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Achtzehntes Kapitel.

Sterben und eine Schul', oder eine Katze beschenken.

Pope.

Lucian erzählte eine Fabel von einer Schaar Affen, welche ein geschickter Wärter gut abgerichtet hatte, so daß sie eine Tragödie mit großem Beifall aufführten. Aber der Anstand des ganzen Schauspiels ward dabei auf einmal vernichtet, und die natürlichen Leidenschaften der Schauspieler arteten in einen höchst unanständigen und lebhaften Wetteifer aus, als ein Schalk eine Hand voll Nüsse auf die Bühne warf; auf gleiche Weise erweckte die nahende Entscheidung unter den Exspektanten Gefühle von einem Charakter, welcher ganz verschieden von jenem war, den sie, unter der Aufsicht des Mr. Mortcloke, an den Tag zu legen bemüht gewesen waren. Dieselben Augen, welche früher andächtig zum Himmel blickten, oder mit großer Demuth zur Erde gesenkt waren, schossen ihre Blicke nun scharf und gewandt auf alle Fächer, Schubladen, Kisten, Cabinette und all' die seltsamen Winkel, die die Behausung eines alten jungfräulichen Fräuleins bieten mag. Aber ihr Forschen frommte zu nichts; sie fanden das Testament nicht, welches sie so eifrig suchten.

Hier fand man eine Schuldverschreibung von zwanzig Pfund, wobei bemerkt war, daß die fälligen Interessen am letzten Martinstage bezahlt worden; gewickelt war das Papier in ein neues Lied, gedichtet zu der alten Melodie »Ueber das Wasser zu Charlie«; – dort fand sich ein seltsamer Liebesbriefwechsel zwischen der Verstorbenen und einem gewissen Leutnant O'Kean von einem Infanterieregiment; mit diesen Briefen zusammengebunden war ein Dokument, welches den Verwandten über die plötzliche Auflösung einer so bedenklichen Verbindung vollen Aufschluß gab, da es nämlich des Leutnants Schuldverschreibung von zweihundert Pfund war, worauf nie Interessen bezahlt worden zu sein schienen. Andere ähnliche Papiere und Verschreibungen in großer Menge und gezeichnet mit bessern Namen (in kaufmännischer Bedeutung) als jener des ehrenwerthen und tapfern Kriegers, fanden sich im Laufe der weitern Nachforschungen ebenfalls vor; überdies ein Behältniß mit Münzen von jeder Größe und Benennung, Stücke von zerbrochenem Gold und Silber, goldene Ohrringe, Gelenke von zerbrochenen Tabacksdosen, Einfassungen von Brillen u. s. w. u. s. w. Immer noch kam kein letzter Wille zum Vorschein, und Oberst Mannering begann größere Hoffnung zu schöpfen, daß die Verfügung, die er von Glossin erhalten hatte, die letzte Anordnung hinsichtlich der Angelegenheiten der alten Dame enthalten werde. Aber sein Freund Pleydell, der jetzt in das Zimmer trat, rieth ihm, dieser Hoffnung nicht zu sehr nachzuhängen.

»Ich bin sehr wohl mit dem Herrn bekannt,« sagte er, »welcher die Untersuchung leitet, und an seinem Benehmen errath' ich, daß er etwas mehr von der Sache weiß, als irgend einer von uns.« Unterdessen, während die Untersuchung fortschreitet, wollen wir in der Kürze noch einen Blick auf einige in der Gesellschaft werfen, welche am meisten interessirt zu sein schienen.

