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Neunzehntes Kapitel.

– – ich gehe jetzt zum Parlament;
Habt irgend ein Geschäft ihr etwa dort,
Das ich besorgen kann, seid kurz, laßt hören,
Und zahlt mir die Gebühr.

Der kleine Jurist.

»Werden Sie im Stande sein, dieses wackern Mannes Sache durchzuführen?« sagte Mannering.

»Ei, das weiß ich nicht; wofern es sich thun läßt, soll er über Jock Dawston triumphiren; ich bin ihm einigermaßen verpflichtet. Es ist der Fluch unsers Berufes, daß wir selten die bessere Seite der menschlichen Natur zu sehen bekommen. Die Leute kommen zu uns mit jedem selbstsüchtigen Gefühle, wie es eben frisch aufgereizt ist; so mancher ist schon zu mir gekommen, den ich im Anfang wohl gern aus der Thüre geworfen hätte, bis ich am Ende doch die Entdeckung machte, er thue, da er zornig und dabei natürlich sehr unvernünftig sei, nichts anderes, als was ich in seinem Falle auch gethan haben würde. In der civilisirten Gesellschaft ist die Rechtspflege der Schornstein, durch welchen aller Rauch, der im ganzen Hause zu circuliren pflegt und Jedermanns Augen belästigt, seinen Ausgang nimmt – kein Wunder also, wenn der Schornstein zuweilen selbst etwas rußig wird. Aber wir wollen Sorge dafür tragen, daß die Sache unsers Freundes vom Liddesdale gut geleitet und vertheidigt wird, damit ihm so alle unnöthigen Kosten erspart werden – Er soll seinen Zankapfel zu einem wohlfeilen Preise haben.«

»Wollen Sie mir den Gefallen thun,« sagte Mannering, als sie schieden, »mit mir in meiner Wohnung zu speisen? Mein Wirth sagt, er habe ein treffliches Rothwildpret und ausgezeichneten Wein.«

»Wildpret – wie?« antwortete der Rechtsgelehrte, fügte jedoch sogleich hinzu: »doch nein, es ist unmöglich – ich werde in diesen Tagen nicht die Ehre haben können. Montag, Dienstag und Mittwoch sind wir ganz und gar von Geschäften in Anspruch genommen – doch halt – es ist kaltes Wetter, und wenn Sie die Stadt nicht verlassen, und das Wildpret sich bis Donnerstag hält« – –

»So wollen Sie an diesem Tage bei mir speisen?«

»Ganz bestimmt.«

»Nun gut, ich dachte daran, eine Woche hier zu bleiben, und das soll auch geschehn. Sollte sich das Wildpret nicht halten, nun, so werden wir sehn, was unser Wirth sonst etwa für uns hat.«

»O, das Wildpret wird sich halten,« sagte Pleydell; »und nun leben Sie wohl – sehen Sie diese Briefe hier an und benutzen Sie dieselben, wenn Ihnen die Adressen gefallen. Ich schrieb sie diesen Morgen für Sie – Leben Sie wohl, mein Schreiber erwartet mich jetzt, um mir einen verwünschten Bericht zu erstatten.« – Und hinweg wandelte Mr. Pleydell mit großer Behendigkeit, indem er in ein Gewühl von Gäßchen und versteckten Gängen tauchte, in der Absicht, die Highstreet zu erreichen und zwar auf solchen Wegen, die, mit der gewöhnlichen Richtung verglichen, das waren, was die Magellanstraße im Vergleich zu dem offeneren aber auch weitern Wege um das Cap Horn ist.

