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Elftes Kapitel.

Richter.
Ja, dies bestätigt wirklich jeden Umstand,
Den die Zigeunerin genannt! – – –
Du bist nicht Waise, bist nicht ohne Freunde –
Ich bin dein Vater, hier ist deine Mutter,
Dein Oheim dorthier steht dein Vetter, jene
Sind deine nächsten Anverwandten!

Der Kritiker.

Als Mannering seine Uhr wieder einsteckte, hörte er ein fernes und hohles Geräusch. »'s ist gewiß ein Wagen – nein, es ist nur das Sausen des Windes zwischen den unbelaubten Bäumen. Kommen Sie an's Fenster, Mr. Pleydell.« Der Advokat, der, mit seinem großen seidenen Taschentuch in der Hand, sich mit Julien über einen Gegenstand besprach, den er für interessant hielt, folgte dennoch dem Rufe, nachdem er zuvor sein Taschentuch, aus Furcht vor der kalten Luft, um den Hals gebunden hatte. Das Rasseln von Rädern ward nun sehr deutlich, und Pleydell rannte, als ob er all seine Neugier bis zu dem Augenblick verspart hätte, hinaus nach der Vorhalle. Der Oberst schellte nach Barnes, um ihm zu sagen, daß die im Wagen ankommenden Personen in ein besonderes Zimmer gewiesen werden sollten, da man überhaupt noch ungewiß war, wer sie sein möchten. Eh' jedoch seine Absicht ausgeführt werden konnte, hielt der Wagen bereits vor der Thür. Einen Augenblick später rief Mr. Pleydell: »hier ist wahrhaftig unser Liddesdaler Freund, nebst einem jungen Menschen von gleichem Kaliber.« Dinmont hörte kaum diese Stimme, als er jenen auch alsbald mit Staunen und Freude erkannte. »O, wenn Ihr es seid, Sir, dann werden wir's so gut haben, als es nur immer möglich ist.«

Während aber der Pächter stehn blieb, um seine Verbeugung zu machen, trat Bertram, geblendet von dem plötzlichen Lichtschimmer und durch die Umstände seiner Lage verwirrt, fast bewußtlos durch die offene Thür des Gesellschaftszimmers und vor das Gesicht des Obersten, welcher im Begriff war, herauszutreten. Das starke Licht des Zimmers ließ keinen Zweifel über seine Person übrig; und er selber war eben so betroffen über den Anblick derjenigen, denen er sich so unerwartet vorstellte, als sie es über seine unverhoffte Erscheinung waren. Man muß sich erinnern, daß jede der anwesenden Personen ihre besondern Gründe hatte, mit Schrecken auf das zu sehen, was sie beim ersten Anblicke für eine gespenstische Erscheinung halten mußte. Mannering sah den Mann vor sich, den er in Indien getödtet zu haben glaubte; Julie erblickte ihren Geliebten in einer eigenthümlichen und gefährlichen Lage; und Lucy Bertram erkannte sogleich den Menschen, der nach dem jungen Hazlewood geschossen hatte. Bertram, der das starre und regungslose Staunen des Obersten für Mißfallen über sein Eindringen auslegte, beeilte sich, zu erklären, daß es unfreiwillig geschehen sei, weil er, ohne zu wissen wohin man ihn brächte, hierher geführt worden sei.

»Mr. Brown, glaub' ich!« sagte Oberst Mannering.

