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Zehntes Kapitel.

Bei Sang und Scherz entflohn die Stunden,
Das Ale mußt' immer und immer munden.

Tam o' Shanter.

Wir müssen nun nach Woodbourne zurückkehren, welches wir, wie man sich erinnern wird, gerade verließen, nachdem der Oberst seinem vertrauten Diener einige Aufträge ertheilt hatte. Als er zurückkehrte, wurden die Damen, zu denen er sich im Wohnzimmer gesellte, höchlich betroffen durch sein zerstreutes Wesen und den gedankenschweren, besorgten Ausdruck in seinen Zügen. Mannering war indeß nicht der Mann, der sich, selbst von denen, die er am meisten liebte, nach der Ursache der Gemüthsbewegung fragen ließ, welche durch jenen Ausdruck verrathen wurde. Die Theestunde kam heran und die Gesellschaft genoß jene Erfrischung schweigend, als ein Wagen gegen das Hausthor fuhr und die Klingel die Ankunft eines Gastes verkündigte. »Gewiß,« sagte Mannering, »ist es noch um einige Stunden zu früh.«

Eine kurze Pause entstand, als Barnes, die Thüre des Saals öffnend, Mr. Pleydell anmeldete. Der Rechtsgelehrte trat ein, dessen sorgfältig gebürstetes schwarzes Kleid und wohlgepuderte Perücke im Verein mit seinen Spitzenmanschetten, braunseidenen Strümpfen, sehr glänzenden Schuhen und goldenen Schnallen, die große Mühe anzeigte, welche der alte Herr darauf verwendet hatte, um seine Person für Damengesellschaft gehörig vorzubereiten. Mit einem herzlichen Händeschütteln ward er von Mannering bewillkommt. »Gerade der Mann, den ich in diesem Augenblicke zu sehn wünschte!«

»Ja,« sagte der Rechtsgelehrte, »ich sagte Ihnen, ich würde die erste Gelegenheit ergreifen; so wagte ich nun, den Gerichtshof zu verlassen, und zwar auf eine Woche, gerade während der Sitzungszeit – kein geringes Opfer – aber ich glaubte hier nützlich sein zu können und habe überdies jetzt einige Beweismittel hier aufzusuchen. Aber wollen Sie mich den jungen Damen nicht vorstellen? – Ach! eine von ihnen sollte ich sogleich erkannt haben, wegen der Familienähnlichkeit! Miß Lucy Bertram, meine Theuerste, ich bin sehr erfreut, Sie zu sehen.« – Er umfaßte sie mit den Armen und gab ihr einen Kuß auf beide Wangen, was Lucy mit schüchternem Erröthen gestattete.

» On n'arrête pas dans un si beau chemin,« fuhr der muntere alte Herr fort, und als ihm der Oberst Julien vorstellte, nahm er sich auf deren schönen Wangen dieselbe Freiheit. Julie lachte, erröthete und entzog sich seiner Umarmung. »Ich flehe tausendmal um Verzeihung,« sagte der Rechtsgelehrte mit einer Verbeugung, die nichts von berufsmäßiger Steifheit hatte; »Alter und alte Sitten geben Vorrechte, und ich kann wirklich kaum sagen, ob ich es jetzt mehr bedauere, sie alle schon allzu sehr in Anspruch nehmen zu dürfen, oder ob ich froh bin, daß mir so angenehme Gelegenheit wird, sie in Anwendung bringen zu können.«

»Wirklich, Sir,« sagte Miß Mannering lachend, »wenn Sie so schmeichelhafte Entschuldigungen hören lassen, so müssen wir wirklich Bedenken tragen, ob wir Ihnen erlauben dürfen, unter den angeführten Eigenschaften Schutz zu suchen.«

»Gewiß, Julie,« sagte der Oberst, »du hast vollkommen Recht; mein gelehrter Freund ist eine gefährliche Person; während der letzten Zeit, wo ich das Vergnügen hatte, ihn zu sehen, befand er sich allein mit einer schönen Dame, die ihm acht Uhr Morgens ein tête-à-tête gewährte.«

»Aber, Oberst,« sagte der Rechtsgelehrte, »Sie sollten hinzufügen, daß ich mehr meiner Chokolade, als meiner Liebenswürdigkeit eine so ausgezeichnete Gunst verdankte, die mir von einer so verständigen Person erwiesen ward, wie Mrs. Rebecka.«

