie anredete. Ihre Worte, obwohl wild, waren zu schlicht und verständlich für wirkliche Tollheit, und dann gleichwohl auch zu heftig und übertrieben für besonnene, nüchterne Mittheilung. Sie schien unter dem Einflusse einer Einbildungskraft zu handeln, die eher zu stark aufgeregt als zerrüttet war; und es ist wunderbar, wie lebhaft dieser Unterschied in solchen Fällen das Gemüth des Zuhörers ergreift. Daher rührte auch die Aufmerksamkeit, womit ihre seltsamen und geheimnißvollen Winke gewöhnlich gehört und befolgt wurden. Zum wenigsten ist gewiß, daß ihr plötzliches Erscheinen und ihr gebieterischer Ton auf den jungen Hazlewood einen starken Eindruck machte. Schnell ritt er nach Hazlewood hin. Es war bereits, noch ehe er das Haus erreichte, dunkel geworden und bei seiner Ankunft sah er eine Bestätigung dessen, was die Sibylle angedeutet hatte.

Dreißig Dragonerpferde standen unter einem Schuppen mit zusammengebundenen Zäumen. Drei oder vier Soldaten standen als Wache dabei, während sie vor dem Hause mit ihren langen Säbeln und schwerfälligen Stiefeln auf und nieder gingen. Hazlewood fragte einen Officier, woher die Soldaten gekommen?

»Von Portanferry.«

»Und blieb keine Wache dort zurück?«

»Nein, sie sind auf Befehl Sir Robert Hazlewoods zur Vertheidigung seines Hauses hierher gelegt worden, weil die Schmuggler mit einem Ueberfall drohen.«

Charles Hazlewood suchte sogleich seinen Vater auf, und nachdem er ihn begrüßt hatte, verlangte er zu wissen, weßhalb er die Militärbedeckung für nöthig gehalten habe. Sir Robert gab seinem Sohne zur Antwort, daß nach den Berichten, Zeitungen und Andeutungen, die ihm mitgetheilt und vorgelegt worden seien, für ihn aller Grund zu dem Glauben und der Ueberzeugung vorhanden wäre, daß in dieser Nacht gegen Hazlewood ein gewaltsamer Angriff versucht und ausgeführt werden werde von einer Bande Schmuggler, Zigeuner und anderer Landstreicher.

»Und was, theurer Vater,« sagte der Sohn, »sollte die Wuth solcher Leute gegen uns gerade mehr als gegen jedes andere Haus im Lande lenken?«

»Vielmehr sollt' ich denken, vermuthen und der Meinung sein, mein Lieber,« antwortete Sir Robert, »mit aller Achtung vor Eurer Weisheit und Erfahrung, daß bei solchen Gelegenheiten und Zeiten sich die Rache solcher Personen gegen die Wichtigsten und durch Rang, Geburt, Talente und Stellung Ausgezeichnetsten richtet und lenkt, welche gegen jener Menschen ungesetzliche, üble und verbrecherische Handlungen und Thaten aufgetreten sind und dieselbigen gehindert oder vereitelt haben.«

Der junge Hazlewood, der seines Vaters Schwäche kannte, sagte, seine Ueberraschung habe nicht den Grund, welchen Sir Robert anzunehmen scheine; aber er wundere sich nur, daß jene Menschen daran denken sollten, ein Schloß anzugreifen, wo sich so zahlreiche Dienerschaft befände, und wo die durch Lärmzeichen herbeigerufenen Hintersassen einen starken Beistand gewähren könnten; er setzte noch hinzu, man werde es seinem Vater wahrscheinlich sehr verargen, daß er die Soldaten von ihrem Dienst im Zollhause abgerufen habe, um sein Schloß zu beschützen, als ob dieses durch seine Bewohner nicht stark genug wäre, um sich bei einer so gewöhnlichen Gelegenheit selbst vertheidigen zu können. Er deutete auch an, daß, wofern sich die getroffene Vorsichtsmaßregel als unnütz erweisen würde, die Feinde des Hauses kein Ende in ihren Spöttereien finden dürften.

Sir Robert war von dieser Bemerkung ziemlich bestürzt, denn er haßte und fürchtete, gleich den meisten Schwachköpfen, das Lächerlichwerden ungemein. Er sammelte sich, und blickte mit prahlender Verlegenheit vor sich hin, als wollte er sich das Ansehen geben, daß er die Meinung des Publicums verachte, die er in Wahrheit gleichwohl äußerst scheute.