Von Dinmont, der, mit seiner großen Reitpeitsche unter dem Arm, dem homme d'affaires mit seinem großen runden Gesicht über die Schulter sieht, ist weiter nichts zu sagen von Nöthen. In seiner Nähe steht ein ältlicher, dünner Mann in einem ganz regelrechten und zierlichen Traueranzuge; dieser Herr ist Mac-Casquil, der, als sehr entfernter Verwandter seine Erbschaftsansprüche blos darauf gründet, daß er mit der Verstorbenen jeden Sonntag in einem Kirchenstuhl gesessen und regelmäßig an jedem Sonnabend in den Abendstunden »Cribbage« mit ihr gespielt hat, aber stets mit großer Sorgfalt darauf achtend, daß er nie gewinnen möchte. Der andere, ziemlich rauh aussehende Mann, der sein graues Haar in einem ledernen Haarbeutel trägt, ist ein Tabackshändler, ein Verwandter von mütterlicher Seite, der bei dem Ausbruche des Krieges seine Waarenpreise für alle Kunden erhöhte, ausgenommen für Margarete Bertram, deren schildpattene Dose wöchentlich mit dem besten Rappee zu dem alten Preise gefüllt wurde, weil des Fräuleins Dienstmädchen sie jedesmal mit einer Empfehlung von Mrs. Bertram an ihren Vetter Mr. Quid überbrachte. – Jener junge Mensch, der nicht einmal so höflich gewesen ist, seine großen Stiefeln und Lederhosen wegzulassen, würde vielleicht höher als jeder Andere in der Gunst der verstorbenen Dame gestanden haben, die gern auf hübsche junge Männer zu sehen pflegte, wenn er nicht, wie man glaubte, sein Glück dadurch verscherzt hätte, daß er zuweilen ihre feierlichen Einladungen zum Thee vernachlässigte, oder auch wohl zuweilen dahin kam, nachdem er in schlechter Gesellschaft geweilt hatte, überdies zweimal ihrer Katze auf den Schwanz trat, und einmal ihren Papagei beleidigte.

Für Mannering war die interessanteste Person unter der ganzen Schaar das junge arme Mädchen, welches eine Art von demüthiger Gesellschafterin der Verstorbenen gewesen war, als ein Gegenstand, an welchem jene zu jeder Zeit ihre schlechte Laune auslassen konnte. Die Lieblingsmagd der Verstorbenen hatte sie, nur der Form wegen, in das Zimmer gezogen, wo sie sich sogleich in einen Winkel drückte, und mit Erstaunen und Entsetzen zusah, wie fremde zudringliche Hände jene Behältnisse durchwühlten, auf welche sie seit ihrer Kindheit nur mit scheuer Ehrfurcht geblickt hatte. Alle schauten mit ungünstigem Auge auf das arme Mädchen, den ehrlichen Dinmont ausgenommen; die übrigen aber glaubten in ihr eine gefährliche Mitbewerberin zu erblicken, deren Ansprüche die Erbschaft wenigstens vermindern könnten. Aber gleichwohl war sie die einzige Person unter allen Anwesenden, welche wirklich um die Verstorbene Kummer zu empfinden schien. Mrs. Bertram war ihre Beschützerin gewesen, wenn auch aus selbstsüchtigen Beweggründen, und all' die launische Tyrannei der alten Lady war in dem Augenblicke vergessen, wo die Thränen über die Wangen ihrer freundlosen Untergebenen flossen.

»Da gibt es Wasser genug, Drumquag« (früherer Name des Mac-Casquil), sagte der Tabacksfabrikant zu seinem verarmten Nachbar, »genug, um die Leute darin zu baden.« Mr. Mac-Casquil antwortete nur durch ein Kopfnicken, denn in Gegenwart des Mr. Pleydell und Oberst Mannering fühlte er seinen höhern Rang.

»Sehr närrisch wär's, wenn kein letzter Wille da sein sollte, Freund,« sagte Dinmont, welcher ungeduldig zu werden begann, zu dem Geschäftsführer.