»Und das erinnert mich, Mr. Pleydell,« sagte Julie, »Ihnen Thee anzubieten – vorausgesetzt, daß Sie bereits zu Mittag gespeist haben.«

»Alles von Ihrer Hand, Miß Mannering,« antwortete der galante Jurist; »ich habe gespeist – das heißt, so gut man in einem schottischen Wirthshaus speisen kann.«

»Das ist mittelmäßig genug,« sagte der Oberst, nach der Klingelschnur greifend; »erlauben Sie mir, Ihnen etwas kommen zu lassen.«

»Nun, um die Wahrheit zu sagen,« erwiederte Mr. Pleydell, »ich möchte lieber nichts; ich habe in dieser Angelegenheit bereits Erkundigungen eingezogen, denn Sie müssen wissen, daß ich einen Augenblick unten verweilte, um meine Reisegamaschen abzulegen, die um eine Welt zu weit sind für meine eingeschrumpften Beine,« (dabei warf er einen selbstgefälligen Blick hinab auf Glieder, die für sein Alter stattlich genug waren) »und dabei gerieth ich in ein Gespräch mit Ihrem Barnes, und einer sehr verständigen Person, die wahrscheinlich die Haushälterin war; und wir machten unter uns aus – tota re perspecta – ich bitte Miß Mannering für mein Latein um Verzeihung – wir machten aus, daß die alte Dame Ihrem leichten Abendessen als gediegenere Erfrischung ein Gericht Wildenten beifügen sollte. Ich theilte ihr (stets mit geziemender Bescheidenheit) meine unmaßgeblichen Gedanken über die Sauce mit, welche mit ihren eignen genau übereinstimmten; und wenn Sie es erlauben, möcht' ich nun lieber warten, bis das Genannte fertig ist, eh' ich etwas Anderes zu mir nehme.«

»Und wir wollen die gewöhnliche Stunde unserer Abendmahlzeit diesmal nicht erwarten,« sagte der Oberst.

»Von Herzen gern,« sagte Pleydell, »vorausgesetzt, daß ich die Gesellschaft der Damen keinen Augenblick früher verliere. Ich halt' es mit meinem alten Freunde Burnet; ich liebe die coena, das Abendessen der Alten, das fröhliche Mahl und gesellige Glas, welches aus unserer Seele die Spinneweben hinwegspült, welche uns Geschäfte und Mißmuth den Tag über da hineingesponnen haben.«

Die Lebhaftigkeit, welche Mr. Pleydell's Blick und Benehmen zeigte, die Behaglichkeit, mit welcher er sich so vertraut über seine kleinen epicuräischen Bedürfnisse aussprach, ergötzte die Damen, besonders aber Miß Mannering, welche dem Rechtsgelehrten sogleich eine sehr schmeichelhafte Aufmerksamkeit schenkte; und während der Theestunde wurden von beiden Seiten mehr Artigkeiten gesagt, als wir zu wiederholen im Stande sind.

Sobald dies vorüber war, führte Mannering den Gelehrten in ein kleines Studierzimmer neben diesem Saal, wo man, nach der Sitte des Hauses, Abends stets Licht und ein geheiztes Kamin fand.

»Ich sehe,« sagte Mr. Pleydell, »daß Sie etwas in Bezug auf Ellangowan zu sagen haben – ist es etwas Irdisches oder Himmlisches? Was sagt mein militärischer Albumazar? haben Sie den Gang des Zukünftigen berechnet? haben Sie Ihre Ephemeriden, Ihre Almochoden oder Almute zu Rath gezogen?«

»Nein, in Wahrheit,« erwiederte Mannering, »Sie sind der einzige Ptolemäus, dem ich mich bei gegenwärtiger Gelegenheit mittheilen will – als ein zweiter Prospero habe ich meinen Stab zerbrochen und mein Buch in bodenlose Meerestiefe versenkt. Aber trotzdem hab' ich wichtige Neuigkeiten. Meg Merrilies, unsere ägyptische Sibylle, ist dem Simson heute erschienen und hat, wie ich vermuthe, den ehrlichen Mann nicht wenig erschreckt.«