»Ja, Sir,« erwiederte der junge Mann bescheiden, »der nämliche, den Sie in Indien kannten; und der zu hoffen wagt, daß das, was Sie damals in Indien von ihm wußten, nicht seiner Bitte hinderlich sein werde, der Bitte, daß Sie ihm Ihr Zeugniß hinsichtlich seines Charakters, als Gentleman und Mann von Ehre, schenken.«

»Mr. Brown – ich war selten – nie – so sehr überrascht – gewiß, Sir, was auch zwischen uns vorgefallen ist, Sie haben das Recht, ein günstiges Zeugniß von mir zu verlangen.«

In diesem kritischen Augenblick traten der Rechtsgelehrte und Dinmont ein. Der erstere sah mit Erstaunen, wie sich der Oberst eben von seiner ersten Ueberraschung erholte, wie Lucy Bertram im Begriff war, vor Schrecken ohnmächtig zu werden, und wie Miß Julie Mannering mit Zweifel und Besorgniß kämpfte, welche sie vergebens zu verbergen oder zu unterdrücken bemüht war. »Was soll dies Alles bedeuten?« sagte er; »hat dieser junge Mensch das Gorgonenhaupt in seiner Hand mitgebracht? – laßt mich ihn betrachten. – Beim Himmel!« murmelte er für sich, »das wahre Ebenbild des alten Ellangowan! – Ja, dieselbe männliche Gestalt und hübschen Züge, aber mit weit mehr Verstand im Gesicht – Ja! – die Hexe hat ihr Wort gehalten.« Dann fuhr er sogleich, zu Lucy tretend, fort: »Sehen Sie diesen Mann an, Miß Bertram, meine Liebe! haben Sie nie einen gesehn, der ihm ähnlich war?«

Lucy hatte nur einen Blick auf diesen Gegenstand des Schreckens gewagt, wobei sie indeß sogleich, an der ausgezeichneten Größe und Gestalt, den vermeintlichen Mörder des jungen Hazlewood wieder erkannte; eine Ueberzeugung, die natürlich einen günstigern Ideengang nicht aufkommen ließ, welcher vielleicht durch einen genauern Blick verursacht worden wäre. – »Fragen Sie mich nicht um ihn, Sir,« sagte sie, ihre Augen abwendend; »senden Sie ihn fort, um's Himmels willen! sonst werden wir all' ermordet.«

»Ermordet! wo ist die Waffe?« sagte der Advokat mit einiger Unruhe; »doch, dummes Zeug! wir sind drei Männer ohne die Diener, und hier ist der wackere Liddesdaler, der allein ein halb Dutzend gilt – wir haben die major vis auf unserer Seite – indeß, hier, mein Freund Dandie, Davie, oder wie nennt Ihr Euch? haltet Euch zwischen dem Menschen und uns, damit wir die Damen schützen können.«

»Herr Gott! Mr. Pleydell,« sagte der erstaunte Pächter, »das ist ja Capitain Brown, kennt Ihr denn den Capitain nicht?«

»Nun, wenn er ein Freund von Euch ist, so sind wir sicher genug,« antwortete Pleydell; »aber bleibt nur in seiner Nähe.«

Alles dies geschah mit einer solchen Schnelligkeit, daß es vorüber war, ehe sich Simson von seiner Geisteszerstreuung erholt und das Buch geschlossen hatte, welches er eifrig in einem Winkel studierte. Indem er nun, um die Fremden zu besichtigen, vortrat, rief er, Bertram gewahrend, plötzlich aus: »Wenn das Grab Todte wiedergeben kann, so ist dies mein theurer und verehrter Herr!«

»Also haben wir Recht, beim Himmel! ich wußte, daß ich Recht hatte,« sagte der Advokat; »er ist das wahre Ebenbild seines Vaters. – Nun Oberst, woran denken Sie denn, daß Sie Ihren Gast nicht willkommen heißen? Ich denke, – ich glaube – ich bin überzeugt – ich sah nie solche Aehnlichkeit! – Aber Geduld – Dominie, sagen Sie kein Wort. – Setzen Sie sich, junger Herr.«

»Ich bitt' um Verzeihung, Sir; ich bin, wie ich sehe, in Oberst Mannering's Hause – daher möcht' ich vor Allem wissen, ob mein zufälliges Erscheinen hier Anstoß gibt, oder ob ich willkommen bin?«

Mannering zwang sich, zu sprechen. »Willkommen? ganz gewiß, vorzüglich, wenn Sie mir zeigen, wie ich Ihnen dienen kann. Ich glaube einiges Unrecht gegen Sie gut machen zu müssen – oft hab' ich das vermuthet; aber Ihr plötzliches und unerwartetes Erscheinen, verbunden mit schmerzlichen Erinnerungen, hinderte mich, sogleich zu sagen, was ich jetzt sage: daß, was mir auch immer die Ehre dieses Besuches bringt, derselbe ein angenehmer ist.«

Bertram verbeugte sich mit zurückhaltender doch höflicher Anerkennung vor dem zwar auch höflichen, aber ernsten Mannering.