»Ich sollte wirklich glauben,« sagte er, »daß die Beleidigung, welche bereits gegen mein Haus in deiner Person gerichtet ward, der du der nächste Erbe und Vertreter des Hauses bist, sobald ich sterbe – ich sollte, sag' ich, denken und glauben, daß mich dies hinlänglich in den Augen des achtbarsten und zahlreichsten Theiles des Publicums dafür rechtfertigen müßte, daß ich solche Vorsichtsmaßregeln ergreife, welche darauf berechnet sind, eine Wiederholung solcher Gewalt zu hindern und zu vereiteln.«

»Wirklich, Vater, sagte Charles, »ich muß an das erinnern, was ich schon zuvor oft sagte, daß ich nämlich gewiß weiß, die Entladung des Gewehrs sei zufällig geschehen.«

»Mein Lieber, sie geschah nicht zufällig,« sagte der Vater unwillig; »aber Ihr müßt ja natürlich klüger als Eure Eltern sein.«

»In der That, Vater,« erwiederte der junge Hazlewood, »in einer Sache, die mich selber so genau betrifft« – –

»Sie betrifft dich nur sehr beiläufig – das heißt, sie betrifft dich nicht, als einen leichtsinnigen jungen Mann, der sich ein Vergnügen daraus macht, seinem Vater zu widersprechen; aber sie betrifft das Land, Freund; und die Grafschaft, Freund; und das Publicum, Freund; und das Königreich Schottland, insofern das Interesse der Familie Hazlewood, mein Lieber, benachtheiligt, verletzt und gefährdet ist mit, in dir und durch dich, Freund. – Und der Kerl sitzt in sicherer Hut und Mr. Glossin meint« –

»Mr. Glossin, Vater?«

»Ja, Freund, der Gentleman, der Ellangowan gekauft hat – du weißt doch wahrscheinlich, wen ich meine?«

»Ja, Vater,« antwortete der junge Mann; »aber kaum hätt' ich erwarten dürfen, von Euch eine solche Autorität citiren zu hören. Nun, dieser Mensch – alle Welt kennt ihn als einen schmutzigen, gemeinen, tückischen Mann, und ich halte ihn für den schlechtesten. Und du selbst, mein theurer Vater – wann hast du selbst in deinem Leben je zuvor einen solchen Menschen Gentleman genannt?«

»Nun, Charles, ich meinte Gentleman nicht in dem genauen Sinn und in der beschränkten, eigentlichen und reinen Bedeutung, worauf sich ursprünglich ohne allen Zweifel der Ausdruck von Rechtswegen beschränkt; aber ich brauchte das Wort nur bezugsweise, insofern es etwas bezeichnet, was sich aus eigener Kraft gebildet und erhoben hat – kurz, als das, was einen anständigen, wohlhabenden und geachteten Mann bezeichnet.«

»Erlaube mir zu fragen, Vater,« sagte Hazlewood, »ob auf dieses Mannes Befehl die Wache aus Portanferry gezogen ward?«

»Freund,« erwiederte der Baronet, »ich besorge nicht, daß sich Mr. Glossin anmaßen würde, Befehle zu geben, oder auch nur ungefragt eine Meinung zu äußern, in einer Angelegenheit, wobei das Haus Hazlewood und das Haus von Hazlewood – das heißt, dieses Wohnhaus meiner Familie, und sodann bildlich, metaphorisch und parabolisch, die Familie selbst – ich sage also, wobei das Haus von Hazlewood oder das Haus Hazlewood so unmittelbar betheiligt ist.«

»Ich vermuthe indeß, Vater,« sagte der Sohn, »dieser Glossin bestärkte den Vorsatz?«

»Freund,« erwiederte der Vater, »ich hielt es für schicklich, recht und geeignet, ihn, als die nächste Magistratsperson zu Rathe zu ziehn, sobald das Gerücht von dem beabsichtigten Ueberfall mein Ohr erreichte; und obwohl er es, aus Ergebenheit und Ehrfurcht, in Rücksicht auf unsere gegenseitigen Verhältnisse, ablehnte, selbst an dem Befehle Theil zu nehmen, so billigte er doch meine Anstalten ganz und gar.«

In diesem Augenblicke hörte man den Hufschlag eines Rosses, welches sehr eilig durch's Thor kam. In wenigen Minuten öffnete sich die Thür und Mr. Mac-Morlan trat ein. »Es thut mir sehr leid, wenn ich zudringlich erscheine, Sir Robert, aber« – –

»O, Mr. Mac-Morlan,« sagte Sir Robert mit huldreichem bewillkommnendem Lächeln, »durchaus nicht zudringlich, Sir; Ihre Stellung als Substitut des Sheriffs macht es Ihnen ja zur Pflicht, über den Frieden der Grafschaft zu wachen, (und Sie fühlen sich ohne Zweifel ganz besonders berufen, das Haus Hazlewood zu schützen) Sie haben ein anerkanntes, zugestandenes und unbestreitbares Recht, Sir, das Haus des ersten Gentleman uneingeladen zu betreten – da stets zu vermuthen ist, daß Sie die Pflicht Ihres Amtes dahin ruft.«

»In der That, es ist meine Amtspflicht,« sagte Mac-Morlan, welcher ungeduldig die Gelegenheit, zu sprechen, erwartet, »die mich zudringlich sein läßt.«

»Nicht zudringlich!« wiederholte der Baronet, gnädig mit der Hand eine Verneinung andeutend.