»Wirklich!«

»Ja, und sie hat mir die Ehre angethan, eine Correspondenz mit mir zu eröffnen, in der Vermuthung, ich sei noch ebenso sehr in astrologische Geheimnisse vertieft, als bei unserm ersten Zusammentreffen. Hier ist ihr Schreiben, welches mir der Dominie überbrachte.«

Pleydell setzte seine Brille auf. »Ein schlechtes, kritzliches Geschreibsel, fürwahr – es sind Uncialbuchstaben von einer gewaltigen Größe, gerade und senkrecht sind sie, wie die Rippen eines gebratenen Spanferkels – ich kann es kaum herausbringen.«

»Lesen Sie laut,« sagte Mannering.

»Ich will's versuchen,« antwortete der Jurist. – »› Ihr seid ein guter Sucher, aber ein schlechter Finder; Ihr wolltet gern ein fallendes Haus unterstützen, hattet aber eine frohe Ahnung, es werde wieder erstehen. Leihet Eure Hand dem Werke, das nah ist, wie Ihr Euer Auge dem Schicksal geliehen habt, das fern war. Haltet einen Wagen bereit heut' Nacht, um zehn Uhr, am Ende des Hohlwegs bei Portanferry, und laßt darin die Leute nach Woodbourne bringen, die fragen werden, ob sie da sind »in Gottes Namen«.‹ – Halt, hier kommt Poesie: –

›Das Dunkel werde Licht,
Und das Unrecht werde Recht,
Wann Bertram's Recht und Bertram's Macht
Neu auf Ellangowan's Höh' erwacht.‹

Wirklich, ein höchst mystischer Brief, und was das Poetische dabei betrifft, das ist in der That der cumäischen Sibylle würdig. – Und was haben Sie gethan?«

»Nun,« sagte Mannering mit einigem Widerstreben, »ich mußte ja wohl die Gelegenheit ergreifen, um Licht auf diese Sache zu werfen. Das Weib ist vielleicht verrückt und diese Reden rühren vielleicht blos von Visionen ihrer Einbildungskraft her; – aber Sie waren der Meinung, daß sie mehr von der seltsamen Geschichte wisse, als sie je sagte.«

»Und also,« sagte Pleydell, »sandten Sie einen Wagen nach dem genannten Orte?«

»Sie werden mich auslachen, wenn ich gestehe, daß ich's that,« sagte der Oberst.

»Wer, ich?« erwiederte der Advokat. »Nein, in der That, ich glaube, es war das Klügste, was Sie thun konnten.«

»Ja,« antwortete Mannering, froh, dem gefürchteten Auslachen entgangen zu sein; »Sie wissen, das Schlimmste dabei kann nur der Fahrlohn sein – ich schickte eine Postchaise mit Vieren von Kippletringan ab, sammt solchen Anweisungen, wie sie der Brief verlangt – die Pferde werden lange in der Kälte stehen müssen heute Nacht, wofern unsere Nachricht grundlos war.«

»Ja, aber ich glaube, sie wird sich anders erweisen,« sagte der Rechtsgelehrte. »Dies Weib hat ihre Rolle so lange gespielt, bis sie dieselbe für ächt hielt; oder, wenn sie eine ausgelernte Betrügerin ist, ohne die geringste Selbsttäuschung bei ihrer Schelmerei, so hält sie sich vielleicht immer für verpflichtet, im Geiste ihrer Rolle zu handeln – so viel weiß ich, ich vermochte mit Hilfe der gewöhnlichen Ausforschungsmittel nichts aus ihr herauszubringen; und das Klügste, was wir thun können, ist, ihr eine Gelegenheit zu geben, die Entdeckung nach ihrem eigenen Gutdünken zu machen. Und haben Sie mir nun noch ein Mehreres zu sagen, oder werden wir zu den Damen gehen?«

»Mein Gemüth ist ungewöhnlich aufgeregt,« antwortete der Oberst, »und – aber ich habe wirklich weiter nichts zu sagen – ich werde nur die Minuten zählen, bis der Wagen kommt; aber ich darf von Ihnen nicht verlangen, daß Sie meine Unruhe theilen.«

»Nun, vielleicht nicht – aber Gewohnheit thut Alles,« sagte der erfahrenere Rechtsgelehrte, – »ich bin allerdings sehr gespannt, aber ich hoffe doch die Zwischenzeit überleben zu können, wenn uns die Damen ein wenig mit Musik unterhalten wollen.«

»Auch die wilden Enten werden dabei gute Dienste thun?« bemerkte Mannering.