»Julie, meine Liebe, du thätest besser, dich zurückzuziehen. Mr. Brown, Sie werden meine Tochter entschuldigen; es sind Umstände, welche in der Erinnerung ihr Gemüth schmerzlich berühren.«

Miß Mannering erhob sich und ging. Als sie jedoch an Bertram vorüber kam, konnte sie die Worte nicht unterdrücken: »Unbesonnener! ein zweites Mal!« aber sie sprach dies so leise, daß nur er es verstand. Miß Bertram begleitete ihre Freundin, sehr erstaunt, aber ohne einen zweiten Blick auf den Gegenstand ihres Schreckens zu wagen. Sie sah ein, daß ein Mißverständniß im Spiele war, und mochte dies nicht gern dadurch steigern, daß sie den Fremden als einen Meuchelmörder bezeichnete. Sie sah, daß der Oberst ihn kannte und als Gentleman empfing; sicherlich war er entweder gar nicht jene verdächtige Person, oder Hazlewood hatte Recht, daß der Schuß nur zufällig geschehen sei.

Die zurückbleibende Gesellschaft würde keine üble Gruppe für einen geschickten Maler abgegeben haben. Jeder war zu sehr in seinen eignen Empfindungen befangen, um die der andern beobachten zu können. Bertram fand sich höchst unerwartet in dem Hause eines Mannes, den er einerseits als persönlichen Feind zu hassen, andrerseits als den Vater Juliens zu achten geneigt war; in Mannering kämpfte das lebhafte Gefühl für Höflichkeit und Gastfreundschaft und seine Freude, sich von der Schuld, ein Menschenleben im Privatkampfe vernichtet zu haben, befreit zu sehn, mit den frühern Empfindungen des Mißfallens und Vorurtheils, welche in seinem stolzen Gemüthe beim Anblicke des Gegenstandes wieder erwachten, gegen den er sie genährt hatte; Simson, seine bebenden Glieder unterstützend, indem er sich an der Stuhllehne hielt, heftete seine Augen auf Bertram mit einem starren Ausdruck nervöser Anspannung, die sein ganzes Gesicht verzerrte; Dinmont, in sein weites langhaariges Unterkleid gewickelt, und einem großen, aufrecht auf den Hinterbeinen stehenden Bär gleichend, starrte die ganze Umgebung mit großen runden Augen an, welche sein Staunen kund thaten.

Der Rechtsgelehrte allein war in seinem Elemente, schlau, gewandt und thätig; schnell berechnete er die Aussicht eines glänzenden Erfolgs in einem seltsamen, wichtigen und geheimnißvollen Processe, und kein junger Monarch, von Hoffnungen durchglüht und an der Spitze einer stattlichen Armee, konnte größere Freude empfinden, wenn er seinen ersten Feldzug unternahm. Er zeigte sich äußerst geschäftig und energisch und übernahm allein die Entwickelung der ganzen Sache.