»Einen Augenblick Geduld, wenn es Euch gefällig ist – Sie war eine gute und umsichtige Frau, Mrs. Margarete Bertram – eine gute umsichtige und verständige Frau, die wohl wußte, wie man Freunde und Vertraute zu wählen hat – sie wird ihren letzten Willen und Testament, oder vielmehr ihre mortis causa Verfügung in die Hände eines sichern Freundes niedergelegt haben.«

»Ganz sicherlich und fest glaub' ich,« sagte Pleydell flüsternd zu dem Oberst, »er hat es in seiner eigenen Tasche;« – darauf redete er den Mann des Rechtes an, »Wohlan, Sir, wir wollen die Sache kurz abmachen, mit Ihrer Erlaubniß; hier ist eine Verfügung über das Gut Singleside, ausgefertigt vor einer Reihe von Jahren, zum Besten der Miß Lucy Bertram von Ellangowan« – – die Gesellschaft starrte hier mit furchtsamen, wilden Blicken auf ihn. »Vermuthlich können Sie uns berichten, Mr. Protocol, ob ein späteres Testament vorhanden ist?«

»Erlauben Sie mir, Mr. Pleydell;« – mit diesen Worten nahm jener die Urkunde aus der Hand des Rechtsgelehrten und ließ seinen Blick über den Inhalt gleiten.

»Viel zu kalt,« flüsterte Pleydell, »viel zu kalt – er hat noch eine ganz andere Urkunde in der Tasche.«

»Warum zeigt er sie dann nicht vor, daß ihn der Teufel!« sagte der militärische Herr, dessen Geduld schon zu schwinden begann.

»Ei, wie kann ich das wissen?« antwortete der Rechtsgelehrte, – »warum tödtet eine Katze eine Maus nicht gleich, die sie gefangen hat? es ist meines Bedünkens nur das Bewußtsein der Obmacht und die Lust am Quälen. – Wohlan, Mr. Protocol, was sagen Sie zu dieser Urkunde?«

»Ei, Mr. Pleydell, die Urkunde ist eine recht wohl abgefaßte Urkunde, gehörig beglaubigt und nach gesetzlicher Vorschrift bezeugt.«

»Aber widerrufen oder umgestoßen durch eine andere von späterem Datum, die sich in Ihrem Besitz befindet, nicht so?« sagte der Rechtsgelehrte.

»Etwas von der Art, allerdings, Mr. Pleydell,« sagte der Geschäftsmann, ein Pack Schriften hervorziehend, das mit Bindfaden umwunden und an allen Ecken und Enden mit schwarzen Siegeln versehen war. »Jene Urkunde, Mr. Pleydell, welche Sie vorzeigen, ist datirt vom ersten Juni, 17 –; aber diese hier,« (die Siegel brechend und das Dokument langsam entfaltend,) »ist datirt vom 20. – nein, wie ich sehe vom 21. April dieses gegenwärtigen Jahres, also 10 Jahre später als jene.«

»Wahrlich,« rief der Rechtsgelehrte, »gerade von demselben Monate, in welchem Ellangowan's mißliche Lage allgemein bekannt zu werden begann. Aber lassen Sie uns doch hören, was sie verfügt hat.«

Mr. Protocol begann demnach, nachdem er um Stille gebeten, die Verfügung laut, in einem langsamen, festen, geschäftsmäßigen Tone, vorzulesen. Die Gruppe der Umstehenden, in deren Blicken Hoffnungen abwechselnd erwachten und wieder erloschen, und die all' ihre Fassungskraft anstrengten, um den Sinn des Testamentes durch den Nebel der Kunstsprache, in welchen es eingehüllt war, gehörig zu verstehen, hätte einen würdigen Gegenstand für Hogarth abgegeben.

Das Testament war von ganz unerwartetem Inhalt. Es verfügte über das Gut Singleside, nebst allem Zubehör, und mit Inbegriff der Ländereien von Loverleß, Liealone, Spinster's Knowe, und der Himmel weiß was noch alles, »zu Gunsten des (hier sank des Vorlesers Stimme zu einem sanften und bescheidenen Piano herab,) Peter Protocol, weil die Erblasserin das vollste Vertrauen auf seine Fähigkeit und Redlichkeit habe,« (dies sind die nämlichen Worte, welche meine verstorbene Freundin durchaus beigefügt wissen wollte.) »Aber nur als anvertrautes Gut,« (hier erhob der Leser seine Stimme wieder, und die Gesichter vieler Zuhörer, welche vorher zu einer bedeutenden Länge gedehnt worden waren, verkürzten sich wieder sehr,) »als anvertrautes Gut, und unter nachfolgenden Bedingungen und Bestimmungen.«