Als Mannering die Empfehlungsbriefe betrachtete, die ihm Pleydell in die Hand gelegt hatte, fand er zu seinem Vergnügen, daß sie an einige der ersten gelehrten Personen Schottlands gerichtet waren. »An David Hume, Esq.« »An John Home, Esq.« »An Dr. Ferguson.« »An Dr. Black.« »An Lord Kaimes.« »An Mr. Hutton.« »An John Clerk, Esq. von Eldin.« »An Adam Smith, Esq.« »An Dr. Robertson.«

»Wahrhaftig, mein rechtskundiger Freund hat eine gute Auswahl von Bekanntschaften – dies sind wirklich ganz vortreffliche Namen – Ein Ostindier muß seine Talente ein wenig zusammennehmen und seinen Geist in Ordnung bringen, eh' er in eine solche Gesellschaft tritt.«

Mannering bediente sich dieser Empfehlungen mit Vergnügen, und wir bedauern sehr, daß es nicht in unserer Macht steht, dem Leser einen Bericht von der Unterhaltung und Belehrung zu geben, welcher er theilhaft wurde, indem er in einen Kreis eingeführt ward, welcher nie für Fremde von Verstand und Bildung geschlossen war und der vielleicht zu keiner Zeit seines Gleichen hatte, wenn man die Höhe und Manchfaltigkeit der Talente erwägt, die sich hier auf einem Punkte vereinigt fanden.

An dem folgenden Donnerstage erschien Mr. Pleydell in dem Gasthause, wo Oberst Mannering wohnte. Das Wildpret ward trefflich, der Wein ausgezeichnet gefunden; und der gelehrte Sachwalter, ein entschiedener Freund der Freuden der Tafel, erwies beiden vorzügliche Ehre. Indeß kann ich doch nicht bestimmt sagen, ob ihn das gute Mahl mehr erfreute, oder die Gegenwart des gelehrten Simson, mit welchem er, nach seiner witzigen Weise, sowohl sich, als einige Freunde, die der Oberst mit zur Tafel geladen hatte, köstlich zu unterhalten wußte. Die ernste und laconische Einfalt der Antworten, die Simson auf des Rechtsgelehrten verfängliche Fragen ertheilte, setzten die Gutmüthigkeit des Mannes in ein noch helleres Licht, als in welchem sie Mannering bisher erschienen war. Bei dieser Gelegenheit kramte er eine ungeheure Masse von vielseitiger und abstruser, wiewohl im Allgemeinen nutzloser Gelehrsamkeit aus. Der Rechtsgelehrte verglich nachher seinen Geist mit der Vorrathskammer eines Trödlers, wo Güter aller Art aufgehäuft sind, aber so wirr durch einander gelegt und in so gänzlich ordnungslosem Zustande, daß der Eigenthümer nie einen Gegenstand in dem Augenblicke finden kann, wo er ihn braucht.

Der Advocat setzte die Thätigkeit des gelehrten Simson aber auch in demselben Grade in Bewegung, als er Unterhaltung für sich daraus schöpfte. Sobald der Mann des Rechtes erst in seine beste Stimmung kam, und sein natürlicher, schlauer und trockener Witz lebhafter und treffender wurde, so blickte der Dominie mit einem ähnlichen Staunen auf ihn, mit dem etwa ein zahmer Bär seinen künftigen Genossen, den Affen, bei ihrer beiderseitigen ersten Begegnung betrachten mag. Pleydell fand seine Freude daran, bei der Unterhaltung Sätze aufzustellen, die Simson unmöglich unbestritten lassen konnte; dann sah er mit innigem Vergnügen zu, wie der ehrliche Mann mit gewaltiger Anstrengung seine Gedanken zu einer Antwort ordnete, und seine ungelenken Kräfte aufbot, um das schwere Geschütz seiner Gelehrsamkeit gegen irgend eine ketzerische Behauptung aufzupflanzen; aber sieh! ehe die Ladung abgefeuert werden konnte, hatte gewöhnlich der gewandte Feind seine Stellung schon verlassen, und machte eine drohende Bewegung gegen die Seiten oder den Rücken. Oft rief er dann: »Wunderbar!« wenn er, im vollen Vertrauen auf den Sieg gegen den Feind marschirend, das Feld bereits geräumt fand, und man kann denken, daß es ihm keine geringe Mühe kostete, einen neuen Angriffsplan zu bilden. »Er glich,« sagte der Oberst, »einer indischen Armee von Eingebornen; furchtbar durch ihre gewaltige Anzahl und die Größe des Geschützes, leicht jedoch in unverbesserliche Verwirrung zu bringen durch einen in die Flanken unternommenen Angriff.« – Obwohl nun Simson im Ganzen durch diese geistigen Anstrengungen, die mit ungewöhnlicher Schnelligkeit und im Drange des Augenblicks stattfanden, ein wenig erschöpft war, so hielt er diesen Tag doch für einen der schönsten seines Lebens und erwähnte des Mr. Pleydell stets als einer sehr gelehrten und witzigen Person.