»Wohlan, meine Herren, setzen Sie sich; dies gehört Alles in mein Revier: ich muß Alles für Sie in Ordnung bringen. Setzen Sie sich, lieber Oberst, und lassen Sie mich machen; setzen Sie sich, Mr. Brown, aut quocunque alio nomine vocaris – Dominie, nehmen Sie Platz; und hier ist ein Stuhl, wackrer Liddesdaler.«

»Ich weiß nicht, Mr. Pleydell,« sagte Dinmont, auf sein abgeschabtes Kleid blickend, so wie auf das stattliche Geräth im Zimmer, »vielleicht hätt' ich besser gethan, sonst wohin zu gehn, bis Ihr mit Euren Geschichten fertig seid – ich bin nicht so ganz geeignet« –

Der Oberst, der jetzt Dandie wieder erkannte, ging sogleich zu ihm hin und hieß ihn herzlich willkommen; er versicherte, nach dem, was er in Edinburg von ihm gesehn, sei er überzeugt, sein grober Rock und seine dicksohligen Stiefeln würden ein königliches Zimmer ehren.

»Nein, nein, Oberst, wir sind nur schlichtes Landvolk; aber gewiß würd' ich gern von etwas Gutem hören, was dem Capitain begegnet ist; und gewiß ist auch, daß Alles gut gehen wird, wenn Mr. Pleydell die Sache angreift.«

»Ganz recht, Dandie – das war wie ein Hochlandsorakel gesprochen – und nun bitt' ich um Schweigen. – Gut, so säßen denn nunmehr Alle; zuvor ein Glas Wein, eh' ich regelrecht zu katechisiren beginne. Und nun,« (sich an Bertram wendend) »mein junger Freund, wissen Sie, wer oder was Sie sind?«

Trotz seiner Verlegenheit konnte der Katechumene nicht umhin, über diesen Anfang zu lachen, und er antwortete: »Wirklich, Sir, früher glaubt' ich, das zu wissen; aber ich gestehe, daß mich neuere Umstände etwas ungewiß gemacht haben.«

»Dann sagen Sie uns, was Sie früher selbst glaubten.«

»Nun, ich war gewohnt mich für Vanbeest Brown zu halten und mich so zu nennen, welcher als Freiwilliger unter Oberst Mannering diente, als er das – – Regiment befehligte; und in jener Eigenschaft war ich ihm auch nicht unbekannt.«

»Hierin,« sagte der Oberst, »kann ich die Identität des Mr. Brown beglaubigen; und hinzufügen kann ich noch, was seine Bescheidenheit wohl vergessen hat, daß er sich als ein junger Mann von Talent und Muth auszeichnete.«

»Um so besser, theurer Sir,« sagte Mr. Pleydell; »aber das sind nur allgemeine Berichte – Mr. Brown muß uns sagen, wo er geboren ward.«

»In Schottland, glaub' ich, aber der Ort ist ungewiß.«

»Wo erzogen?«

»In Holland, mit Gewißheit.«

»Ist Ihnen nichts aus Ihrem frühern Leben erinnerlich, eh' Sie Schottland verließen?«

»Sehr wenig; doch ein starkes Gefühl ist mir geblieben, vielleicht der spätern harten Behandlung wegen um so tiefer eingeprägt, daß ich während meiner Kindheit der Gegenstand großer Sorgfalt und Zärtlichkeit war. Ich habe eine unbestimmte Erinnerung von einem gutmüthig aussehenden Manne, den ich Papa zu nennen pflegte, und von einer Dame, die oft kränklich war, und, wie ich glaube, meine Mutter gewesen sein muß; aber diese Erinnerungen sind unvollkommen und wirr. Auch entsinne ich mich eines großen, hagern, sanftmüthigen Mannes, welcher schwarz gekleidet war, mich die Buchstaben lehrte und mit mir spazieren ging; – und gerade in der letzten Zeit, glaub' ich« – –

Hier konnte sich der Dominie nicht länger halten. Während jedes jener Worte immer deutlicher bewies, daß seines Wohlthäters Kind vor ihm stand, hatte er mit äußerster Mühe seine Bewegung zu unterdrücken gesucht; als sich aber die Jugenderinnerungen Bertram's auf seinen Lehrer und dessen Lehren bezogen, da war er gezwungen, seinen Empfindungen Raum zu geben. Hastig erhob er sich von seinem Stuhle, und mit gefalteten Händen, bebenden Knieen und überströmenden Augen rief er laut: »Harry Bertram! – Sieh mich an – war ich nicht der Mann?«

