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Dreizehntes Kapitel.

Und, Sheriff, ich geb' Euch mein Wort darauf
Daß morgen ich zur Mittagszeit ihn sende,
Daß er dir Rede stehet, oder sonst Jemand,
Für Alles, dessen er beschuldigt ist.

Erster Theil Heinrich's IV.

Als die verschiedenen Nebenscenen unter den einzelnen Mitgliedern der Familie in Woodbourne stattgefunden hatten, wie wir sie im vorigen Kapitel beschrieben, versammelten sich endlich Alle beim Frühstück, mit Ausnahme Dandie's, welchem sowohl die Speisen, als auch die Gesellschaft besser behagte, die er bei Mrs. Allan fand, wo er seine Tasse Thee mit zwei Löffeln Cognac genoß, so wie mehrere Schnitte von einem gewaltig großen Stück Rindfleisch. Er konnte zweimal so viel essen und auch zweimal so viel reden mit Barnes und jener guten Dame, als mit den vornehmen Leuten im Gesellschaftszimmer. Wirklich war auch das Mahl dieser weniger bedeutenden Gesellschaft bei weitem fröhlicher, als das in dem höhern Kreise, wo bei den meisten Mitgliedern Verlegenheit und Zurückhaltung sichtbar war. Julie wagte nicht, ihre Stimme zu erheben, um Bertram zu fragen, ob er noch eine Tasse Thee wolle. Bertram fühlte sich verlegen, während er seinen Zwieback und Thee vor Mannering's Augen genoß. Lucy, während sie sich den zärtlichsten Empfindungen für den wiedergefundenen Bruder hingab, begann zugleich an den Streit zwischen ihm und Hazlewood zu denken. Mannering empfand die peinliche Unruhe, die einem stolzen Gemüthe so natürlich ist, wenn es seine unbedeutendsten Handlungen für einen Augenblick der aufmerksamen Beobachtung Anderer unterworfen glaubt. Der Rechtsgelehrte hatte, während er ämsig seine Brodschnitte mit Butter strich, ein ungewöhnlich gravitätisches Ansehn, welches wahrscheinlich eine Folge seiner ernsten Morgenarbeiten war. Was Simson betrifft, so war dessen Gemüthszustand ein begeisterter! – Er sah Bertram an – er sah Lucy an – er wimmerte, er winselte, lächelte und beging allerlei Verstöße gegen die herrschende Sitte – er schüttete die ganze Rahmkanne (kein unglücklicher Mißgriff) auf den Teller mit Suppe, welches sein gewöhnliches Frühstück ausmachte – goß den Rest der Flüssigkeit in die Zuckerschale statt in die Spülkanne, und schloß damit, daß er den alten Plato, des Obersts Lieblingshund, mit heißer Brühe überschüttete; Plato aber empfing die Libation mit einem Geheul, welches seiner Philosophie wenig zur Ehre gereichte.

Des Obersts Gleichmuth ward durch den letzten Fall fast erschüttert. »Auf mein Wort, lieber Freund, Mr. Simson, Sie vergessen den Unterschied zwischen Plato und Zenokrates.«

»Der erste war der Urheber der Akademiker, der letztere der der Stoiker,« sagte der Dominie, etwas verletzt durch den schlimmen Argwohn.

»Ja, mein Lieber, es war aber Zenokrates, nicht Plato, welcher läugnete, daß Schmerz ein Uebel sei.«

»Ich sollte denken,« sagte Pleydell, »dieser sehr achtbare Vierfuß, der so eben auf drei von seinen vier Beinen aus dem Zimmer hinkt, gehörte vielmehr der cynischen Schule an.«

»Sehr wohl bemerkt – aber hier kommt eine Antwort von Mac-Morlan.«

Sie war ungünstig. Mrs. Mac-Morlan ließ sich bestens empfehlen, und ihr Gemahl war durch einige störende Vorfälle zurückgehalten, die am vorigen Abend zu Portanferry stattgefunden hatten und seine Untersuchung nothwendig machten.

»Was ist nun zu thun, Mr. Pleydell?« sagte der Oberst.