Allmälig empfahlen sich die übrigen Anwesenden und ließen die drei Herren allein. Ihre Unterhaltung drehte sich um die Verfügungen der Mrs. Bertram. »Was mag wohl nur die alte Hexe bewogen haben,« sagte Pleydell, »der armen Lucy die Erbschaft zu nehmen, unter dem Vorwande, ihr Vermögen einem Knaben zu lassen, der schon so lange todt und verschwunden ist? – Ich bitte Sie um Verzeihung, Mr. Simson; ich vergaß, wie sehr Ihnen dieser Vorfall zu Herzen geht – ich erinnere mich, auch Sie darum befragt zu haben; und noch nie ist es mir sonst so schwer geworden, nur drei zusammenhängende Worte von Jemand herauszubringen – Was Sie auch von Ihren Pythagoräern, oder Ihren schweigenden Braminen schwatzen, Oberst, – ich sag' Ihnen: dieser gelehrte Herr übertrifft sie alle an Schweigsamkeit – Aber die Worte des Weisen sind kostbar, und dürfen nicht leichtsinnig weggeworfen werden.«

»Allerdings,« sagte Simson, sein blaugewürfeltes Schnupftuch vom Auge nehmend, »war dies ein gar bitterer Tag für mich; und ein Tag des Grames, der schwer zu tragen war – aber Er gibt Kraft, welcher die Last auflegt.«

Oberst Mannering ergriff die Gelegenheit, Mr. Pleydell um Belehrung über die besondern Umstände zu bitten, welche mit dem Verluste des Knaben im Zusammenhange standen; und der Rechtsgelehrte, welcher gern über Gegenstände der Criminalrechtspflege sprach, vorzüglich wenn er dabei seine eigenen Erfahrungen anbringen konnte, berichtete der Länge nach alle einzelnen Umstände. »Und was ist nun Ihre Meinung über den Erfolg der ganzen Sache?«

»Nun, daß Kennedy ermordet war; dergleichen Fälle sind von jeher an dieser Küste vorgekommen – Kämpfe der Schmuggler mit den Zollbeamten.«

»Und was vermuthen Sie wohl hinsichtlich des Schicksals des Knaben?«

»O, ohne Zweifel ist er ebenfalls ermordet,« antwortete Pleydell. »Er war alt genug, um erzählen zu können, was er gesehn hatte, und jene ruchlosen Schurken würden kein Bedenken getragen haben, einen zweiten bethlehemitischen Kindermord zu begehen, sobald dies ihr Interesse verlangt hätte.«

Der gelehrte Simson seufzte tief und rief aus: »Un-ge-heu-er!«

»Aber es war bei der Sache auch von Zigeunerinnen die Rede,« sagte Mannering, »und was jener gemein aussehende Mensch nach dem Leichenbegängniß sagte« –

»Mrs. Bertram's Gedanke, daß das Kind noch lebe, gründete sich auf die Aussage einer Zigeunerin,« sagte Pleydell, die leise hingeworfene Andeutung auffassend – »Ich beneide Sie um die scharfe Beobachtungsgabe, Oberst; – es ist eine Schande für mich, daß ich nicht selber auf diesen Punkt gekommen bin. Wir wollen diese Sache sogleich weiter verfolgen – hört an,« (sich an den Bedienten wendend,) »geht sogleich zu Luckie Woods; an diesem Orte werdet ihr meinen Schreiber Driver finden; er wird gerade jetzt High-Jinks spielen; (denn wir und unsere Amtsgenossen, Oberst, sind äußerst regelmäßig in unsern Unregelmäßigkeiten!) sagt ihm, er solle sogleich hieher kommen, und ich wollte seine Strafen schon bezahlen.«

»Wird er in seiner Rolle erscheinen, wie?« sagte Mannering.

