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Viertes Kapitel.

Der Liddellstrom, bis jetzt (es weiht' allein
Der liebekranke Hirt ihm seine Lieder,)
Nicht durch Gesang gefeiert – fluthet gleich
So rein kein Strom zum Meer.

Die Heilkunst.

Die gegenwärtigen Pächter des südlichen Schottland sind weit gebildeter als ihre Väter, und die Sitten, die ich jetzt schildern will, sind entweder ganz verschwunden, oder doch sehr verändert. Ohne ihre ländliche Sitteneinfachheit verloren zu haben, betreiben sie Künste, welche der frühern Generation unbekannt waren, und zwar nicht nur zur Verbesserung ihrer Feldgüter, sondern auch überhaupt zur Beförderung aller Bequemlichkeiten des Lebens. Ihre Häuser sind weit wohnlicher, ihre Sitten und Gewohnheiten so gestaltet, daß sie besser Schritt halten mit denen der civilisirten Welt, und der edelste Luxusartikel, die Wissenschaft, hat zwischen ihren Bergen während der letzten dreißig Jahre viel Boden gewonnen, während das »Tief in's Glas gucken,« früher ihre größte Schwachheit, mehr und mehr vertrieben wurde: und indeß ihre biedere, unbeschränkte Gastfreundschaft dieselbe blieb, so verfeinerte sie sich gleichwohl und das Ausschweifende dabei wurde gezügelt.

»Der Teufel sitzt in dem Weibe,« sagte Dandy Dinmont, seine umarmende Gattin abschüttelnd, wiewohl sanft und mit einem zärtlichen Blicke – »der Teufel muß in dir sitzen Ailie – siehst du den fremden Gentleman nicht?«

Ailie wandte sich um, und suchte sich zu entschuldigen. »Wirklich, es freute mich recht sehr, den Herrn zu erblicken, der – Aber lieber Himmel! wo ist das Blut her?« – Man befand sich nämlich jetzt in dem kleinen Wohnzimmer und der Schein des Lichtes zeigte die Blutflecke, welche Dinmonts verwundeter Kopf eben so sehr den Kleidern seines Gefährten, als seinen eigenen mitgetheilt hatte. »Dandy, du hast wieder mit einem von den Roßkämmen gefochten! Ach, Mann! du, ein verheiratheter Mann, mit einer so hübschen Familie, wie die unsre, du solltest besser wissen, was eines Vaters Leben in der Welt werth ist.« – Die Thränen standen der guten Frau im Auge, während sie sprach.

»Still! still! liebe Frau,« sagte der Gemahl, indem er ihr einen Kuß gab, der weit mehr von Zärtlichkeit, als von bloßer Ceremonie hatte; »diesmal ist die Sache ganz anders – da ist ein Gentleman, der wird dir erzählen, daß, gerade als ich an die Schenke zu Courie Lowthers gekommen war, einen Branntwein getrunken hatte und eben auf dem Moor weiter ritt, um so bald wie möglich daheim zu sein, daß, sag' ich, eben da zwei Strauchdiebe aus der Torfgrube sprangen, eh' ich mir's versah, mich niederwarfen und mir hart genug zusetzten, wiewohl sie meine Peitsche gehörig schmeckten – und wirklich, Weib, wäre dieser wackere Gentleman nicht gekommen, so hätte ich mehr Löcher, als gut ist, in den Kopf gekriegt, und mehr Silber hätt' ich verloren, als ich dranzusetzen habe; darum magst du ihm nur immer danken, nächst Gott.« Während er dies sagte, zog er aus der Seitentasche ein großes in Leder gebundenes Taschenbuch und gab es seiner Frau, um es zu verschließen.