»Nun ich wünschte freilich, wir hätten Mac-Morlan sprechen können,« sagte der Advokat, »er ist ein einsichtiger Mensch und hätte überdies nach meinem Rathe gehandelt. Aber das soll uns nicht kümmern. Unser Freund hier muß sui juris werden – er ist jetzt ein entflohner Gefangner; das Gesetz hat eine Art von Anspruch auf ihn; er muß vor allem rectus in curia werden, das ist das Erste. Deßhalb, Oberst, werd' ich Sie in Ihrem Wagen nach Hazlewood begleiten. Die Entfernung ist nicht groß; wir wollen unsere Bürgschaft anbieten; und ich denke dem Mr. – – o, er entschuldige mich, – dem Sir Robert Hazlewood leicht die Nothwendigkeit zeigen zu können, daß er diese Bürgschaft annehmen muß.«

»Von ganzem Herzen,« sagte der Oberst; darauf klingelte er und ertheilte die nöthigen Aufträge. »Und was wird demnächst zu thun sein?«

»Wir müssen auf Mac-Morlan warten und uns nach mehrern Beweisen umsehn.«

»Beweise!« sagte der Oberst, »die Sache ist so klar wie die Sonne – hier ist Mr. Simson, und Miß Bertram, und Sie selbst, die alle in diesem jungen Herrn seines Vaters Ebenbild erkennen; und er selber erinnert sich aller der besondern Umstände, die seinem Abschiede von der Heimath vorhergingen – wird noch mehr zur Ueberzeugung erfordert?«

»Für die moralische Ueberzeugung vielleicht nichts weiter,« sagte der erfahrene Rechtsgelehrte, »aber für den gesetzlichen Beweis noch viel. Mr. Bertrams Erinnerungen sind nur seine eignen Erinnerungen, und darum können sie nicht zu seinen Gunsten entscheiden; Miß Bertram, der gelehrte Mr. Simson und ich, wir Alle können nur sagen, was jeder, der den seligen Ellangowan kannte, bestätigen wird, daß dieser Herr sein vollkommenes Ebenbild ist. Aber das wird ihn noch nicht zu Ellangowan's Sohne machen und ihm das Erbe geben.«

»Und was ist nun zu thun?« sagte der Oberst.

»Wir müssen versuchen,« antwortete der Gelehrte, »ob wir aus Holland einen Beweis erlangen können, von den Personen, bei denen unser junger Freund erzogen war. – Dann kann sie freilich die Furcht, wegen des ermordeten Zollbeamten zur Verantwortung gezogen zu werden, schweigen lassen; oder wenn sie auch reden, so gelten sie nur für Fremde oder für recht- und gesetzlose Schmuggler. Kurz, ich sehe mancherlei Bedenkliches.«

»Mit Erlaubniß, sehr gelehrter und geehrter Sir,« sagte der Dominie, »ich hoffe, daß Er, der den kleinen Harry Bertram seinen Freunden wiedergegeben hat, sein eigenes Werk nicht unvollendet lassen werde.«

»Das hoff' ich auch, Mr. Simson,« sagte Pleydell, »aber wir müssen die Mittel nützen; und ich fürchte, es wird schwieriger für uns sein, sie herbeizuschaffen, als ich vorher dachte. – Aber ein feiges Herz gewann nie eine schöne Braut – und überdies«, (leise zu Miß Mannering, während sich Bertram mit seiner Schwester unterhielt) »überdies haben Sie hier eine Rechtfertigung Hollands! welche artigen Bursche muß nicht Leyden und Utrecht aussenden, wenn ein so feiner und hübscher junger Mann aus den unbedeutenden Schulen Middelburgs hervorging?«

»Mag wahr sein,« sagte der Dominie, der auf das Lob der holländischen Schule eifersüchtig war, – »mag wahr sein, Mr. Pleydell, aber ich muß Ihnen bemerklich machen, daß ich selber den Grund zu seiner Bildung legte.«

»Richtig, mein theurer Simson,« antwortete der Advokat, »das hat ihm auch unstreitig den feinen Anstand verliehen – aber eben fährt unser Wagen vor, Oberst. Adieu, ihr jungen Leute. Miß Julie, bewahren Sie Ihr Herz, bis ich wieder da bin – lassen Sie nichts gegen mein Recht geschehn, während ich bin non valens agere.« –

Ihr Empfang bei Hazlewood war kälter und förmlicher als gewöhnlich; denn im Allgemeinen bezeigte der Baronet dem Oberst Mannering große Achtung; und Mr. Pleydell, ein Mann von guter Familie und allgemein geachtet, war Sir Robert's alter Freund. Aber diesmal war sein Benehmen trocken und verlegen. »Er würde gern,« sagte er, »die Bürgschaft annehmen, trotzdem, daß die Beleidigung gerichtet, unternommen und vollbracht worden sei gegen den jungen Hazlewood von Hazlewood; aber der junge Mann habe sich selbst einen falschen Charakter beigelegt, und sei überhaupt ein Mensch, den man der Gesellschaft nicht frei und ledig übergeben könne; und daher« – –