»Ach, nichts mehr davon, mein Freund, wenn du mich liebst,« sagte Pleydell. »Aber wir müssen wo möglich einige Nachrichten aus dem Lande Aegypten haben. O, wenn ich nur das kleinste Fädchen dieses verwickelten Gewindes in Händen hätte, Sie sollten sehen, wie ich alles entwickeln würde! – Ich würde die Wahrheit aus Ihrer Böhmin, wie die Franzosen sie nennen, herausbringen, und zwar besser als ein Monitoire oder ein Plainte de Tournelle; ich verstehe einen widerspenstigen Zeugen zur Vernunft zu bringen.«

Während Mr. Pleydell so von seiner Kenntniß seines Faches sprach, kehrte der Bediente mit Mr. Driver zurück; sein Mund zeigte noch die Spuren des Mahles und des Trunkes, mit solcher Eile war er dem Befehle seines Vorgesetzten gefolgt. – »Driver, Sie müssen sogleich gehen und das Frauenzimmer aufsuchen, welches bei der alten Mrs. Margarete Bertram als Magd diente. Suchen Sie überall nach ihr, wofern es aber nöthig ist, daß Sie deßhalb Ihre Zuflucht zu Protocol oder Quid dem Tabakshändler, oder sonst Jemand von jenen Leuten nehmen müssen, so zeigen Sie sich dort nicht selbst, sondern schicken Sie irgend ein Ihnen bekanntes Frauenzimmer – Sie wissen, denk' ich, schon genug, um Ihre Sache gut zu machen. Sobald Sie sie gefunden haben, so suchen Sie sie zu bewegen, morgen genau um acht Uhr zu mir zu kommen.«

»Welchen Grund soll ich ihr sagen, um sie zu bewegen?« sagte der Generaladjutant.

»Was Ihnen gut dünkt,« erwiederte der Rechtsgelehrte. »Glauben Sie, es sei meine Sache, Lügen für Sie zu machen? Aber sorgen Sie dafür, daß sie sich um acht Uhr einstellt, wie ich bereits sagte.« Der Schreiber lächelte, verbeugte sich und ging.

»Das ist ein brauchbarer Mensch,« sagte der Advocat; »er kann meine Diktate drei Nächte in der Woche nachschreiben ohne einzuschlafen, oder, was dasselbe ist, er schreibt ebenso gut und correkt wenn er schläft, als wenn er wacht. Und dann ist er ein so fester, beständiger Mensch – manche Seinesgleichen wechseln immer ihre Bierhäuser, so daß ihnen immer zwanzig Leute auf den Fersen sitzen, gleich den barhäuptigen Hauptleuten, welche die Schenken von Eastcheap durchlaufen, um Sir John Falstaff zu suchen. Aber dieser hat immer seinen festen Standpunkt – er hat seinen Wintersitz beim Feuer und seinen Sommersitz beim Fenster, bei Luckie Woods, und seine Wanderungen reichen nur von einem dieser Sitze zum andern; dort kann man ihn zu allen Zeiten finden, wenn man ihn braucht. Ich glaube wirklich, er legt seine Kleider nie ab und geht nie schlafen – sein Bier muß ihm Alles ersetzen. Das ist Alles für ihn, es ist sein Essen, Trinken, Kleiden, Bett, Tisch und Waschen.«

»Und ist er auch stets fähig, sogleich an die Geschäfte zu gehen? ich sollte des Gegentheils vermuthen, wenn ich sein sonstiges Thun und Treiben erwäge.«