In diesen Bedingungen und Bestimmungen lag aber gerade die Hauptsache. Die erste derselben wurde durch eine lange Vorrede eingeleitet, welche auseinandersetzte, daß die Erblasserin in gerader Linie von dem alten Hause Ellangowan abstamme, indem ihr Urgroßvater, Andreas Bertram, der Erste von Singleside seligen Andenkens, der zweite Sohn des Allan Bertram, Barons von Ellangowan, gewesen sei. Sodann ward bestätigt, daß Henry Bertram, Sohn und Erbe des Godfrey Bertram, von Ellangowan, in der Kindheit seinen Eltern gestohlen worden sei; daß aber sie, die Erblasserin, wohl versichert sei, er lebe noch in fremden Landen und würde durch des Himmels Führung wieder in das Erbe seiner Väter eingesetzt werden – in diesem Falle aber solle der besagte Peter Protocol gehalten und verpflichtet sein, wie er sich selbst bei Annahme gegenwärtiger Verfügung für verpflichtet und gebunden erkläre, sich der besagten Güter von Singleside und der übrigen dazu gehörigen Gegenstände (nach Abzug einer Gratifikation für seine Mühe), zu Gunsten des besagten Henry Bertram, sobald dieser in seine Heimath zurückkehren werde, zu entäußern. Während der Abwesenheit des jungen Bertram, oder wofern derselbe vielleicht gar nicht nach Schottland zurückkehren sollte, hatte Peter Protocol die Einkünfte des Gutes und den Ertrag des übrigen Vermögens, jedoch gleichfalls nach Abzug einer angemessenen Gratification für ihn, in gleichen Theilen an vier benannte milde Stiftungen zu vertheilen. Die Verwaltung des Gutes, die Erhebung und Anlegung des baaren Vermögens, kurz, die volle Gewalt eines Eigenthümers, ward dem vertrauten Bevollmächtigten übertragen. Nur zwei Vermächtnisse waren noch ausgesetzt; eines von hundert Pfund einer Lieblingsmagd, ein zweites von gleichem Betrag für Janet Gibson (welche nach Aussage des Testaments durch der Erblasserin Güte erzogen worden,) um dieselbe dafür ein ehrbares Gewerbe erlernen zu lassen.

Ein derartiges Testament nennt man in Schottland eine Mortification, und in einem großen Burgflecken, (Aberdeen, wenn ich mich recht erinnere,) heißt der Beamte, welcher solche Verfügungen zu besorgen hat, der Master der Mortificationen. Man könnte vermuthen, dieser Ausdruck rühre von der Wirkung her, welche solche Verfügungen gewöhnlich auf die Verwandten derjenigen äußern, durch welche jene getroffen worden sind. Bedeutend war allerdings die Kränkung und der Aerger, welcher die Versammlung befiel, die im Besuchzimmer der seligen Mrs. Margarete Bertram jener unerwarteten Entscheidung über die Besitzung Singleside gelauscht hatte. Ein tiefes Schweigen herrschte, nachdem das Dokument bis zu Ende vorgelesen war.