»Ich hoffe, Sir Robert Hazlewood,« sagte der Oberst, »Sie werden an meinem Orte nicht zweifeln wollen, wenn ich versichere, daß er als Kadet unter mir in Indien diente?«

»Keineswegs und auf keine Weise. Aber Sie nennen ihn Kadet; nun, er sagt, versichert und behauptet, er sei Capitain in Ihrem Regiment.«

»Man hat ihn befördert, seit ich das Commando niederlegte.«

»Aber Sie müssen doch von ihm gehört haben?«

»Nein. Ich zog mich, aus Familienrücksichten, aus Indien zurück, und habe mich seitdem nicht um Neuigkeiten des Regiments bekümmert; der Name Brown ist überhaupt so gewöhnlich, daß ich jene Beförderung selbst in den Zeitungen gesehn haben könnte, ohne darauf zu achten. Aber in wenigen Tagen werden Briefe von seinen Vorgesetzten anlangen.«

»Aber man sagt und versichert uns, Mr. Pleydell,« antwortete Sir Robert, noch immer zögernd, »daß er den Namen Brown nicht zu behalten gedenkt, sondern er will, unter dem Namen Bertram, Ansprüche auf das Gut Ellangowan machen.«

»So, wer sagt das?« fragte der Advokat.

»Oder,« fragte der Oberst, »wenn auch Jemand so sagt, gibt dies ein Recht, ihn im Gefängniß zu halten?«

»Still, Oberst,« sagte der Rechtsgelehrte; »ich bin überzeugt, daß Sie ihn eben so wenig, als ich selber, beschützen möchten, wenn er sich als Betrüger auswiese – Und, wir sprechen unter Freunden, wer hat Ihnen diese Nachricht gegeben, Sir Robert?«

»Nun, eine Person, Mr. Pleydell,« antwortete der Baronet, »welcher vorzüglich daran liegt, diese Sache bis auf den Grund zu untersuchen, zu erforschen und aufzuklären – Sie werden entschuldigen, daß ich mich nicht deutlicher ausspreche.«

»Gewiß,« erwiederte Pleydell, – »und was sagt dieser Mann?«

»Er sagt, es gehe unter Kesselflickern, Zigeunern und anderm müßigen Volk ein Gerücht, daß ein Plan, wie der erwähnte, im Werke sei, und daß dieser junge Mann, welcher ein natürlicher Sohn des verstorbenen Ellangowan ist, den Betrüger spielen werde, indem er seine große Familienähnlichkeit zu Hilfe nimmt.«

»Und war ein solcher natürlicher Sohn vorhanden, Sir Robert?« forschte der Rechtsgelehrte.

»O, gewiß, davon bin ich selbst genau unterrichtet. Ellangowan hatte ihn als Kajütenjungen an Bord einer Kriegsschaluppe, die der Zollbehörde gehörte, gethan; er hatte dort selbst einen Verwandten, den verstorbenen Commissionär Bertram.«

»Gut, Sir Robert,« sagte der Advokat, indem er dem ungeduldigen Obersten das Wort aus dem Munde nahm, »Sie haben mir etwas Neues gesagt; ich werde das untersuchen, und wenn ich es bestätigt finde, so wird weder Oberst Mannering noch ich diesem jungen Manne weitern Schutz ertheilen. Unterdessen aber, da wir bereit sind, ihn zu stellen, damit er sich gegen alle Beschwerden über ihn verantworte, kann ich Ihnen die Versicherung geben, daß Sie sehr ungesetzmäßig handeln und schwere Verantwortlichkeit auf sich laden würden, wenn Sie unsre Bürgschaft nicht annähmen.«

»Nun, Mr. Pleydell,« sagte Sir Robert, welcher wußte, in welchem Ansehn des Rechtsgelehrten Meinung stand, »da Sie es am besten wissen müssen, und da Sie versprechen, diesen jungen Mann aufzugeben« –

»Wenn er sich als Betrüger ausweist,« erwiederte der Advokat mit einigem Nachdruck.