»Ja!« sagte Bertram, von seinem Sitz emporfahrend, als wär' es plötzlich hell in seiner Seele geworden, – »Ja – das war mein Name! – und das ist die Stimme und die Gestalt meines sanften alten Lehrers!«

Stürmisch umarmte ihn der Dominie, drückte ihn in krampfhaftem Entzücken tausendmal an seinen Busen, und dabei zitterte sein ganzer Körper, sein Athem war kurz, bis er endlich, nach der ausdrucksvollen Redeweise der Schrift, seine Stimme erhob und laut weinte. Oberst Mannering hatte sein Taschentuch zu Hilfe genommen; auch Pleydell verzog das Gesicht und wischte seine Brillengläser ab; und der ehrliche Dinmont rief, nachdem er seiner Bewegung zweimal durch lautes Schluchzen Luft gemacht hatte: »Der Teufel sitzt in dem Manne! er hat mich verführt, zu thun, was ich nicht that, seit meine alte Mutter starb.«

»Nun wohl,« sagte der Advokat endlich, »Stille im Gerichtshof! – Wir haben vollauf zu thun; wir dürfen keine Zeit verlieren, um uns vollständig zu unterrichten – denn soviel weiß ich, es kann vor Tagesanbruch noch etwas zu thun geben.«

»Ich will ein Pferd satteln lassen, wenn Sie das wollen,« sagte der Oberst.

»Nein, nein, es hat schon Zeit – Zeit genug – nun aber, Dominie, hab' ich Ihnen Zeit genug vergönnt, Ihre Gefühle gehen zu lassen. Jetzt zur Ordnung – Sie müssen mich in meiner Untersuchung fortfahren lassen.«

Der Dominie war gewohnt, Jedem zu gehorchen, der ihm Befehle ertheilen mochte; er sank in seinen Stuhl zurück, breitete sein scheckiges Taschentuch über's Gesicht, welches vermuthlich als der Schleier des griechischen Malers dienen sollte, und, nach seinen gefalteten Händen zu schließen, schien er eine Zeitlang mit Dankgebeten beschäftigt zu sein. Dann erhob er seine Augen über die Verhüllung, als wolle er sich überzeugen, daß die erfreuliche Erscheinung nicht in Luft zerflossen sei – dann senkte er sie wieder, um die innerlichen frommen Betrachtungen fortzusetzen, bis er sich genöthigt fühlte, dem Advokaten Aufmerksamkeit zu schenken, dessen Fragen seine Theilnahme in Anspruch nahmen.

»Und nun,« sagte Mr. Pleydell, nachdem er noch verschiedene speciellere Fragen über jene Jugenderinnerungen gethan hatte, – »nun, Mr. Bertram, denn ich denke, wir müssen Sie von jetzt an bei Ihrem eigenen wirklichen Namen nennen, nun werden Sie die Güte haben, uns jeden einzelnen Umstand wissen zu lassen, dessen Sie sich in Bezug auf die Art und Weise entsinnen, auf welche Sie Schottland verließen.«

»Wirklich, Sir, ich muß gestehen, daß, obwohl im Allgemeinen das Schreckliche jenes Tages meinem Gedächtnisse fest eingeprägt ist, doch der Schrecken selbst, der das Allgemeine darin befestigte, die Einzelheiten großentheils verwischt und verwirrt hat. Ich erinnere mich indeß, daß ich irgendwo spazieren ging, in einem Wald, glaub' ich« –

»O ja, es war im Warrochwald, mein Theurer,« sagte der Dominie.

»Still, Mr. Simson,« sagte der Advokat.