»Gewiß, Oberst; eines Juristen Unruhe wegen der Entscheidung einer besonders wichtigen Sache hat noch selten seinen Schlaf oder seine Verdauung gestört. Und trotzdem werde ich doch sehr begierig auf das Rasseln des zurückkehrenden Wagens warten.«

So sagend stand er auf und ging wieder nach dem anstoßenden Zimmer, wo Miß Mannering auf seine Bitte ihren Platz am Klavier nahm. Lucy Bertram, die ihre heimathlichen Melodien sehr anmuthvoll sang, ward von ihrer Freundin auf dem Instrument begleitet, und Julie trug sodann einige von Scarlatti's Sonaten glänzend vor. Der alte Advokat, der ein wenig auf dem Violoncell kratzte und Mitglied des Concerts der Gentlemen in Edinburg war, war so zufrieden mit dieser Abendunterhaltung, daß er vielleicht gar nicht mehr an die wilden Enten dachte, als Barnes der Gesellschaft berichtete, daß die Abendtafel bereit sei.

»Sagt Mrs. Allan, sie möge noch etwas in Bereitschaft halten,« sagte der Oberst – »ich erwarte – das heißt, ich hoffe – daß vielleicht heute Nacht noch Gesellschaft hier sein wird; bleibt mit den Leuten auf und schließt das obere Hofthor nicht eher, bis ich es verlange.«

»Gott, Vater,« sagte Julie, »wen könnt Ihr heute noch erwarten?«

»Ei, einige Personen, die mir fremd sind und etwa über ein Geschäft mit mir reden wollen,« antwortete ihr Vater, nicht ohne Verlegenheit, denn eine getäuschte Erwartung, die ihn in ein lächerliches Licht setzen konnte, würde ihm sehr unlieb gewesen sein; »es ist ganz ungewiß.«

»Nun, wir werden ihnen die Störung unserer Gesellschaft nicht verzeihen,« sagte Julie, »außer wenn sie so gute Laune und so offene Herzen mitbringen, wie mein Freund und Bewunderer, (als solcher erklärte er sich selbst) Mr. Pleydell.«

»O, Miß Julie,« sagte Pleydell, ihr äußerst höflich den Arm bietend, um sie in's Speisezimmer zu führen, »es gab eine Zeit – als ich von Utrecht zurückkehrte, im Jahr 1738« –

»Bitte, sprechen Sie nicht davon,« antwortete die junge Dame – »wir lieben Sie weit mehr so, wie Sie sind – Utrecht, um Gottes willen! zum Glück scheint es mir, daß sie all' die folgenden Jahre dazu angewendet haben, um die Folgen Ihrer holländischen Bildung vollständig los zu werden.«

»O, verzeihen Sie, Miß Mannering,« sagte der Advokat; »die Holländer sind hinsichtlich der Höflichkeit weit gebildetere Leute, als ihre flüchtigen Nachbarn zugeben wollen. Sie sind in ihren Artigkeiten pünktlich wie eine Uhr.«

»Das würde mich langweilen,« sagte Julie.

»Unerschütterlich in ihrer guten Laune.«

»Immer schlimmer,« sagte die junge Dame.

»Und wenn dann auch,« sagte der alte beau garçon, »Ihr Anbeter sechsmal drei hundert fünf und sechzig Tage Ihnen den Pelzkragen um den Hals gelegt und die Feuerkieke unter die Füße gestellt, im Winter Ihren kleinen Schlitten über das Eis, im Sommer Ihr Cabriolet durch den Staub gelenkt hat: doch können Sie ihn dann mit einemmal, ohne Grund oder Entschuldigung, am zweitausend einhundert und neunzigsten Tage entlassen, (denn so viel wird ungefähr, nach meiner eiligen Berechnung und ohne die Schaltjahre zu berücksichtigen, der Zeitraum der angenommenen Anbetung betragen) und dabei werden Ihre zärtlichen Gefühle nicht die geringste Unruhe nöthig haben wegen der Folgen in Bezug auf Mynheer.«