»Allerdings – unter dieser Bedingung will ich Ihre Bürgschaft annehmen; obwohl ich gestehn muß, daß mir ein geneigter, wohlgesinnter und freundlicher Nachbar, der selbst die Rechte kennt, heute Morgen einen Wink oder eine Warnung gab, dies zu unterlassen. Er war's, von dem ich erfuhr, dieser junge Mann sei befreit und davon gekommen, oder habe vielmehr das Gefängniß erbrochen. – Aber wer wird den Bürgschein ausfertigen?«

»Senden Sie,« sagte der Advokat, indem er selber die Klingel zog, »zu meinem Schreiber, Mr. Driver – es wird mir keinen Abbruch thun, wenn ich das Nöthige selber diktire.« – Dies ward geschrieben und unterzeichnet, und nachdem Sir Robert selbst einen Entlassungsschein für Brown unterzeichnet hatte, nahmen die Gäste Abschied.

Jeder drückte sich in eine besondere Ecke des Postwagens und sagte eine Zeit lang nichts. Der Oberst brach zuerst das Schweigen: »So wollen Sie also diesen armen jungen Burschen bei erster Gelegenheit aufgeben?«

»Wer, ich?« erwiederte der Rechtsgelehrte: »ich will kein Haar auf seinem Haupte aufgeben und sollte ich deßhalb zu den äußersten Mitteln schreiten – aber was wäre dabei herausgekommen, wenn wir über Rechtssachen mit diesem alten Esel streiten wollten? Viel besser, wenn er nun seinem Gewährsmann, Glossin, berichtet, wir hätten uns gleichgiltig oder lau in der Sache bewiesen. Ueberdieß wünschte ich auch einen Blick über des Feindes Stellung zu gewinnen.«

»Wirklich!« rief der Oberst. »Also gibt es in Rechten so gut Kriegslisten, wie im Felde. Nun, und was halten Sie von ihrer Schlachtordnung?«

»Sie ist sinnreich,« sagte Mr. Pleydell, »aber ich glaube desperat – sie sind allzu listig; das ist ein gewöhnlicher Fehler in solchen Fällen.«

Während dieses Gesprächs rollte der Wagen rasch nach Woodbourne hin, ohne daß dabei etwas Bemerkenswerthes vorgefallen wäre, außer daß sie dem jungen Hazlewood begegneten, dem der Oberst die überraschende Geschichte von Bertram's Wiedererscheinen mittheilte, die er mit großem Vergnügen anhörte. Er ritt ihnen darauf voraus, um Miß Bertram zu einem so glücklichen und unerwarteten Ereignisse zu gratuliren.

Wir kehren zu der Gesellschaft in Woodbourne zurück. Nach dem Weggange Mannering's bezog sich die Unterhaltung hauptsächlich auf die Schicksale der Familie Ellangowan, ihre Güter, und ihre frühere Macht. »Also unter den Thürmen meines väterlichen Schlosses war es,« sagte Bertram, »wo ich vor einigen Tagen landete, und zwar unter Umständen, die denen eines Landstreichers ähnlich waren? Die verwitterten Thürme und düstern Wölbungen erweckten selbst da schon Gedanken in mir, die mein Gemüth tief berührten, und Erinnerungen, die ich selbst nicht zu deuten vermochte. Ich will sie nun noch einmal mit andern Gefühlen besuchen, und auch, so hoff' ich, mit bessern Hoffnungen.«

»Geh' jetzt nicht dorthin,« sagte seine Schwester. »Das Haus unsrer Ahnen ist jetzt die Wohnung eines Elenden, der eben so hinterlistig als gefährlich ist, und dessen schurkische Kunstgriffe unsers unglücklichen Vaters Ruin herbeiführten und sein Herz brachen.«

»Du steigerst meine Begierde,« erwiederte der Bruder, »dem Ungeheuer entgegenzutreten und zwar in seiner eignen Höhle. Ich glaube ihn schon gesehn zu haben.«

»Aber Sie müssen erwägen,« sagte Julie, »daß Sie der Obhut Lucy's und meiner übergeben, und daß Sie uns für all' Ihre Bewegungen verantwortlich sind – Bedenken Sie, daß ich nicht umsonst zwölf Stunden lang die Dame eines Rechtsgelehrten gewesen sein mag, und überdies versichere ich, daß es Wahnsinn sein würde, jetzt nach Ellangowan zu gehn. – Das Aeußerste, was ich Ihnen erlauben kann, ist, daß wir zusammen bis an's Ende der Allee vor Woodbourne spazieren, und von da dürfen Sie vielleicht noch in unsrer Gesellschaft bis auf die nächste Anhöhe gehen, wo sich Ihre Augen an dem fernen Anblick jener düstern Thürme erfreuen können, welche ihre Phantasie so stark anziehen.«