»O, das Trinken macht ihn nie unbrauchbar, Oberst; er kann vier Stunden vorher schreiben, eh' er zu sprechen im Stande ist. Ich besinne mich, daß ich einst plötzlich zu einem wichtigen Geschäfte gerufen ward. Ich war eben bei Tische gewesen, es war Sonnabend und ich hatte wenig Lust, das Geschäft zu beginnen – Indeß hatte man mich einmal geholt und wir saßen bei einander, bis ich einen tüchtigen Humpen Wein zu mir genommen hatte; da überredeten sie mich, die Schrift aufzusetzen. Wir hatten jetzt Driver aufzusuchen, und zwei Männer hatten vollauf zu thun, um ihn hereinzutragen, denn als man ihn gefunden hatte, war er zufällig gerade regungslos und sprachlos. Aber kaum befand sich die Feder zwischen seinen Fingern, kaum lag der weiße Bogen vor ihm und kaum vernahm er meine Stimme, als er ganz flink zu schreiben begann – und nie, außer daß wir Jemand haben mußten, der ihm die Feder eintauchte, weil er das Tintefaß nicht zu sehen vermochte, nie hab' ich ihn seine Sache hübscher machen sehn.«

»Aber wie sah die Arbeit am nächsten Morgen aus?« sagte der Oberst.

»O, vortrefflich – keine drei Worte brauchten geändert zu werden; wir schickten die Sache sogleich mit der Post ab. Aber werden Sie morgen zum Frühstück bei mir sein, um zuzuhören, wenn ich jenes Weib ausforsche?«

»Sie pflegen nur sehr früh zu beginnen.«

»Es kann nicht später geschehen. Wenn ich mich nicht am Orte meines Berufes, genau sobald es neun schlägt, einfände, so würde sich ein Gerücht verbreiten, daß mich der Schlag gerührt habe, und die Wirkungen davon würd' ich dann während der ganzen Sitzung empfinden müssen.«

»Nun gut, ich werde mich anstrengen, um bei Ihnen sein zu können.«

Hier trennte sich die Gesellschaft für den Abend.

Am Morgen erschien Oberst Mannering in des Rechtsgelehrten Wohnung, obwohl die rauhe Miene eines schottischen Decembermorgens verwünschend. Mr. Pleydell hatte Mrs. Rebecka bereits zur einen Seite seines Kamins placirt, hatte ihr eine Tasse Chocolade verabreicht und war schon sehr in die Unterhaltung mit ihr vertieft. »O, nein, Mrs. Rebecka, ich geb' Euch die Versicherung, daß durchaus nichts gegen den letzten Willen Eurer Gebieterin im Werke ist; und ich gebe Euch mein Ehrenwort, daß Euer Legat ganz sicher und unverkümmert bleibt. Ihr habt es durch Euer Betragen gegen Eure Gebieterin verdient, und ich wünschte nur, es betrüge zweimal so viel.«

»Freilich, Sir, ist es Unrecht, zu erwähnen, was Jemand gesagt hat – Ihr hörtet, wie der schlechte Mensch Quid mir Dinge vorwarf, die ich mit ihm besprochen haben sollte; und nach dieser Erfahrung muß ich wohl fürchten« –

»Verlaßt Euch darauf, meine gute Rebecka, mein Charakter, Euer Alter und Euer würdiges Ansehn sind eine vollkommene Sicherheit für Euch, und wenn Ihr auch so offen und frei sprächt, wie ein Liebesdichter.«