Mr. Pleydell nahm zuerst wieder das Wort. Er bat, die Urkunde durchsehen zu dürfen, und nachdem er sich überzeugt hatte, daß sie in gehöriger Weise aufgesetzt und vollzogen sei, wandte er sich ohne jede weitere Bemerkung um und sagte nur leise zu Mannering: »Protocol ist nicht schlimmer als andere Leute, wie ich glaube, aber das alte Fräulein hat Alles so eingerichtet, daß es ihm, wenn er nicht ein Schurke wird, wenigstens nicht an Versuchung dazu fehlen kann.«

»Ich glaube wirklich,« sagte Mr. Mac-Casquil von Drumquag, welcher, nachdem er die eine Hälfte seines Grolls hinuntergeschluckt hatte, entschlossen war, der andern Hälfte Luft zu machen, »ich glaube wirklich, daß dies ein ganz außerordentlicher Fall ist! Ich möchte nun gern von Mr. Protocol wissen, – denn als einziger und unbeschränkter Vertrauter muß dieser doch bei der Gelegenheit zu Rathe gezogen worden sein; ich möchte, sag' ich, gern wissen, wie Mrs. Bertram im Stande sein konnte, an die Existenz dieses Knaben zu glauben, der, wie alle Welt weiß, vor vielen Jahren ermordet worden ist?«

»In der That, Sir,« sagte Mr. Protocol, »ich weiß nicht, wie es mir möglich sein sollte, ihre Beweggründe deutlicher zu erklären, als sie es schon selber gethan hat. Unsere treffliche verstorbene Freundin war ein gutes Weib, Sir – ein frommes Weib, – und sie mochte wohl Gründe haben, an das Wohlbefinden jenes Knaben zu glauben, Gründe, die für uns nicht erkennbar sind, Sir.«

»Ei,« fiel der Tabacksfabrikant ein, »ich kenne die Gründe recht gut, auf welche sie ihr Vertrauen setzte. Dort sitzt Mrs. Rebecka (die Magd,) die hat mir wohl hundert Mal in meinem eigenen Laden erzählt, es gebe Niemand, der darum wisse, wie die Lady ihren letzten Willen einrichten werde, denn eine alte Zigeunerin zu Gilsland hätte ihr die Versicherung gegeben, daß der Junker – Henry Bertram heißt er? – am Ende doch einst wiederkehren werde. Könnt Ihr das läugnen, Mrs. Rebecka? Freilich weiß ich wohl, daß Ihr es rein vergessen habt, was Ihr Eurer Herrschaft zu Gemüthe führen solltet, was Ihr derselben zu sagen versprachet, und wofür ich Euch manche halbe Krone gegeben habe – Aber Ihr werdet doch nun nicht verläugnen wollen, was ich jetzt sage?«

»Ich weiß gar nichts davon,« antwortete Rebecka, indem sie fest vor sich hinblickte, ganz mit der Miene einer Person, welche nicht geneigt ist, sich an mehr zu erinnern, als an das, was ihr angenehm ist.

»Wohlgesprochen, Rebecka! Ihr seid mit Eurem Theil zufrieden,« setzte der Tabacksfabrikant noch hinzu.

Jener junge Mensch, der bisher mit seiner Reitgerte an die Stiefeln geklopft hatte, saß jetzt da wie ein Kind, dem man seinen Brei genommen hat. Sein Murren indeß verschloß er in sein Inneres oder machte ihm wenigstens nur in abgebrochenen Sätzen Luft, wie etwa: »was hab' ich nun davon, daß ich mich immer mit ihr plagte – bin ich doch, wahrlich, hieher gekommen, um Thee zu trinken, und verließ Gesellschaften, die mir besser behagten; wahrhaftig, ich hätte besser gethan, wegzubleiben – 's ist abscheulich, keine hundert Pfund hat sie mir gelassen!«

Mr. Protocol, welcher die gehässige Stimmung nicht gern in diesem Augenblicke steigern wollte, versprach, Alles gehörig in Ordnung bringen zu wollen und sagte dann: »Wohlan, meine Herren, ich denke wir haben jetzt hier nichts mehr zu thun – ich werde dafür sorgen, daß schon morgen jeder der Herren Gelegenheit habe, das Testament meiner trefflichen und würdigen Freundin hinsichtlich seines Inhalts zu prüfen und sich nach Belieben einen Auszug davon zu nehmen.« Jetzt begann er die Behältnisse der Seligen mit größerer Eile zu schließen, als er sie geöffnet hatte. »Mrs. Rebecka, Ihr werdet so gut sein, hier Alles in guter Ordnung zu halten, bis wir das Haus vermiethen können – es ward mir diesen Morgen von Jemand ein Antrag, wofern ich etwas derartiges finden sollte.«