»Nun,« erwiederte Julie, »das letzte ist wirklich eine holländische Empfehlung – Krystall und Herzen würden all ihren Werth in der Welt verlieren, wenn sie nicht zerbrechlich wären.«

»Auf solche Weise, Miß Mannering, ist es ebenso schwer ein Herz zu finden, welches bricht, als ein Glas, welches nicht bricht; und aus diesem Grunde möchte ich den Werth meines eignen erheben: wenn ich nicht sähe, daß Mr. Simson's Augen geschlossen und seine Hände seit einiger Zeit gefaltet sind, indem er nur das Ende unserer Conferenz erwartet, um das Tischgebet zu beginnen – Und, um die Wahrheit zu gestehn, das Ansehn der wilden Enten ist sehr appetitlich.« So sagend setzte sich der würdige Rechtsgelehrte an den Tisch, und legte für einige Zeit seine Galanterie bei Seite, um den guten Dingen, die sich vor ihm befanden, Ehre anzuthun. Er ließ eine Zeitlang weiter nichts hören, außer eine Bemerkung, daß die Enten auf vorzügliche Art gebraten wären und daß Mrs. Allan's Sauce über alles Lob erhaben sei.

»Ich sehe,« sagte Miß Mannering, »daß ich in Mr. Pleydell's Gunst eine furchtbare Rivalin habe, und zwar gleich am ersten Abend, wo er mir seine Bewunderung erklärte.«

»Verzeihen Sie, meine Schönste,« antwortete der Advokat, »nur Ihre Strenge war es, die mich zu der Unschicklichkeit verleitete, in Ihrer Gegenwart ein gutes Abendessen einzunehmen; wie könnte ich Ihr Zürnen ertragen, ohne meine Kraft anzufrischen? Aus demselben und keinem andern Grunde bitt' ich um Erlaubniß, Wein mit Ihnen zu trinken.«

»Dies ist wahrscheinlich gleichfalls Utrechter Sitte, Mr. Pleydell?«

»Um Vergebung, Fräulein,« antwortete der Advokat; »selbst die Franzosen, die Vorbilder in Allem was artig heißt, nennen ihre Speisewirthe restaurateurs, was ohne Zweifel eine Anspielung auf den Trost enthält, den sie den verzweifelnden Liebhabern gewähren, welche durch die Härte ihrer Angebeteten darniedergebeugt sind. Mein eigner Fall verlangt so viel Trost, daß ich Sie um den andern Flügel dort bitten muß, Mr. Simson, obwohl ich sodann auch noch Miß Bertram um ein Pastetchen ersuchen werde; – Bitte, Sir, reißen Sie den Flügel blos ab, statt ihn loszuschneiden – Mr. Barnes wird Ihnen helfen, Mr. Simson, – Dank' Ihnen, Sir – und, Mr. Barnes, ein Glas Ale, bitte.«

Während der alte Herr, mit Miß Mannering's lebhafter Munterkeit sehr zufrieden, zu ihrer und seiner eigenen Unterhaltung lustig fortfuhr, begann die Ungeduld des Oberst Mannering auf's Höchste zu steigen. Er lehnte es ab, sich an den Tisch zu setzen, unter dem Vorwand, daß er nie zu Abend esse; er schritt mit hastigen und ungeduldigen Schritten im Zimmer hin und her, bald einen Blick durch's Fenster werfend, um auf den dunkeln Hof zu schauen, bald nach dem fernen Geräusch des nahenden Wagens lauschend. Endlich verließ er, im Gefühle unbezwinglicher Ungeduld, das Zimmer, nahm Hut und Mantel und ging hinunter nach dem äußern Eingange, als ob er so die Ankunft dessen, was er zu sehen verlangte, beschleunigen könnte. »Ich wünschte wirklich,« sagte Miß Bertram, »daß sich der Oberst in der Nacht nicht hinauswagte. Sie hörten gewiß schon, Mr. Pleydell, was für einen Schrecken wir hier gehabt haben.«

»Ach, mit den Schmugglern?« erwiederte der Advokat – »die sind alte Freunde von mir. Ich habe vor langer Zeit einige von ihnen bestraft, als ich Sheriff dieser Grafschaft war.«