»Nun gut, wenn Ihr meint, daß ich sicher bin – die Geschichte lautet so: – Es mag nun etwa ein Jahr, oder noch nicht einmal so lange her sein, da ging meine Lady auf einige Zeit nach Gilsland, um ihr Gemüth ein wenig zu zerstreuen. Man sprach schon ganz unverholen von den mißlichen Umständen des Lairds von Ellangowan, und dies machte sie sehr niedergeschlagen, denn sie war stolz auf ihre Familie. Mit dem Laird war sie zuweilen einig, zuweilen wieder nicht, aber in den letzten drei Jahren waren sie völlig uneinig geworden. Der Laird wollte nämlich Geld von ihr borgen und dies konnte oder wollte sie ihm nicht geben, weil sie dachte, er werde es ihr doch nie zurückzahlen können. Da erzählte ihr Jemand in der Gesellschaft zu Gilsland (nachdem sie schon gar nicht mehr zusammenkamen,) die Herrschaft Ellangowan solle verkauft werden; und Ihr könnt glauben, daß sie von diesem Augenblicke an von Miß Lucy Bertram gar nichts mehr wissen wollte, denn viele Mal rief sie mir wohl zu: ›O Rebecka, Rebecka, wenn das unnütze Wesen, das Mädchen in Ellangowan, das ihren Vater nicht in Ordnung halten kann, doch lieber ein Junge wäre, dann könnte man das alte Erbe nicht verkaufen, wegen der Schulden des einfältigen Narren.‹ – Und auf diese Weise sprach sie nun in einem fort, daß ich der Sache am Ende ganz müde und überdrüßig wurde; ich mochte das arme Mädchen nicht mehr schelten hören, welches doch gewiß ein Junge gewesen sein und das Erbe aufrecht gehalten haben würde, wofern dies nur auf ihren Willen angekommen wäre. Eines Tages, als ich mit ihr spazieren ging, sah sie einige hübsche Jungen in der Nähe von Gilsland – sie gehörten einem gewissen Mac-Crosby – und da rief sie nun aus: ›Ist das nicht recht seltsam, daß hier jeder arme Bauer einen Sohn und Erben hat, und das Haus Ellangowan ist ohne männliche Nachkommenschaft?‹ – Nun stand eine Zigeunerin hinter uns und hörte das. Mir ist in meinem ganzen Leben keine Frau vorgekommen, die so schrecklich aussah. ›Wer ist es,‹ sagte sie, ›der zu sagen wagt, das Haus Ellangowan solle ohne männliche Erben untergehen?‹ – Meine Lady schaute sich um nach jener – denn sie war dreist und hatte immer eine Antwort bereit. ›Ich sage es,‹ sprach sie, ›und ich sage es mit schwerem Herzen.‹ Da ergriff die Zigeunerin ihre Hand und sagte: ›Ich kenne Euch recht gut, wenn Ihr mich auch nicht kennt. Aber so gewiß die Sonne am Himmel scheint, so gewiß dies Wasser ins Meer fließt, und so gewiß ein Auge ist, das uns beide sieht, und ein Ohr, das uns beide hört – Henry Bertram, der bei dem Warrochfelsen umgekommen sein soll, ist dort nicht gestorben. Er hatte viel zu leiden, bis er einundzwanzig Jahr zurückgelegt hatte, das wurde ihm lange zuvor gesagt; aber wenn Ihr am Leben bleibt und ich es erlebe, so sollt Ihr hören von ihm diesen Winter, ehe der Schnee zwei Tage auf den Feldern von Singleside gelegen hat, – ich brauche Euer Geld nicht,‹ (sagte sie dann) ›Ihr möchtet sonst denken, ich wolle Euch nur Possen erzählen – lebt wohl bis nach dem Martinstag;‹ und mit diesen Worten ließ sie uns stehen.«

»War sie eine sehr große Frau?« fiel Mannering ein.

»Hatte sie schwarzes Haar, schwarze Augen und eine Narbe auf der Stirn?« setzte der Rechtsgelehrte hinzu.