Unser Freund Dinmont, der seine Hoffnungen so gut wie jeder andre gehabt hatte, hatte bisher mürrisch genug in dem Lehnstuhle der verstorbenen Lady gesessen, die sich nicht wenig entsetzt haben würde, wofern sie dieses kolossale Probestück eines Mannes in ihrem Lieblingsstuhle hätte ruhen sehen. Seine Beschäftigung hatte darin bestanden, seine lange Peitschenschnur schneckenartig aufzurollen und sie dann auf der Mitte des Fußbodens sich wieder entwickeln zu lassen. Die ersten Worte, die er endlich, nachdem alles entschieden, sagte, enthielten eine großmüthige Erklärung, von welcher er wahrscheinlich selbst nicht wußte, daß er sie laut äußerte: – »Nun gut – Blut ist dicker als Wasser – sie soll willkommen sein bei den Käsen und Schinken.« Als aber der Vertraute die obenerwähnten Abschiedsworte zu den Trauernden sagte und davon sprach, daß das Haus alsbald vermiethet werden sollte, erhob sich der ehrliche Dinmont auf seine Füße, und überraschte die Gesellschaft mit der schlichten Frage: »Und was soll dann aus dem armen Mädchen werden, der Jenny Gibson? so viele von uns wollten mit der Familie verwandt sein, als es sich um die Erbschaft handelte; und nun können wir für sie denn doch auch etwas thun.«

Dieser Vorschlag schien die meisten der Versammelten zum sofortigen Abschiede geneigt zu machen, obwohl sie bei jener Aeußerung Protocols noch gezögert hatten, als wenn sie um das Grab ihrer vernichteten Hoffnungen gestanden hätten. Drumquag sagte, oder murmelte vielmehr etwas von »selbst eine Familie haben,« und aus diesem Grunde nahm er, kraft seines adligen Blutes, den Vortritt und entfernte sich so schnell als möglich. Der Tabakshändler trat auf und ließ die Aeußerung hören – »es ist ja doch schon genug für sie gesorgt; und Mr. Protocol ist im Uebrigen die am meisten geeignete Person, die Leitung des Mädchens zu übernehmen, da er das Legat auszuzahlen hat;« nachdem er so seine Meinung in festem und entschiedenem Tone dargelegt hatte, verließ er gleichfalls den Schauplatz. Der junge Mensch versuchte einen plumpen und groben Scherz über die Andeutung der Mrs. Bertram, daß das arme Mädchen ein ehrbares Gewerbe lernen solle; aber ein mißfälliger Blick aus Oberst Mannerings finsterm Auge (auf welchen er, mit dem Tone einer guten Gesellschaft völlig unbekannt, Beifall suchend geblickt hatte,) bestimmte ihn schnell dahin, den unglücklichen Versuch nicht zu erneuern. Er eilte so schnell als möglich die Treppe hinab.