»Ja, es war in einem Wald,« fuhr Bertram fort, während längst entschwundene oder verworrene Ideen sich in der erwachenden Erinnerung von selbst wieder ordneten; »und es war auch Jemand bei mir – dieser würdige und liebevolle Herr, glaub'ich.«

»O, ja, ja, Harry, Gott segne dich – ich war es selbst.«

»Sein Sie still, Dominie,« sagte Pleydell, »und thun Sie der Ueberzeugung keinen Eintrag. – Und nun?« setzte er gegen Bertram hinzu.

»Und nun, Sir,« fuhr Bertram fort, »gerade wie es im Traume oft schnell mit uns wechselt, nun glaubte ich, vor meinem Begleiter auf einem Pferde zu sitzen.«

»Nein, nein,« rief Simson, »nie setzte ich meine Glieder, geschweige die deinen, in solche Gefahr.«

»Auf mein Wort, das ist unerträglich! – Sehen Sie, Dominie, wenn Sie noch ein Wort reden, eh' ich Ihnen Erlaubniß gebe, so les' ich drei Bannsprüche aus dem Buche der schwarzen Künste, schwinge zu dreien Malen den Stab um mein Haupt, vernichte all' den Zauber dieser Nacht und lasse den Harry Bertram wieder zum Vanbeest Brown werden.«

»Geehrter und würdiger Sir,« stöhnte der Dominie, »ich bitte demüthig um Verzeihung – es war nur verbum volans.«

»Gut, nolens volens, Sie müssen Ihr Maul halten,« sagte Pleydell.

»Bitte, still, Mr. Simson,« sagte der Oberst; »es ist höchst wichtig für Ihren wiedergefundenen Freund, daß Sie Mr. Pleydell seine Fragen fortsetzen lassen.«

»Ich bin stumm,« sprach der eingeschüchterte Simson.

»Plötzlich,« fuhr Bertram fort, »sprangen einige Männer auf uns los und wir wurden vom Pferde gerissen. Ich besinne mich hierbei nur auf wenig sonst, außer daß ich während eines verzweifelten Kampfes zu entfliehen suchte und in die Hände eines sehr großen Weibes gerieth, welches aus dem Gebüsch erschien und mich eine Zeitlang schützte – Alles Uebrige ist Verwirrung und Furcht – nur noch eine dunkle Erinnerung von einem Meeresstrand, einer Höhle und einem starken Getränk, welches mich auf einige Zeit in Schlaf lullte. Kurz, mein Gedächtniß hat hier eine völlig leere Stelle, bis zur Zeit, wo ich mich meiner als eines übelbehandelten und halbverhungerten Schiffsjungen erinnere, sodann als eines Schulknaben in Holland, unter dem Schutz eines alten Kaufmanns, der mich aus einer Vorliebe zu sich genommen hatte.«

»Und welche Nachricht,« sagte Mr. Pleydell, »gab Ihnen Ihr Erzieher von Ihrem Herkommen?«

»Eine sehr dürftige,« antwortete Bertram, »so wie das Geheiß, nicht weiter zu fragen. Man gab mir zu verstehen, mein Vater sei in den Schleichhandel, der an der Ostküste Schottlands getrieben wird, verwickelt gewesen und in einem Gefecht mit den Zollbeamten getödtet worden; ferner daß seine Handelsfreunde in Holland damals an jener Küste ein Fahrzeug hatten, von dessen Mannschaft einige jener Affaire beiwohnten, welche mich, nachdem Alles vorbei, fanden und aus Mitleid mit sich nahmen, weil ich nach meines Vaters Tod völlig verlassen war. Als ich älter ward, schien mir vieles in dieser Erzählung meinen eignen Erinnerungen zu widersprechen, aber was konnte ich thun? Ich hatte keine Mittel, um meine Zweifel aufzuklären, und keinen einzigen Freund, dem ich sie hätte mittheilen können. Der Rest meiner Geschichte ist dem Oberst Mannering bekannt: ich ging nach Indien, um in einem holländischen Hause Handlungsdiener zu werden; die Geschäfte dieses Hauses verwirrten sich – ich wählte selbst den Soldatenstand, dem ich auch, wie ich hoffe, keine Schande gemacht habe.«