»Aber erlauben Sie mir zu sagen, Sir Robert,« sagte der Untersheriff, »daß ich nicht in der Absicht, hier zu bleiben, gekommen bin, sondern um diese Soldaten nach Portanferry zurückzurufen und Ihnen die Versicherung zu geben, daß ich für die Sicherheit Ihres Hauses bürge.«

»Die Wache von Hazlewood zu nehmen!« rief der Eigenthümer des Hauses mit einer Mischung von Mißvergnügen und Staunen. »Und Sie werden verantwortlich dafür sein! und bitte, wer sind Sie, Sir, daß ich Ihre Bürgschaft, Caution und Pfand, sei es amtlich oder persönlich, für die Sicherheit des Hauses Hazlewood nehmen sollte? – Ich denke, Sir, und glaube, Sir, und bin der Meinung, Sir, daß, wenn irgend eines von diesen Familienbildern verletzt, zerstört oder beschädigt wäre, daß es mir schwer fallen sollte, den Verlust mittelst der Bürgschaft gut zu machen, die Sie mir so verbindlich anbieten.«

»In diesem Falle sollte mir das sehr leid thun, Sir Robert,« antwortete der offene Mac-Morlan; »aber ich kann glauben, daß ich mir das quälende Gefühl ersparen werde, durch meine Schuld einen so unersetzlichen Verlust veranlaßt zu haben, da ich Ihnen versichern kann, es werde durchaus kein Angriff auf Hazlewood statt finden; vielmehr ist mir eine Nachricht zugekommen, welche mich argwohnen läßt, man habe jenes Gerücht nur in der Absicht ausgesprengt, um die Entfernung der Soldaten von Portanferry zu bewirken. Und mit diesem festen Glauben und dieser Ueberzeugung muß ich mein obrigkeitliches Ansehn als Sheriff und Chef der Polizei anwenden, um die ganze Schaar, oder wenigstens den größten Theil der Soldaten wieder zurück gehen zu lassen. Ich bedaure sehr, daß durch meine zufällige Abwesenheit schon viel Verzug stattgefunden hat, und wir erreichen nun Portanferry vielleicht erst, wenn es zu spät ist.«

Da Mr. Mac-Morlan die erste Magistratsperson war und seinen Entschluß, auf jene Weise zu handeln, so bestimmt ausdrückte, so konnte der Baronet, höchst beleidigt, nur sagen: »ganz gut, Sir, ganz gut. Gewiß, Sir, nehmen Sie alle mit fort – ich wünsche keineswegs, daß einer hier bleibe, Sir. Wir können uns selbst beschützen, Sir. Aber Sie werden die Güte haben, zu bemerken, Sir, daß Sie auf Ihre eigne Verantwortung handeln, Sir, und auf Ihre Gefahr, Sir, wenn dem Hause Hazlewood, Sir, oder dessen Bewohnern, oder dem Hausrath und den Gemälden etwas zustoßen sollte, Sir.«

»Ich handle nach meinem besten Urtheil und meiner besten Einsicht, Sir Robert,« sagte Mac-Morlan, »und ich muß Sie bitten, dies zu glauben und mir daher zu verzeihen. Ich bitte Sie, zu bemerken, daß keine Zeit zu Ceremonien ist – es ist bereits sehr spät.«

Aber Sir Robert, ohne seine Entschuldigungen einer Beachtung zu würdigen, beschäftigte sich auf sehr pomphafte Weise mit der Bewaffnung und Rüstung seiner Bedienten. Charles Hazlewood wünschte das Militär zu begleiten, welches im Begriff war, nach Portanferry abzugehen, und jetzt eben zusammenberufen ward und aufsaß unter der Leitung Mr. Mac-Morlan's, des civilobrigkeitlichen Beamten. Aber es würde für seinen Vater beleidigend und peinigend gewesen sein, wenn er ihn in einem Momente verlassen hätte, wo er sich und sein Haus in Gefahr glaubte. Der junge Hazlewood schaute daher, mit unterdrücktem Bedauern und Mißfallen, aus einem Fenster, bis er den Offizier zum Abmarsch commandiren hörte. – Die ganze Reiterschaar trabte sodann so rasch vorwärts, daß sie schnell unter den Bäumen verschwand und der Schlag der Hufe bald in der Ferne verhallte.



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