Protocol, der in der That ein gutmüthiger Mensch war, gab zunächst die Absicht zu verstehen, einstweilen die junge Dame bei sich aufzunehmen, aber mit dem steten Vorbehalt, daß dieses sein Verfahren nur als ein Werk der Barmherzigkeit angesehn werden solle; da erhob sich aber Dinmont wieder, und, nachdem er seinen weiten groben Ueberrock geschüttelt hatte, wie etwa ein Neufundländer Hund sein zottiges Fell schüttelt, wenn er aus dem Wasser kommt, rief er: »Ei, der Teufel hol' mich, wenn Ihr etwas mit ihr zu thun haben sollt, Mr. Protocol, vorausgesetzt, daß sie Lust hat, mit mir nach Hause zu gehen. Seht, Ailie und ich, wir kommen ganz gut mit einander aus, und sie würde sich bei uns auch gut genug befinden. – Jenny wird bei uns weiter gar nichts zu entbehren haben, als die feinen Manieren, und das Bücherlesen und das zierliche Nähen – was sie freilich bei einer so großen Dame, wie Lady Singleside, lange genug getrieben hat; oder wenn sie vielleicht von alle dem noch nichts versteht, so wird sie unsern Jungen darum noch weit lieber sein, darauf wett' ich. Ich will alles besorgen, und was das Geld betrifft, die hundert Pfund, die mögt Ihr in Euren Händen behalten, Mr. Protocol, und ich werde schon selber noch etwas dazuthun, bis sie einmal einen wackern tüchtigen Burschen bei uns findet, der etwas braucht, um sich eine Wirthschaft einzurichten. – Nun, was sagst du dazu, Kind? du mußt freilich zu Pferde bei uns einziehen, denn eine Kutsche ist noch nie durch Liddesdale gerollt: – und es wird mich auch recht freuen, wenn Mrs. Rebecka mit dir kommen will, Kind, um etliche Monate bei uns zu bleiben, so lange du noch fremd bist.«

Während sich Rebecka höflich verbeugte und die arme Waise auch dahin zu bringen suchte, sich höflich zu verbeugen, statt zu weinen, und während Dandy, nach seiner rohen Weise, Beiden Muth einsprach, nahm der alte Pleydell seine Zuflucht zur Schnupftabaksdose. »Es ist das für mich wie Speise und Trank, Oberst,« sagte er, nachdem er ein wenig Fassung gewonnen hatte, »wenn ich einen so ehrlichen Kerl sehe – ich muß ihm auf seine eigne Weise eine Freude machen, – ich muß ihm helfen, sich selber zu ruiniren – da ist keine Rettung für ihn. Hier, Ihr aus Liddesdale – Dandie – Charlies-hope – wie nennt Ihr Euch doch?«

Der Pächter wandte sich um, unendlich erfreut, daß man ihn bemerkte, mochte es auch nur auf die angegebene Weise sein; denn in seinem Herzen ehrte er, nächst seinem eignen Oberherrn, einen Rechtsgelehrten vor Allen.

»So wollt Ihr wohl weiter nichts vornehmen, in Bezug auf die Sache wegen der Weideplätze?«

»Nein, nein, Sir – Niemand verliert gern sein Recht und läßt sich darüber noch auslachen. Aber weil Euch die Sache nicht angenehm scheint, oder weil Ihr vielleicht der Freund des Gegenpart seid, so muß ich zu einem andern Advokaten gehn.«

»Da, sagt' ich es Ihnen nicht, Oberst Mannering? – Nun wohlan, Freund, wenn Ihr durchaus ein Narr sein müßt, so wollen wir wenigstens dafür sorgen, daß der Proceß möglichst billig für Euch ausfällt, und daß Ihr auch wo möglich am Ende der Sieger seid. Schickt Eure Papiere und ich werde dafür sorgen, daß Eure Sache gehörig geführt wird. Ich sehe am Ende nicht ein, warum Ihr nicht auch Eure Processe und Eure Fehden vor den Gerichten haben solltet, so gut wie Eure Vorfahren ihre Todtschlägereien und brennenden Dörfer hatten.«

»Sehr natürlich, in der That, Sir. Wir wollten das alte Wesen genau eben so treiben, wär' es nicht um der Gesetze willen. Und da uns das Gesetz bindet, so soll uns auch das Gesetz lösen. Und wirklich hat auch ein Mann in unsrer Gegend erst dann ein rechtes Ansehn, wenn er vor Gericht gestanden hat.«

»Vortrefflich, mein Freund! Nun geht und schickt Eure Papiere. – Kommen Sie, Oberst, wir haben hier nichts weiter zu thun.«

»Nun, wir wollen nun schon mit Jock von Dawston Cleugh fertig werden!« sagte Dinmont, sich voller Freude auf den Schenkel schlagend.



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