»Du bist ein wackrer junger Bursche, ich will dafür bürgen,« sagte Pleydell; – »und da Sie so lang' eines Vaters ermangelt haben, so wünsche ich von Herzen, ich könnte selber die Vaterschaft in Anspruch nehmen. Aber jener Vorfall mit dem jungen Hazlewood« –

»War reiner Zufall,« sagte Bertram. »Ich machte eine Vergnügungsreise in Schottland, und, nachdem ich eine Woche bei meinem Freunde Dinmont gewohnt hatte, mit dem ich so glücklich war, bekannt zu werden,« –

»Es war mein Glück,« sagte Dinmont; »zum Henker, mein Hirnkasten wäre von zwei Strauchdieben eingeschlagen worden, wenn er nicht dazu gekommen wäre.«

»Kurz nachher trennten wir uns bei dem Städtchen – –, ich verlor mein Gepäck durch Diebe, und es geschah während meines Aufenthalts zu Kippletringan, daß ich dem jungen Gentleman begegnete. Als ich nahe hinzu kam und Miß Mannering, die ich in Indien gekannt hatte, grüßen wollte, befahl mir Mr. Hazlewood, da mein Aufzug allerdings damals nicht sehr glänzend war, sehr hochfahrend, zurückzutreten, und gab so Gelegenheit zu dem Streit, in welchem ich das Unglück hatte, ihn zufällig zu verwunden. – Und nun, Sir, da ich all' Ihre Fragen beantwortet habe« – –

»Nein, nein, noch nicht alle,« sagte Pleydell, schlau winkend; »es sind noch einige Fragen übrig, die ich auf morgen verschieben will; denn es ist, denk' ich, Zeit, die Sitzung für diese Nacht, oder vielmehr für diesen Morgen, aufzuheben.«

»Nun gut,« sagte der junge Mann, »um die Phrase anders zu wenden: nachdem ich alle Fragen beantwortet habe, die Sie mir diese Nacht vorlegten, so werden Sie wohl die Güte haben mir zu sagen, wer Sie sind, der sie meinen Angelegenheiten so große Theilnahme beweisen, und wofür Sie mich halten, da meine Ankunft so große Bewegung verursacht hat?«

»Nun, Sir, was mich betrifft,« antwortete der Rechtsgelehrte, »ich bin Paulus Pleydell, Advokat aus Edinburg; und was Sie betrifft, so ist es nicht leicht, mit Bestimmtheit zu sagen, wer Sie gegenwärtig sind; aber binnen kurzem hoffe ich Sie zu begrüßen mit dem Titel Henry Bertram, Esq., Stammhalter einer der ältesten Familien Schottlands und Erbe der Besitzung Ellangowan – Ja,« fuhr er fort, die Augen schließend und für sich sprechend, »wir müssen seinen Vater übergehen und ihn als Erben seines Großvaters Lewis betrachten – der war der einzige kluge Mann dieser Familie, von dem ich je gehört habe.«

Alle waren jetzt aufgestanden, um sich nach ihren Zimmern zu begeben, als Oberst Mannering zu Bertram trat, welcher erstaunt über des Advokaten Worte da stand. »Ich freue mich herzlich,« sagte er, »über die Aussichten, die Ihnen das Schicksal eröffnet hat. Ich war ein früher Freund Ihres Vaters, und befand mich gerade so unerwartet im Hause Ellangowan, wie Sie jetzt in dem meinigen, in derselben Nacht, wo Sie geboren wurden. Es war mir davon nichts bekannt, als – aber ich hoffe, alle Unfreundlichkeit wird zwischen uns vergessen sein. Glauben Sie, Ihr Erscheinen hier, als Mr. Brown, lebendig und gesund, hat mich von quälenden Empfindungen befreit; und Ihr Anspruch auf den Namen eines altes Freundes macht Ihre Gegenwart, als Mr. Bertram, doppelt willkommen.«

»Und meine Eltern?« sagte Bertram.