»Sie war das größte Weib, welches ich jemals sah, und ihr Haar war so schwarz wie Mitternacht, außer wo es grau war, und eine Narbe hatte sie auf der Stirn, daß man wohl einen Finger hineinlegen konnte. Niemand, der sie je sah, wird sie vergessen können; und ich bin überzeugt, meine Herrschaft hat nur auf das Wort jenes Zigeunerweibes ihr Testament gemacht, weil sie die junge Lady von Ellangowan einmal nicht mehr leiden konnte; und sie mochte sie noch weniger leiden, als sie ihr zwanzig Pfund hatte schicken müssen – denn sie sagte: Miß Bertram, nicht damit zufrieden, daß sie das Gut Ellangowan in fremde Hände muß gehen lassen, weil sie ein Mädchen und kein Knabe ist, wird durch ihre Armuth auch noch für Singleside eine Last und Schmach werden. – Aber ich hoffe, das Testament meiner Mistreß ist dennoch gut, denn es wäre hart, wenn ich mein Legat verlieren sollte – ich diente für wenig Lohn.«

Der Rechtsgelehrte beseitigte ihre Besorgnisse, fragte sodann nach Jenny Gibson und hörte, daß sie Mr. Dinmonts Erbieten angenommen habe. »Ich habe dasselbe gethan, da er so freundlich war, mich darum zu bitten,« sagte Mrs. Rebecka; »die Dinmonts sind recht anständige Leute, obwohl meine Lady nicht gern von den Verwandten jener Seite viel hören mochte. Aber sie hatte die Schinken, die Käse und das Geflügel gern, was von Charlies-hope geschickt wurde, und ebenso gern hatte sie die Strümpfe und Handschuhe von Lämmerwolle, die von dort kamen.«

Mr. Pleydell entließ jetzt Mrs. Rebecka. Als sie gegangen war, sagte der Rechtsgelehrte: »Ich glaube die Zigeunerin zu kennen.«

»Eben wollt' ich dasselbe sagen,« erwiederte Mannering.

»Und ihr Name,« sagte Pleydell –

»Ist Meg Merrilies,« antwortete der Oberst.

»Wissen Sie das gewiß?« sagte der Sachwalter, mit dem Ausdrucke komischen Staunens seinen militärischen Freund anblickend.

Mannering gab zur Antwort, daß er ein solches Weib gekannt habe, als er vor zwanzig Jahren zu Ellangowan war: und sodann machte er seinen gelehrten Freund mit all den merkwürdigen Umständen seines ersten dortigen Besuches bekannt.

Mr. Pleydell lauschte mit großer Aufmerksamkeit und erwiederte dann: »ich wünschte mir Glück, in Ihrem Kaplan die Bekanntschaft eines tiefsinnigen Theologen gemacht zu haben; aber ich erwartete in der That nicht, in seinem Gebieter einen Zögling von Albumazar oder Messahala gefunden zu haben. Ich glaube indeß, die Zigeunerin wird uns etwas mehr von der Sache sagen können, als was sie aus Sterndeuterei und Prophetengabe herleitet – Ich hatte sie einmal unter meinen Händen, vermochte aber wenig aus ihr herauszubringen; nun muß ich an Mac-Morlan schreiben, daß er Himmel und Erde rege mache, um sie aufzufinden. Ich will gern nach – – shire kommen, um selbst bei ihrem Verhöre helfen zu können – Ich gehöre noch zu dem dasigen Friedensrichteramte, obwohl ich nicht mehr Sheriff bin. Nie in meinem Leben hat mir etwas mehr am Herzen gelegen, als die Entdeckung dieses Mordes und das Schicksal des Kindes. Ich muß auch an den Sheriff von Roxburghshire schreiben, und an einen thätigen Friedensrichter in Cumberland.«

»Ich hoffe, Sie werden, wenn Sie in die Gegend kommen, Woodbourne zu Ihrem Hauptquartier machen?«

»Gewiß; ich fürchtete schon, Sie würden mir das verweigern – aber wir müssen nun zu unserm Frühstück, sonst werde ich mich verspäten.«

Am folgenden Tage schieden die neuen Freunde, und der Oberst langte bei seiner Familie an, ohne ein weiteres Abenteuer, das sich zur Mittheilung eignen könnte, zu erleben.

 

Ende des zweiten Theils.



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