»Gott segne den Gentleman, ja, das wünsch' ich von ganzem Herzen – aber was können wir für ihn thun, als daß wir ihm Speise und Obdach geben, was wir doch auch dem ärmsten Menschenkinde von der Welt nicht verweigern würden? Wenn es nicht« (ihr Blick richtete sich hier auf das Taschenbuch, aber mit einem Ausdrucke, welcher das feinste Zartgefühl an den Tag legte), »wenn es nicht einen andern Weg gibt« – – Brown erkannte und schätzte diese Mischung von Einfalt und dankbarem Edelmuth, welcher den geraden Weg einschlug, um sich auszudrücken und doch dabei mit so viel Zartsinn verfuhr; – er sah ein, daß ihn seine eigne Kleidung, die überhaupt nur schlicht, jetzt aber zerrissen und mit Blut befleckt war, mindestens zu einem Gegenstande des Mitleids, oder vielleicht gar der Mildthätigkeit machen mußte. Er eilte daher, zu sagen, sein Name sei Brown, Capitain im ** Cavallerieregiment, der zum Vergnügen und zu Fuße reise, sowohl der Bequemlichkeit als der Sparsamkeit wegen; darauf bat er seine freundliche Wirthin, nach den Wunden ihres Gatten zu sehn, welcher ihm nicht erlaubt hatte, den Zustand seiner Verletzungen zu untersuchen. Mrs. Dinmont war an ihres Gatten zerschlagene Köpfe mehr gewöhnt, als an die Gegenwart eines Dragonercapitains. Sie schielte daher nach einem nicht ganz reinen Tischtuch und sann einige Minuten über ihr aufzutischendes Abendessen nach, bevor sie, ihren Gatten auf die Schulter klopfend, diesen bat, sich niederzusetzen, indem sie ihn einen »hartköpfigen Springinsfeld« hieß, »der noch über sich und andre Leute das größte Unheil bringen werde.«

Dandy Dinmont führte erst einige Bockssprünge aus und tanzte einige schottische Touren, um seines Weibes Aengstlichkeit damit zu bannen, eh' er sich niedersetzte und seine runde schwarze Kanonenkugel, nämlich seinen Kopf, ihrer Besichtigung überließ; Brown gedachte dabei, daß er den Regimentsfeldscher weit ernster auf viel geringere Verletzungen hatte blicken sehen. Die gute Frau zeigte indeß einige Kenntniß der Chirurgie – sie schnitt mit ihrer Scheere die blutigen Locken weg, die so steif und zusammengeklebt waren, daß sie ihren Operationen im Wege standen, darauf legte sie etwas Linnen auf die Wunde, welches mit einem Wundbalsam bestrichen war, der im ganzen Thale als Universalmittel galt (denn die Jahrmarktnächte boten reiche Gelegenheit, in dergleichen Erfahrung zu sammeln); sodann befestigte sie ihr Pflaster mit einer Binde und zog, trotz alles Widerstrebens des Patienten, über das Ganze eine Nachtmütze, um jeglich Ding am rechten Platze zu bewahren. Einige Contusionen an Stirn und Schultern wusch sie mit Branntwein, welches der Patient aber nicht eher gestattete, als bis von der Medicin seinem Munde ein reichlicher Zoll gezahlt war. Mrs. Dinmont bot nun mit einfältiger Freundlichkeit auch Brown ihren Beistand an.

Er versicherte ihr, daß er weiter nichts bedürfe, als ein Waschbecken und ein Handtuch.

»Ach, und daran sollt' ich doch eher gedacht haben,« sagte sie, »und ich dachte auch wohl dran, aber ich durfte die Thür nicht aufmachen, denn die armen Schelme, die Jungen, sind alle draußen und brennen vor Begierde, ihren Vater zu sehn.«

Dies erklärte das laute Trommeln und Wehklagen vor der Thür des kleinen Gemachs, worüber Brown einigermaßen erstaunt gewesen war, obwohl seine freundliche Wirthin weiter nichts dagegen that, als daß sie den Riegel vorschob, sobald das Lärmen begann. Als sie aber die Thür öffnete, um Waschbecken und Handtuch zu suchen (denn es kam ihr nicht in den Sinn, dem Gast ein besonderes Zimmer anzuweisen), da strömte eine Fluth weißköpfiger Kinder herein, einige vom Stall, wo sie Dumple gesehn und ihm mit einem Theil ihres Vesperbrodes Willkommen geboten hatten; andere aus der Küche, wo sie den Märchen und Balladen der alten Elsbeth gelauscht hatten; und das jüngste, halbnackte, aus dem Bette – alle wollten durchaus den Vater sehen und forschen, was er ihnen von den verschiedenen Jahrmärkten, die er auf seiner Reise besucht, mitgebracht hätte. Unser Ritter vom zerschlagenen Kopf küßte und herzte eins nach dem andern, und vertheilte Pfeifchen, Pfennigtrompeten, Pfefferkuchen; als dann endlich der Tumult der Freude zu arg wurde, rief er seinem Gaste zu – »das ist alles der Mutter Schuld, Capitain – sie läßt den Jungens allen Willen.«

»Ich! du lieber Gott,« sagte Ailie, welche soeben mit dem Waschbecken und Handtuch eintrat, »was kann ich anders thun? – Die armen Geschöpfe, sie haben ja außerdem kein Vergnügen!«