Die Gesellschaft brach alsbald auf; und die Damen begaben sich, nachdem sie ihre Mäntel umgenommen, unter Capitain Bertram's Geleit auf den vorgeschlagenen Weg. Es war ein angenehmer Wintermorgen, und der kühle Hauch diente nur dazu, die schönen Wandlerinnen zu erfrischen, nicht aber zu erstarren. Ein geheimes, aber doch anerkanntes Band der Freundschaft umschlang die beiden Damen; und Bertram, bald auf die interessanten Berichte über seine eigne Familie lauschend, bald seine Abenteuer in Europa und Indien mittheilend, vergalt so zugleich das Vergnügen, welches ihm gewährt ward. Lucy war stolz auf ihren Bruder, sowohl der kühnen und männlichen Gedanken wegen, die er aussprach, als auch der Gefahren willen, die ihm begegnet waren und denen er mit so viel Muth siegreich entgangen war. Und während Julie ihres Vaters Worte erwog, konnte sie nicht umhin, Hoffnungen zu nähren, daß der ungebundene Geist, welcher ihrem Vater an dem niedrigen und gemeinen Brown als Anmaßung erschienen war, an dem edlen Erben von Ellangowan für ritterlichen Muth und adliges Betragen gelten werde.

Sie erreichten endlich die kleine Anhöhe auf dem höchsten Punkte dieses Distriktes, Gibbie's-Knowe genannt – ein Ort, dessen wir in dieser Geschichte wohl schon, als an der Gränze des Gebietes Ellangowan liegend, erwähnt haben. Er beherrschte eine manchfache Aussicht auf Hügel und Thal, mit Waldung eingefaßt, deren nackte Zweige in dieser Jahreszeit die bleiche Farbe der Landschaft durch eine dunkle Purpurtinte hoben, während an andern Punkten die Aussicht schärfer durch künstliche Anpflanzungen begränzt war, wo die schottischen Fichten ihr dunkles Grün in manchfachen Schattirungen entfalteten. Etwa anderthalb Stunden entfernt lag die Bucht von Ellangowan, deren Wellen unter dem Einflusse des Westwindes kräuselten. Die Thürme des zerstörten Schlosses, die erhaben über jeden Gegenstand der Umgebung ragten, färbten sich heller im Strahle der winterlichen Sonne.

»Dort,« sagte Lucy Bertram, indem sie in die Ferne deutete, »dort ist der Sitz unserer Ahnen. Gott weiß es, mein theurer Bruder, ich begehre für dich nicht die ausgedehnte Macht, welche die Herren jener Ruinen so lange besessen, und zuweilen übel angewendet haben sollen. Aber, – o, daß ich dich im Besitze eines solchen Theils von ihren Gütern sehen möchte, der dir eine anständige Unabhängigkeit geben und dich in Stand setzen würde, deinen Schutz jenen alten und verlassenen Angehörigen unsers Hauses zu gewähren, welche unsers armen Vaters Tod« –

»Gewiß, meine theuerste Lady,« sagte der junge Erbe von Ellangowan; »und ich hoffe, mit des Himmels Beistand, der mich so weit geleitet hat, und mit dem dieser guten Freunde, deren edle Herzen mir so viel Theilnahme beweisen, daß eine solche Wendung meiner harten Schicksale nicht unwahrscheinlich sei. – Aber, als Krieger muß ich mit einigem Interesse auf das Zusammenhalten jenes erschütterten Baues sehen; und wenn jener Schurke, der ihn untergräbt, da er jetzt im Besitz ist, ein Steinchen daran zu verrücken wagt« –

Hier ward er durch Dinmont unterbrochen, welcher ihnen eilig auf der Straße nachgelaufen kam, und zwar ungesehn, bis er ganz nahe bei der Gesellschaft war: »Capitain, Capitain! Ihr werdet gesucht – Ihr werdet gesucht von ihr, die Ihr kennt.«

Und unmittelbar darauf stieg Meg Merrilies, wie aus der Erde emportauchend, aus dem Hohlweg herauf und stand vor ihnen. »Ich suchte Euch im Hause,« sagte sie, »und fand nur ihn,« (auf Dinmont deutend) »aber Ihr seid recht und ich war unrecht. Hier sollten wir uns treffen, auf dem nämlichen Ort, wo meine Augen Euren Vater zuletzt sahen. Gedenkt Eures Versprechens und folgt mir.«



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