»Und sodann die Unruhe, die wir unmittelbar nachher hatten,« setzte Miß Bertram hinzu, »als sich einer jener Bösewichter zu rächen suchte.«

»Als der junge Hazlewood verwundet ward – auch davon hab' ich gehört.«

»Stellen Sie sich vor, werther Mr. Pleydell,« fuhr Lucy fort, »wie sehr Miß Mannering und ich erschrecken mußten, als ein Schurke, ebenso furchtbar durch seine bedeutende Stärke, als durch die Wildheit seines Gesichts, auf uns losstürzte!«

»Sie müssen wissen, Mr. Pleydell,« sagte Julie, unfähig ihren Unwillen über diese schnöde Schilderung ihres Geliebten zu unterdrücken, »daß der junge Hazlewood in den Augen der Damen dieser Gegend so hübsch ist, daß sie Jeden, der sich ihm nähert, zurückstoßend finden.«

Oho! dachte Pleydell, der schon seines Berufs wegen Stimmen und Geberden beobachtete, hier ist etwas zwischen meinen jungen Freundinnen nicht ganz richtig. – »Nun, Miß Mannering, ich habe den jungen Hazlewood seit seiner Knabenzeit nicht gesehn, und die Damen mögen daher vollkommen Recht haben; aber trotz Ihres Spottes kann ich Ihnen versichern, daß Sie nach Holland gehen müssen, wenn Sie hübsche Männer sehen wollen; der artigste Bursch, den ich je sah, war ein Holländer, trotz seines barbarischen Namens, Vanbost, oder Vanbuster oder so ähnlich. Er wird nun freilich nicht ganz so hübsch sein können.«

Jetzt war es an Julien, bei der Bemerkung ihres gelehrten Bewunderers ein wenig aus der Fassung zu kommen, aber in diesem Moment trat der Oberst wieder in's Zimmer. »Ich kann noch nichts von ihnen bemerken,« sagte er; »indeß wollen wir noch beisammen bleiben – Wo ist Dominie Simson?«

»Hier, geehrter Sir.«

»Was ist das für ein Buch, welches Sie in der Hand haben, Mr. Simson?«

»Es ist der gelehrte De Lyra, Sir – ich wollte Mr. Pleydell um sein Urtheil über eine streitige Stelle bitten, wofern es ihm belieben sollte.«

»Jetzt bin ich wirklich nicht aufgelegt, Mr. Simson,« antwortete Pleydell; »hier seh' ich Stoff, der mich mehr anzieht – ich verzweifle noch nicht, die beiden jungen Damen zu einem Liedchen mit mir zu bewegen, wobei ich mich für meine Person erkühnen werde, den Baß zu übernehmen. Zum Henker mit De Lyra, Freund; bewahren Sie ihn für eine passendere Gelegenheit.«

Der abgewiesene Dominie schloß sein Buch und wunderte sich im Stillen nicht wenig, wie ein so gelehrter Mann sich mit so frivolen Tändeleien befassen könne. Der Advokat aber, gleichgiltig gegen den hohen Ruf der Gelehrsamkeit, den er durch Possen herabwürdigte, füllte sich ein großes Glas Burgunder, und nachdem er mit einer Stimme, die gar nicht angenehm klang, die Weise angegeben hatte, ermuthigte er die Damen, mit ihm anzustimmen »Wir sind drei arme Schiffersleut'«, und zu allgemeinem Ergötzen führte er seine eigne Partie dabei aus.

»Werden eure Rosen nicht durch zu spätes Aufbleiben welken, meine jungen Damen?« sagte der Oberst.

»Ei, gar nicht, Vater,« antwortete Julie; »Dein Freund, Mr. Pleydell, droht, morgen ein Schüler Simson's zu werden, und daher müssen wir den Abend mit ihm noch möglichst genießen.«

Dies führte zu einem zweiten musikalischen Versuch, und dieser zu einem anmuthigen Gespräch. Endlich, als der einsame Klang der ersten Stunde längst im schwarzen Ohre der Nacht verklungen war und der folgende Stundenschlag sich bereits näherte, sah Mannering, den seine Ungeduld längst bis zur Verzweiflung gemartert hatte, nach seiner Uhr und sagte, »wir wollen sie nicht weiter erwarten« – doch im nämlichen Augenblick – aber was nun folgt, verlangt ein besonderes Kapitel.



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