Dinmont strengte sich nun an und säuberte durch Zureden, Drohen und Schelten das Gemach von all den Zudringlichen, mit Ausnahme eines Knaben und eines Mädchens – der beiden ältesten, die sich, wie er bemerkte, etwas verständiger zu benehmen wußten. Aus dem nämlichen Grunde, aber mit weniger Ceremonie wurden alle Hunde ausgestoßen, mit Ausnahme der ehrwürdigen Patriarchen, des alten Mustard und des alten Pepper (Senf und Pfeffer), denen häufige Züchtigung und jahrelange Erfahrung so viel von geselliger Duldsamkeit eingeflößt hatte, daß sie, nach wechselseitigen Erklärungen und Auseinandersetzungen, welche sich durch ein gewisses Knurren kund thaten, dem Wasp, der sich bisher nur unter seines Herren Stuhl für sicher gehalten, Erlaubniß gaben, ein getrocknetes Widderfell zu theilen, welches, mit der ungeschorenen wolligen Seite nach oben gekehrt, ganz den Dienst eines Bristoler Teppichs versah.

Die Geschäftigkeit der Mistreß (so hieß sie in der Küche, während sie im Wohnzimmer meistens die »Mutter« war) hatte bereits über das Schicksal zweier Hühner entschieden, die, weil zu anderer Bereitung die Zeit fehlte, bald bratend, oder wie es Mrs. Dinmont nannte, röstend, auf dem Herde erschienen. Ein großes Stück kalte Rindskeule, Eier, Butter, Kuchen und Gerstengebäck in Menge machte das Mahl aus, welches mit selbstgebrautem Bier von vorzüglicher Güte und mit einer Korbflasche voll Branntwein hinabgespült ward. Wenige Soldaten würden nach einem harten Tagemarsch und einem Gefecht obendrein ein solches Mahl verschmähen; auch Brown erwies all diesen Gegenständen große Ehre. Die Hausfrau half theils selbst die Reste des Abendessens wegräumen, theils ließ sie dies einem starken Dienstmädchen, mit Backen, so roth wie ihr Kopftuch, thun, und zugleich befahl sie der Dirne, Zucker und heißes Wasser herbeizubringen; dies vergaß diese Jungfrau beinah, und zwar aus übergroßer Neugier, mit welcher sie hier einen wirklichen und lebendigen Capitain anstarrte; Brown benutzte indeß die Gelegenheit, seinen Wirth zu fragen, ob er es nicht bereue, den Wink der Zigeunerin vernachlässigt zu haben.

»Wer kann ihnen trauen?« antwortete er; »die Zigeuner sind Teufelskerle; – ich wäre vielleicht dem einen aus dem Wege gegangen, um einem andern zu begegnen. Aber ich will das nicht gerade behaupten; denn so oft das alte Weib nach Charlies-hope kam, hatte sie immer eine Flasche Branntwein und ein Pfund Tabak, um den Winter durch zu rauchen. Sie sind ein Teufelsvolk, wie mein alter Vater immer sagte – schlimm sind sie, wo sie schlimm behandelt werden. Ueberhaupt aber gibt es ebenso gut gute, als böse Zigeuner.«

Dies und manches andere kurzweilige Gespräch diente als »Stiefelknecht«, um einen zweiten Krug Bier und eine zweite Herzstärkung (so nannte Dinmont das Getränk) aus Rum und Wasser an die beste Stelle zu bringen. Darauf aber lehnte Brown alles weitere Zechen für diesen Abend bestimmt ab, indem er seine eigene Müdigkeit und die Anstrengung des Gefechtes vorschützte, – denn er wußte wohl, daß es nichts geholfen haben würde, wenn er seinen Wirth auf die Gefahr aufmerksam gemacht hätte, die das Zechen bei einer offenen Wunde haben konnte. Ein sehr kleines Schlafgemach mit einem sehr saubern Bette empfing den Reisenden; die Ueberzüge rechtfertigten vollkommen die gutmüthige Prahlerei der Wirthin, »daß sie so gut wären, als er sie nur irgendwo finden könnte, denn sie wären mit dem Wasser aus dem Feenborn gewaschen, auf der Elfenwiese gebleicht und von Nelly und ihr selber genähet; und was könnte ein Weib, und wär' sie auch eine Königin, mehr dazu thun?«

Sie wetteiferten in der That mit dem Schnee an Weiße, und hatten überdies einen angenehmen Duft vom Bleichorte her behalten. Der kleine Wasp legte sich, nachdem er seines Herren Hand, als wolle er um Erlaubniß bitten, geleckt hatte, auf die Bettdecke zu seinen Füßen; bald wurden des Reisenden Sinne von süßer Vergessenheit umfangen.



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