»Beide sind nicht mehr – das Familieneigenthum ist verkauft worden, kann aber, hoff' ich, wieder erlangt werden. Was immer nöthig sein mag, Ihre Ansprüche geltend zu machen, ich werde mich glücklich schätzen, sie zu unterstützen.«

»Nun, das mögen Sie nur Alles mir überlassen,« sagte der Advokat; »das ist mein Beruf, ich werde schon Geld draus machen.«

»Ich weiß wohl, es schickt sich nicht für meines Gleichen,« sagte Dinmont, »zu euch Edelleuten zu reden, aber wenn Geld in des Capitains Sache helfen kann, und es heißt ja, kein Prozeß geht ohne Geld« –

»Ausgenommen am Samstag-Abend,« sagte Pleydell.

»Ja, aber wenn Ihr die Gebühren nicht nehmen wollt, so sollt Ihr auch die Sache nicht haben, und ich komme nie wieder Sonnabends zu Euch, ich wollte aber nur sagen, daß eine Summe Geld in dem Tabacksbeutel Gelegentlich als Börse benutzt. steckt, welcher dem Capitain gehört, denn wir haben es für ihn abgezählt, Ailie und ich.«

»Nein, nein, Liddesdaler – nicht nöthig, nicht nöthig – behaltet Euer Geld um Euer Gut zu versorgen.«

»Mein Gut versorgen? Mr. Pleydell, Ihr mögt wohl recht vielerlei verstehen, aber Ihr versteht nichts von dem Gute Charlieshope – das ist schon so gut versehn, daß wir jedes Jahr wohl sechshundert Pfund draus nehmen, für Fleisch und Felle zusammen gewiß.«

»Könnt Ihr nicht ein zweites in Pacht nehmen?«

»Ich wüßte nicht – der Gutsherr gibt nicht gern Ländereien her, und die alten Pächter mag er nicht vertreiben; und dann ist's auch nicht meine Sache, hinzugehen und die Nachbarn im Pachtzins zu überbieten.«

»Wie, auch nicht den Nachbar zu Dawston – Teufelstein – oder wie der Ort hieß?«

»Wie, den Jock von Dawston? ach nein – er ist ein Trotzkopf und fängt arge Geschichten wegen den Gränzen an, und wir sind deßwegen schon oft zusammengekommen – aber der Teufel hole mich, wenn ich dem Jock von Dawston Unrecht thue.«

»Du bist ein wackrer Kerl,« sagte der Rechtsgelehrte; »geh' nun zu Bett. Du wirst besser schlafen, dafür steh' ich, als mancher Mann, der einen verbrämten Rock auszieht und eine gestickte Nachtmütze aufsetzt. – Oberst, ich sehe, Sie sind mit unserm Enfant trouvé beschäftigt. Aber Barnes soll mich um sieben Uhr Morgens wecken, denn mein Bedienter ist ein verschlafener Kerl; und gewiß hat mein Schreiber, Driver, Clarence's Schicksal erfahren, und hat sich während dieser Zeit in Ihrem Ale ertränkt. Mrs. Allan versprach nämlich ihn zu pflegen und sie wird bald sehen, was er darunter versteht. Gute Nacht, Oberst – gute Nacht, Dominie Simson – gute Nacht, Dinmont – Gute Nacht endlich dem wiedergefundenen Stammhalter der Bertrams, der Mac-Dingawaies, der Knarths, der Arths, der Godfreys, der Dennises und der Rolands, und (der letzte und liebste Titel) dem Erben der Ländereien und der Baronie von Ellangowan, nach dem Vermächtniß des Lewis Bertram, Esq., dessen Nachfolger Sie sind.«

So sagend, ergriff der alte Herr sein Licht und verließ das Zimmer; und die Gesellschaft trennte sich, nachdem Simson noch einmal seinen »kleinen Harry Bertram,« wie er den jungen, sechs Fuß hohen Krieger noch immer nannte, geherzt und umarmt hatte.



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